| Home | Index | EStG | Neuzugang | Impressum  
       

 

 

 

 

 

  BFH-Beschluß vom 2.4.1992 (VIII B 129/91) BStBl. 1992 II S. 616

Auch nach Inkrafttreten des § 30 a AO 1977 dürfen die FÄ bei der Veranlagung zur Einkommensteuer Mitteilungen der Erbschaftsteuerstellen aufgrund von Anzeigen nach § 33 ErbStG auswerten.

AO 1977 § 30 Abs. 4 Nr. 1, § 30 a; ErbStG 1974 § 33.

Vorinstanz: Hessisches FG

Sachverhalt

Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) ist Alleinerbin ihrer am 12. Januar 1988 verstorbenen Mutter. Die Verstorbene war für die Jahre 1983 bis 1987 antragsgemäß zur Einkommensteuer veranlagt worden. Aufgrund der Anzeigen von Kreditinstituten gemäß § 33 Abs. 1 des Erbschaftsteuergesetzes 1974 (ErbStG 1974) teilte die zentrale Erbschaftsteuerstelle dem Beklagten und Beschwerdegegner (Finanzamt - FA -) mit, das Kapitalvermögen der Verstorbenen habe zum Todestag insgesamt 175.030 DM betragen. In den genannten Veranlagungsjahren hatte die Erblasserin Kapitaleinnahmen (Zinsen aus Sparguthaben) von jährlich zwischen 245 DM und 376 DM erklärt.

Das FA forderte deshalb die Klägerin als Erbin auf, die vollständigen Zinseinnahmen anzugeben und Vermögensteuererklärungen auf den 1. Januar 1983 und 1. Januar 1986 vorzulegen. Nachdem die Klägerin dem nicht nachgekommen war, schätzte das FA die Kapitaleinkünfte auf der Grundlage eines angenommenen mittleren Zinssatzes von 4 % und erließ geänderte Einkommensteuerbescheide 1983 bis 1987 sowie erstmals Vermögensteuerbescheide auf den 1. Januar 1983 und 1. Januar 1986.

Die Einsprüche hiergegen blieben erfolglos. Während des anschließenden Klageverfahrens hob das FA die angefochtenen Bescheide auf, da sie an die Verstorbene gerichtet waren. Im Anschluß daran erließ das FA inhaltsgleiche, nunmehr an die Klägerin als Rechtsnachfolgerin der Erblasserin gerichtete Einkommensteuerbescheide 1984 bis 1987 sowie Vermögensteuerbescheide auf den 1. Januar 1983 und 1. Januar 1986.

Gegen diese Bescheide erhob die Klägerin mit Zustimmung des FA Sprungklage. Im Klageverfahren holte das Finanzgericht (FG) mit Zustimmung der Klägerin bei den Banken, die eine Anzeige gemäß § 33 Abs. 1 ErbStG 1974 erstattet hatten, Auskünfte über die Guthabenbestände und Zinsgutschriften der Streitjahre ein. Aufgrund dieser Auskünfte erließ das FA geänderte Einkommensteuerbescheide 1984 und 1985 sowie geänderte Vermögensteuerbescheide auf den 1. Januar 1983 und 1. Januar 1986, wobei sich die Steuerschuld jeweils ermäßigte. Die geänderten Bescheide machte die Klägerin gemäß § 68 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zum Gegenstand des Klageverfahrens. In der mündlichen Verhandlung beantragte die Klägerin nur noch die Aufhebung der geänderten Einkommensteuerbescheide 1984 und 1985 sowie des Vermögensteuerbescheides auf den 1. Januar 1986.

Das FG hat die Klage abgewiesen und zur Begründung im wesentlichen folgendes ausgeführt:

Aufgrund der nachträglich bekanntgewordenen Zinseinkünfte und Guthaben sei das FA nicht nur berechtigt, sondern verpflichtet gewesen, die auf unvollständigen Angaben beruhenden Steuerbescheide zu ändern bzw. erstmals Vermögensteuerbescheide zu erlassen. Entgegen der Ansicht der Klägerin unterlägen die aufgrund der Anzeigen der Kreditinstitute gewonnenen Erkenntnisse keinem Verwertungsverbot. Die Erbschaftsteuerstellen seien nach wie vor befugt, den Veranlagungsstellen diese Kenntnisse zu vermitteln. Hieran habe die Einführung des § 30 a der Abgabenordnung (AO 1977) nichts geändert, welcher der Verwaltung die Verwertung bekanntgewordener Sachverhalte nicht verbiete, sondern nur das Verlangen bestimmter Mitteilungen untersage. Die Zielrichtung des § 33 ErbStG 1974, der unmittelbar eine Pflicht der Banken begründe, sei eine andere und von § 30 a AO 1977 nicht berührt. Im übrigen seien die FÄ im Rahmen ihrer Besteuerungsbefugnisse als Einheit anzusehen. Daher handele es sich bei der Mitteilung der Erbschaftsteuerstelle an den Veranlagungsbezirk nur um die innerdienstliche Weitergabe von Erkenntnissen für Zwecke der Besteuerung, die keiner ausdrücklichen Beschränkung unterliege.

Das FG hat die Revision nicht zugelassen.

Mit ihrer Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision macht die Klägerin geltend, die Sache habe grundsätzliche Bedeutung. Durch eine Revisionsentscheidung könne und müsse die Rechtsfrage geklärt werden, ob das FA bei seiner Veranlagungstätigkeit die persönlichen Daten der Verstorbenen, die dem Erbschaftsteuer-FA nach § 33 ErbStG 1974 für Zwecke der Erhebung der Erbschaftsteuer bekanntgeworden seien, habe auswerten dürfen. Berührt sei das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung, das vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG) durch die Urteile vom 15. Dezember 1983 1 BvR 209/83 u. a. (BVerfGE 65, 1) und vom 17. Juli 1984 2 BvE 11, 15/83 u. a. (BVerfGE 67, 100) bestätigt worden sei. Nach der Kodifizierung des sog. Bankenerlasses vom 31. August 1979 (BStBl I 1979, 590) in § 30 a AO 1977 ergebe sich eine Konkurrenz dieser Norm zu § 33 ErbStG 1974. Überhaupt sei das Verhältnis der §§ 30, 30 a, 85, 88, 93 a und 194 Abs. 3 AO 1977 sowie § 33 ErbStG 1974 zueinander im Schrifttum streitig und höchstrichterlich nicht geklärt. In Anbetracht der breiten Eigentumsbildung trage ein Revisionsurteil im Interesse der Allgemeinheit zur Rechtsfortbildung bei.

Entscheidungsgründe

Die Beschwerde ist zulässig, aber nicht begründet.

Die von der Klägerin aufgeworfene Rechtsfrage, ob das FA die Mitteilung der Erbschaftsteuerstelle auswerten durfte, ist nicht von grundsätzlicher Bedeutung; denn sie läßt sich aus dem klaren Wortlaut des Gesetzes und dessen Sinn - bejahend - beantworten und ist infolgedessen nicht klärungsbedürftig.

Gemäß § 33 ErbStG 1974 haben die Vermögensverwahrer dem Erbschaftsteuer-FA das verwahrte Vermögen des Erblassers anzuzeigen. Die aufgrund der gleichlautenden Ländererlasse vom 17. Februar 1986 (BStBl I 1986, 82) von den Erbschaftsteuerstellen geübte Verwaltungspraxis, Erkenntnisse über das Vermögen des Erblassers den für die Einkommen- und Vermögensteuerveranlagung zuständigen Bezirken mitzuteilen, ist nicht zu beanstanden. Sie entspricht der gesetzlichen Regelung in § 30 Abs. 4 Nr. 1 i. V. m. § 30 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a AO 1977.

Die demgegenüber im Schrifttum teilweise geäußerten Bedenken, die Weitergabe der aufgrund von Anzeigen gemäß § 33 ErbStG 1974 gewonnenen Informationen an die Veranlagungsbezirke entbehre einer gesetzlichen Grundlage, greifen nicht durch. So folgert Stahl (Kölner Steuerdialog 1989, 7777) aus § 33 ErbStG 1974 als einer nur für Zwecke der Erbschaftsteuer gedachten Spezialnorm, daß eine generelle Datenweitergabe von den Erbschaftsteuerstellen an die Veranlagungsbezirke zu einer rechtswidrigen Aushöhlung von § 30 a Abs. 2 AO 1977 führe (ebenso Felix, Betriebs-Berater - BB - 1988, 2011; Schwarz, Abgabenordnung, Kommentar, § 30 a Anm. 12). Diese Ansicht verkennt, daß die § 30 a AO 1977 und § 33 ErbStG 1974 unterschiedliche Zielsetzungen haben (Hellwig in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, § 30 a AO 1977 Anm. 22). § 30 a Abs. 2 AO 1977 untersagt den Finanzbehörden Sammelermittlungen bei Kreditinstituten. § 33 ErbStG 1974 hingegen begründet eine Anzeigepflicht des Vermögensverwahrers aus konkretem Anlaß. § 33 ErbStG 1974 wird daher durch § 30 a AO 1977 nicht eingeschränkt (Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, Kommentar, § 30 a AO 1977 Tz. 9).

Dies ergibt sich auch aus den Motiven des Gesetzgebers bei der Abfassung des Art. 17 § 2 Abs. 1 Satz 3 des Steuerreformgesetzes (StRG) 1990 vom 25. Juli 1988 (BGBl I 1988, 1093, 1128), wie sie in der BTDrucks 11/2157, 198 niedergelegt sind: "Satz 3 stellt sicher, daß die Steuerfestsetzung nicht in solchen Fällen ausgeschlossen ist, in denen ein Erbe für Steuerschulden eines Erblassers, der selbst keine strafbefreiende Nacherklärung abgegeben hat, in Anspruch genommen werden kann. In diesen Fällen wird der steuerliche Sachverhalt regelmäßig durch Anzeigen z. B. von Kreditinstituten nach § 33 des Erbschaftsteuergesetzes aufgedeckt." Der Gesetzgeber hat folglich bei Einfügung des § 30 a in die AO 1977 durch Art. 15 Nr. 1 StRG 1990 die Kontrollmitteilungspraxis der Erbschaftsteuerstellen bedacht und gebilligt.

Unbegründet ist auch der von Bilsdorfer (BB 1989, 1102) und Kapp (Kommentar zum Erbschaftsteuergesetz und Schenkungsteuergesetz, § 33 ErbStG, Rz. 20) erhobene Einwand, für den Informationsfluß zwischen Erbschaftsteuer- und Veranlagungsdienststellen fehle eine Rechtsgrundlage, wie sie im Bereich der Betriebsprüfung in § 194 Abs. 3 AO 1977 oder für die Mitteilung anderer Behörden gegenüber der Finanzverwaltung in § 93 a AO 1977 vorhanden sei. Der letztgenannten gesetzlichen Ermächtigungen bedarf es, da in die Sphäre Dritter eingegriffen wird. Die Finanzbehörden sind jedoch nach § 85 AO 1977 allgemein verpflichtet, die Steuern nach Maßgabe der Gesetze gleichmäßig festzusetzen. In Erfüllung dieser Aufgabe ist die Finanzverwaltung berechtigt, steuererhebliche Daten eines Steuerpflichtigen von einer Finanzbehörde oder Dienststelle einer Finanzbehörde an die andere weiterzuleiten. § 85 AO 1977 muß dabei nicht als generalklauselartige Befugnisnorm verstanden werden (so Carl/Klos, Steuerliche Vierteljahresschrift 1990, 16). Der Informationsaustausch innerhalb des Finanzressorts ist ohne § 85 AO 1977 zulässig. Informationen, die sich eine Dienststelle der Finanzverwaltung rechtmäßig verschafft hat, dürfen von allen Dienststellen des Finanzressorts zur Erfüllung ihrer Aufgaben verwertet werden (Tipke/Kruse, a. a. O., § 85 AO 1977 Tz. 13; Spanner in Hübschmann/Hepp/Spitaler, a. a. O., § 30 AO 1977 Anm. 55).

Die Finanzverwaltung ist insoweit als Einheit anzusehen. Dem trägt die Vorschrift des § 30 Abs. 4 Nr. 1 AO 1977 Rechnung. Die Offenbarung der nach § 30 Abs. 2 AO 1977 erlangten Kenntnisse ist danach zulässig, soweit sie der Durchführung eines steuerlichen Verfahrens dient. § 30 Abs. 4 Nr. 1 AO 1977 entspricht dem Sinn und Zweck des Steuergeheimnisses. Der Schutz des Steuerpflichtigen durch das Steuergeheimnis ist das Gegenstück zu seinen Offenbarungs- und Mitwirkungspflichten. Das Steuergeheimnis soll daher nicht allein den Steuerpflichtigen schützen, sondern auch die zutreffende Besteuerung sichern helfen. Es darf daher der Ermittlung von Besteuerungsgrundlagen grundsätzlich nicht entgegenstehen. Dies verdeutlicht der Gesetzgeber in seinen Motiven zu § 30 AO 1977 (BTDrucks 7/4292, 17). Dort wird ausdrücklich die Zulässigkeit von Kontrollmitteilungen bestätigt.

Aus den BVerfG-Urteilen in BVerfGE 65, 1, und 67, 100 ergeben sich ebenfalls keine Anhaltspunkte für die Rechtswidrigkeit der Kontrollmitteilungspraxis. Vielmehr wird in BVerfGE 67, 100 allein die "Erhebung, Speicherung, Verwendung oder Weitergabe individualisierter oder individualisierbarer Daten zu anderen Zwecken" als denen der Besteuerung als von den Steuergesetzen nicht gedeckt angesehen. An dieser Rechtsauffassung hat das BVerfG in seinem Urteil vom 27. Juni 1991 2 BvR 1493/89 (BStBl II 1991, 654) festgehalten und darauf hingewiesen, der Gesetzgeber sei verpflichtet, die Steuerehrlichkeit der Steuerpflichtigen bei der Erklärung ihrer Kapitaleinkünfte durch hinreichende, die steuerliche Belastungsgleichheit gewährleistende Kontrollmöglichkeit abzustützen (vgl. Abschn. C II. 2. der Gründe).