| Home | Index | EStG | Neuzugang | Impressum  
       

 

 

 

 

 

  BFH-Urteil vom 2.10.1992 (VI R 11/91) BStBl. 1993 II S. 113

Ein Arbeitnehmer kann Aufwendungen für eine am Arbeitsort angemietete Unterkunft auch dann nicht neben den Aufwendungen für sämtliche Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte (§ 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG) als Werbungskosten geltend machen, wenn er an bestimmten Tagen nur deshalb nicht zu seiner (Erst-)Wohnung zurückgefahren ist, weil er sich in Rufbereitschaft zu halten oder mehrere Schichten abzuleisten hatte (Fortführung der Rechtsprechung in BFH-Urteil vom 9. Juni 1988 VI R 85/85, BFHE 154, 59, BStBl II 1988, 990).

EStG § 9 Abs. 1 Satz 1, Satz 3 Nrn. 4, 5 und 6.

Vorinstanz: Hessisches FG

Sachverhalt

I.

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) war im Streitjahr 1987 als Soldat der Bundeswehr (im Range eines Oberleutnants) im Schichtdienst der Flugsicherung tätig. Seine Dienststelle lag 75 km von dem Ort entfernt, an dem er mit seiner Familie (Ehefrau und zwei minderjährige Kinder) wohnte. In seiner Einkommensteuererklärung 1987 machte er Aufwendungen für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte geltend (0,36 DM/km und Tag 75 km 183 Tage = 4.941 DM). Außerdem beantragte er den Abzug von Mietkosten in Höhe von 1.404 DM. Dieser Betrag war ihm von seinem Gehalt einbehalten worden als Entgelt für die Überlassung eines am Dienstort gelegenen Zimmers. Nach einer Bescheinigung des Flugplatzkommandanten war er gehalten, für die Zeiten, an denen die kurzfristige Erreichbarkeit gewährleistet sein mußte (Rufbereitschaft bei Alarmierung), und für Tage, an denen mehrere Schichten zu leisten waren (Früh- und Nachtschicht bzw. Spät- und Frühschicht), sich eine entsprechende Unterkunft zu besorgen, mit dem Hinweis darauf, daß "die Entfernung zwischen Arbeitsstätte und Wohnung 75 km beträgt". Nach seinen Angaben hatte der Kläger die Unterkunft im Streitjahr nur an 84 Tagen (bei 224 Arbeitstagen insgesamt) genutzt.

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) ließ die geltend gemachten Mietkosten mit der Begründung nicht zum Werbungskostenabzug zu, nach dem Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 9. Juni 1988 VI R 85/85 (BFHE 154, 59, BStBl II 1988, 990) dürften Aufwendungen für eine Unterkunft am Arbeitsort nicht zusätzlich neben Aufwendungen für Fahrten zwischen (weiter entfernt liegender) Wohnung und Arbeitsstätte als Werbungskosten abgezogen werden. Der Einspruch des Klägers hatte keinen Erfolg.

Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt. Zur Begründung führte es im wesentlichen aus: Der Streitfall dürfe nicht dem Urteil in BFHE 154, 59, BStBl II 1988, 990 entsprechend allein unter dem Gesichtspunkt der doppelten Haushaltsführung gewürdigt werden. Aufgrund der Besonderheiten des vorliegenden Falles seien nach Auffassung des Gerichts die durch die Anmietung des Zimmers entstandenen Kosten als Aufwendungen für ein Arbeitsmittel zu behandeln. Entscheidend sei, daß dem Kläger von seinem Vorgesetzten zur Auflage gemacht worden sei, am Dienstort eine Unterkunft zu unterhalten, um so zu bestimmten Zeiten abrufbereit zu sein. Insofern unterscheide sich der Streitfall von dem Sachverhalt, der dem Urteil in BFHE 154, 59, BStBl II 1988, 990 zugrunde gelegen habe. Dort habe der Steuerpflichtige freiwillig eine ganzjährige Unterkunft gemietet. Der Kläger hingegen habe die Unterkunft am Dienstort nur dann genutzt, wenn seine Einsatzbereitschaft aus dienstlichen Gründen erforderlich gewesen sei. Mit dieser Nutzung habe er einen Teil der von ihm zu erbringenden Dienstpflichten erfüllt. Private Gründe hätten keine - allenfalls eine nur untergeordnete - Rolle gespielt.

Mit der Revision rügt das FA - sinngemäß - Verletzung des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 6 des Einkommensteuergesetzes (EStG).

Es beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision des FA ist begründet. Das angefochtene Urteil war aufzuheben und die Klage abzuweisen (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

1. Das FG hat zu Unrecht entschieden, daß der Kläger neben den Aufwendungen für 183 Fahrten zwischen Familienwohnung und Dienststelle weitere Aufwendungen für eine Unterkunft am Arbeitsort als Werbungskosten bei seinen Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit abziehen kann.

a) Nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG zählen zu den Werbungskosten auch Aufwendungen für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte. Nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 EStG rechnen zu den Werbungskosten ferner notwendige Mehraufwendungen, die einem Arbeitnehmer wegen einer aus beruflichem Anlaß begründeten doppelten Haushaltsführung entstehen, wobei Aufwendungen für Fahrten vom Beschäftigungsort zum Ort des eigenen Hausstandes und zurück (Familienheimfahrten) jeweils nur für eine Familienheimfahrt wöchentlich als Werbungskosten abgezogen werden können.

Wie der Senat in seinem Urteil in BFHE 154, 59, BStBl II 1988, 990 entschieden hat, kann ein Arbeitnehmer, der nicht am Ort der Familienwohnung arbeitet und am Arbeitsort eine zweite Wohnung gemietet hat, wählen, ob er die Aufwendungen für sämtliche Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte oder die notwendigen Mehraufwendungen aus Anlaß der doppelten Haushaltsführung (nur eine Familienheimfahrt pro Woche, Unterkunftskosten, Verpflegungsmehraufwendungen) als Werbungskosten geltend machen will.

Im Streitfall sind die Beteiligten zutreffend davon ausgegangen, daß die Voraussetzungen für den Abzug der durch die Fahrten zwischen Familienwohnung und Dienststelle angefallenen Kosten vorlagen. Daß der Kläger im Rahmen seines Wahlrechts diese Kosten geltend machen wollte, wird von keiner Seite bestritten.

Der Abzug von Aufwendungen für die Anmietung einer Unterkunft am Dienstort wäre nur dann möglich gewesen, wenn der Kläger seine Wahl dahin getroffen hätte, statt der vorgenannten Fahrtkosten Mehraufwendungen wegen doppelter Haushaltsführung geltend zu machen. Die Voraussetzungen einer doppelten Haushaltsführung waren gegeben.

Eine doppelte Haushaltsführung liegt vor, wenn der Arbeitnehmer außerhalb des Orts, an dem er einen eigenen Hausstand unterhält, beschäftigt ist und auch am Beschäftigungsort wohnt (§ 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 EStG). Hierfür ist es nicht erforderlich, daß der Arbeitnehmer die Mehrzahl der Wochentage in der Wohnung am Arbeitsort anwesend ist und dort übernachtet. Es genügt, daß er die Wohnung fest angemietet hat und diese ihm jederzeit zur Verfügung steht (Urteil in BFHE 154, 59, BStBl II 1988, 990). Wenn der Kläger vorbringt, er habe das ihm an der Dienststelle zur Verfügung gehaltene Zimmer im Streitjahr nur an 84 Tagen tatsächlich genutzt, so steht dies der Annahme einer doppelten Haushaltsführung somit nicht entgegen.

Es kommt auch nicht darauf an, wie die am Arbeitsort unterhaltene (Zweit-)Wohnung nach Art, Größe und Einrichtung beschaffen ist. Ein doppelter Haushalt kann geführt werden beispielsweise in einer Unterkunft auf einem Schiff, in einem Gleisbauzug der Deutschen Bundesbahn, in einer Massenunterkunft, in einem möblierten Zimmer oder in einer Kaserne (vgl. die Nachweise bei v. Bornhaupt in Kirchhof/Söhn, Einkommensteuergesetz, § 9 Rdnr. G 51).

Ein "Wohnen" im Sinne der v. g. Rechtsprechung wäre allerdings nicht anzunehmen, wenn das Aufhalten in der Unterkunft am Arbeitsort das Verrichten von Arbeit darstellen würde. Dies trifft für den Streitfall jedoch nicht zu. Während der Rufbereitschaft hatte der Kläger keinen Dienst zu verrichten. Er war lediglich insoweit in der Verfügungsmöglichkeit über seine freie Zeit beschränkt, als er Vorsorge treffen mußte, für den Fall eines Rufes den Dienst kurzfristig antreten zu können. Daß der Kläger in der Zeit zwischen zwei (an einem Tag abzuleistenden) Schichten keinen Dienst verrichtet hat, bedarf keiner weiteren Begründung.

b) Das Begehren des Klägers, neben den Fahrtkosten auch die Mietkosten für die Unterkunft an der Dienststelle als Werbungskosten abzuziehen, kann nicht auf den Grundtatbestand in § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG gestützt werden. Zwar wären dem Grunde nach die - von der Rechtsprechung entwickelten - Voraussetzungen zu dieser Vorschrift erfüllt, da es sich hier um Aufwendungen handelt, die durch den Beruf des Klägers veranlaßt sind (vgl. BFH-Urteil vom 28. November 1980 VI R 193/77, BFHE 132, 431, BStBl II 1981, 368). Die Anmietung des Zimmers am Dienstort war (zumindest auch) durch die Verpflichtung zum Rufbereitschaftsdienst und zum Schichtdienst verursacht. Dennoch darf § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG nicht angewendet werden, weil dieser Vorschrift die Regelungen in § 9 Abs. 1 Satz 3 Nrn. 4 und 5 EStG und das damit verbundene Wahlrecht (vgl. vorstehend Abschn. a) jeweils als "lex specialis" im Range vorgehen (vgl. v. Bornhaupt, a. a. O., § 9 Rdnr. A 21; Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz mit Nebengesetzen, Kommentar, 19. Aufl., § 9 EStG Anm. 350). Für dieses Verständnis der systematischen Zusammenhänge spricht auch die Rechtsentwicklung. Mit Urteil vom 18. Februar 1966 VI 219/64 (BFHE 86, 39, BStBl III 1966, 386) hatte der BFH entschieden, daß ein Arbeitnehmer im Rahmen der (damals gesetzlich noch nicht geregelten) doppelten Haushaltsführung neben den Kosten für die Unterkunft am Arbeitsort auch die Aufwendungen für Familienheimfahrten ohne zahlenmäßige Begrenzung geltend machen könne. Daraufhin wurde durch das Steuerreformgesetz 1966 vom 23. Dezember 1966 (BGBl I 1966, 702, BStBl I 1967, 2) die doppelte Haushaltsführung erstmals gesetzlich geregelt, wobei die Abziehbarkeit der Aufwendungen für Familienheimfahrten auf eine Fahrt pro Woche beschränkt wurde. Hieraus wird der gesetzgeberische Wille deutlich, bei einer steuerlich anzuerkennenden doppelten Haushaltsführung den Umfang der abziehbaren Aufwendungen auf ein bestimmtes Maß zu begrenzen. Der - oben dargestellte - gesetzliche Vorrang der Regelungen in § 9 Abs. 1 Satz 3 Nrn. 4 und 5 EStG gilt auch gegenüber dem Tatbestand des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 6 EStG (Werbungskosten-Abzug für Arbeitsmittel) und schließt damit - entgegen den Gründen des FG-Urteils - die Anwendung der letztgenannten Vorschrift von vornherein aus.