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  BFH-Urteil vom 5.2.1992 (I R 67/91) BStBl. 1992 II S. 561

Eine an das FG adressierte Klageschrift ist beim FA "angebracht" i. S. des § 47 Abs. 2 Satz 1 FGO, wenn sie zusammen mit anderen Schriftstücken in einem an das FA adressierten Sammelumschlag in den Hausbriefkasten des FA eingeworfen wird.

FGO § 47 Abs. 2.

Vorinstanz: FG Köln

Sachverhalt

I.

1. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) legte gegen die Körperschaftsteuerbescheide 1984 bis 1988 und gegen die Bescheide über die Feststellung des verwendbaren Eigenkapitals gemäß § 47 des Körperschaftsteuergesetzes - KStG - 1977 (vEK-Bescheide) zum 31. Dezember 1984 bis 31. Dezember 1988 Einspruch ein. Den Bescheiden lagen von der Klägerin bestrittene verdeckte Gewinnausschüttungen zugrunde. Die Einspruchsentscheidung vom 6. August 1990 wurde der Klägerin am 8. August 1990 zugestellt. Ein Vertreter der Klägerin warf - nach dem Vortrag der Klägerin am Freitag, dem 7. September 1990, in jedem Fall jedoch vor dem 12. September 1990 - einen an den Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt - FA -) adressierten Umschlag in den Briefkasten des FA ein. In dem Umschlag befanden sich die Klageschrift vom 6. September 1990 und weitere für das FA bestimmte Schreiben des klägerischen Bevollmächtigten.

Die Klageschrift ist gerichtet "An das Finanzgericht Köln, Adolf-Fischer-Straße 12-16, 5000 Köln 1". Sie trägt keinen Eingangsstempel des FA. Das FA leitete die Klageschrift in einem Briefumschlag mit der Aufschrift "Irrläufer" an das Finanzgericht (FG) Köln weiter. Beim FG ging die Klage am 12. September 1990 ein.

2. Das FG verwarf die Klage als unzulässig wegen Versäumung der Klagefrist.

3. Die Klägerin stützt ihre Revision auf Verletzung des § 47 der Finanzgerichtsordnung (FGO).

Die Klägerin beantragt, der Klägerin unter Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, die angefochtenen Bescheide aufzuheben und die Weihnachts- und Urlaubsgeldzahlungen nicht als verdeckte Gewinnausschüttungen zu behandeln.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist begründet. Sie führte zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO).

Die Klägerin hat ihre Klage beim FA "angebracht".

1. Gemäß § 47 Abs. 2 Satz 1 FGO gilt die Frist für die Erhebung der Klage als gewahrt, wenn die Klage bei der Behörde, die den angefochtenen Verwaltungsakt erlassen hat, innerhalb der Frist des § 47 Abs. 1 FGO angebracht wird.

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) ist eine Klage "angebracht" in diesem Sinne, wenn sie derart in den Verfügungsbereich der Behörde übergegangen ist, daß diese davon Kenntnis nehmen konnte (BFH-Urteile vom 5. Dezember 1974 IV R 179/70, BFHE 114, 402, 403, BStBl II 1975, 337; vom 8. April 1987 X R 67/81, BFHE 149, 415, BStBl II 1987, 575; vom 24. Februar 1989 III R 77/85, BFH/NV 1989, 649; vom 13. Dezember 1989 I R 207/85, BFH/NV 1990, 708). Eine Kenntnisnahme in diesem Sinne ist dem Finanzamt nur möglich, wenn die Sendung das Finanzamt als Empfänger erkennen läßt. Befindet sich das Schreiben in einem nicht an das Finanzamt adressierten Kuvert, ist das Finanzamt an der Kenntnisnahme gehindert (Urteil in BFH/NV 1989, 649, 650).

Eine Ausnahme soll allerdings gelten, wenn das Finanzamt einen an das FG gerichteten Brief öffnet und tatsächlich von der Klage Kenntnis nimmt (BFH-Urteil vom 26. August 1977 VI R 98/75, BFHE 123, 122, BStBl II 1977, 841).

2. Der erkennende Senat hält an dieser Rechtsprechung fest. Die teilweise in der Literatur gegen die Rechtsprechung erhobenen Einwendungen sind unbegründet. Der Senat teilt die Überlegungen, mit denen sich der III. Senat des BFH im Urteil in BFH/NV 1989, 649 mit den in der Literatur gegen die Rechtsprechung erhobenen Einwendungen auseinandergesetzt hat.

3. Unter Berücksichtigung dieser Rechtsprechung war die Klage im Streitfall beim FA angebracht.

Das FA war durch die Adressierung des Briefumschlags als Empfänger aller Schriftstücke bezeichnet, die in diesem Umschlag enthalten waren. Wenn das FA unter dieser Voraussetzung bei Öffnung des Umschlags eine an das FG gerichtete Klageschrift feststellte, mußte es davon ausgehen, daß es im Rahmen des § 47 Abs. 2 FGO und nicht als "bloßer Briefträger" angesprochen war (vgl. Urteil in BFH/NV 1989, 649). Das FA konnte die Klageschrift im übrigen nur an das FG weiterleiten, weil es zumindest die Möglichkeit hatte, von ihrem Inhalt Kenntnis zu nehmen. Zum gleichen Ergebnis führt auch die Entscheidung des BFH in BFHE 123, 122, BStBl II 1977, 841. Ist bei einem an das FG adressierten Umschlag die Klage als beim Finanzamt angebracht anzusehen, wenn das Finanzamt den Umschlag fehlerhaft öffnet, so muß das in verstärktem Maße gelten, wenn das Finanzamt die Klageschrift einem an das Finanzamt adressierten Umschlag entnimmt.

Der erkennende Senat weicht damit nicht vom Beschluß des VI. Senats vom 28. Oktober 1983 VI B 163/82 (nicht veröffentlicht - n. v -) ab. In diesem Fall wurde eine nicht kuvertierte, an das FG adressierte Klageschrift in den Hausbriefkasten des Finanzamts geworfen. In diesem Fall deutete lediglich der Einwurf in den Briefkasten des Finanzamts darauf hin, daß der Schriftsatz an das Finanzamt als Empfänger gerichtet sein sollte. Das reicht nach der Rechtsprechung des BFH nicht aus, um das Finanzamt ausreichend als Adressaten zu kennzeichnen. Ist jedoch - wie im Streitfall - das Finanzamt auf dem Umschlag einer Sammelsendung als Empfänger bezeichnet, so hat der Absender zum Ausdruck gebracht, daß sämtliche im Umschlag enthaltenen Schriftstücke für das Finanzamt bestimmt sind.

4. Die Sache ist nicht entscheidungsreif. Sie mußte zu ergänzenden Feststellungen an das FG zurückverwiesen werden.

a) Das FG hat - auf der Grundlage seiner Beurteilung der Rechtslage zutreffend - nicht festgestellt, an welchem Tage die Klageschrift in den Hausbriefkasten des FA eingeworfen wurde. Auf diese Feststellungen kommt es an, da denkgesetzlich nicht auszuschließen ist, daß die Klage zwischen Ablauf der Klagefrist am 10. September 1990 und dem Eingang beim FG am 12. September 1990 verspätet beim FA angebracht wurde. Für den zweiten Rechtsgang könnte allerdings bedeutsam sein, daß das Datum der Klageschrift (6. September 1990), der vom Bevollmächtigten der Klägerin in Fotokopie vorgelegte Absendevermerk in seinem Terminkalender (Freitag, der 7. September 1990) und der Eingang der Klageschrift beim FG (12. September 1990) für einen Einwurf bereits am 7. September 1990 sprechen.

b) Das FG hat ferner - nach seiner Rechtsauffassung ebenfalls zu Recht - keine Feststellungen zum materiell-rechtlichen Streitgegenstand getroffen. Auch diese Feststellungen müssen im zweiten Rechtsgang noch nachgeholt werden.