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  BFH-Urteil vom 20.6.1990 (I R 155/87) BStBl. 1992 II S. 622

Sind für ein Gebäude Sonderabschreibungen vorgenommen worden, so bemessen sich nach Ablauf des maßgebenden Begünstigungszeitraums die AfA auf den Restwert nach einem neuen Vomhundertsatz, der sich aus der § 7 Abs. 4 Satz 1 EStG zugrunde liegenden Gesamtnutzungsdauer des Gebäudes abzüglich des Begünstigungszeitraums errechnet.1

EStG § 7 Abs. 4, § 7 a Abs. 9; ZRFG 1978 § 3 Abs. 2 Satz 3.

Vorinstanz: FG Nürnberg

Sachverhalt

I.

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist eine Kreditanstalt des öffentlichen Rechts. Im Jahr 1973 errichtete sie ein Zweigstellengebäude. Hierfür nahm sie für fünf Jahre die Sonderabschreibung nach § 3 des Zonenrandförderungsgesetzes (ZRFG) in Höhe von 30 v. H. der Herstellungskosten neben der Abschreibung gemäß § 7 Abs. 4 des Einkommensteuergesetzes (EStG) in Höhe von 2 v. H. jährlich in Anspruch. Vom Streitjahr 1978 an ging die Klägerin in ihren Körperschaftsteuererklärungen von einem Abschreibungssatz von 2,22 v. H. aus, da nach ihrer Auffassung wegen der bereits verstrichenen fünf Jahre steuerlich nur noch eine Restnutzungsdauer des Gebäudes von 45 Jahren zu berücksichtigen sei.

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) führte die Veranlagung für die Streitjahre (1978 bis 1980) unter dem Vorbehalt der Nachprüfung zunächst entsprechend den Steuererklärungen durch. Im Anschluß an eine Betriebsprüfung ging das FA jedoch davon aus, daß die Restnutzungsdauer des Zweigstellengebäudes mindestens noch 50 Jahre betragen würde. Es ließ daher Absetzungen für Abnutzung (AfA) nur noch mit 2 v. H. zum Abzug zu. Das FA berichtigte dementsprechend die Körperschaftsteuerbescheide der Streitjahre unter gleichzeitiger Aufhebung des Vorbehalts der Nachprüfung.

Den dagegen erhobenen Einspruch wies das FA als unbegründet zurück. Die Klage vor dem Finanzgericht (FG) hatte hingegen Erfolg.

Mit seiner Revision rügt das FA die Verletzung des § 3 Abs. 2 Satz 3 ZRFG.

Es beantragt, das Urteil des FG Nürnberg vom 2. Juni 1987 I 209/84 aufzuheben und die Klage als unbegründet abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Revision des FA als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist unbegründet. Sie war deshalb zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

Zu Recht hat das FG unter "Restnutzungsdauer" i. S. des § 3 Abs. 2 Satz 3 ZRFG vom 5. August 1971 (BGBl I, 1237, BStBl I, 370) i. d. F. des Gesetzes vom 30. Oktober 1978 (BGBl I, 1693, BStBl I, 427) - im folgenden ZRFG - die sich aus dem Hundertsatz des § 7 Abs. 4 Satz 1 EStG (in der in den Streitjahren geltenden Fassung) ergebende fiktive Nutzungsdauer abzüglich des Begünstigungszeitraumes des § 3 Abs. 2 Satz 2 ZRFG (fünf Jahre) verstanden und danach für den Streitfall einen Hundertsatz von (100/45 =) 2,22 errechnet. Nach diesem Satz bemessen sich nach Ablauf des Begünstigungszeitraums bei unbeweglichen Wirtschaftsgütern die AfA. Dies ergibt sich aus folgendem:

1. Nach § 3 Abs. 2 Satz 3 ZRFG sind die AfA bei unbeweglichen Wirtschaftsgütern, insbesondere Gebäuden, nach dem Restwert und "dem nach § 7 Abs. 4 des Einkommensteuergesetzes unter Berücksichtigung der Restnutzungsdauer maßgebenden Hundertsatz" zu bemessen. Diese und andere wortgleiche Regelungen (z. B. § 7 e Abs. 1 Satz 2, § 7 f Abs. 1 Satz 2 und § 7 g Abs. 1 Satz 2 EStG in der bis dahin geltenden Fassung) hat das Steuerbereinigungsgesetz 1985 (StBereinG 1985) vom 14. Dezember 1984 (BGBl I, 1493, BStBl I, 659) durch den neu in das EStG eingefügten § 7 a Abs. 9 ersetzt.

2. Es ist umstritten, wie der "nach § 7 Abs. 4 des Einkommensteuergesetzes unter Berücksichtigung der Restnutzungsdauer maßgebende Hundertsatz" zu ermitteln ist.

Nach Auffassung der Finanzverwaltung (vgl. Abschn. 42 Abs. 2 und 3 der Einkommensteuer-Richtlinien - EStR - 1984/1987, Schreiben des Bundesministers der Finanzen - BMF - vom 6. Oktober 1986, BStBl I, 487) sind grundsätzlich weiterhin die AfA-Sätze des § 7 Abs. 4 EStG anzuwenden; lediglich bei tatsächlich kürzerer Restnutzungsdauer sei ein höherer AfA-Satz (gemäß § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG) maßgebend (ebenso Littmann/Bitz/Meincke, Einkommensteuergesetz, Kommentar, 15. Aufl., 1989, § 7 a Rdnr. 55, und Boeker in Lademann/Söffing/Brockhoff, Kommentar zum Einkommensteuergesetz, Stand: Januar 1990, § 7 a Rdnr. 39, m. w. N.).

Nach anderer Ansicht ist aus der fiktiven Gesamtnutzungsdauer des Gebäudes gemäß § 7 Abs. 4 EStG abzüglich des Begünstigungszeitraums ein neuer AfA-Satz zu ermitteln (Schencking in Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz mit Nebengesetzen, Kommentar, Stand: November 1986, § 7 a EStG Anm. 155; Schmidt/Drenseck, Einkommensteuergesetz, Kommentar, 8. Aufl., 1989, § 7 e Anm. 6 b; Vogelgesang in Blümich, Einkommensteuergesetz, Kommentar, § 7 a Rdnr. 31; Grützner, Buchführung, Bilanz und Kostenrechnung (Buchhaltungsbriefe) - BBK - Fach 15, S. 667, 669, und Fugger, Der Betrieb - DB - 1987, 2473, 2476).

3. Der Senat tritt der letztgenannten Ansicht bei. Sie beruht auf zutreffender Gesetzesauslegung. Maßgebend für die Auslegung einer Gesetzesvorschrift ist der in ihr zum Ausdruck kommende objektivierte Wille des Gesetzgebers, wie er sich aus dem Wortlaut der Gesetzesbestimmung und dem Sinnzusammenhang ergibt, in den diese hineingestellt ist (ständige Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs - BFH -, z. B. Urteil vom 11. April 1989 VIII R 302/84, BFHE 157, 275, 281, BStBl II 1989, 697).

a) Nach dem Wortlaut des § 3 Abs. 2 Satz 3 ZRFG ist die Gebäude-AfA in den folgenden Wirtschaftsjahren u. a. "unter Berücksichtigung der Restnutzungsdauer" zu bestimmen. Diese Formulierung kann nicht lediglich im Sinne eines Vorbehalts für den Nachweis einer kürzeren Nutzungsdauer nach § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG verstanden werden. Dagegen spricht die uneingeschränkte Verknüpfung dieser Formulierung mit dem Begriff des nach § 7 Abs. 4 EStG maßgebenden Hundertsatzes, der in § 7 Abs. 4 Satz 1 EStG geregelt ist und für Satz 2 dieser Vorschrift keine Rolle spielt. Hätte der Gesetzgeber lediglich auf die Möglichkeit des Übergangs zur Abschreibung nach der kürzeren tatsächlichen Nutzungsdauer gemäß § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG hinweisen wollen, so hätte es statt dessen in § 3 Abs. 2 Satz 3 ZRFG heißen müssen: "und vorbehaltlich des § 7 Abs. 4 Satz 2 nach den AfA-Sätzen des § 7 Abs. 4 Satz 1" (so zutreffend Schencking, a. a. O.).

b) Ebensowenig kann aus der Wendung "unter Berücksichtigung der Restnutzungsdauer" (des unbeweglichen Wirtschaftsguts) gefolgert werden, daß nunmehr die tatsächliche Restnutzungsdauer zu ermitteln und danach die AfA vorzunehmen sei, obwohl die Sonderabschreibung während des Begünstigungszeitraums neben der AfA nach § 7 Abs. 4 Satz 1 EStG zulässig war (vgl. den Wortlaut des § 3 Abs. 2 Satz 2 ZRFG). Es ist nicht ersichtlich, warum allein wegen der Inanspruchnahme einer Sonderabschreibung, die keine Verlängerung der tatsächlichen Nutzungsdauer mit sich bringt, die AfA nach der tatsächlichen Nutzungszeit bemessen werden soll. Dies widerspräche ohne innere Rechtfertigung dem Vereinfachungszweck des § 7 Abs. 4 Satz 1 EStG, dessen gesetzlich normierten AfA-Sätzen typisierte Gebäudenutzungsdauern zugrunde liegen (vgl. BFH-Urteile vom 7. Juni 1977 VIII R 105/73, BFHE 122, 300, BStBl II 1977, 606, und in BFHE 157, 275, 280, BStBl II 1989, 697; Herrmann/Heuer/Raupach, a. a. O., § 7 EStG Rdnr. 380). Es hätte in diesem Fall nicht des Hinweises in § 3 Abs. 2 Satz 3 ZRFG auf den nach § 7 Abs. 4 EStG maßgebenden Hundertsatz bedurft. Die tatsächliche Restnutzungsdauer ist - im Interesse der Vereinfachung und Vereinheitlichung - nach § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG nur anzusetzen, wenn sie kürzer als die typisierte Nutzungsdauer des § 7 Abs. 4 Satz 1 EStG ist.

c) Bei der Gebäude-AfA kann deshalb - solange nicht die Abschreibung nach § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG gewählt wurde - unter Restnutzungsdauer nur die typisierte Nutzungsdauer nach § 7 Abs. 4 Satz 1 EStG, gekürzt um den abgelaufenen Begünstigungszeitraum, zu verstehen sein. Auf dieser Grundlage ist der maßgebende Hundertsatz für die verbleibende AfA gemäß § 3 Abs. 2 Satz 3 ZRFG zu berechnen.

Nach der Systematik der allgemeinen steuerrechtlichen Gewinnermittlungsvorschrift des § 7 EStG ist das Absetzungsvolumen auf die gesetzlich typisierte (§ 7 Abs. 4 und 5 EStG) oder auf die betriebsgewöhnliche (§ 7 Abs. 1 und 2 EStG) Nutzungsdauer zu verteilen. Im letzteren Sinn regelten die Vorläufer von mit dem § 3 Abs. 2 Satz 3 ZRFG wortgleichen Regelungen nicht nur die Restabsetzung für bewegliche, sondern allgemein ebenso für unbewegliche Wirtschaftsgüter (vgl. z. B. § 7 e Abs. 1 Satz 2 EStG i. d. F. des Gesetzes vom 19. Mai 1953, BGBl I, 222, BStBl I, 114, oder § 14 Abs. 1 Satz 2 des Berlinhilfegesetzes - BHG - vom 19. August 1964, BGBl I, 674, BStBl I, 509). Die Bemessung der Abschreibung nach der tatsächlichen betriebsgewöhnlichen Nutzungsdauer, die deren Feststellung verlangen würde, muß aber - wie vorstehend unter b) dargelegt - für § 3 Abs. 2 Satz 3 ZRFG von vornherein ausscheiden. Bei unveränderter Anwendung der Hundertsätze des § 7 Abs. 4 Satz 1 EStG - trotz Ablauf des fünfjährigen Begünstigungszeitraums - würde aber entgegen dem Gesetzesbefehl nicht die "Rest-"Nutzungsdauer des Gebäudes berücksichtigt. Diesen Hundertsätzen liegt nämlich rechnerisch die volle Absetzung des Wirtschaftsguts über eine - wenn auch typisierte - Gesamtnutzungsdauer von 40 bzw. 50 Jahren zugrunde (vgl. § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG, und Urteil in BFHE 157, 275, 281, BStBl II 1989, 697). Das von § 3 Abs. 2 Satz 3 ZRFG gebotene Zusammenwirken der Hundertsätze des § 7 Abs. 4 (Satz 1) EStG mit der Restnutzungsdauer des unbeweglichen Wirtschaftsguts läßt sich sonach nur dahin lösen, daß unter "Restnutzungsdauer" die dem § 7 Abs. 4 Satz 1 EStG zugrunde liegende typisierte Nutzungsdauer vermindert um den abgelaufenen Begünstigungszeitraum zu verstehen ist.

Würde man hingegen der Auffassung der Finanzverwaltung folgen, so verlängerte sich der § 7 Abs. 4 Satz 1 EStG zugrunde liegende typisierte Abschreibungszeitraum gerade durch die Inanspruchnahme einer Sonderabschreibung um den Begünstigungszeitraum. Die Steuervergünstigung in Form zunächst höherer Abschreibungsbeträge würde dann durch die längere Abschreibungsdauer zum Teil wieder rückgängig gemacht.

Der Senat geht davon aus, daß der Gesetzgeber nicht auf diese - indirekte - Weise die Steuervergünstigung, die ohnehin lediglich in einem vorübergehenden Steuerverzicht liegt, wieder verringern wollte. Sinn und Zweck des § 3 Abs. 2 Satz 3 ZRFG liegt vielmehr nur darin, eine Vollabschreibung vor Ablauf der sich aus § 7 Abs. 4 Satz 1 EStG ergebenden Abschreibungszeiträume zu verhindern, nicht aber diese zu verlängern. Nur so bleibt der Gleichklang mit der Rest-AfA bei unbeweglichen Wirtschaftsgütern nach Inanspruchnahme des Wahlrechts gemäß § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG und der ebenfalls in § 3 Abs. 2 Satz 3 ZRFG geregelten Rest-AfA bei beweglichen Wirtschaftsgütern gewahrt, bei denen sich die Gesamtnutzungsdauer ebensowenig um den Begünstigungszeitraum der Sonderabschreibung verringert.

4. Entgegen der Auffassung des FA weicht der Senat mit seiner Entscheidung nicht vom Urteil des IX. Senats vom 3. Juli 1984 IX R 45/84 (BFHE 141, 518, BStBl II 1984, 709) ab, da dort nicht über das Zusammenspiel einer Sonderabschreibung mit der gesetzlichen AfA gemäß § 7 Abs. 4 Satz 1 EStG zu entscheiden war. Insbesondere weicht die Entscheidung des Senats nicht von dem Grundsatz ab, daß das Gesetz die typisierte Gebäude-AfA unmittelbar nicht nach pauschalen Nutzungszeiträumen, sondern pauschalen Vomhundertsätzen bemißt. § 3 Abs. 2 Satz 3 ZRFG legt lediglich diesen Vomhundertsatz nicht zahlenmäßig, sondern durch Bezugnahme auf Größen fest, die sich ohne weitere tatsächliche Nachforschung aus dem Gesetz ableiten lassen. Damit wird auch der von § 7 Abs. 4 Satz 1 EStG beabsichtigten Vereinfachung Rechnung getragen und der mit einer Verlängerung des Abschreibungszeitraums verbundene Überwachungsaufwand vermieden. Die Rechtsprechung des BFH geht zwar dahin, daß bei Anfall nachträglicher Herstellungskosten und bei Übergang eines Wirtschaftsguts vom betrieblichen in den privaten Bereich sich die Abschreibungsdauer verlängert, während die gesetzlichen Vomhundertsätze unverändert bleiben (BFH-Urteile vom 7. Juni 1977 VIII R 105/73, BFHE 122, 300, BStBl II 1977, 606, und vom 9. August 1983 VIII R 177/80, BFHE 139, 187, BStBl II 1983, 759). Beide Sachverhalte unterscheiden sich jedoch vom hier zu beurteilenden: Der Anfall nachträglicher Herstellungskosten kann zu einer Verlängerung der Nutzungsdauer des Gebäudes führen. Der Übergang eines Gebäudes vom betrieblichen in den privaten Bereich ist nicht gesetzlich geregelt. In beiden Fällen liegen somit gegenüber der Rest-AfA nach § 3 Abs. 2 Satz 3 ZRFG unterschiedliche tatsächliche oder rechtliche Bedingungen vor.