| Home | Index | EStG | Neuzugang | Impressum  
       

 

 

 

 

 

  BFH-Urteil vom 22.1.1992 (I R 49/91) BStBl. 1992 II S. 546

1. Österreichische Studenten sind mit ihren Einkünften aus nichtselbständiger Tätigkeit in der Bundesrepublik nach Art. 9 Abs. 1 DBA-Österreich i. V. m. Nr. 25 des Schlußprotokolls von der Lohnsteuer befreit, wenn sie bei dem inländischen Arbeitgeber nicht mehr als 183 Tage im Laufe eines Kalenderjahres beschäftigt sind, um die notwendige praktische Ausbildung zu erhalten.

2. Die Notwendigkeit der praktischen Ausbildung ergibt sich aus der Studien- und/oder Prüfungsordnung des jeweils belegten Studienganges.

DBA-Österreich 1954 Art. 9 Abs. 1, Nr. 25 des Schlußprotokolls.

Vorinstanz: FG Baden-Württemberg (EFG 1991, 592)

Sachverhalt

I.

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist ein österreichischer Staatsangehöriger mit Wohnsitz in Österreich. Er war im Streitjahr an der Technischen Universität Graz, Österreich, im Fachbereich Verfahrenstechnik immatrikuliert. Im Streitjahr war er bei einem deutschen Arbeitgeber drei Wochen zur Aushilfe als technischer Zeichner für ein Stundenhonorar von 21 DM brutto beschäftigt. Seine Leistungen erbrachte der Kläger im technischen Büro seines Arbeitgebers sowie bei einem Kunden des Arbeitgebers.

Im Auftrag des Klägers beantragte der Arbeitgeber beim Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt - FA -) erfolglos eine Bescheinigung über die Freistellung des Arbeitslohns vom Steuerabzug auf Grund des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Österreich zur Vermeidung einer Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen sowie der Gewerbesteuern und der Grundsteuern vom 4. Oktober 1954 - DBA-Österreich - (BGBl II 1955, 750). Einspruch und Klage blieben ebenfalls erfolglos. Das Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1991, 592 veröffentlicht.

Mit der Revision beantragt der Kläger die Aufhebung der finanzgerichtlichen Entscheidung.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen. Es weist insbesondere darauf hin, daß laut Vertragstext das Praktikum für das Studium "notwendig" sein müsse.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist gemäß § 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) als unbegründet zurückzuweisen.

Ein Anspruch auf Erteilung einer Freistellungsbescheinigung nach § 39 b Abs. 6 des Einkommensteuergesetzes (EStG) setzt voraus, daß der Kläger nach dem DBA-Österreich mit seinen im Inland bezogenen Einkünften aus nichtselbständiger Tätigkeit von der Lohnsteuer freizustellen ist. Dies ist nicht der Fall.

1. Bezieht eine natürliche Person mit Wohnsitz in einem der Vertragsstaaten Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit, die in dem anderen Staat ausgeübt wird, so hat der andere Staat das Besteuerungsrecht für diese Einkünfte, sofern nicht der Arbeitgeber eine juristische Person des öffentlichen Rechts ist oder die Bezüge aus öffentlichen Mitteln stammen (Art. 9 Abs. 1 i. V. m. Art. 10 DBA-Österreich). Als Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit gelten laut Nr. 22 des Schlußprotokolls zu Art. 9 DBA-Österreich, das Teil des Abkommens selbst ist (vgl. Art. 1 des Zustimmungsgesetzes vom 27. Juli 1955, BGBl II, 749; Präambel des Schlußprotokolls, BGBl II, 753), u. a. Gehälter und Löhne der im privaten Dienst beschäftigten natürlichen Personen, die von anderen als den in Art. 10 DBA-Österreich bezeichneten Personen gewährt werden. Danach ist der Kläger im Inland mit seinen Einkünften aus nichtselbständiger Tätigkeit beschränkt steuerpflichtig (§ 1 Abs. 4 i. V. m. § 49 Abs. 1 Nr. 4 EStG).

2. Dem Schlußprotokoll zum DBA-Österreich ist nichts Gegenteiliges zu entnehmen.

Gemäß Nr. 25 des Schlußprotokolls gilt Art. 9 Abs. 1 DBA-Österreich nicht für Studenten, die gegen Entgelt bei einem Unternehmen in dem anderen Staate nicht mehr als 183 Tage im Laufe eines Kalenderjahres beschäftigt werden, um die notwendige praktische Ausbildung zu erhalten. Das Finanzgericht (FG) hat diese Bestimmung zutreffend dahingehend ausgelegt, daß sich die Notwendigkeit einer praktischen Ausbildung aus den jeweiligen Studien- und Prüfungsordnungen ergeben muß.

2.1 Nach dem Wortlaut der Nr. 25 des Schlußprotokolls muß die Beschäftigung zum Ziel haben, die notwendige praktische Ausbildung zu erhalten. Muß die Ausbildung danach "notwendig" sein, so kann nicht - wie der Kläger meint - schlechthin jede Betätigung erfaßt werden, die im Zusammenhang mit dem belegten Studiengang steht. Dem Merkmal der Notwendigkeit genügt sprachlich auch nicht jede irgendwie geartete förderliche praktische Ausbildung. Weder hat der Kläger behauptet noch hat das FG Anhaltspunkte dafür festgestellt, daß der Begriff "notwendig" im österreichischen Sprachgebrauch eine andere Bedeutung haben soll als in der Bundesrepublik Deutschland (Bundesrepublik). Dem entspricht auch, daß die Vertragsparteien keine Notwendigkeit zur Klärung dieses Begriffs im Abkommen, einschließlich Schlußprotokoll, gesehen haben. Eine entsprechende Klarstellung hätte sich insbesondere für die Republik Österreich unter Berücksichtigung des § 3 Nr. 22 des - österreichischen - EStG 1953 angeboten. Danach sind Bezüge ausländischer Studenten, die bei einer ausländischen Unternehmung nicht länger als sechs Monate beschäftigt sind, steuerfrei, soweit vom Ausland Gegenseitigkeit gewährt wird. Von dieser Regelung erfaßt sind nur Tätigkeiten zur beruflichen Ausbildung (vgl. Doralt, Einkommensteuergesetz, 1990, § 3 Rdnr. 42). Wenn die Vertragsparteien des DBA in Abweichung von der österreichischen Gesetzeslage für die Steuerfreistellung zusätzlich die Notwendigkeit der praktischen Ausbildung verlangt haben, so muß dieser Einschränkung eine wortentsprechende Bedeutung zukommen.

2.2 Nach Nr. 25 des Schlußprotokolls muß die Beschäftigung für die Ausbildung notwendig sein. Die Notwendigkeit aus anderen Gründen, wie beispielsweise die Befriedigung des anläßlich des Studiums bestehenden finanziellen Bedarfs für den Unterhalt usw., ist schon dem Wortlaut nach nicht erfaßt. Auch kann es nicht dem einzelnen Steuerpflichtigen überlassen bleiben, ob er eine praktische Ausbildung für notwendig hält. Die Notwendigkeit muß vielmehr eine objektive sein. Nur auf diese Weise enthält Nr. 25 des Schlußprotokolls einen praktikablen Inhalt. Andernfalls könnte die geforderte Grenze zwischen notwendiger und nur förderlicher praktischer Ausbildung nicht gezogen werden.

Die Frage nach der objektiven Notwendigkeit läßt sich jeweils anhand der einschlägigen Studien- oder Prüfungsordnungen beantworten. Ist eine praktische Ausbildung in den Studien- bzw. Prüfungsordnungen nicht vorgeschrieben, so kann davon ausgegangen werden, daß die für die Ausbildung des Studenten zuständigen und fachkundigen Gremien die objektive Notwendigkeit für eine praktische Ausbildung nicht sehen.

Dieser Auslegung entspricht auch der Sinn- und Vorschriftenzusammenhang innerhalb des Abkommens, d. h. insbesondere der Sinnzusammenhang zwischen dem Abkommen als solchem und dem Schlußprotokoll. Das Schlußprotokoll enthält seinem Inhalt und seiner Systematik entsprechend keine im Verhältnis zum Abkommen eigenständigen Regelungen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung. Es definiert vielmehr die im eigentlichen Abkommen verwendeten Begriffe, enthält Auslegungsregeln und regelt das Vorgehen bei künftigen tatsächlichen Steueränderungen. Dementsprechend ist auch Nr. 25 des Schlußprotokolls nicht als Abweichung vom Abkommen, sondern als Auslegung des Abkommens zu verstehen. Nr. 25 des Schlußprotokolls interpretiert, wie der entsprechenden Bezugnahme zu entnehmen ist, Art. 9 Abs. 1 DBA-Österreich und damit den dort verwendeten Begriff "... Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit". Diesem Merkmal entsprechen Einnahmen auf Grund allgemeiner Ferienpraktika, nicht aber - und darin liegt der Zweck der Nr. 25 des Schlußprotokolls - die für den Studenten nach den Studien- oder Prüfungsordnungen vorgeschriebenen Praktika. Bei diesen tritt die Einkunftserzielungsabsicht hinter die Absicht zurück, die von den Ausbildungsstätten vorgeschriebenen Studien- und Prüfungszulassungsvoraussetzungen zu erfüllen.

Die Entscheidung des Senats widerspricht den Verwaltungserlassen (vgl. Finanzsenator Berlin vom 21. April 1966 III B II - S 1301 - 24/65, Deutsche Steuer-Zeitung/Ausgabe E - DStZ/E - 1966, 202; Finanzministerium Rheinland-Pfalz vom 9. Mai 1966 S 1301 - 30 VB 1, Der Betrieb - DB - 1966, 801), die im Einvernehmen mit dem Bundesminister der Finanzen (BMF) ergangen sind. Diese Erlasse setzen sich mit dem Tatbestandsmerkmal der Notwendigkeit der praktischen Ausbildung jedoch nicht auseinander. Sie stellen dem Grunde nach erkennbar ausschließlich auf die Gegenseitigkeit der angeordneten Handhabung ab. Diese aber ist kein Tatbestandsmerkmal der Nr. 25 des Schlußprotokolls.

Da das FG in einer den Senat nach § 118 Abs. 2 FGO bindenden Weise festgestellt hat, daß die für den Kläger einschlägige Prüfungsordnung eine praktische Ausbildung nicht vorschreibt, ist sie nicht notwendig i. S. der Nr. 25 des Schlußprotokolls.