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  BFH-Urteil vom 22.9.1992 (VII R 43/92) BStBl. 1993 II S. 203

Die Bestellung eines Steuerberaters oder Steuerbevollmächtigten, der in Vermögensverfall geraten ist, ist dann nicht zu widerrufen, wenn dadurch eine konkrete Gefährdung der Interessen der Auftraggeber nicht eingetreten ist. Der betroffene Steuerberater/Steuerbevollmächtigte trägt hierfür die Darlegungs- und Feststellungslast.

StBerG § 46 Abs. 2 Nr. 6.

Vorinstanz: Hessisches FG

Sachverhalt

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger), der 1975 zum Steuerbevollmächtigten und 1985 zum Steuerberater bestellt worden ist, befindet sich seit 1982 in Liquiditätsschwierigkeiten. In den Jahren 1988 und 1989 hat er eidesstattliche Versicherungen gemäß § 807 der Zivilprozeßordnung (ZPO) abgegeben. Ein Antrag auf Eröffnung des Konkursverfahrens über sein Vermögen wurde 1989 vom zuständigen Amtsgericht mangels Masse abgelehnt. Zu Beginn des Jahres 1991 beliefen sich die Steuerschulden des Klägers auf ca. 193.000 DM.

Mit Erlaß vom 20. Februar 1991 widerrief der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzministerium) die Bestellung des Klägers als Steuerberater nach § 46 Abs. 2 Nr. 6 des Steuerberatungsgesetzes (StBerG) wegen Vermögensverfalls. Auf die Klage des Klägers wurde der Widerrufsbescheid aufgehoben.

Das Finanzgericht (FG) führte aus, die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 46 Abs. 2 Nr. 6 StBerG seien nicht erfüllt. Zwar befinde sich der Kläger in Vermögensverfall, weil er die eidesstattliche Versicherung geleistet habe und der Antrag auf Eröffnung des Konkursverfahrens mangels Masse abgelehnt worden sei. In diesen Fällen werde wegen der Eintragung des Schuldners in das nach § 915 ZPO sowie in das nach § 107 Abs. 2 der Konkursordnung (KO) zu führende Verzeichnis der Vermögensverfall vermutet. Der Kläger habe diese Vermutung nicht entkräftet. Der Senat sei aber aufgrund des Vorbringens des Klägers in der mündlichen Verhandlung davon überzeugt, daß der Vermögensverfall nicht zu einer Gefährdung der Interessen der Auftraggeber des Klägers führe.

Für den Widerruf nach § 46 Abs. 2 Nr. 6 StBerG sei eine konkrete Gefährdung der Vermögensinteressen der Auftraggeber notwendig. Der Gesetzgeber gebe in dieser Vorschrift zu erkennen, daß der Vermögensverfall allein nicht zum Widerruf der Bestellung hinreichen solle. Vielmehr solle dem Steuerberater die weitere Berufsausübung möglich sein, wenn er nachweise, daß trotz des Vermögensverfalls die Interessen seiner Auftraggeber nicht gefährdet würden. Würde hierzu die abstrakte Gefährdung ausreichen, so führe das im Ergebnis dazu, daß der Betroffene praktisch außerstande gesetzt würde, die Vermutung zu entkräften. Auch unter Berücksichtigung der verfassungsrechtlich gebotenen Zurückhaltung bei der Beschränkung der Berufsfreiheit (Art. 12 des Grundgesetzes - GG -) müsse es ausreichen, wenn der Betroffene dartue und ggf. beweise, daß trotz des Vermögensverfalls eine konkrete Interessengefährdung der Auftraggeber nicht vorliege.

Im Streitfall sei die Möglichkeit einer konkreten Vermögensgefährdung nicht erkennbar. Nach dem Vorbringen des Klägers bestehe die Betreuung seiner Mandanten in der Fertigung von Steuererklärungen, ggf. in der Erledigung der Buchführung und in beratender Tätigkeit und Prozeßvertretungen. Der Kläger habe dargelegt, daß er in keinem Falle Möglichkeiten des Zugriffs auf Mandantengelder habe, weil er entsprechende Gelder nicht treuhänderisch verwalte und in keinem Falle Mandantengelder über seine Konten liefen. Das habe er damit untermauert und - angesichts seiner wirtschaftlichen Verhältnisse - auch glaubhaft gemacht, daß er überhaupt kein Geschäftskonto besitze. Da der Kläger nach seinen unbestrittenen Angaben in der mündlichen Verhandlung, an denen zu zweifeln das FG keinen Anlaß habe, auch nicht als Treuhänder oder Vermögensverwalter tätig sei, beschränke sich seine Tätigkeit auf die Beratung und die Erstellung der Buchführung bzw. der Steuererklärungen. Bei dieser Sachlage sei eine konkrete Gefährdung der Interessen der Auftraggeber nicht zu erkennen, so daß der Widerrufstatbestand des § 46 Abs. 2 Nr. 6 StBerG nicht gegeben sei.

Mit der vom FG zugelassenen Revision vertritt das Finanzministerium die Auffassung, § 46 Abs. 2 Nr. 6 StBerG gehe davon aus, daß das Bestehen zerrütteter Vermögensverhältnisse des Steuerberaters bereits eine potentielle Gefährdung des Auftraggebers oder des Steueraufkommens darstelle. Diese Gefährdung solle grundsätzlich durch den Widerruf der Bestellung vermieden werden, ohne daß es auf eine konkrete Gefährdung ankomme.

Das Finanzministerium beantragt sinngemäß, unter Aufhebung der Vorentscheidung die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Revision zu verwerfen, hilfsweise, sie zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

Die Revision des Finanzministeriums ist unbegründet.

1. Nach § 46 Abs. 2 Nr. 6 StBerG ist die Bestellung zu widerrufen, wenn der Steuerberater oder Steuerbevollmächtigte in Vermögensverfall geraten ist, es sei denn, daß dadurch die Interessen der Auftraggeber nicht gefährdet sind; ein Vermögensverfall wird vermutet, wenn der Steuerberater oder Steuerbevollmächtigte in das vom Konkursgericht oder vom Vollstreckungsgericht zu führende Verzeichnis (§ 107 Abs. 2 KO, § 915 ZPO) eingetragen ist. Diese Fassung des StBerG ist am 16. Juni 1989 in Kraft getreten (Art. 3 Abs. 1 des Vierten Gesetzes zur Änderung des Steuerberatungsgesetzes vom 9. Juni 1989, BGBl I, 1062) und damit auf den gegen den Kläger ergangenen Widerrufsbescheid vom 20. Februar 1991 anwendbar.

Das FG ist zu Recht davon ausgegangen, daß der Kläger in Vermögensverfall geraten und insoweit der Widerrufstatbestand des § 46 Abs. 2 Nr. 6 StBerG erfüllt ist. Dies folgt aus der gesetzlichen Vermutung des § 46 Abs. 2 Nr. 6 Halbsatz 2 StBerG, denn der Kläger ist infolge der Ableistung der eidesstattlichen Versicherung gemäß § 807 ZPO und der Abweisung des Konkurseröffnungsantrags über sein Vermögen mangels Masse (§ 107 Abs. 1 Satz 1 KO) in die dort genannten Schuldnerverzeichnisse nach § 915 ZPO und § 107 Abs. 2 KO eingetragen. Der Widerruf der Bestellung als Steuerberater ist aber im Streitfall vom FG zutreffend als rechtswidrig aufgehoben worden, weil der Kläger dargetan hat, daß durch seinen Vermögensverfall eine Gefährdung der Interessen seiner Auftraggeber nicht eingetreten ist.

2. Das Gesetz sieht in § 46 Abs. 2 Nr. 6 StBerG bei einem Vermögensverfall des Steuerberaters oder Steuerbevollmächtigten den Widerruf der Bestellung zwingend vor, "es sei denn", die Interessen der Auftraggeber sind dadurch nicht gefährdet. Ebenso ist nunmehr seit dem Gesetz zur Änderung des Berufsrechts der Rechtsanwälte und Patentanwälte vom 13. Dezember 1989 (BGBl I, 2135) in § 14 Abs. 2 Nr. 8 der Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO) und in § 21 Abs. 2 Nr. 11 der Patentanwaltsordnung für den Fall des Vermögensverfalls des Berufsträgers der Widerruf der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft bzw. Patentanwaltschaft geregelt.

Aus dem Wortlaut der vorliegenden Regelungen folgt, daß im Regelfall die Bestellung (Zulassung) zu widerrufen ist, wenn der Steuerberater, Steuerbevollmächtigte, Rechtsanwalt oder Patentanwalt in Vermögensverfall geraten ist. Nur in Ausnahmefällen ("es sei denn") kann von dem Widerruf abgesehen werden, wenn dadurch die Interessen des Auftraggebers nicht gefährdet werden (vgl. Gehre, Steuerberatungsgesetz, 2. Aufl., § 46 Rdnr. 10). Das Gesetz geht damit beim Vorliegen des Vermögensverfalls bei einem Steuerberater, Steuerbevollmächtigten, Rechtsanwalt oder Patentanwalt grundsätzlich davon aus, daß dadurch die Interessen seiner Auftraggeber (Mandanten) gefährdet sind. Das spricht dafür, daß für den Regelfall - ebenso wie bei einer gerichtlich angeordneten Verfügungsbeschränkung gemäß § 46 Abs. 2 Nr. 5 StBerG, z. B. durch Konkurseröffnung (vgl. Senatsurteil vom 17. November 1987 VII R 120/86, BFHE 151, 194, BStBl II 1988, 81, mit weiteren Nachweisen) - eine potentielle (abstrakte) Gefährdung der Auftraggeberinteressen für den Widerruf der Bestellung ausreicht. Dem steht nicht entgegen, daß der Senat im Urteil vom 6. Dezember 1978 VII R 98/77 (BFHE 126, 384, BStBl II 1979, 170, 172) für den Widerruf der Bestellung wegen Vermögensverfalls nach § 15 Nr. 1 BRAO a. F. eine konkrete Gefährdung der Auftraggeberinteressen verlangt hat. Denn in dieser Gesetzesfassung war - im Gegensatz zu den Neuregelungen in § 46 Abs. 2 Nr. 6 StBerG, § 14 Abs. 2 Nr. 8 BRAO n. F. - die Gefährdung der Interessen der Auftraggeber - neben dem Vermögensverfall - als gleichrangiges Tatbestandsmerkmal enthalten (vgl. auch Beschluß des Bundesgerichtshofs - BGH - vom 16. Februar 1987 NotZ 15/86, Deutsche Notar-Zeitschrift - DNotZ - 1988, 129).

Wenn nunmehr nach § 46 Abs. 2 Nr. 6 StBerG (§ 14 Abs. 2 Nr. 8 BRAO) die Bestellung dann nicht zu widerrufen ist, wenn durch den Vermögensverfall des Steuerberaters (Rechtsanwalts) die Interessen des Auftraggebers nicht gefährdet sind, so ergibt sich aus dem gesetzlichen Regel-Ausnahme-Verhältnis ("es sei denn"), daß die Darlegungs- und Feststellungslast für diesen gesetzlichen Ausnahmetatbestand dem betroffenen Berufsträger obliegt (vgl. FG Niedersachsen, Urteil vom 21. Februar 1990 IV 320/89, Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 1991, 217). Der Nachweis der Nichtgefährdung der Auftraggeberinteressen bezieht sich aber - wie das FG zutreffend ausgeführt hat - auch dann auf die konkrete Gefährdungssituation für die Mandanten des in Vermögensverfall geratenen Steuerberaters (Steuerbevollmächtigten oder Rechtsanwalts), wenn das Gesetz für den Regelfall - d. h. ohne einen derartigen Nachweis - deren potentielle Gefährdung für den Widerruf der Bestellung als ausreichend ansieht. Das ergibt sich einerseits daraus, daß für diesen Nachweis - anders als bei der gesetzlichen Vermutung und Typisierung - auf die Besonderheiten des jeweiligen Einzelfalls abzustellen ist, bei denen es auf die konkreten Beziehungen zwischen dem betroffenen Steuerberater und seinen Mandanten ankommt. Zum anderen könnte - wie das FG zutreffend ausgeführt hat - der Nachweis der fehlenden Gefährdung der Auftraggeberinteressen nicht geführt werden, wenn jede denkbare potentielle Gefährdung von Mandanten weiterhin zur Widerrufsfolge führen würde. Der gesetzlich vorgesehene Entlastungsbeweis wäre in diesem Falle praktisch unmöglich. Der Auslegung des § 46 Abs. 2 Nr. 6 StBerG durch die Vorinstanz ist somit zuzustimmen.

3. Das FG ist aufgrund des festgestellten Sachverhalts und der tatsächlichen Würdigung des Vorbringens des Klägers zu Art und Umfang seiner Beratungstätigkeit und zu seinen Rechtsbeziehungen zu den Mandanten zu dem Ergebnis gelangt, daß trotz des Vermögensverfalls eine konkrete Gefährdung der Interessen der Auftraggeber nicht vorliegt. An diese Tatsachenwürdigung ist das Revisionsgericht nach § 118 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) gebunden, wenn sie verfahrensrechtlich einwandfrei zustande gekommen und nicht durch Denkfehler oder die Verletzung von Erfahrungssätzen beeinflußt ist; das gilt auch dann, wenn sie nicht zwingend, sondern nur möglich ist (Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 2. Aufl., § 118 Rdziff. 29, 40).

Die Würdigung des Tatsachengerichts, wegen deren Einzelheiten auf die Vorentscheidung Bezug genommen wird, verstößt nicht gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze. Sie ist im Hinblick auf den festgestellten Ausschluß jeglicher Treuhänder- oder Verwaltungsbefugnisse des Klägers über Gelder oder sonstige Vermögenswerte seiner Mandanten zumindest möglich. Die Revision hat hiergegen keine Verfahrensrügen erhoben. Sie hat noch nicht einmal Einwendungen gegen die Tatsachenwürdigung des FG vorgebracht, daß eine konkrete Gefährdung der Mandanteninteressen nicht gegeben sei. Lediglich die Richtigkeit des rechtlichen Ausgangspunktes dieser Schlußfolgerungen, daß es nämlich auf die konkrete Gefährdungssituation ankomme, ist vom Finanzministerium - wie oben ausgeführt zu Unrecht - in Zweifel gezogen worden. Da die Vorentscheidung in rechtlicher Hinsicht nicht zu beanstanden und die Tatsachenwürdigung des FG für den Senat bindend ist, konnte die Revision keinen Erfolg haben.