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  BFH-Beschluß vom 5.8.1992 (II B 75/92) BStBl. 1992 II S. 967

Verfassungsrechtliche Einwendungen gegen einzelne Vorschriften eines Folgesteuergesetzes (z. B. VStG) sind regelmäßig nicht geeignet, eine Aussetzung des den Grundlagenbescheid (z. B. Einheitswertbescheid) betreffenden Verfahrens zu rechtfertigen.

FGO § 74.

Vorinstanz: FG Rheinland-Pfalz (EFG 1992, 288)

Sachverhalt

I.

Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) ist Eigentümer einer Eigentumswohnung. Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt - FA -) hat die Wohnung als Einfamilienhaus im Wohnungseigentum bewertet und den Einheitswert auf den 1. Januar 1974 in Höhe von 16.500 DM festgestellt. Im Jahre 1989 beantragte der Kläger, den Einheitswert im Wege der Wertfortschreibung wegen Wegfalls der Grundsteuervergünstigung auf den 1. Januar 1987 zu ermäßigen. Das FA hat die Wertfortschreibung wegen Nichterreichens der Wertfortschreibungsgrenzen abgelehnt. Der Einspruch blieb erfolglos. Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner Klage, mit der er beantragt, den Einheitswert seiner Eigentumswohnung herabzusetzen.

Das FA beantragt, die Klage als unbegründet abzuweisen.

Das Finanzgericht (FG) hat mit seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1992, 288 veröffentlichten Beschluß vom 6. Februar 1992 5 K 2578/90 das Verfahren gemäß § 74 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ausgesetzt. Das FG begründet seine Entscheidung im wesentlichen damit, "daß die Einheitswerte des Grundvermögens in willkürlicher Weise um ein Mehrfaches niedriger als die gemeinen Werte oder Verkehrswerte nichteinheitswertgebundenen Vermögens festgestellt" würden "und daher wegen Verstoßes gegen Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) verfassungswidrig" seien. Das FG verweist insoweit auf seinen Vorlagebeschluß an das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) vom 4. November 1991 5 K 2464/91 (EFG 1992, 165) sowie auf den Vorlagebeschluß des FG Hamburg vom 30. Juni 1988 II 331/85 (EFG 1988, 586).

Der Kläger hat hiergegen Beschwerde eingelegt. Er beantragt, unter Aufhebung des Aussetzungsbeschlusses vom 6. Februar 1992 das Verfahren fortzusetzen.

Das FA beantragt mit seiner Stellungnahme zur Beschwerde des Klägers ebenfalls, den Aussetzungsbeschluß vom 6. Februar 1992 aufzuheben und das Verfahren fortzusetzen.

Entscheidungsgründe

II.

Die Beschwerde ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des Beschlusses des FG über die Aussetzung des Verfahrens. Das FG hat das Verfahren fortzusetzen.

Das FG ist zu Unrecht davon ausgegangen, daß im Streitfall eine Aussetzung des Verfahrens geboten sei. Hängt die Entscheidung eines Rechtsstreits ganz oder zum Teil von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses ab, das den Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits bildet oder von einer Verwaltungsbehörde festzustellen ist, kann das Gericht nach § 74 FGO anordnen, daß die Verhandlung bis zur Erledigung des anderen Rechtsstreits oder bis zur Entscheidung der Verwaltungsbehörde auszusetzen sei.

Diese Voraussetzungen sind im Streitfall nicht erfüllt. Zwar ist § 74 FGO zumindest entsprechend anwendbar, wenn vor dem BVerfG die Gültigkeit einer gesetzlichen Vorschrift streitig ist (vgl. Beschluß des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 7. Februar 1992 III B 24, 25/91, BFHE 166, 418, BStBl II 1992, 408). Doch hängt im Streitfall die Entscheidung, ob die vom Kläger begehrte Wertfortschreibung des Einheitswerts seines Grundstücks geboten ist oder nicht, nicht von der Entscheidung des BVerfG über die Vorlagebeschlüsse des FG Rheinland-Pfalz in EFG 1992, 165 und des FG Hamburg in EFG 1988, 586 ab.

1. Das FG Rheinland-Pfalz hat mit dem Vorlagebeschluß in EFG 1992, 165 dem BVerfG die Frage zur Entscheidung vorgelegt, ob § 10 Nr. 1 des Vermögensteuergesetzes (VStG) mit dem Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG deshalb nicht im Einklang stehe, weil die Vorschrift für die Besteuerung einheitswertgebundenen und nicht einheitswertgebundenen Vermögens einen einheitlichen Steuersatz festlegt, hilfsweise, ob die Bundesregierung verpflichtet sei, dem seit langem eingetretenen verfassungswidrigen Zustand durch eine alsbaldige Gesetzesinitiative zur Abschaffung oder Änderung der Einheitswerte des Grundvermögens abzuhelfen.

Soweit mit diesem Vorlagebeschluß die Vorschrift des § 10 Nr. 1 VStG in Frage gestellt wird, kann die Entscheidung des BVerfG auf das anhängige Verfahren keinen Einfluß haben. Nach Auffassung des erkennenden Senats bestehen gegen den einheitlichen Vermögensteuersatz des § 10 Nr. 1 VStG für die im Gesamtvermögen (§ 114 des Bewertungsgesetzes - BewG -) zusammengefaßten Wirtschaftsgüter aller Vermögensarten keine Bedenken (vgl. auch Beschluß des Niedersächsischen FG vom 31. März 1992 I 49/86, EFG 1992, 427). Insbesondere ist ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG nicht zu erkennen. Denn Ziel des einheitlichen Vermögensteuersatzes ist gerade die gleichmäßige steuerliche Belastung der natürlichen Personen unabhängig davon, wie sich das Vermögen im einzelnen zusammensetzt. Doch kann dahingestellt bleiben, ob aus diesem Grunde der Vorlagebeschluß des FG Rheinland-Pfalz offensichtlich aussichtslos ist und schon deshalb eine Aussetzung des Verfahrens ausscheidet (vgl. BFH-Beschluß vom 8. Mai 1991 I B 132, 134/90, BFHE 164, 194, BStBl II 1991, 641). Denn selbst wenn das BVerfG § 10 Nr. 1 VStG wegen Verstoßes gegen Art. 3 Abs. 1 GG für nichtig erklärte, würde die Entscheidung die Festsetzung der Vermögensteuer, also Folgebescheide, nicht jedoch die Einheitswertbescheide des Grundbesitzes als Grundlagenbescheide betreffen. Es handelt sich insoweit um unterschiedliche Rechtsfragen. Zwar kann eine Aussetzung des Verfahrens geboten sein, wenn unklar ist, ob und in welcher Weise der Grundlagenbescheid geändert wird (vgl. BFH-Urteil vom 3. Februar 1976 VIII R 29/71, BFHE 118, 135, 138, BStBl II 1976, 396, 398), doch gilt dies mangels Abhängigkeit des Grundlagenbescheids vom Folgebescheid nicht umgekehrt. Dementsprechend sind auch verfassungsrechtliche Einwendungen gegen einzelne Bestimmungen eines Folgesteuergesetzes (z. B. VStG) regelmäßig nicht geeignet, eine Aussetzung des den Grundlagenbescheid (z. B. Einheitswertbescheid) betreffenden Verfahrens zu rechtfertigen. Das gilt jedenfalls dann, wenn der Grundlagenbescheid nicht ausschließlich für einen einzigen Folgebescheid maßgebend ist, sondern darüber hinaus der Festsetzung weiterer Steuern dient. Im Streitfall bildet der Einheitswert des Grundstücks des Klägers die Grundlage für den Steuermeßbetrag (s. § 13 des Grundsteuergesetzes - GrStG -) und damit nach Maßgabe des von der Gemeinde bestimmten Hebesatzes (§ 25 GrStG) für die Festsetzung der Grundsteuer. Es kann deshalb dahingestellt bleiben, ob der Kläger mit seinem Grundstück der Vermögensteuer unterliegt. Selbst wenn - wie das FG meint - § 10 Nr. 1 VStG gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstieße, so würde doch der Einheitswert des Grundstücks in jedem Fall für die Festsetzung der Grundsteuer benötigt werden. Hierauf hat das FA zu Recht hingewiesen. Bei der Grundsteuer entfällt jedoch - anders als bei der Vermögensteuer - der vom FG (bezüglich der steuerlichen Belastung) gezogene Vergleich mit Wirtschaftsgütern, die kein Grundbesitz sind.

Auch soweit das FG hilfsweise in seinem Vorlagebeschluß die Frage aufwirft, ob die Bundesregierung verpflichtet sei, eine alsbaldige Gesetzesinitiative zur Abschaffung oder Änderung der Einheitswerte des Grundvermögens zu ergreifen, rechtfertigt dies keine Aussetzung des Verfahrens im Streitfall.

Denn selbst wenn das BVerfG den Gesetzgeber zu einer entsprechenden Neuregelung verpflichten würde, so wäre dies nach Auffassung des erkennenden Senats wegen der weitreichenden Auswirkungen der Einheitswerte des Grundbesitzes auf zahlreiche Folgesteuern und andere Abgaben nur mit Wirkung für die Zukunft zu erwarten (vgl. Senatsbeschluß vom 11. Juni 1986 II B 49/83, BFHE 146, 474, 480, BStBl II 1986, 782, 785). Eine - auch vom erkennenden Senat als notwendig erachtete - gesetzliche Neuregelung der Bewertung des Grundbesitzes würde deshalb die im Streitfall aufgeworfene Frage der Wertfortschreibung des Grundstücks des Klägers auf den 1. Januar 1987 nicht berühren.

2. Das FG Hamburg hat mit dem Vorlagebeschluß in EFG 1988, 586 dem BVerfG die Frage zur Entscheidung vorgelegt, ob § 12 Abs. 1 und 2 des Erbschaftsteuergesetzes 1974 (ErbStG) im Jahre 1983 insoweit gegen das GG verstieß, als er bestimmte, daß die erbschaftsteuerliche Bereicherung von Grundbesitz mit dem Einheitswert, die erbschaftsteuerliche Bereicherung eines Erbbauzinsanspruchs für ein auf demselben Grundstück bestelltes Erbbaurecht jedoch nach § 13 Abs. 1 BewG (mit dem Kapitalwert) zu bemessen war.

Auch wenn das BVerfG der Auffassung des FG Hamburg folgt, daß die Besteuerung des Erwerbs von Todes wegen in bezug auf die Höhe des Ansatzes des Rechts auf Erbbauzinsen im Vergleich zu dem vom Gesetz vorgesehenen Ansatz des Grundstücks mit dem Einheitswert zuzüglich 40 v. H. gegen den Gleichheitssatz verstoße, so würde auch hier die Entscheidung die Festsetzung der Erbschaftsteuer als einer möglichen Folgesteuer, nicht jedoch unmittelbar den Einheitswert des Grundstücks als solchen betreffen, der - wie oben dargelegt - über eine etwaige Erbschaftsteuer oder Vermögensteuer hinaus auch die Grundlage für die Grundsteuerfestsetzung bildet. Insoweit kann auch dieser Vorlagebeschluß auf das anhängige Verfahren keinen Einfluß haben.