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  BVerwG-Urteil vom 3.5.1991 (BVerwG 8 C 13.89) BStBl. 1992 II S. 580

Die Voraussetzungen eines Grundsteuererlasses wegen Minderung des normalen Rohertrags (§ 33 Abs. 1 GrStG) können nur erfüllt sein, wenn der (geringe) Ertrag eines Grundstücks auf vorübergehend vorliegende Umstände zurückgeht, die im Vergleich zu den vom Gesetz erfaßten Regelfällen atypisch sind.

GG Art. 3 Abs. 1; GrStG § 33; VwGO § 86 Abs. 1.

Sachverhalt

I.

Der Kläger ist Eigentümer bebauter Grundstücke. Er hat diese Grundstücke 1980 im Zusammenhang mit seinem Ausscheiden aus der Firma H. oHG als Abfindung erhalten. Bis zu diesem Zeitpunkt waren sie als Betriebsgrundstücke an die Firma H. GmbH verpachtet; der jährliche Pachtzins betrug 33.600 DM. In der Folgezeit bemühte sich der Kläger vergeblich, die Grundstücke zu annähernd dem bisher erzielten Pachtzins zu verpachten. Zum 1. Januar 1984 gelang die Verpachtung für jährlich 11.640 DM.

Im Januar 1984 zog die Beklagte den Kläger für das Steuerjahr 1984 zu einer Grundsteuer von 1.625,88 DM heran. Der Kläger versuchte, dem mit einem an das zuständige Finanzamt gerichteten Antrag auf Herabsetzung der Einheitswerte zu begegnen. Als dies mißlang, beantragte er bei der Beklagten, die Grundsteuer für 1984 und 1985 wegen wesentlicher Ertragsminderung teilweise zu erlassen. Das lehnte die Beklagte ab.

Der Kläger hat nach erfolglosem Widerspruch Verpflichtungsklage erhoben und geltend gemacht, daß in dem deutlich geringeren Pachtzins eine wesentliche Ertragsminderung zum Ausdruck komme und deshalb der begehrte Steuererlaß nach § 33 GrStG geboten sei. Die Beklagte ist dem entgegengetreten.

Das Verwaltungsgericht hat die Klage durch Urteil vom 24. November 1987 abgewiesen; das Oberverwaltungsgericht hat durch Beschluß vom 21. Juli 1988 die Berufung des Klägers zurückgewiesen.

Der die Berufung zurückweisende Beschluß stützt sich im wesentlichen auf folgende Gründe: Hinsichtlich des Steuerjahres 1984 sei das Erlaßbegehren schon deshalb unbegründet, weil der Kläger die Antragsfrist versäumt habe. Hinsichtlich des Steuerjahres 1985 scheitere er daran, daß eine wesentliche Ertragsminderung nicht vorliege. Bei der Beurteilung sei nämlich nicht, wie der Kläger meine, von den seinerzeit bei der Verpachtung an die Tochtergesellschaft und damit aufgrund eines speziellen Mietverhältnisses angefallenen 33.600 DM, sondern von dem auszugehen, was der Kläger zu Beginn des Erlaßzeitraums selbst erzielt habe. Dieser Betrag entspreche der marktüblichen Vergleichsmiete.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die vom erkennenden Senat zugelassene Revision des Klägers, mit der er sein Verpflichtungsbegehren für das Steuerjahr 1985 weiterverfolgt. Er rügt Verfahrensmängel und hält in der Sache selbst an seiner Ansicht fest, daß der Steuererlaß für 1985 nach § 33 GrStG geboten sei.

Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Der Oberbundesanwalt beteiligt sich am Revisionsverfahren.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision hat Erfolg. Der angefochtene Beschluß verletzt Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO, Art. 2 § 5 Abs. 2 Satz 1 EntlG). Die abschließende Beurteilung des Falles erfordert weitere tatsächliche Feststellungen; das zwingt zur Zurückverweisung der Sache an das Oberverwaltungsgericht (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO in der Fassung des 4. VwGO-Änderungsgesetzes).

Dem Kläger steht der von ihm für das Steuerjahr 1985 geforderte Grundsteuererlaß nach § 33 Abs. 1 Satz 1 GrStG zu, wenn - alles andere kann, weil für die vorliegende Entscheidung unerheblich, vernachlässigt werden - "der normale Rohertrag" der beiden Grundstücke in beachtlichem Umfang gemindert war. "Normaler Rohertrag" in diesem Sinne ist "die nach den Verhältnissen zu Beginn des Erlaßzeitraums geschätzte übliche Jahresrohmiete [bzw. Jahresrohpacht]" (§ 33 Abs. 1 Satz 3 Nr. 3 GrStG). Die Beantwortung der Frage, ob eine beachtliche Minderung vorliegt, erfordert demnach eine Gegenüberstellung des vom Kläger erzielten Ertrags und des an Ertrag "Üblichen".

Für die Ermittlung des "üblichen" Ertrags gibt das, was die Parteien dazu in den Vordergrund rücken - der Kläger den Betrag, der als Pachtzins für die Grundstücke früher gezahlt wurde, die Beklagte den vom Kläger vereinbarten Pachtzins -, unmittelbar nichts her: Die 11.640 DM, die der Kläger vereinbart hat, stimmen vielleicht im Ergebnis mit dem "Üblichen" überein. Aber sie sind augenscheinlich nicht um ihrer selbst willen Ausdruck des Üblichen, sondern, so gesehen, im Gegenteil das, was mit dem "Üblichen" verglichen werden soll. Ebensowenig spielt der aus der Verpachtung dieser Grundstücke früher erzielte Ertrag unmittelbar eine Rolle. § 33 GrStG hebt nicht auf das ab, was bei dem jeweils betroffenen Grundstück "üblich" gewesen sein mag; er meint mit dem "Üblichen" vielmehr das, was Objekte vergleichbarer Beschaffenheit an Ertrag erbringen. Gefordert ist ein Vergleich "mit anderen". Das entspricht der Funktion des Erlasses öffentlicher Abgaben, wenn er - wie hier - nicht im allgemeinen, sondern im individuellen Interesse begehrt wird. Denn vor dem Hintergrund des Gebotes der sog. Abgabengleichheit, d. h. der vom Gleichheitssatz verlangten Gleichbehandlung gerade im Abgabenrecht, darf ein solcher Erlaß nur gewährt werden, wenn und soweit dies dazu dient, Sachverhalten Rechnung zu tragen, "die im Verhältnis zu den vom Gesetz erfaßten Regelfällen als Sonderfälle erscheinen" (Urteil vom 18. November 1977 - BVerwG IV C 104.74 - Buchholz 406.11 § 135 BBauG Nr. 10 S. 7 [9] zu § 135 Abs. 5 BBauG/BauGB [m. weit. Nachw.]), die also als atypisch "aus tatsächlichen Gründen ,aus der Regel fallen' " (Urteile vom 14. Juli 1972 - BVerwG IV C 69.70 - BVerwGE 40, 268 [272] und vom 4. Mai 1979 - BVerwG 4 C 25.76 - Buchholz 406.11 § 133 BBauG Nr. 69 S. 50 [56]; s. ferner die Urteile vom 4. Juni 1982 - BVerwG 8 C 90.81 - Buchholz 401.0 § 163 AO Nr. 1 S. 1 [4] und vom 6. September 1984 - BVerwG 8 C 60.83 - Buchholz 401.4 § 33 GrStG Nr. 22 S. 17 [18]).

Angesichts dieser auf den Gleichheitssatz zurückgehenden Funktion des Erlasses öffentlicher Abgaben ist dem Vorbringen des Oberbundesanwalts darin zu folgen, daß bei der Beurteilung eines Falles anhand des § 33 Abs. 1 Satz 1 GrStG (obgleich dem, wie festgestellt, eine unmittelbar durchschlagende Bedeutung nicht zukommt) jeweils von dem Ertrag auszugehen ist, den ein Grundstück tatsächlich abwirft: Der tatsächlich erzielte Ertrag hat eine Art Vermutung der Normalität für sich, und deshalb ist um seinetwillen das Vorliegen einer (beachtlichen) Minderung zu verneinen, sofern nicht die Nachforschung nach der Ertragslage bei vergleichbaren Objekten ergibt, daß die (geringe) Höhe des vom jeweiligen Antragsteller erzielten Ertrags auf Besonderheiten zurückgeht, die den Fall als in dem gekennzeichneten Sinne atypisch erscheinen lassen. Das vom Oberbundesanwalt angeführte Beispiel der Ertragsminderung durch einen Mietausfall infolge Zahlungsunfähigkeit des Schuldners bringt das anschaulich zum Ausdruck.

Daraus ist mit dem Oberbundesanwalt weiter zu schließen, daß zu einem Erlaß nach § 33 GrStG nur solche Ertragsminderungen führen können, die von erkennbar vorübergehender Natur sind. Wirft ein Grundstück auf Dauer einen geringeren Ertrag ab als andere Grundstücke, müssen Umstände gegeben sein, die die Situation dieses Grundstücks nicht als im Vergleich zu den anderen Grundstücken atypisch erscheinen, sondern die auf seine abweichende Beschaffenheit schließen lassen. "Minderungen" dieser Art führen nicht zur Anwendbarkeit des § 33 GrStG; ihnen muß vielmehr in der Ebene der Bewertung Rechnung getragen werden (vgl. § 88 BewG).

Ob dem angefochtenen Beschluß - überhaupt oder doch jedenfalls im Kern - die vorstehend dargelegte Rechtsauffassung zugrunde liegt oder nicht, ist nicht verläßlich erkennbar. Dem braucht jedoch nicht weiter nachgegangen zu werden. Der Beschluß läßt sich nämlich entweder aus materiell-rechtlichen oder aus verfahrensrechtlichen Gründen nicht halten: Die Entscheidungserheblichkeit dessen, was anderweit an Ertrag erzielt wird und angesichts dessen "üblich" ist, erfordert eine entsprechende Sachaufklärung. Sollte das Berufungsgericht diese Aufklärung unterlassen haben, weil es gemeint hat, daß es darauf nach der Rechtslage nicht ankomme, verstieße der Beschluß gegen § 33 GrStG. Sollte die Aufklärung hingegen unterblieben sein, obgleich auch das Berufungsgericht diesen Punkt für entscheidungserheblich hielt, wäre § 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO verletzt.

Denn unter dieser Voraussetzung mußte sich dem Berufungsgericht - ganz unabhängig übrigens davon, daß der Kläger um eine solche Beweisaufnahme ausdrücklich nachgesucht hat - die Erforderlichkeit einer weiteren Aufklärung aufdrängen. Dem erkennenden Senat ist nichts ersichtlich, was eine andere Sachbehandlung rechtfertigen könnte. Die im angefochtenen Beschluß enthaltene Behauptung, daß sich der vom Kläger erzielte Ertrag mit dem marktüblichen Ertrag decke, geht ohne bestätigende Tatsachen weit über das hinaus, was nach dem Gesagten gestattet, den jeweils erzielten Ertrag als Ausgangspunkt der Beurteilung anzusetzen. Ebensowenig überzeugt die weitere Erwägung, für "die Ortsüblichkeit dieser Miete" spreche "auch, daß nach den Ausführungen des Klägers in absehbarer Zeit nicht damit gerechnet werden kann, einen höheren Mietzins zu erzielen". Diese Erwägung erweist sich bereits deshalb als nicht tragfähig, weil das Berufungsgericht anzugeben unterläßt, welche Ausführungen des Klägers mit diesen Worten gewürdigt werden. In der Akte findet sich keine in dieser Weise verwertbare Einlassung. Die im Schreiben des Steuerberaters des Klägers vom 25. Juli 1985 enthaltene Wendung, daß "ein wesentlicher Verfall der Mieten" eingetreten sei, und ebenso das Vorbringen im Schriftsatz vom 30. März 1988, daß sich "der Markt hinsichtlich der Vermietung eines derartigen Gewerbeobjekts [ge]ändert" habe, besagen nach ihrem Zusammenhang nicht das, was das Berufungsgericht an vermeintlichen Ausführungen des Klägers zugrunde legt.