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  BFH-Beschluß vom 22.1.1992 (I B 77/91) BStBl. 1992 II S. 618

1. Aufgrund der bisher bekannten Rechtsprechung des EuGH kann nicht gänzlich ausgeschlossen werden, daß dieser einen Verstoß gegen Art. 52 EWGV bejaht, wenn die Bundesrepublik Einpendler aus anderen EG-Mitgliedstaaten, die den ganz überwiegenden Teil ihrer Einkünfte (mehr als 90 v. H.) nur in der Bundesrepublik zu versteuern haben, nach den Grundsätzen der beschränkten Steuerpflicht besteuert.

2. Es ist die Aussetzung der Vollziehung einschlägiger Einkommensteuerbescheide bis zur Klärung der Rechtsfrage durch den EuGH in der Rechtssache C-112/91 geboten.

FGO § 69 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3; EStG §§ 1 Abs. 4, 49 ff.; EWGV Art. 7, 52; AO 1977 § 371 Abs. 3.

Vorinstanz: FG Köln

Sachverhalt

I.

Der Antragsteller und Beschwerdegegner (Antragsteller) war in den Streitjahren 1986 bis 1988 verheiratet. Er hatte sechs Kinder, von denen eines erst im Jahre 1986 und ein anderes erst im Jahre 1987 geboren wurde. Der Antragsteller und seine Ehefrau hatten ihren einzigen Wohnsitz in K/Belgien. Der Antragsteller war von Beruf Rechtsanwalt und als solcher Mitglied einer Sozietät, die ihre freiberufliche Tätigkeit im Inland ausübte. Der Antragsteller kehrte arbeitstäglich zu seiner Wohnung in Belgien zurück.

Als Folge einer Selbstanzeige erließ der Antragsgegner und Beschwerdeführer (das Finanzamt - FA -) gegenüber dem Antragsteller am 13. Juli 1990 Einkommensteuerbescheide 1986 bis 1988. Dabei behandelte das FA den Antragsteller als beschränkt Steuerpflichtigen. Die Bescheide lösten Steuernachforderungen aus, die der Antragsteller mit Rücksicht auf § 371 der Abgabenordnung (AO 1977) freiwillig bezahlte. Gegen die Bescheide legte der Antragsteller Einsprüche ein, über die - soweit erkennbar - noch nicht entschieden ist.

Außerdem beantragte der Antragsteller die Aussetzung der Vollziehung der Bescheide. Diesen Antrag lehnte das FA am 1. August 1990 (ohne Rechtsbehelfsbelehrung) und in der Form einer wiederholenden Verfügung am 7. Februar 1991 (mit Rechtsbehelfsbelehrung) ab. Der Antragsteller legte am 7. März 1991 Beschwerde ein, der das FA nicht abhalf und die die zuständige Oberfinanzdirektion (OFD) am 12. April 1991 als unbegründet zurückwies.

Der Antragsteller beantragte deshalb beim Finanzgericht (FG) die Aussetzung der Vollziehung der angefochtenen Bescheide wegen festgesetzter Steuerschulden in Höhe von rd. 92.000 DM. Diesem Antrag gab das FG durch Beschluß vom 1. Juli 1991 statt. Es hat die Beschwerde zugelassen.

Der Beschluß wurde dem FA am 11. Juli 1991 zugestellt. Es legte am 23. Juli 1991 beim FG Beschwerde ein, der das FG nicht abgeholfen hat.

Das FA beantragt, den Beschluß des FG Köln vom 1. Juli 1991 3 V 395/91 aufzuheben und den Antrag des Antragstellers abzulehnen.

Der Antragsteller beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II.

Die Beschwerde ist unbegründet. Sie war deshalb mit der Maßgabe zurückzuweisen, daß die Aussetzung der Vollziehung nur bis einen Monat nach Bekanntgabe des Urteils des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) in der Rechtssache C-112/91 gilt und im übrigen das FA verpflichtet wird, die Beträge, deren Aussetzung der Vollziehung verfügt ist, für die Dauer der Aussetzung der Vollziehung zu erstatten.

1. Nach § 69 Abs. 3 i. V. m. Abs. 2 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) kann das Gericht der Hauptsache die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsaktes wegen ernstlicher Zweifel an dessen Rechtmäßigkeit aussetzen. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) seit dem Beschluß vom 10. Februar 1967 III B 9/66 (BFHE 87, 447, BStBl III 1967, 182) sind ernstliche Zweifel in dem o. g. Sinne u. a. dann anzunehmen, wenn neben den für die Rechtmäßigkeit sprechenden Gründen Umstände zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung von Rechtsfragen bewirken. Dies ist auf der Grundlage einer summarischen Prüfung der tatsächlichen und rechtlichen Begebenheiten zu entscheiden. Hiervon ausgehend können für den Streitfall ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Einkommensteuerbescheide nicht verneint werden.

2. Zwar hat der erkennende Senat in seinem Urteil vom 20. April 1988 I R 219/82 (BFHE 154, 38, BStBl II 1990, 701) die Auffassung vertreten, daß die Besteuerung beschränkt Steuerpflichtiger, die nur Einkünfte aus einer im Inland ausgeübten selbständigen Arbeit erzielen, nicht gegen das sich aus dem Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWGV) ergebende Recht auf freie Niederlassung verstoße. Diese damals vertretene Rechtsauffassung muß jedoch heute aus der Sicht der Urteile des EuGH vom 28. Januar 1986 Rs 270/83 (EuGHE 1986, 273 ff.); vom 7. Juli 1988 Rs 143/87 (EuGHE 1988, 3890) und vom 8. Mai 1990 Rs C-175/88 (EuZW 1990, 284 = Neue Juristische Wochenschrift - NJW - 1991, 1406) überprüft werden. Dabei ist zusätzlich zu berücksichtigen, daß das Bundessozialgericht (BSG) im Beschluß vom 5. Dezember 1989 11 RAr 135/88 (Deutsches Steuerrecht - DStR - 1991, 194 = Recht der Internationalen Wirtschaft/Außenwirtschaftsdienst des Betriebs-Beraters - RIW/AWD - 1991, 602 = EuZW 1991, 219) eine von der des erkennenden Senats abweichende Rechtsauffassung vertreten hat. Außerdem ist im Schrifttum eine Reihe von Stellungnahmen erschienen (vgl. Knobbe-Keuk, Der Betrieb - DB - 1990, 2573 ff.; dies., EuZW 1991, 649 ff.; Sass, Steuer und Wirtschaft - StuW - 1988, 362 ff.; ders., Finanz-Rundschau - FR - 1991, 705; Meilicke, RIW/AWD 1989, 640; Rädler, Steuerberater-Kongreß-Report 1990, 465 ff.), die der vom erkennenden Senat vertretenen Auffassung teils ausdrücklich oder doch zumindest im Ergebnis widersprechen. Schließlich zeigt das mit der Revision angefochtene Urteil des FG Köln vom 10. Januar 1991 5 K 2381/90 (Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 1991, 619), daß auch die Finanzverwaltung der Auffassung des erkennenden Senats in BFHE 154, 38, BStBl II 1990, 701 widerspricht und den dort angeregten Erlaß aus Billigkeitsgründen ablehnt. Dann aber besteht für den Senat Anlaß, seine bisher vertretene Auffassung zu überprüfen. Daraus ergibt sich für Zwecke der Aussetzung der Vollziehung folgendes:

3. a) In seinem Urteil vom 30. Mai 1989 Rs 305/87 (EuGHE 1989, 1461) hat der EuGH entschieden, daß das in Art. 7 EWGV enthaltene allgemeine Diskriminierungsverbot durch den Regelungsinhalt der Art. 48, 52 und 59 EWGV umgesetzt wird, soweit der Regelungsinhalt der zuletzt genannten Bestimmungen reicht. Daraus folgt, daß insbesondere Art. 52 EWGV lex specialis gegenüber Art. 7 EWGV ist. Deshalb muß im Streitfall ein in Betracht kommender Verstoß der §§ 49 ff. des Einkommensteuergesetzes (EStG) gegen die Vorschriften des EWGV vorrangig unter dem Gesichtspunkt des Art. 52 EWGV gesehen werden.

b) Art. 52 EWGV ist, soweit er die Diskriminierung von Angehörigen anderer Mitgliedstaaten verbietet, in der Bundesrepublik Deutschland (Bundesrepublik) unmittelbar anzuwendendes Recht (vgl. EuGH-Urteil vom 21. Juni 1974 Rs 2/74, EuGHE 1974, 631 ff.). Das Niederlassungsrecht gestattet es jedem Staatsangehörigen eines Mitgliedstaates, in einem anderen Mitgliedstaat als dem der beruflichen Niederlassung zu wohnen (vgl. EuGH-Urteil vom 12. Juli 1984 Rs 107/83, EuGHE 1984, 2971, 2987). Nach Art. 52 Abs. 2 EWGV gilt die Niederlassungsfreiheit auch für die Ausübung einer selbständigen Erwerbstätigkeit.

c) Nach dem EuGH-Urteil vom 12. Februar 1987 Rs 221/85 (EuGHE 1987, 734) verbietet Art. 52 EWGV nicht nur diskriminierende Maßnahmen, sondern auch ungerechtfertigte Behinderungen. Dies gilt selbst dann, wenn die ungerechtfertigte Behinderung unterschiedslos auf eigene und auf ausländische Staatsangehörige angewandt wird. Ergänzend dazu ist auf das EuGH-Urteil in EuGHE 1986, 273 hinzuweisen. Danach steht es den Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten frei, die geeignete Rechtsform für die Ausübung ihrer Tätigkeit in einem anderen Mitgliedstaat zu wählen. Die freie Wahl darf nicht durch diskriminierende Steuerfolgen eingeschränkt werden. Im Urteil in EuZW 1990, 284 = NJW 1991, 1406 hat der EuGH diese Rechtsprechung dahin fortgeführt, daß Art. 48 Abs. 2 EWGV die Benachteiligung des Staatsangehörigen eines Mitgliedstaates gegenüber gebietsansässigen Steuerpflichtigen bei der Besteuerung verbietet.

d) Auf diesem Hintergrund betrifft auch der anhängige Rechtsstreit die Rechtsfrage, ob der Grundsatz der Niederlassungsfreiheit die im Steuerrecht übliche Unterscheidung zwischen unbeschränkter und beschränkter Steuerpflicht auch in den Fällen noch erlaubt, in denen der beschränkt Steuerpflichtige (Gebietsfremde) den ganz überwiegenden Teil seiner Einkünfte (mehr als 90 v. H.) im Mitgliedstaat der beruflichen Niederlassung zu versteuern hat, oder ob in der im Mitgliedstaat der beruflichen Niederlassung erhobenen höheren Steuer eine ungerechtfertigte Behinderung des Gebietsfremden gegenüber dem Gebietsansässigen zu sehen ist. Insoweit mag die von fast allen Staaten der Welt praktizierte Unterscheidung gegen die Annahme einer ungerechtfertigten Behinderung sprechen. Ob dieser Gesichtspunkt jedoch auch innerhalb eines gemeinsamen Binnenmarktes gelten kann, erscheint nicht zuletzt deshalb fraglich, weil im Falle eines sog. Doppelwohnsitzes der Steuerpflichtige in beiden Mitgliedstaaten als Gebietsansässiger behandelt zu werden pflegt. Es ist kein unmittelbar einleuchtendes Argument zu erkennen, weshalb der Steuerpflichtige, der ohnehin den ganz überwiegenden Teil seiner Einkünfte (mehr als 90 v. H.) im Mitgliedstaat seiner beruflichen Niederlassung zu versteuern hat, dort schlechter als der Inhaber eines Doppelwohnsitzes zu behandeln sein soll. Auch wenn man die Steuer als die Beteiligung des Staates am Ertrag der produzierenden Wirtschaft versteht (vgl. dazu: Klaus Vogel, Der offene Finanz- und Steuerstaat, Heidelberg 1991, S. 372), so ist die Erhebung einer höheren Steuer gegenüber dem Gebietsfremden jedenfalls dann nicht erklärlich, wenn dieser den ganz überwiegenden Teil seiner Einkünfte (mehr als 90 v. H.) nur im Staat der beruflichen Niederlassung zu versteuern hat. Zwar mag die nur für Zwecke der Progression notwendige Erfassung des Welteinkommens des Gebietsfremden für den Mitgliedstaat der beruflichen Niederlassung schwierig sein. Jedoch hat der EuGH in EuZW 1990, 284 = NJW 1991, 1406 gerade diesen Gesichtspunkt als mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz des EWGV unvereinbar bezeichnet.

Zwar sieht der erkennende Senat in dem derzeitigen Stadium des Rechtsstreites keine Notwendigkeit, seine in BFHE 154, 38, BStBl II 1990, 701 vertretene Auffassung aufzugeben. Es ist keine Diskriminierung nach der Staatsangehörigkeit gegeben, wenn die im Ausland wohnhaften Staatsangehörigen eines Mitgliedstaates steuerlich anders behandelt werden als die im Lande selbst ansässigen Staatsangehörigen. Art. 52 EWGV untersagt lediglich Beschränkungen der freien Niederlassung von Staatsangehörigen eines Mitgliedstaates im Hoheitsgebiet des anderen Mitgliedstaates. Im Streitfall geht es aber um die berufliche Niederlassung eines Staatsangehörigen eines Mitgliedstaates im eigenen Staat. Allerdings kann sich der Antragsteller möglicherweise über Art. 3 des Grundgesetzes (GG) mittelbar auf den Schutz des Art. 52 EWGV berufen. Im übrigen beziehen sich jedoch die steuerlichen Differenzierungen zwischen beschränkt und unbeschränkt Steuerpflichtigen - anders als in dem vom EuGH im Urteil in EuGHE 1986, 273 entschiedenen Fall - grundsätzlich nicht auf die Gewinnermittlung, sondern auf die Berücksichtigung persönlicher Lebensumstände des Steuerpflichtigen.

Gleichwohl ist angesichts der zwischenzeitlichen Rechtsprechung des EuGH die Möglichkeit nicht gänzlich auszuschließen, daß dieser die Rechtslage anders beurteilt und einen Verstoß gegen Art. 52 EWGV bejaht. Zwar hat der EuGH eine differenzierende steuerliche Behandlung natürlicher Personen nach dem Wohnsitz lediglich "nicht völlig ausgeschlossen" (Urteil in EuGHE 1986, 273 ff.). Die Formulierung läßt jedoch Bedenken des EuGH gegen die gegenwärtigen Regelungen erkennen. Die Bedenken lassen das Begehren des Antragstellers nicht als von vornherein aussichtslos erscheinen. Aus diesem Grunde müssen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Einkommensteuerbescheide bejaht werden. Die Zweifel bestehen jedoch nur bis zur Klärung der Rechtslage durch den EuGH in der Rechtssache C-112/91 (vgl. Vorlagebeschluß des FG Köln vom 10. Januar 1991 5 K 314/84 und 5 K 136/85, EFG 1991, 406). Deshalb war die Aussetzung der Vollziehung bis einen Monat nach Bekanntgabe der zu erwartenden Entscheidung des EuGH zu befristen. Dabei geht der erkennende Senat davon aus, daß das FA ggf. von Amts wegen die Aussetzung der Vollziehung verlängern wird, wenn der EuGH im Sinne des Antragstellers entscheiden und eine unverzügliche Änderung der angefochtenen Bescheide nicht möglich sein sollte.

4. Der Antrag des Antragstellers ist auch nicht aus anderen Gründen zurückzuweisen. Insbesondere ist ein berechtigtes Interesse des Antragstellers an der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zu bejahen.

a) Dazu geht der erkennende Senat davon aus, daß die getroffene Entscheidung nur begrenzte Breitenwirkung hat. In seinem Bericht über die Behandlung verschiedener Gruppen von Grenzgängern und anderen Grenzlandbewohnern bei der Einkommensteuer/Lohnsteuer vom 13. Februar 1990 IV B 4 - S 2103 - 2/90 geht der Bundesminister der Finanzen (BMF) von 50.700 sog. Einpendlern in die Bundesrepublik aus (vgl. Keßler, Betriebs-Berater - BB - 1990, 1313, 1315). Bei dieser Zahl ist jedoch zu berücksichtigen, daß eine Aussetzung der Vollziehung bei beschränkt steuerpflichtigen Arbeitnehmern aus Gründen des § 50 Abs. 5 Satz 1 EStG nicht in Betracht kommt. Ferner enthalten die Art. 15 Abs. 3 Nr. 1 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Belgien zur Vermeidung der Doppelbesteuerungen und zur Regelung verschiedener anderer Fragen auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen einschließlich der Gewerbesteuer und der Grundsteuern vom 11. April 1967 - DBA-Belgien - (BGBl II 1969, 18, BStBl I 1969, 38), Art. 13 Abs. 5 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik zur Vermeidung der Doppelbesteuerungen und über gegenseitige Amts- und Rechtshilfe auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen sowie der Gewerbesteuern und der Grundsteuern vom 21. Juli 1959 in der Fassung des Revisionsprotokolls vom 9. Juni 1969 - DBA-Frankreich 1959/1969 - (BGBl II 1970, 717, BStBl I 1970, 900), Art. 9 Abs. 3 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Österreich zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen sowie der Gewerbesteuern und der Grundsteuern vom 4. Oktober 1954 - DBA-Österreich - (BGBl II 1955, 749, BStBl I 1955, 369) und Art. 15 Abs. 4 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der schweizerischen Eidgenossenschaft zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen vom 11. August 1971 in der Fassung der Änderungsprotokolle vom 30. November 1978 und vom 17. Oktober 1989 - DBA-Schweiz 1971 - (BGBl II 1990, 766, BStBl I 1990, 409) sog. Grenzgängerregelungen, die auf dem Prinzip der Besteuerung des Grenzgängers nur in seinem Wohnsitzstaat aufbauen. Außerdem gilt im Verhältnis zu den Niederlanden das Ausführungsgesetz zum Zusatzprotokoll vom 13. März 1980 zum Abkommen vom 16. Juni 1959 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich der Niederlande zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen sowie verschiedener sonstiger Steuern und zur Regelung anderer Fragen auf steuerlichem Gebiete vom 21. Oktober 1980 - AGGrenzgNL - (BGBl I 1980, 1999, BStBl I 1980, 725), das eine Besteuerung der niederländischen Einpendler in der Bundesrepublik in vieler Hinsicht wie die von unbeschränkt Steuerpflichtigen vorschreibt. Bei dieser Rechtslage kommt es nur in Ausnahmefällen zur Veranlagung von Einpendlern im Inland. Entsprechend stellt sich die Frage der Aussetzung der Vollziehung eines Steuerbescheides aus Gründen der getroffenen Entscheidung für die ganz überwiegende Zahl der Einpendler nicht. Daher wird auch das öffentliche Interesse der Bundesrepublik an einer geordneten Haushaltsführung durch die getroffene Entscheidung nicht berührt.

b) Bedenken gegen die vom erkennenden Senat bestätigte Aussetzung der Vollziehung können auch nicht aus der Überlegung abgeleitet werden, daß sie die Außerkraftsetzung der §§ 1 Abs. 4, 49 ff. EStG bedeute und eine entsprechende Kompetenz nur dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) bzw. dem EuGH zustehe. §§ 1 Abs. 4 und 49 ff. EStG bleiben auch dann noch in Kraft, wenn der EuGH die Anwendung der Vorschriften auf Gebietsfremde aus anderen Mitgliedstaaten als Verstoß gegen den EWGV beurteilen sollte. Sie gelten dann für Gebietsfremde aus Nicht-Mitgliedstaaten unverändert fort. Auch im übrigen bedeutet eine (hier unterstellte) Verletzung des EWGV nur, daß die §§ 1 Abs. 4, 49 ff. EStG hinter den Vorschriften des EWGV zurücktreten müssen. Sie werden deshalb jedoch nicht außer Kraft gesetzt.

Zwar verpflichtet Art. 177 EWGV die obersten Bundesgerichte zur Einholung einer Vorabentscheidung des EuGH über die Auslegung des EWGV. Über die sich daraus für die Anwendung des übrigen nationalen Rechts ergebenden Folgen haben jedoch die vorlegenden Gerichte in eigener Zuständigkeit zu entscheiden. Deshalb ist der erkennende Senat auch unter dem Gesichtspunkt der Kompetenzverteilung berechtigt, die Aussetzung der Vollziehung zu bestätigen.

c) Aus § 371 Abs. 3 AO 1977 ergibt sich nichts anderes. Die dort vorgesehene Nachzahlungsfrist hat eine rein strafrechtliche Bedeutung und steht zu den steuerlichen Zahlungsfristen in keiner Abhängigkeit (vgl. BFH-Urteil vom 17. Dezember 1981 IV R 94/77, BFHE 135, 145, BStBl II 1982, 352).

5. Die Aussetzung der Vollziehung ist allerdings auf die Zeit bis einen Monat nach Bekanntgabe des Urteils des EuGH in der Rechtssache C-112/91 zu befristen. Da der Antragsteller die Steuerbeträge, deren Vollziehung ausgesetzt ist, bereits bezahlt hat, ist ferner anzuordnen, daß das FA die Steuerbeträge für die Dauer der Aussetzung der Vollziehung an den Antragsteller erstattet.