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  BFH-Urteil vom 19.8.1992 (III R 60/91) BStBl. 1993 II S. 60

Ein bewegliches Wirtschaftsgut verbleibt nicht drei Jahre in einer Betriebsstätte, wenn der Betrieb vor Ablauf dieses Zeitraums in eine andere Gemeinde des Fördergebiets verlegt wird. Das gilt auch dann, wenn die Errichtung auch der neuen Betriebsstätte vom Bundesamt für gewerbliche Wirtschaft als förderungswürdig anerkannt wird.

InvZulG 1986 § 1 Abs. 1 und 3, § 2.

Vorinstanz: FG Nürnberg (EFG 1991, 698)

Sachverhalt

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) eröffnete im Jahre 1987 in gemieteten Räumen in K eine Lohnweberei, für die er am 30. Juni 1987 zwei sog. Greiferwebmaschinen im Wert von 230.725 DM anschaffte. Das Bundesamt für gewerbliche Wirtschaft (BAW) bescheinigte dem Kläger am 29. Dezember 1988, daß sein als Errichtung einer gewerblichen Betriebsstätte bezeichnetes Vorhaben in K in einem förderungsbedürftigen Gebiet durchgeführt werde und volkswirtschaftlich besonders förderungswürdig sei. Daraufhin gewährte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) dem Kläger mit Bescheid vom 23. Januar 1989 für die Anschaffung der beiden Webmaschinen eine Investitionszulage nach § 1 des Investitionszulagengesetzes (InvZulG) 1986 in Höhe von 23.073 DM.

Im Jahre 1989 verlegte der Kläger seinen Betrieb unter Mitnahme der beiden Webmaschinen nach H, wo er ein Geschäftsgrundstück mit Fabrikationsgebäude erworben hatte. Das BAW erteilte dem Kläger am 11. Oktober 1989 auch für das im Zusammenhang mit der Betriebsverlagerung stehende Investitionsvorhaben (Gesamtinvestition 950.000 DM, Schaffung von fünf Dauerarbeitsplätzen) eine Bescheinigung nach § 2 InvZulG 1986.

Mit Bescheid vom 6. März 1990 hob das FA den Investitionszulagenbescheid vom 23. Januar 1989 auf und forderte die Zulage für die beiden Webmaschinen zurück, weil diese vor Ablauf des in § 1 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 InvZulG 1986 vorgeschriebenen Dreijahreszeitraumes in eine andere Betriebsstätte des Klägers überführt worden seien.

Die nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage hatte Erfolg. Zur Begründung führt das Finanzgericht (FG) in der in den Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1991, 698 veröffentlichten Entscheidung aus, die Verbleibensvoraussetzung des § 1 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 InvZulG 1986 sei auch dann erfüllt, wenn die einzige Betriebsstätte des Steuerpflichtigen innerhalb des Fördergebietes vollständig verlagert wird und eine Bescheinigung des BAW über die Förderungswürdigkeit der neuerlichen Betriebserrichtung im Zuge der Verlagerungsmaßnahme den Schluß erlaubt, daß aufgrund der Weiterverwendung der angeschafften Wirtschaftsgüter in der nun verlegten Betriebsstätte sowohl sämtliche Zwecke der Begünstigungsvorschrift des § 1 Abs. 1 InvZulG 1986 als auch der Verbleibensvorschrift erfüllt werden. Aus dem Wortlaut des § 1 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 InvZulG 1986 sei nicht eindeutig ersichtlich, ob sich die genannte Voraussetzung räumlich auf ein Verbleiben in der Betriebsstätte der in der Bescheinigung genannten Gemeinde oder aber auf eine Betriebsstätte des Steuerpflichtigen im Fördergebiet schlechthin beziehe. Der Regelungsinhalt dieser Vorschrift müsse deshalb im Falle einer Betriebsverlagerung im Fördergebiet durch Auslegung anhand ihres systematischen Zusammenhangs sowie ihres Sinns und Zwecks erschlossen werden.

§ 1 Abs. 1 InvZulG 1986 wolle solche Investitionen begünstigen, die im Zusammenhang mit einem räumlich bestimmten Investitionsvorhaben die in § 1 Abs. 1 Nr. 2 InvZulG 1986 genannten Vorstellungen des Gesetzgebers erfüllten. Danach bestehe der bezweckte Investitionserfolg darin, daß ein im Hinblick auf die Schaffung von Dauerarbeitsplätzen förderungswürdiges Vorhaben, das zudem den Zielen und Grundsätzen der Raumordnung und Landesplanung entspreche, verwirklicht werde. Da die Erfüllung dieser Zielvorstellungen durch eine Bescheinigung des BAW nachzuweisen sei, könne auch die Frage, ob die Wirtschaftsgüter entsprechend diesen Zielvorstellungen verwendet werden, an dieser Bescheinigung gemessen werden. Es sei also zu prüfen, ob die Wirtschaftsgüter mindestens drei Jahre in dem durch die Bescheinigung der Wirtschaftsbehörde abgedeckten Gebiet eingesetzt werden.

Hiervon sei im Streitfall auszugehen, denn die streitigen Wirtschaftsgüter seien in der in der Bescheinigung genannten Betriebsstätte verblieben, diese sei nur an einen anderen Ort verlagert worden. Erfolge die Verlagerung der Betriebsstätte im Zusammenhang mit einer vom BAW ebenfalls als förderungswürdig bezeichneten Betriebserrichtung, stehe nicht nur fest, daß die hierbei getätigten Neuanschaffungen alle Voraussetzungen des InvZulG erfüllten, sondern es könne daraus auch mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit geschlossen werden, daß die Weiterverwendung der vorher angeschafften Wirtschaftsgüter in jeder Hinsicht dem Zweck des InvZulG entspräche, insbesondere weiterhin der Schaffung von Dauerarbeitsplätzen im Fördergebiet diene.

Es könne daher angenommen werden, daß die rechtliche Wirkung der Bescheinigung für den ersten Standort in einem solchen Fall durch die Bescheinigung für den neuen Standort indirekt verlängert werde. Zu berücksichtigen sei schließlich, daß bei Fällen wie dem hier zu entscheidenden jede Art von Mißbrauch ausgeschlossen sei.

Mit der Revision rügt das FA die Verletzung von § 1 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 i. V. m. § 1 Abs. 1 Satz 2 InvZulG 1986.

Das FA beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

Nach § 1 InvZulG 1986 erhalten Steuerpflichtige für im Zusammenhang mit der Errichtung einer Betriebsstätte vorgenommene Investitionen eine Investitionszulage, wenn sie durch eine Bescheinigung des BAW nachweisen, daß die Betriebsstätte in einem förderungsbedürftigen Gebiet errichtet wird und daß die Errichtung volkswirtschaftlich besonders förderungswürdig ist und den Zielen und Grundsätzen der Raumordnung und Landesplanung entspricht. Hierbei angeschaffte bewegliche Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens, die nicht zu den geringwertigen Wirtschaftsgütern i. S. des § 6 Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) gehören, müssen außerdem mindestens drei Jahre nach ihrer Anschaffung in der Betriebsstätte des Steuerpflichtigen verbleiben (§ 1 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 InvZulG 1986).

Den in den verschiedenen investitionszulagenrechtlichen Vorschriften enthaltenen Begriff "verbleiben" hat der Senat in ständiger Rechtsprechung als eine dauerhafte räumliche bzw. tatsächliche Beziehung des Wirtschaftsguts zum Betrieb oder zu der Betriebsstätte verstanden (Urteile vom 25. Oktober 1985 III R 79/82, BFHE 145, 479, BStBl II 1986, 150; vom 20. Mai 1988 III R 86/83, BFHE 153, 481, BStBl II 1988, 739; vom 9. August 1991 III R 88/89, BFH/NV 1992, 340).

Hiernach steht dem Kläger die Investitionszulage nicht zu. Denn nach den unbeanstandeten Feststellungen des FG hat er die Webmaschinen nicht drei Jahre lang in der in K gelegenen Betriebsstätte genutzt, sondern sie ab 1989 in einer Betriebsstätte in H, einem durch die Bescheinigung des BAW vom 29. Dezember 1988 nicht genannten Ort, eingesetzt.

Für die Annahme, daß die begünstigten Wirtschaftsgüter während des Bindungszeitraums in der ursprünglichen Betriebsstätte verbleiben müssen, spricht bereits ein Vergleich der Verbleibensregelung in § 1 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 InvZulG 1986 (Verbleiben "in der Betriebsstätte") mit entsprechenden Regelungen in anderen investitionszulagenrechtlichen Vorschriften, wie z. B. in § 4 b Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Buchst. c, bb InvZulG 1982 (Verbleiben "in einem Betrieb oder einer Betriebsstätte im Inland"), in § 19 Abs. 2 Satz 1 des Berlinförderungsgesetzes 1987 (Verbleiben "in einem solchen Betrieb - einer solchen Betriebsstätte - in Berlin"); in § 3 Abs. 1 des Zonenrandförderungsgesetzes ("in einer Betriebsstätte im Zonenrandgebiet") oder auch in § 2 Satz 1 Nr. 2 InvZulG 1991 (Verbleiben "in einer Betriebsstätte im Fördergebiet"). Der Senat hat diesen unterschiedlichen Regelungen auch schon früher entscheidende Bedeutung beigemessen (s. z. B. die Urteile in BFHE 145, 479, BStBl II 1986, 150, und in BFH/NV 1992, 340).

Entgegen der Auffassung des FG läßt sich auch dem Sinn und Zweck des § 1 InvZulG 1986 nicht entnehmen, daß ein Anlegen der strengen Maßstäbe an die räumliche Verbundenheit des Wirtschaftsguts mit der ursprünglichen Betriebsstätte dann nicht gerechtfertigt ist, wenn - wie im Streitfall - Wirtschaftsgüter innerhalb der Verbleibensfrist über die Gemeindegrenzen hinweg in eine andere Betriebsstätte des Investors überführt werden, für die ebenfalls eine Bescheinigung nach § 2 InvZulG 1986 vorliegt.

Sinn und Zweck des § 1 InvZulG 1986 sprechen vielmehr für die Auffassung des erkennenden Senats. Mit der Zulagengewährung nach dieser Vorschrift sollte - wie nach den entsprechenden Vorschriften in den Fassungen des InvZulG ab 1969 - zu einer durchgreifenden Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur beigetragen werden. Es sollten vor allem zusätzliche Arbeitsplätze im Zonenrandgebiet und in anderen konjunkturschwachen Gebieten geschaffen werden (vgl. BTDrucks V/3890, S. 18 zum im wesentlichen inhaltsgleichen § 1 InvZulG 1969; BTDrucks X/4297, S. 5). Dieses Ziel läßt sich im allgemeinen nur dann erreichen, wenn die fraglichen Wirtschaftsgüter während einer gewissen Dauer - nach den Vorstellungen des Gesetzgebers zumindest für drei Jahre - tatsächlich in der errichteten oder erweiterten Betriebsstätte zur Verfügung stehen, deren Förderungswürdigkeit die Wirtschaftsbehörde geprüft und bescheinigt hat. Die Erteilung der Bescheinigung durch die Wirtschaftsbehörde ist an die Erwartung geknüpft, daß die zu fördernde Betriebsstätte auf Dauer Bestand haben wird. Dies ergibt sich auch aus § 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 InvZulG 1986 (der im Streitfall offensichtlich Grundlage für die Erteilung der ersten Bescheinigung durch das BAW für die Betriebserrichtung in K war).

Die Bescheinigung nach § 2 InvZulG 1986 darf ferner nur dann erteilt werden, wenn das Investitionsvorhaben den Zielen und Grundsätzen der Raumordnung und Landesplanung entspricht. Die Investitionszulage nach § 1 Abs. 1 und 2 InvZulG 1986 ist Bestandteil der regionalen Wirtschaftspolitik. Sie ist auf den Ausgleich von Standortnachteilen gerichtet und insoweit ein Instrument zur Verbesserung der Wirtschaftsstruktur ganz bestimmter Regionen und Orte. Bei der Beurteilung, ob das Investitionsvorhaben strukturverbessernd wirkt, ist auf den jeweiligen (regionalen) Wirtschaftsraum abzustellen, in dem es verwirklicht werden soll. Es liegt im Rahmen dieser Zielsetzung, wenn die Förderung nach § 1 InvZulG 1986 nur derjenige erhält und behalten darf, der in einer ganz bestimmten Gemeinde investiert und dadurch - zumindest während dreier Jahre - die Wirtschaftskraft dieser Gemeinde stärkt. Dem entspricht auch die Regelung in § 2 Abs. 5 Satz 1 InvZulG 1986, nach der die Erteilung der Bescheinigung durch das BAW davon abhängt, daß das Investitionsvorhaben nach Lage, Art und Umfang hinreichend bestimmt ist.

Die Auffassung des Senats wird auch im Schrifttum - soweit es sich mit dem Problem der Betriebsstättenverlagerung befaßt - geteilt (s. z. B. Richter, Investitionszulagen, 2. Aufl., Tz. 217; Dankmeyer in Blümich, Einkommensteuergesetz, Körperschaftsteuergesetz, Gewerbesteuergesetz, 14. Aufl., § 1 InvZulG Anm. 72; Zitzmann in Betriebs-Berater 1986, 230, 232, der in der Einfügung des § 1 Abs. 1 Satz 2 InvZulG 1986 auch eine Erleichterung bei der Verbleibensvoraussetzung sieht, d. h. die Verbringung eines Wirtschaftsguts in eine andere Gemeinde für wohl zulagenschädlich hält).

Die Vorentscheidung war aufzuheben, da sie auf einer abweichenden Rechtsauffassung beruht. Die Sache ist entscheidungsreif. Da das FA die Investitionszulage zu Recht zurückgefordert hat, war die Klage abzuweisen.