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  BFH-Urteil vom 23.10.1991 (I R 153/90) BStBl. 1992 II S. 627

Der Erwerb von Gesellschaftsrechten aufgrund einer Kapitalerhöhung ist nicht ermäßigt zu besteuern, wenn mit der Kapitalerhöhung eine Kapitalherabsetzung zu Sanierungszwecken verbunden wird.

KVStG 1972 § 2 Abs. 1 Nr. 1, § 8 Satz 1 Nr. 1 Buchst. a, § 9 Abs. 2 Nr. 1.

Vorinstanz: FG Köln

Sachverhalt

I.

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist eine GmbH, deren Stammkapital ursprünglich 200.000 DM betrug. Bis Ende 1984 erlitt die Klägerin einen Bilanzverlust in Höhe von mehr als 300.000 DM. Deshalb beschlossen die Gesellschafter der Klägerin am 11. Juni 1985 eine Kapitalerhöhung gegen Bareinlagen um 800.000 DM. Die Gesellschafter gaben entsprechende Übernahmeerklärungen ab. Gleichzeitig wurde eine Kapitalherabsetzung auf 700.000 DM beschlossen, um den Differenzbetrag zwischen 1 Mio. DM und 700.000 DM zu Sanierungszwecken verwenden zu können. Die Beschlüsse sowie die Übernahmeerklärungen wurden notariell beurkundet. Die Beschlüsse wurden am 5. Dezember 1986 in das Handelsregister eingetragen.

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) ging ursprünglich davon aus, daß die Gesellschafter der Klägerin auf ihre Einlageverpflichtungen in 1985 450.000 DM und in 1986 300.000 DM entrichteten. Außerdem übernahm ein Gesellschafter die Kosten der Kapitalerhöhung und -herabsetzung in Höhe von 4.929 DM. Das FA erließ deshalb am 5. Februar 1987 einen Bescheid über Gesellschaftsteuer in Höhe von 7.549 DM. Im Einspruchsverfahren wurde unstreitig, daß die Gesellschafter nur im Jahre 1985 450.000 DM geleistet hatten. Außerdem verblieb es bei der Kostenübernahme in Höhe von 4.929 DM. Das FA setzte deshalb die Steuerschuld in der Einspruchsentscheidung auf 4.549 DM herab.

Mit ihrer Klage begehrte die Klägerin die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes gemäß § 9 Abs. 2 Nr. 1 des Kapitalverkehrsteuergesetzes (KVStG) 1972, weil die Leistungen der Deckung eines Verlustes am Stammkapital gedient hätten. Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt.

Mit seiner vom FG zugelassenen Revision rügt das FA die Verletzung des § 9 Abs. 2 Nr. 1 KVStG 1972.

Es beantragt, unter Aufhebung des Urteils des FG Köln vom 12. September 1990 11 K 2344/87 die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

1. Nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 KVStG 1972 unterliegt der Erwerb von Gesellschaftsrechten an einer inländischen Kapitalgesellschaft durch den ersten Erwerber der Gesellschaftsteuer. Nach § 2 Abs. 1 Nr. 2 KVStG 1972 unterliegen auch Leistungen, die von den Gesellschaftern einer inländischen Kapitalgesellschaft auf Grund einer im Gesellschaftsverhältnis begründeten Verpflichtung bewirkt werden, der Gesellschaftsteuer. Ergänzend dazu regeln die §§ 5 und 6 KVStG 1972, was unter einer inländischen Kapitalgesellschaft und was unter Gesellschaftsrechten i. S. des § 2 Abs. 1 Nrn. 1 und 2 KVStG 1972 zu verstehen ist. Nach § 5 Abs. 1 Nr. 3 und Abs. 3 KVStG 1972 ist eine GmbH mit Sitz oder Geschäftsleitung im Inland eine inländische Kapitalgesellschaft. Nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 KVStG 1972 ist der Geschäftsanteil an einer inländischen GmbH ein Gesellschaftsrecht. Nach § 6 Abs. 2 KVStG 1972 ist Gesellschafter einer inländischen GmbH derjenige, dem der Geschäftsanteil gesellschaftsrechtlich zusteht.

2. Zu diesen Tatbestandsvoraussetzungen hat das FG in tatsächlicher Hinsicht und den erkennenden Senat bindend festgestellt (§ 118 Abs. 2 FGO), daß die Klägerin im Jahr 1985 eine GmbH mit Sitz und Geschäftsleitung im Inland war. Deshalb war sie inländische Kapitalgesellschaft i. S. des § 5 Abs. 1 Nr. 3 und Abs. 3 KVStG 1972. Die Gesellschafter der Klägerin beschlossen am 11. Juni 1985 eine Kapitalerhöhung über 800.000 DM. Gleichzeitig gaben sie eine notariell beurkundete Übernahmeerklärung ab. Die Gesellschafter leisteten auf die Übernahmeverpflichtung in 1985 450.000 DM. Außerdem übernahm ein Gesellschafter die Kosten der Kapitalerhöhung mit 4.929 DM. Die Kapitalerhöhung wurde zusammen mit der gleichzeitig beurkundeten Kapitalherabsetzung auf 700.000 DM am 5. Dezember 1986 im Handelsregister eingetragen. Aus diesen Feststellungen ergibt sich, daß die Gesellschafter auf Grund eines rechtswirksamen Übernahmevertrages in 1985 450.000 DM leisteten, um mit Wirkung zum 5. Dezember 1986 als Ersterwerber Gesellschaftsrechte an der Klägerin zu erwerben. Dieser Vorgang ist zumindest nach § 2 Abs. 1 Nr. 2 KVStG 1972 gesellschaftsteuerpflichtig. Bei dieser Rechtslage bedarf es keiner Entscheidung, ob sich eine Steuerpflicht auch aus § 2 Abs. 1 Nr. 1 KVStG 1972 ergibt.

3. Gemäß § 8 Satz 1 Nr. 1 Buchst. a KVStG 1972 ist in den Fällen des § 2 Abs. 1 Nr. 1 KVStG 1972 die Gesellschaftsteuer vom Wert der Gegenleistung des Ersterwerbers zu berechnen, soweit eine solche zu bewirken ist. Nach § 8 Satz 1 Nr. 2 KVStG 1972 ist die Gesellschaftsteuer in den Fällen des § 2 Abs. 1 Nr. 2 KVStG 1972 vom Wert der Gesellschafterleistung zu bemessen. Diese betrug nach den Feststellungen des FG 454.929 DM. Dieser Betrag ist deshalb die Bemessungsgrundlage für die zu erhebende Gesellschaftsteuer.

4. Gemäß § 9 Abs. 1 Nr. 2 KVStG 1972 beträgt der Steuersatz 1 v. H. der Bemessungsgrundlage, also 4.549 DM. Die Voraussetzungen für die Anwendung des § 9 Abs. 2 Nr. 1 KVStG 1972 sind im Streitfall nicht erfüllt.

a) Nach der genannten Vorschrift ermäßigt sich die Steuer auf 50 v. H., wenn die Leistung zur Deckung einer Überschuldung oder zur Deckung eines Verlustes an dem durch den Gesellschaftsvertrag oder die Satzung festgesetzten Kapital erforderlich ist. Zwar hat das FG in tatsächlicher Hinsicht festgestellt, daß die Klägerin in 1985 überschuldet war und auch ihr Stammkapital verloren hatte. Die gesellschaftsteuerpflichtigen Leistungen beruhten jedoch auf einer Erhöhung des Gesellschaftskapitals der Klägerin. Für einen solchen Fall hat der erkennende Senat in seinem Urteil vom 24. August 1988 I R 220/84 (BFHE 155, 149, BStBl II 1989, 161) entschieden, daß es an einer Eignung der Gesellschafterleistung, einen Verlust auszugleichen, immer dann fehlt, wenn sie dem Erwerb neuer Gesellschaftsrechte dient. In einem solchen Fall ist § 9 Abs. 2 Nr. 1 KVStG 1972 nur dann anwendbar, wenn die Kapitalerhöhung im Zusammenhang mit einer Kapitalherabsetzung steht. Dabei muß nach dem Wortlaut des § 9 Abs. 2 Nr. 1 KVStG 1972 die Kapitalherabsetzung der Kapitalerhöhung zeitlich vorangehen. Dies ergibt sich aus dem Wort "zurückliegend". Die Zeitspanne zwischen Kapitalherabsetzung und Kapitalerhöhung darf nicht mehr als vier Jahre betragen.

Im Streitfall ging die Kapitalerhöhung der Kapitalherabsetzung jedoch logisch voran. Sie konnte schon deshalb nicht dem Ausgleich der logisch nachfolgenden Kapitalherabsetzung dienen. Dies gilt unabhängig davon, ob man insoweit auf die Fassung des Kapitalerhöhungsbeschlusses oder auf den Abschluß des Übernahmevertrages oder auf den Zeitpunkt der Leistung durch die Gesellschafter oder auf den der Eintragung der Kapitalerhöhung im Handelsregister abstellt. Selbst in dem für die Klägerin günstigsten letzten Fall setzte die erst mit ihrer Eintragung im Handelsregister wirksam werdende Kapitalherabsetzung (vgl. Scholz/Priester, Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung, 7. Aufl., § 58 Rdnr. 69) eine zuvor wirksam durchgeführte Kapitalerhöhung voraus. Vor seiner Erhöhung betrug nämlich das Gesellschaftskapital der Klägerin nur 200.000 DM. Es konnte deshalb nur dann auf 700.000 DM herabgesetzt werden, nachdem es zuvor auf über 700.000 DM erhöht worden war.

b) Die Auslegung des § 9 Abs. 2 Nr. 1 KVStG 1972 entsprechend seinem Wortlaut entspricht allein dem Sinn und Zweck der Vorschrift. Dazu ist davon auszugehen, daß eine Kapitalherabsetzung für sich genommen gesellschaftsteuerrechtlich irrelevant ist. Sie löst insbesondere keine Erstattung einer zuvor erhobenen Gesellschaftsteuer aus. Wenn deshalb gemäß § 9 Abs. 2 Nr. 1 KVStG 1972 der ermäßigte Steuersatz auf Leistungen gewährt wird, die auf einer Kapitalerhöhung beruhen, die ihrerseits dem Ausgleich einer nicht mehr als vier Jahre zurückliegenden Kapitalherabsetzung dient, dann soll die "Wiederauffüllung" des Stammkapitals deshalb ermäßigt besteuert werden, weil die frühere Kapitalzufuhr, die Gegenstand der Kapitalherabsetzung war, in der Regel bereits einmal der vollen Besteuerung unterworfen war. Daran fehlt es, wenn - wie im Streitfall - die Kapitalerhöhung und die Kapitalherabsetzung uno actu vollzogen werden.

c) Die Auffassung des erkennenden Senats wird durch die Gesetzesmaterialien zu § 9 Abs. 2 Nr. 1 KVStG 1972 bestätigt. In der Begründung zum Kapitalverkehrsteueränderungsgesetz (KVStÄndG) 1971 heißt es ausdrücklich (vgl. BTDrucks VI/2769, S. 7), die Einschränkung gegenüber dem (bis zum 31. Dezember 1971) geltenden Recht bestehe darin, daß die Kapitalerhöhung binnen vier Jahren auf eine Kapitalherabsetzung folgen müsse, während sie nach (bis zum 31. Dezember 1971) geltendem Recht auch vor der Kapitalherabsetzung vorgenommen werden könne, sofern nur der Zusammenhang beider Maßnahmen gewährleistet sei. Aus dieser Formulierung kann nur gefolgert werden, daß die Fassung des § 9 Abs. 1 Nr. 1 KVStG 1972 gegenüber dem vorher geltenden Recht enger ist und daß der Gesetzgeber die engere Fassung wollte.

d) Schließlich wird die Auffassung des erkennenden Senats auch durch die Fassung des Art. 7 Abs. 3 der Richtlinie 69/335/EWG (Amtsblatt - ABl - vom 3. Oktober 1969 L 249/25) bestätigt, wobei davon auszugehen ist, daß § 9 Abs. 2 Nr. 1 KVStG 1972 der Umsetzung des Art. 7 Abs. 3 der Richtlinie 69/335/EWG dient. Danach kann der ermäßigte Steuersatz nur für den Teil einer Kapitalerhöhung in Anspruch genommen werden, der der Kapitalherabsetzung entspricht, wenn die Erhöhung binnen vier Jahren nach der Herabsetzung erfolgt. Auch aus dieser Formulierung folgt zweifelsfrei, daß die Kapitalherabsetzung der Kapitalerhöhung vorangehen muß.

5. Die Vorentscheidung entspricht nicht den hier wiedergegebenen Grundsätzen. Sie kann deshalb keinen Bestand haben. Die Sache ist entscheidungsreif. Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 9 Abs. 2 Nr. 1 KVStG 1972 sind im Streitfall nicht erfüllt. Deshalb kann der ermäßigte Steuersatz nicht angewendet werden. Der angefochtene Steuerbescheid ist in der Form der Einspruchsentscheidung vom 2. Juni 1987 rechtmäßig. Deshalb war die Vorentscheidung aufzuheben. Die Klage war abzuweisen.