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  BFH-Beschluß vom 29.7.1992 (I B 44/92) BStBl. 1993 II S. 129

Es ist ernstlich zweifelhaft, ob die zwischen zwei Schwesterkapitalgesellschaften vollzogene Verschmelzung durch Aufnahme ohne Kapitalerhöhung gemäß § 19 KapErhG eine nach § 2 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. c KVStG 1986 steuerpflichtige Leistung ist.

KVStG 1986 § 2 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. c, § 4, § 7 Abs. 4 Nr. 3; KapErhG § 19.

Vorinstanz: FG Berlin

Sachverhalt

I.

Die Antragstellerin und Beschwerdeführerin (Antragstellerin) ist eine GmbH, deren Stammkapital 4 Mio. DM beträgt. Die an der Antragstellerin bestehenden Geschäftsanteile liegen im Vermögen der S-GbR, die vor dem 10. Mai 1988 bzw. vor dem 1. Juli 1988 auch alle Geschäftsanteile an der F-GmbH und an der W-GmbH hielt.

Am 10. Mai 1988 schlossen die Antragstellerin und die F-GmbH einen Verschmelzungsvertrag i. S. des § 19 des Gesetzes über die Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln und über die Gewinn- und Verlustrechnung (KapErhG) dahingehend, daß die F-GmbH ihr Vermögen als Ganzes mit allen Rechten und Pflichten unter Ausschluß der Abwicklung gemäß § 19 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 KapErhG auf die Antragstellerin mit Wirkung vom 1. Februar 1988 übertrug (Verschmelzung durch Aufnahme). Die Verschmelzung war mit keiner Kapitalerhöhung verbunden. Am 1. Juli 1988 schlossen die Antragstellerin und die W-GmbH einen im wesentlichen gleichlautenden Vertrag. Den Verträgen stimmte die S-GbR als jeweilige Alleingesellschafterin der vertragsschließenden Gesellschaften gemäß § 20 KapErhG zu.

Der Antragsgegner und Beschwerdegegner (das Finanzamt - FA -) behandelte die Übertragung der Vermögen der beiden Kapitalgesellschaften als zwei gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. c des Kapitalverkehrsteuergesetzes (KVStG 1972) gesellschaftsteuerpflichtige Leistungen. Es setzte mit Bescheid vom 20. Februar 1991 Gesellschaftsteuer in Höhe von 1 v. H. von 110.132.000 DM = 1.101.320 DM fest. Über den von der Antragstellerin eingelegten Einspruch ist - soweit bekannt - noch nicht entschieden.

Die Antragstellerin beantragte beim Finanzgericht (FG) die Aussetzung der Vollziehung des Bescheides vom 20. Februar 1991, nachdem das FA einen zuvor bei ihm gestellten Antrag abgelehnt hatte. Das FG wies den Antrag als unbegründet zurück. Es ließ die Beschwerde zu.

Mit ihrer Beschwerde, der das FG nicht abgeholfen hat, verfolgt die Antragstellerin ihr Aussetzungsbegehren weiter.

Sie beantragt, den Beschluß des FG Berlin vom 28. Januar 1992 VII 352/91 zu ändern und die Vollziehung des Gesellschaftsteuerbescheides auszusetzen.

Das FA beantragt, die Beschwerde als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II.

Die Beschwerde ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zu einer Sachentscheidung des Senats entsprechend dem Antrag der Antragstellerin.

1. Gemäß § 69 Abs. 3 i. V. m. Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) kann das FG die Vollziehung eines Steuerbescheides ganz oder teilweise aussetzen. Auf Antrag soll die Vollziehung ausgesetzt werden, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Steuerbescheides bestehen (§ 69 Abs. 2 Satz 2 FGO). Ernstliche Zweifel sind anzunehmen, wenn neben für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige gegen sie sprechende Gesichtspunkte zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung von Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung von Tatsachenfragen auslösen (ständige höchstrichterliche Rechtsprechung seit dem Beschluß des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 10. Februar 1967 III B 9/66, BFHE 87, 447, BStBl III 1967, 182). Für den Streitfall bestehen Unsicherheiten in der Beurteilung von Rechtsfragen.

2. Nach § 2 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. c KVStG 1972 unterliegt die Überlassung von Gegenständen an die Gesellschaft zu einer den Wert nicht erreichenden Gegenleistung der Gesellschaftsteuer, wenn es sich um eine freiwillige Leistung des Gesellschafters handelt. Der Senat hält es im Streitfall für ernstlich zweifelhaft, ob eine Leistung des Gesellschafters (S-GbR) der Antragstellerin angenommen werden kann. Das von der Antragstellerin erworbene Vermögen ging auf sie im Wege der Gesamtrechtsnachfolge über (vgl. Bartl/Henkes/Schlarb, GmbH-Recht, 3. Aufl., § 19 KapErhG, Rdnr. 58). Grundlage des Vermögensüberganges waren die Verschmelzungsverträge vom 10. Mai 1988 und vom 1. Juli 1988. Diese Verträge wurden jedoch von der Antragstellerin einerseits und den übertragenden Gesellschaften andererseits abgeschlossen. Zwar mußte die Gesellschafterin der Antragstellerin dem Verschmelzungsvertrag zustimmen (§ 20 Abs. 1 KapErhG). Für die Zustimmung reichte jedoch eine Mehrheit von drei Viertel der abgegebenen Stimmen (§ 20 Abs. 2 KapErhG). Dies zeigt, daß die Leistungen der übertragenden Gesellschafter nicht zwangsläufig auch als Leistungen ihrer Gesellschafter behandelt werden dürfen. Die Zustimmung der Gesellschafter gemäß § 20 Abs. 1 KapErhG ist deshalb keine Leistung i. S. des § 2 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. c KVStG 1972.

3. Allerdings wird nach § 4 KVStG 1972 die Steuerpflicht nicht dadurch ausgeschlossen, daß die Leistung i. S. des § 2 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. c KVStG 1972 nicht von den Gesellschaftern, sondern von einer Personenvereinigung bewirkt wird, an der die Gesellschafter als Mitglied beteiligt sind. Nach dem Wortsinn des § 4 KVStG 1972 ist eine Personenvereinigung ein Rechtsgebilde, das auf einem Zusammenschluß einer Mehrheit natürlicher und/oder juristischer Personen beruht (vgl. BFH-Urteile vom 28. November 1967 II 110/62, BFHE 91, 132, BStBl II 1968, 216; vom 14. Dezember 1988 I R 397/83, BFHE 155, 414, BStBl II 1989, 317). In diesem Sinne waren auch die F-GmbH und die W-GmbH Personenvereinigungen.

Bei der Auslegung des § 4 KVStG 1972 ist jedoch zu beachten, daß die Richtlinie vom 17. Juli 1969 69/335/EWG (Amtsblatt vom 3. Oktober 1969 Nr. L 249/25) keine entsprechende Regelung enthält. Dem Gebot, § 4 KVStG 1972 richtlinienkonform anzuwenden, kann deshalb nur dann Rechnung getragen werden, wenn die Vorschrift einschränkend dahin ausgelegt wird, daß die Leistung der Personenvereinigung durch die Stellung der an ihr beteiligten Mitglieder (Gesellschafter) veranlaßt sein muß (vgl. Egly/Klenk, Gesellschaftsteuer, 4. Aufl., Rdnr. 228). Die Personenvereinigung muß im Interesse ihrer Mitglieder (Gesellschafter) leisten. Diese Voraussetzung ist bei einem Verschmelzungsvertrag nicht notwendigerweise erfüllt. Die Verschmelzung ist ein besonderer organisationsrechtlicher Akt, dessen Veranlassung in der Regel in der Zusammenführung der Kapitalgesellschaften selbst liegt. Dies dürfte auch der Grund sein, weshalb im Schrifttum die Verschmelzung gemäß § 344 des Aktiengesetzes (AktG) ohne Erhöhung des Grundkapitals als ein nicht gesellschaftsteuerbarer Vorgang beurteilt wird (vgl. Brönner/Kamprad, Kapitalverkehrsteuergesetz, 4. Aufl., § 2 Rdnr. 15). Jedenfalls besteht für eine Anwendung des § 4 KVStG 1972 so lange keine Veranlassung, als das FG in tatsächlicher Hinsicht keine Feststellungen darüber getroffen hat, daß die Vermögensübertragungen durch die Stellung der S-GbR als Gesellschafterin der Antragstellerin veranlaßt waren.

4. Selbst wenn sich im weiteren Verlauf des Verfahrens ergeben sollte, daß § 4 i. V. m. § 2 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. c KVStG 1972 anwendbar ist, bestehen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Gesellschaftsteuerbescheides. Die Zweifel betreffen die analoge Anwendung des § 7 Abs. 4 Nr. 3 KVStG 1986. Zwar hat das FG zutreffend darauf hingewiesen, daß die Vorschrift nach ihrem Gesetzeswortlaut einen Rechtsvorgang i. S. des § 2 Abs. 1 Nr. 1 KVStG 1972 voraussetzt und ein solcher Rechtsvorgang im Streitfall nicht gegeben ist. Zu beachten ist jedoch, daß eine Verschmelzung gemäß § 19 KapErhG in der Regel mit einer Kapitalerhöhung und der Ausgabe neuer Gesellschaftsanteile verbunden wird. Insoweit ist der Streitfall die Ausnahme von einer allgemeinen Regel. Möglicherweise hat der Gesetzgeber den Ausnahmefall nicht gesehen, als er § 9 Abs. 2 Nr. 3 KVStG 1972 bzw. § 7 Abs. 4 Nr. 3 KVStG 1986 in das Gesetz aufnahm. Für diese Möglichkeit spricht nicht zuletzt die Tatsache, daß die Vorschriften der Umsetzung von Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 69/335/EWG dienten bzw. dienen. Nach Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie kann aber die dort vorgesehene Steuerermäßigung auf alle nach Art. 4 der Richtlinie steuerbaren Vorgänge gewährt werden. Auch im übrigen macht es keinen Sinn, die Verschmelzung durch Aufnahme gesellschaftsteuerrechtlich unterschiedlich zu behandeln je nachdem, ob sie mit einer oder ohne Kapitalerhöhung durchgeführt wird. Der Tatbestand der Kapitalzufuhr ist in beiden Fällen der gleiche. Dies zwingt dazu, eine Gesetzeslücke in Erwägung zu ziehen, die durch die analoge Anwendung des § 7 Abs. 4 Nr. 3 KVStG 1986 auf den Streitfall zu schließen ist.

5. Ob die aufgezeigten Zweifel letztlich zugunsten der Antragstellerin durchgreifen, ist nur im Hauptsacheverfahren zu entscheiden. Die bestehenden Zweifel sind jedenfalls so gewichtig, daß sie die Aussetzung der Vollziehung des angefochtenen Gesellschaftsteuerbescheides entsprechend dem Antrag der Antragstellerin rechtfertigen. Deshalb war die Vorentscheidung aufzuheben. Die Aussetzung der Vollziehung war antragsgemäß zu verfügen. Von der Erhebung der Säumniszuschläge ist ab Fälligkeit abzusehen.