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  BFH-Urteil vom 19.1.1990 (III R 115/84) BStBl. 1993 II S. 136

Erwirbt ein Unternehmer teilfertige Gebäude in Berlin (West) und stellt er die Bauwerke alsbald nach dem Erwerb unter Aufwendung erheblicher weiterer Kosten fertig, so kann ihm die Investitionszulage nach § 19 BerlinFG auch insoweit gewährt werden, als ihm Aufwendungen für den Erwerb der unfertigen Gebäude (Rohbauten) entstanden sind und diese beim Veräußerer Herstellungskosten waren.

BerlinFG vom 22. Dezember 1978 § 19 (BGBl I, S. 1, BStBl I 1979, S. 3).

Vorinstanz: FG Köln

Sachverhalt

I.

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), eine GmbH, hat in A ihren Sitz und unterhält in Berlin (West) eine Betriebsstätte zur Herstellung von .....-erzeugnissen. Am 31. Oktober 1978 erwarb sie von der Firma B-KG (KG) - einem verbundenen Unternehmen - u. a. einige im Bau befindliche Gebäude in Berlin (West). Als Kaufpreis wurden die bis zur Übertragung angefallenen Kosten in Höhe von 3.589.192,66 DM berechnet; die Betriebsgebäude wurden anschließend von der Klägerin selbst fertiggestellt.

Am 27. August 1979 stellte die Klägerin bei dem Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt - FA -) einen Antrag auf Gewährung einer Investitionszulage nach § 19 des Berlinförderungsgesetzes (BerlinFG) für das Kalenderjahr 1978. Dieser Antrag umfaßte u. a. die von ihr aufgewandten Teilherstellungskosten und Abschlagszahlungen von der Übernahme der Bauwerke an bis zum Jahresende. Bald darauf erweiterte die Klägerin ihren ursprünglichen Antrag um die bis zum 31. Oktober 1978 angefallenen Herstellungskosten der KG (Verkäuferin) in Höhe von 3.589.192,66 DM.

Das FA gewährte eine Investitionszulage jedoch nur für die von der Klägerin in der Zeit vom 1. November bis zum 31. Dezember 1978 selbst aufgewandten Fertigstellungskosten in Höhe von 15 v. H. von 2.146.975 DM. Die der Klägerin als Kaufpreis berechneten Kosten blieben unter Hinweis auf Tz. 47 des Schreibens des Bundesministers der Finanzen (BMF) vom 5. Mai 1977 (BStBl I 1977, 246) außer Ansatz, weil das Gesetz nur die Herstellung, nicht aber den Erwerb der abnutzbaren unbeweglichen Anlagegüter begünstige.

Die dagegen erhobene Sprungklage hatte keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) vertrat die Auffassung, die Klägerin habe keine Herstellungskosten aufgewandt, Anschaffungskosten seien aber nach § 19 BerlinFG nicht begünstigt; wer ein Wirtschaftsgut anschaffe, könne es nicht zugleich hergestellt haben. Anschaffungs- und Herstellungsvorgang seien personenbezogen zu verstehen. Das Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 19. Juli 1979 IV R 235/75 (BFHE 128, 448, BStBl II 1980, 3) sei im Streitfall nicht anwendbar, denn es sei ausschließlich zu dem Begriff der Herstellung in § 14 des Berlinhilfegesetzes (BHG) vom 19. August 1964 (BGBl I, 674, BStBl I 1964, 509) ergangen.

Dagegen richtet sich die Revision, mit der die Klägerin die Verletzung des § 19 BerlinFG rügt. Sie ist der Auffassung, die enge Verknüpfung des § 19 BerlinFG mit § 14 BHG gebiete eine Anwendung der Grundsätze, die der BFH in seinem Urteil in BFHE 128, 448, BStBl II 1980, 3 dargelegt habe.

Die Klägerin beantragt, das Urteil des FG vom 26. Juni 1984 aufzuheben und den Bescheid über die Festsetzung einer Investitionszulage nach § 19 BerlinFG für das Kalenderjahr 1978 vom 24. Januar 1980 in der Weise zu ändern, daß die Zulage um 538.378,95 DM erhöht wird.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

1. Nach § 19 Abs. 1 BerlinFG in der für das Streitjahr geltenden Fassung können Steuerpflichtige, die in Berlin (West) einen Betrieb haben, für abnutzbare Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens eine Investitionszulage in Höhe von 15 v. H. der Herstellungskosten der im Kalenderjahr hergestellten abnutzbaren unbeweglichen Wirtschaftsgüter erhalten (§ 19 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 BerlinFG). § 19 Abs. 2 Satz 4 BerlinFG setzt weiter voraus, daß eine Investitionszulage für abnutzbare unbewegliche Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens nur gewährt wird, wenn die unbeweglichen Anlagegüter in Berlin (West) errichtet werden und im übrigen die Voraussetzungen des § 14 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 a BerlinFG erfüllt sind.

2. Die Investitionszulage nach § 19 BerlinFG kann im Falle des Erwerbs eines teilfertigen Gebäudes auch für die vom Erwerber übernommenen Herstellungskosten des Bauherrn und Veräußerers gewährt werden, ungeachtet dessen, ob es sich für den Erwerber insoweit um Anschaffungskosten des noch nicht fertiggestellten Gebäudes im Sinne des Einkommensteuerrechts handelt.

Der IV. Senat des BFH hat in seinem Urteil in BFHE 128, 448, BStBl II 1980, 3 entschieden, daß dem Erwerber eines halbfertigen Gebäudes eine Sonderabschreibung nach § 14 BHG auch für die von ihm aufgewendeten "Anschaffungs"-kosten zu gewähren ist. Zur Begründung dieser Auffassung hat der IV. Senat unter Hinweis auf seine Rechtsprechung (Urteil vom 21. April 1966 IV 278/65, BFHE 86, 24, BStBl III 1966, 354) ausgeführt, bei Gebäuden stünden die erhöhten Absetzungen zwar nur deren Herstellern zu, weil dies der Zielsetzung der Berlinförderung - einen Anreiz zur Errichtung neuer Betriebsgebäude zu schaffen - entspreche, die Begünstigung von Anschaffungskosten aber unerwünschte Nebenwirkungen haben könnte. Diese Auslegung schließe indessen nicht aus, die Kosten für den Erwerb eines im Bau befindlichen und später vom Erwerber vollendeten Bauwerks als Herstellungskosten i. S. des § 14 BHG anzusehen (Urteil in BFHE 128, 448, BStBl II 1980, 3). Der BMF hat angeordnet, dieses Urteil über den entschiedenen Einzelfall nicht anzuwenden (Schreiben des BMF vom 16. Juni 1982, BStBl I 1982, S. 569, Tz. 87).

3. Der erkennende Senat folgt dieser Rechtsprechung im Grundsatz auch für die Auslegung des § 19 BerlinFG. Dafür sind folgende Erwägungen maßgebend:

a) Herstellungskosten sind nach § 255 Abs. 2 Satz 1 des Handelsgesetzbuches (HGB) die Aufwendungen, die durch den Verbrauch von Gütern und die Inanspruchnahme von Diensten für die Herstellung eines Vermögensgegenstandes, seine Erweiterung oder für eine über seinen ursprünglichen Zustand hinausgehende wesentliche Verbesserung entstehen. Anschaffungskosten sind hingegen die Aufwendungen, die geleistet werden, um einen Vermögensgegenstand zu erwerben und ihn in einen betriebsbereiten Zustand zu versetzen (§ 255 Abs. 1 Satz 1 HGB). Unzweifelhaft hat die KG bis zur Veräußerung der teilfertigen Gebäude Herstellungskosten aufgewendet, die unter den Voraussetzungen des § 19 Abs. 3 Satz 1 BerlinFG als Teilherstellungskosten zulagefähig waren. Zweifelhaft ist indessen, ob die Klägerin bei Erwerb der teilfertigen Gebäude Anschaffungskosten für einen Vermögensgegenstand bzw. für ein Wirtschaftsgut im Sinne der genannten Legaldefinition hatte. Jedenfalls waren die noch nicht fertiggestellten Bauwerke im Veräußerungszeitpunkt entgegen der Auffassung des FG und ungeachtet ihrer Aktivierung als Anlagen im Bau (§ 266 Abs. 2 HGB; vgl. auch Schmidt, Einkommensteuergesetz, 8. Aufl., 1989, § 5 Anm. 31 "Unfertige Erzeugnisse, unfertige Leistungen") noch keine abnutzbaren Wirtschaftsgüter i. S. des § 19 Abs. 1 und 2 BerlinFG.

Der IV. Senat des BFH hat hierzu ausgeführt, daß die Schaffung eines bis dahin noch nicht bestehenden Wirtschaftsguts in vielen Fällen die "Anschaffung" von Material und dergleichen voraussetze und daß auch die dafür entstehenden Kosten zu den "Herstellungskosten" gehörten; bei Gebäuden gelte dies für die Kosten von Fertigbauteilen ebenso wie für die eines bereits halbfertigen Gebäudes (Urteil in BFHE 128, 448, BStBl II 1980, 3). Allerdings hat der VIII. Senat des BFH in seinem Urteil vom 22. April 1980 VIII R 149/75 (BFHE 130, 391, BStBl II 1980, 441) entschieden, daß ein Steuerpflichtiger durch seinen Beitritt zu einer Herstellergemeinschaft nicht nachträglich Hersteller, sondern nur Erwerber hinsichtlich bereits verwirklichter Bauabschnitte werden könne. Der VIII. Senat des BFH hat darin eine Abweichung von der Entscheidung des BFH in BFHE 128, 448, BStBl II 1980, 3 gesehen, der der IV. Senat auf Anfrage zugestimmt hat, soweit davon die Auslegung des § 14 BHG nicht betroffen wird.

b) Die Entscheidung der Frage, ob übernommene Herstellungskosten einkommensteuerrechtlich zu Anschaffungskosten bei dem Erwerber einer im Bau befindlichen Anlage werden, kann jedoch im Streitfall dahinstehen. Denn selbst wenn es sich bei diesen Aufwendungen entgegen dem Urteil des BFH in BFHE 128, 448, BStBl II 1980, 3 um Anschaffungskosten handeln würde, wäre diese Investition zulagebegünstigt. Zu diesem Ergebnis gelangt der Senat aufgrund einer Auslegung nach dem möglichen Wortsinn und dem Zweck des § 19 BerlinFG, so daß es im Streitfall auf die Rechtsprechung des VIII. Senats zu dem einkommensteuerrechtlichen Begriff des Bauherrn (BFHE 130, 391, BStBl II 1980, 441, mit weiteren Nachweisen) nicht ankommen kann.

c) Aus § 19 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 BerlinFG ergibt sich, daß allein Herstellungskosten begünstigt sind, denn danach beträgt die Investitionszulage 15 v. H. der Summe der Herstellungskosten der im Kalenderjahr hergestellten abnutzbaren unbeweglichen Wirtschaftsgüter. Aus § 19 Abs. 2 Satz 4 Nr. 1 BerlinFG folgt weiter, daß die unbeweglichen Wirtschaftsgüter in Berlin (West) errichtet werden müssen. Der mögliche Wortsinn dieser Regelungen schließt jedoch entgegen der Auffassung des FA (vgl. auch BMF-Schreiben in BStBl I 1982, S. 569, Tz. 87) nicht aus, daß ein anderer als der Anspruchsberechtigte einen Teil der Herstellungskosten aufgewendet hat. Die Vorschrift gibt auch keinen Anhalt für eine "personenbezogene Sicht" des Begriffs der Herstellung, von der das FG ausgegangen ist. Für die Frage, wer als Hersteller eines Gebäudes anzusehen ist, kommt es vielmehr entscheidend darauf an, wer es fertiggestellt hat (Urteil in BFHE 128, 448, BStBl II 1980, 3). Das ergibt sich aus § 9 a der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung (EStDV), auf den auch der BMF in seinem Schreiben vom 16. Juni 1982 verweist (BStBl I 1982, S. 569, Tz. 15).

d) Läßt der mögliche Wortsinn danach mehrere Auslegungsmöglichkeiten zu, so sind Begünstigungsvorschriften - anders als steuerbegründende Normen - nicht buchstäblich eng, sondern unter sinnvoller Würdigung des mit ihnen verfolgten Zwecks auszulegen (BFH-Urteil vom 8. November 1977 VIII R 110/76, BFHE 123, 560, BStBl II 1978, 82). Bei der Anwendung einkommensteuerrechtlicher Begriffe im Zulagerecht hat sich der Senat zwar grundsätzlich an das Einkommensteuergesetz (EStG) angelehnt (zuletzt BFH-Urteil vom 15. Juli 1983 III R 27/80, BFHE 139, 116, 118, BStBl II 1983, 689, m. w. N.); er hat jedoch in ständiger Rechtsprechung auch betont, daß der Zweck der Zulagegesetze einer uneingeschränkten Übernahme einkommensteuerrechtlicher Grundsätze entgegenstehen kann (vgl. BFH-Urteile vom 25. Juni 1976 III R 167/73, BFHE 119, 336, BStBl II 1976, 728; vom 20. Mai 1977 III R 135/74, BFHE 122, 382, BStBl II 1977, 734; vom 22. Juli 1988 III R 44/84, BFHE 154, 301, BStBl II 1988, 903; ähnlich schon Urteil vom 29. Juli 1966 VI 55/65, BFHE 87, 313, BStBl II 1967, 125).

Der Zweck des § 19 BerlinFG spricht aber für die Begünstigung des Herstellers, auch soweit dieser Aufwendungen für die Herstellung eines unfertigen Gebäudes vergütet oder übernommen hat. Sowohl die ausschließliche Förderung von Herstellungskosten als auch das Erfordernis der Errichtung in Berlin (West) dienen der Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit und der Beschäftigung der Berliner Wirtschaft sowie der Schaffung neuer Arbeitsplätze. Daß dieser Zweck beim Ankauf bereits vorhandener Betriebsgebäude nicht erfüllt wird, sondern im Gegenteil unerwünschte spekulative Tendenzen begünstigen würde, ist offensichtlich; insofern ist die Rechtslage nach § 19 BerlinFG vergleichbar mit der Rechtslage nach § 16 BHG 1962 (§ 14 BHG n. F.), die dem BFH in seinem Urteil in BFHE 86, 24, BStBl III 1966, 354 zur Beurteilung vorlag. Diese Entscheidung betraf jedoch ausschließlich den Fall, daß jemand ein bereits völlig fertiggestelltes Gebäude erwirbt. Übernimmt hingegen jemand ein im Bau befindliches Vorhaben und stellt er es im engen zeitlichen und sachlichen Zusammenhang mit den Maßnahmen des Veräußerers fertig, so verwirklicht er zugleich auch den beschriebenen Zweck des § 19 BerlinFG, den der Veräußerer, aus welchen Gründen auch immer, aufgegeben hat. Dieser hätte auch keinen Anspruch auf die Zulage, denn er hat weder das Wirtschaftsgut errichtet, d. h. fertiggestellt, noch die Verbleibensvoraussetzung des § 19 Abs. 2 Satz 4 Nr. 1 i. V. m. § 14 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 a BerlinFG erfüllt. Andererseits wäre der Zweck der Förderung nicht erfüllt worden, wenn das Vorhaben eingestellt worden wäre. Die Rechtsauffassung des Senats führt so dazu, daß ein Anreiz besteht, abgebrochene Bauvorhaben wieder aufzunehmen und zu Ende zu führen. Daß es bei Sachverhalten wie im Streitfall zu einer spekulativen Tendenzen Vorschub leistenden Veräußerungskette kommen könnte, ist nicht erkennbar.

Ob etwas anderes in dem - wirtschaftlich einer Anschaffung nahekommenden - Fall zu gelten hätte, wenn ein Steuerpflichtiger ein nahezu fertiges Gebäude erwirbt und im Anschluß daran nur noch unbedeutende Aufwendungen zur Fertigstellung des Gebäudes macht, bedarf im Streitfall keiner Entscheidung; denn die Klägerin hatte nach dem Erwerb der Rohbauten noch erhebliche Kosten (2.146.957 DM) aufwenden müssen, um die Gebäude fertigzustellen.

4. Die Vorentscheidung beruht auf einer anderen Rechtsauffassung und ist daher aufzuheben. Der Senat kann jedoch nicht durcherkennen, da die Sache nicht spruchreif ist. Das FG hat keine Feststellungen dazu getroffen, ob die von der KG geleisteten und von der Klägerin übernommenen Aufwendungen in voller Höhe Herstellungskosten für unbewegliche abnutzbare Wirtschaftsgüter sind. Bei der erneuten Verhandlung wird das FG daher zu prüfen haben, ob die übrigen Voraussetzungen für die Gewährung der Investitionszulage nach § 19 BerlinFG 1977 erfüllt sind. Dabei kann insbesondere von Bedeutung sein, ob der Antrag der Klägerin neben einzelnen sofort abziehbaren Aufwendungen auch Wirtschaftsgüter enthält, die Betriebsvorrichtungen sind und damit als bewegliche Anlagegüter einem anderen Zulagesatz unterliegen.