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  BFH-Urteil vom 11.3.1992 (X R 113/89) BStBl. 1992 II S. 886

Vor Bezug entstandene Aufwendungen für die Renovierung einer zu eigenen Wohnzwecken genutzten Wohnung können nach § 10 e Abs. 6 EStG abziehbar sein. Der Vorkostenabzug steht dem Eigentümer auch bei unentgeltlichem Erwerb der Wohnung zu.1

EStG § 10 e Abs. 6.

Vorinstanz: FG Nürnberg (EFG 1990, 20)

Sachverhalt

Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind Eheleute, die im Streitjahr zusammen zur Einkommensteuer veranlagt wurden.

Durch notariell beurkundeten Vertrag vom 19. Juni 1987 erhielt der Kläger von seiner Mutter ein Mietwohngrundstück unentgeltlich zu Alleineigentum übertragen. Besitz, Nutzungen und Lasten sollten laut Vertrag zum 1. Januar 1988 auf den Kläger übergehen.

Im Zeitraum August bis Dezember 1987 renovierte der Kläger eine Wohnung in diesem Anwesen für 30.529,60 DM. Anschließend zogen die Kläger in diese Wohnung ein.

In der Einkommensteuererklärung 1987 beantragten die Kläger, die Renovierungskosten als Vorkosten nach § 10 e Abs. 6 des Einkommensteuergesetzes (EStG) abzuziehen. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) lehnte den Abzug ab. Einspruch und Klage gegen den Einkommensteuerbescheid 1987 waren erfolglos.

Das Finanzgericht (FG) führte aus, § 10 e Abs. 6 EStG verlange einen Zusammenhang mit der Anschaffung des Gebäudes. Unter Anschaffung sei nur der Erwerb durch entgeltliche Vermögensübertragung zu verstehen. Außerdem müßten die Aufwendungen nach dem Gesetzeswortlaut für eine Wohnung i. S. des Absatzes 1 entstanden sein. Dies seien aber nur entgeltlich erworbene Wohnungen. Das Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1990, 20 veröffentlicht.

Mit der Revision rügen die Kläger Verletzung von § 10 e Abs. 6 EStG. Diese Vorschrift sei geschaffen worden, um die bis zur erstmaligen Nutzung einer Wohnung zu eigenen Wohnzwecken entstandenen Aufwendungen, die nach bisherigem Recht uneingeschränkt abziehbar gewesen seien, auch nach Wegfall der Nutzungswertbesteuerung steuermindernd berücksichtigen zu können. Nach der Rechtslage bis zum 31. Dezember 1986 habe der Eigentümer alle Werbungskosten bis zum Beginn der Eigennutzung in vollem Umfang absetzen können, unabhängig davon, ob er entgeltlich oder unentgeltlich erworben habe. Der Gesetzeszweck gebiete es daher, sowohl den entgeltlichen als auch den unentgeltlichen Erwerb als Anschaffung i. S. des § 10 e Abs. 6 EStG anzusehen. Aus der Wortfassung "Wohnung im Sinne des Absatzes 1" könne nicht hergeleitet werden, nur entgeltlich erworbene Wohnungen seien begünstigt. Die Bezugnahme bringe lediglich zum Ausdruck, daß die Wohnung im Inland belegen sein müsse und keine Ferien- oder Wochenendwohnung sein dürfe. Auch das Merkmal des unmittelbaren Zusammenhangs der Aufwendungen mit der Herstellung oder Anschaffung des Gebäudes diene nicht der Ausgrenzung des unentgeltlichen Erwerbs, sondern solle nur die Abziehbarkeit von Unterhaltskosten der eigengenutzten Wohnung ausschließen.

Die Kläger beantragen, die Vorentscheidung aufzuheben und unter Änderung des Einkommensteuerbescheids 1987 und der dazu ergangenen Einspruchsentscheidung die Renovierungskosten nach § 10 e Abs. 6 EStG steuermindernd zu berücksichtigen.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Während des Revisionsverfahrens hat das FA den angefochtenen Einkommensteuerbescheid 1987 hinsichtlich der Höhe der familienbezogenen Freibeträge für vorläufig erklärt. Die Kläger haben beantragt, den Änderungsbescheid zum Gegenstand des Verfahrens zu machen (§ 68 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

Entscheidungsgründe

Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Herabsetzung der Einkommensteuer 1987 entsprechend dem Antrag der Kläger.

Die Renovierungskosten sind als Vorkosten nach § 10 e Abs. 6 EStG abziehbar.

1. Nach dieser Vorschrift kann der Steuerpflichtige Aufwendungen wie Sonderausgaben abziehen, die

- bis zum Beginn der erstmaligen Nutzung einer Wohnung i. S. des Absatzes 1 zu eigenen Wohnzwecken entstehen,

- unmittelbar mit der Herstellung oder Anschaffung des Gebäudes oder der Eigentumswohnung oder der Anschaffung des dazugehörenden Grund und Bodens zusammenhängen,

- nicht zu den Herstellungskosten oder Anschaffungskosten der Wohnung oder zu den Anschaffungskosten des Grund und Bodens gehören und

- im Fall der Vermietung oder Verpachtung der Wohnung als Werbungskosten abgezogen werden könnten.

a) Der unentgeltliche Erwerb der Wohnung steht dem Vorkostenabzug nicht entgegen.

aa) Das FG sowie ein Teil des Schrifttums leiten aus der Verweisung auf eine "Wohnung im Sinne des Absatzes 1" ab, der Steuerpflichtige müsse die Wohnung entgeltlich erworben haben (z. B. Jaser/Wacker, Die neue Eigenheimbesteuerung, 5. Aufl., S. 122; Meyer/Clausen in Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz mit Nebengesetzen, Kommentar, § 10 e EStG Anm. 513; Schmidt/Drenseck, Einkommensteuergesetz, 10. Aufl., § 10 e Anm. 9). Meyer/Clausen (a. a. O.) und Schmidt/Drenseck (a. a. O.) halten darüber hinaus den Abzug von Vorkosten nur dann für zulässig, wenn diese für eine Wohnung aufgewendet wurden, für die der Steuerpflichtige Grundförderung nach § 10 e Abs. 1 bis 5 EStG in Anspruch nehmen kann und auch tatsächlich in Anspruch nimmt. Das FG folgert ferner aus dem in § 10 e Abs. 6 EStG geforderten unmittelbaren Zusammenhang mit der Anschaffung des Gebäudes, daß nur Vorkosten für eine entgeltlich erworbene Wohnung begünstigt seien; denn unter Anschaffung sei nur der entgeltliche Erwerb zu verstehen (gl. A. z. B. Märkle/Franz, Selbstgenutztes Wohneigentum, 3. Aufl., S. 89). Die Finanzverwaltung läßt Vorkosten im Zusammenhang mit dem unentgeltlichen Erwerb eines Gebäudes ebenfalls nicht zum Abzug zu (Bundesminister der Finanzen - BMF - vom 25. Oktober 1990, BStBl I 1990, 626, Abs. 49).

Das Hessische FG (Urteil vom 19. Dezember 1990 1 K 3731/89, EFG 1991, 472) und Obermeier (Deutsches Steuerrecht - DStR - 1990, 132) halten dagegen einen Vorkostenabzug auch bei unentgeltlichem Erwerb für möglich. Sie gehen davon aus, daß der Begriff Anschaffung den unentgeltlichen Erwerb einschließt.

bb) Gesetzeszweck, Sinnzusammenhang und Entstehungsgeschichte sprechen für eine Auslegung der Vorschrift, die einen Abzug von Vorkosten auch bei unentgeltlichem Erwerb ermöglicht.

§ 10 e Abs. 6 EStG ist ein eigenständiger Begünstigungstatbestand, der unabhängig von der Grundförderung nach § 10 e Abs. 1 bis 5 EStG auszulegen ist. Denn in Absatz 6 wird nicht gefordert, daß die Kosten für eine nach § 10 e Abs. 1 bis 5 EStG begünstigte Wohnung aufgewendet wurden, sondern es wird nur das Entstehen der Aufwendungen bis zum Beginn der erstmaligen Nutzung einer "Wohnung im Sinne des Absatzes 1" zu eigenen Wohnzwecken verlangt. Erhält der Eigentümer keine Grundförderung wegen Objektverbrauchs oder wegen räumlichen Zusammenhangs der Wohnung mit einem begünstigten Objekt (§ 10 e Abs. 4 EStG), kann er gleichwohl die vor Bezug entstandenen Aufwendungen im Rahmen des § 10 e Abs. 6 EStG abziehen (vgl. BMF, a. a. O., Abs. 59). Die von Meyer/Clausen (a. a. O., § 10 e Anm. 513) und Schmidt/Drenseck (a. a. O., § 10 e Anm. 9) vertretene Auffassung, nur dem nach § 10 e Abs. 1 bis 5 EStG zur Inanspruchnahme der Grundförderung Berechtigten stehe der Vorkostenabzug zu, widerspricht dem Wortlaut der Vorschrift.

Da der Vorkostenabzug unabhängig von der Inanspruchnahme der Grundförderung gewährt wird, muß die Verweisung auf Absatz 1 nicht bedeuten, daß nur Aufwendungen für eine selbst hergestellte oder entgeltlich erworbene Wohnung begünstigt sind. Vielmehr entspricht es allgemeinem Sprachgebrauch, eine "Wohnung im Sinne des Absatzes 1" dann anzunehmen, wenn die tatbestandlichen Anforderungen des Absatzes 1 hinsichtlich der Wohnung erfüllt sind; d. h. es müssen die allgemeinen Merkmale des Wohnungsbegriffs vorliegen und es muß sich um eine Wohnung in einem im Inland belegenen eigenen Haus oder eine im Inland belegene eigene Eigentumswohnung handeln, die keine Ferien- oder Wochenendwohnung ist (gl. A. Stuhrmann, Die Neu-Besteuerung des Hausbesitzes, Rz. 75). Ob sich die Verweisung auch darauf bezieht, daß die Wohnung nicht vom Ehegatten angeschafft sein darf (§ 10 e Abs. 1 Satz 7 EStG 1987), braucht der Senat im Streitfall nicht zu entscheiden. Einen entgeltlichen Erwerb der Wohnung verlangt § 10 e Abs. 1 EStG nicht. Da die Begünstigung nach § 10 e Abs. 1 EStG im Abzug eines bestimmten Betrages der Anschaffungs- oder Herstellungskosten besteht, kommt sie allerdings zwangsläufig nur bei vom Steuerpflichtigen selbst hergestellten oder entgeltlich erworbenen Objekten in Betracht.

Auch aus dem Erfordernis des unmittelbaren Zusammenhangs der Aufwendungen mit der Anschaffung der Wohnung ist nicht zu folgern, daß Vorkosten nur bei entgeltlichem Erwerb begünstigt sind. Der Begriff "Anschaffung" hat im EStG unterschiedliche Bedeutungen. Zum Beispiel wird im Rahmen der §§ 6 b und 23 EStG unter "Anschaffung" ein entgeltlicher Erwerb verstanden (BFH-Urteile vom 11. Dezember 1984 IX R 27/82, BFHE 143, 46, BStBl II 1985, 250, und vom 13. Dezember 1989 X R 208/87, BFHE 159, 114, BStBl II 1990, 274). In anderem Zusammenhang bedeutet "Anschaffung" die Erlangung der wirtschaftlichen Verfügungsmacht (z. B. BFH-Urteil vom 28. April 1977 IV R 163/75, BFHE 122, 121, BStBl II 1977, 553, unter 1. b). Sofern es um die Abgrenzung der Herstellung von der Anschaffung geht, wird die Anschaffung als Erwerb eines bestehenden Wirtschaftsguts definiert (z. B. BFH-Urteil vom 2. September 1988 III R 53/84, BFHE 154, 413, BStBl II 1988, 1009). Sprachlich umfaßt der Begriff sowohl den entgeltlichen wie den unentgeltlichen Erwerb.

In § 10 e Abs. 6 EStG dient das Tatbestandsmerkmal des unmittelbaren Zusammenhangs mit der Herstellung oder Anschaffung dazu, Aufwendungen, die sich nicht unmittelbar auf den Herstellungs- oder Anschaffungsvorgang der zu eigenen Wohnzwecken genutzten Wohnung beziehen, auszugrenzen. Anhaltspunkte dafür, daß durch die gewählte Formulierung Vorkosten für eine unentgeltlich erworbene Wohnung vom Abzug ausgeschlossen werden sollten, sind nicht ersichtlich. Vielmehr entspricht die Verwendung des Begriffs "Anschaffung" im Sinne des allgemeinen Sprachgebrauchs dem Gesetzeszweck. Wie sich aus der Überschrift des § 10 e EStG "Steuerbegünstigung der zu eigenen Wohnzwecken genutzten Wohnung im eigenen Haus" ergibt, wollte der Gesetzgeber nicht nur die Herstellung oder den Erwerb von Wohneigentum fördern, sondern allgemein das Wohnen in der eigenen Wohnung. Auch Aufwendungen im Zusammenhang mit einer unentgeltlich erworbenen Wohnung fallen daher unter den Förderungszweck.

Die Gesetzesmaterialien sprechen ebenfalls für eine Auslegung des § 10 e Abs. 6 EStG in diesem Sinne. Nach der Begründung zum Regierungsentwurf (BTDrucks 10/3633 S. 16) soll durch die Regelung in § 10 e Abs. 6 EStG sichergestellt werden, daß die vor Bezug der Wohnung anfallenden Kosten, die bisher bei eigengenutzten Wohnungen als Werbungskosten abziehbar waren, auch künftig steuermindernd berücksichtigt werden können. Nach der Rechtslage vor 1987 waren aber auch bei selbstgenutzten Wohnungen im eigenen Einfamilienhaus, deren Nutzungswert pauschaliert versteuert wurde, vor Bezug entstandene Aufwendungen als Werbungskosten unabhängig davon abziehbar, ob das Einfamilienhaus entgeltlich oder unentgeltlich erworben worden war.

cc) Diese Auslegung steht nicht in Widerspruch zu der Entscheidung des Senats zu den sog. vergeblichen Aufwendungen (Urteil vom 17. Juli 1991 X R 6/91, BFHE 165, 85, BStBl II 1991, 916). Diese waren zwar nach der Rechtslage vor 1987 ebenfalls als Werbungskosten abziehbar. Jedoch steht dem Abzug als Vorkosten in diesen Fällen der Gesetzeswortlaut entgegen, der einen unmittelbaren Zusammenhang der Aufwendungen mit der Anschaffung oder Herstellung der Wohnung verlangt.

b) Die Renovierungskosten hängen auch unmittelbar mit der Anschaffung der Wohnung zusammen.

Im Schrifttum wird zum Teil die Meinung vertreten, vor Bezug entstandenen Erhaltungsaufwendungen fehle - anders als z. B. den Finanzierungskosten - die vom Gesetz geforderte Beziehung zum Anschaffungsvorgang. Sie seien zwar während der Anschaffungsphase entstanden; ein unmittelbarer Zusammenhang mit der Anschaffung bestehe jedoch nicht. Die Aufwendungen setzten vielmehr die Anschaffung logisch voraus (Meyer/Clausen, a. a. O., § 10 e Anm. 520; Meyer/Richter, Die steuerliche Wohnungsbauförderung, S. 158; Stuhrmann, DStR 1988, 308).

Der Senat ist dagegen mit der herrschenden Meinung der Auffassung, daß als Erhaltungsaufwand zu beurteilende Renovierungskosten einer Wohnung das Merkmal des unmittelbaren Zusammenhangs mit der Anschaffung erfüllen, wenn der Steuerpflichtige im Anschluß an den Erwerb oder - wie im Streitfall - im Anschluß an den notariellen Übergabevertrag die Wohnung instand setzt. Es genügt ein unmittelbarer zeitlicher Zusammenhang (z. B. Schleswig-Holsteinisches FG vom 27. November 1990 III 767/90, EFG 1991, 386; BMF, a. a. O., Abs. 55; Obermeier, DStR 1990, 132).

Bestätigt wird dieses Ergebnis durch § 10 f Abs. 2 Satz 2 EStG. Danach kann der Steuerpflichtige unter bestimmten Voraussetzungen Erhaltungsaufwendungen wie Sonderausgaben abziehen, sofern sie nicht nach § 10 e Abs. 6 EStG berücksichtigt worden sind. Der Gesetzgeber rechnet also im Grundsatz Erhaltungsaufwendungen zu den abziehbaren Kosten i. S. des § 10 e Abs. 6 EStG. Auch die Gesetzesbegründung (s. o. unter 1. a, bb) spricht hierfür, weil vor Bezug angefallene Erhaltungskosten auch bei selbstgenutzten Einfamilienhäusern als Werbungskosten abziehbar waren.

c) Die vom Kläger aufgewendeten Renovierungskosten sind als Erhaltungsaufwand und nicht als Herstellungskosten zu beurteilen. Zwar können grundlegende Maßnahmen zur Instandsetzung einer Wohnung Herstellungsaufwand im steuerrechtlichen Sinn sein, wenn das Gebäude oder die Wohnung über ihren ursprünglichen Zustand hinaus wesentlich verbessert wird (BFH-Urteil vom 29. Oktober 1991 IX R 117/90, BFHE 166, 203, BStBl II 1992, 285). Im Streitfall liegen jedoch keine Anhaltspunkte dafür vor, daß die vor Bezug ausgeführten Renovierungsarbeiten den Wert der Wohnung erheblich erhöht hätten. Auch das FA hat in der mündlichen Verhandlung den Charakter der streitigen Aufwendungen als Erhaltungsaufwand nicht bezweifelt.

d) Als Erhaltungsaufwand wären die Aufwendungen im Falle der Vermietung und Verpachtung als Werbungskosten abziehbar.

2. Da das FG und das FA von anderen Grundsätzen ausgegangen sind, sind die Vorentscheidung und die Einspruchsentscheidung aufzuheben. Unter Änderung des Einkommensteuerbescheids 1987 wird die Einkommensteuer auf 2.684 DM herabgesetzt.