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  BFH-Urteil vom 24.11.1992 (VII R 63/92) BStBl. 1993 II S. 220

Eine Wohnsitzanfrage des FA beim Einwohnermeldeamt führt grundsätzlich nur dann zur Unterbrechung der Zahlungsverjährung, wenn das FA im Hinblick auf die Realisierung seines Anspruchs aus dem Steuerschuldverhältnis besonderen Anlaß zu der Anfrage hat, weil ihm der Wohnsitz des Schuldners nicht bekannt ist.

AO 1977 § 231 Abs. 1 Satz 1.

Vorinstanz: Niedersächsisches FG (EFG 1992, 384)

Sachverhalt

Die Einkommensteuer 1981 der klagenden und revisionsbeklagten Eheleute (Kläger) wurde durch bestandskräftigen Bescheid vom 26. November 1983 festgesetzt. Nach Anrechnung der einbehaltenen Lohnsteuer ergab sich eine Abschlußzahlung. Da die Kläger die Steuerrückstände aufgrund der Veranlagung 1981 nicht zahlten, wurde diese vom Beklagten und Revisionskläger (Finanzamt - FA -) durch (interne) Verfügung vom 6. März 1984 niedergeschlagen.

Am 25. Juli 1985 richtete die Vollstreckungsstelle des FA Wohnsitzanfragen hinsichtlich der Kläger, deren Aufenthalt als unbekannt bezeichnet wurde, an das Einwohnermeldeamt der Stadt E. Nach den Anfragen befand sich die letzte bekannt gewesene Wohnung der Kläger in E, E-Straße 31. Das Einwohnermeldeamt sandte die Anfragen mit dem Vermerk "noch gemeldet" zurück. Die Vollstreckungsstelle vermerkte daraufhin in den Akten: "Neuer Tag der Verjährung 31. 12. 1990". Die Wohnung in der E-Straße 31, an die bereits der Einkommensteuerbescheid 1981 adressiert war, haben die Kläger durchgängig bis heute beibehalten. Auch die Durchschrift einer bei ihren Steuerakten befindlichen Veräußerungsanzeige vom 16. April 1985 weist diesen Wohnsitz aus.

Das FA rechnete im Jahre 1990 mit Steuerrückständen der Kläger aus der Veranlagung 1981 gegen deren Erstattungsansprüche aus der Einkommensteuerveranlagung 1989 auf. Es erließ einen Abrechnungsbescheid gegen die Kläger, mit dem die Erstattungsansprüche aufgrund der Aufrechnung als erloschen bezeichnet wurden. Der Einspruch gegen den Abrechnungsbescheid, mit dem sich die Kläger auf die Verjährung ihrer Steuerschulden aus dem Jahre 1981 beriefen, blieb erfolglos, weil das FA die Verjährung durch die Wohnsitzanfragen vom 25. Juli 1985 als unterbrochen ansah.

Auf die Klage der Kläger wurde der Abrechnungsbescheid dahin abgeändert, daß der Erstattungsanspruch aus der Veranlagung 1989 als noch bestehend festgestellt wurde. Das Finanzgericht (FG) führte aus, die Einkommensteuer- und Kirchensteuerschuld 1981 sei zum Zeitpunkt des Erlasses des Einkommensteuerbescheids 1989 bereits verjährt gewesen, so daß das FA mit dieser Forderung nicht wirksam habe aufrechnen können. Die Verjährung der durch Bescheid vom 26. November 1983 festgesetzten Einkommensteuer 1981 habe nach § 229 Abs. 1 Satz 2 der Abgabenordnung (AO 1977) mit Ablauf des Jahres 1983 begonnen. Die fünfjährige Verjährungsfrist (§ 228 Satz 2 AO 1977) sei demnach am 31. Dezember 1988 abgelaufen. Eine Aufrechnung gegen die Steuererstattungsansprüche 1989 laut Bescheid vom 25. April 1990 sei daher nicht möglich gewesen. Die Wohnsitzanfragen an die Stadt E vom 25. Juli 1985 hätten nicht zu einer Unterbrechung der Verjährung nach § 231 Abs. 1 AO 1977 geführt, weil der Wohnsitz der Kläger dem FA nicht unbekannt gewesen sei und somit kein Anlaß zu derartigen "Ermittlungen" bestanden habe. Wegen der Begründung insoweit wird auf die in den Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1992, 384 veröffentlichten Urteilsgründe der Vorentscheidung Bezug genommen.

Mit der vom FG zugelassenen Revision rügt das FA eine Verletzung von § 231 Abs. 1 Satz 1 AO 1977. Es trägt vor, seine Wohnsitzanfragen beim Einwohnermeldeamt hätten Ermittlungshandlungen im Sinne dieser Vorschrift dargestellt, die die Verjährung der Steueransprüche aus der Veranlagung 1981 gegen die Kläger unterbrochen hätten. Entgegen den Ausführungen des FG sei ihm (dem FA) im Zeitpunkt der Anfragen an das Einwohnermeldeamt der Wohnsitz der Kläger tatsächlich nicht bekannt gewesen. Denn weder aus der Veräußerungsanzeige vom 16. April 1985 noch aus den sonstigen Unterlagen hätten sich gesicherte Erkenntnisse darüber ergeben, daß die Kläger am 25. Juli 1985 noch in der E-Straße 31 gewohnt hätten. Dies habe allenfalls vermutet werden können. Eine bloße Vermutung sei aber nicht mit der Kenntnis des Wohnsitzes gleichzusetzen. Die Tatsache, daß ihm keinerlei Hinweise auf einen Umzug der Kläger vorgelegen hätten, besage nichts Gegenteiliges. Ein Steuerpflichtiger sei nämlich nicht verpflichtet, dem FA einen Wohnsitzwechsel außerhalb einer Steuererklärung mitzuteilen. Im übrigen habe kein Anlaß bestanden, die Zahlungsverjährung des Anspruchs aus 1981 bereits im Juli 1985 zu unterbrechen, weil die Verjährung dieses Anspruchs erst mit Ablauf des Jahres 1988 geendet habe. Auch hieraus ergebe sich, daß die Anfragen nicht als Scheinhandlungen anzusehen seien, sondern ausschließlich der Realisierung des Zahlungsanspruchs gedient hätten.

Selbst wenn aber die Anfragen nur den Zweck gehabt hätten, die Zahlungsverjährung zu unterbrechen, sei diese Maßnahme durch die gesetzliche Regelung des § 231 AO 1977 gedeckt und damit wirksam. Nach dieser Vorschrift habe jede Ermittlung des FA nach dem Wohnsitz eines Zahlungspflichtigen verjährungsunterbrechende Wirkung. Hierbei sei es unerheblich, ob die Maßnahme notwendig oder zweckmäßig sei oder ob sie gerade deshalb ergriffen werde, um die Unterbrechung der Verjährung herbeizuführen. Eine Zweckmäßigkeitsprüfung würde die Rechtssicherheit, in deren Interesse der abschließende Katalog von Unterbrechungshandlungen aufgestellt worden sei, in Frage stellen.

Das FA beantragt, unter Aufhebung der Vorentscheidung die Klage abzuweisen.

Die Kläger beantragen, die Revision zurückzuweisen.

Sie meinen, nicht jede schematische Anfrage der Finanzbehörde nach dem Wohnsitz unterbreche die Verjährung, sondern nur solche Ermittlungen, die im Hinblick auf den Verfahrensablauf ernsthaft und sachgerecht seien.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet.

1. Das FG hat zu Recht entschieden, daß das FA mit seinen Steueransprüchen aus dem Jahre 1981 gegen die Erstattungsansprüche der Kläger aus der Einkommensteuerveranlagung 1989 nicht wirksam aufrechnen konnte (§ 226 Abs. 1 und 2 AO 1977 i. V. m. §§ 387, 388 des Bürgerlichen Gesetzbuches - BGB -), weil die Gegenforderung des FA im Zeitpunkt der Aufrechnungserklärung - mit dem Einkommensteuerbescheid 1989 vom 25. April 1990 - bereits verjährt war. Die Einkommensteuer- und Kirchensteuererstattungsansprüche 1989 der Kläger sind somit nicht erloschen (§ 47 AO 1977).

Die Zahlungsverjährung der mit Einkommensteuerbescheid 1981 vom 26. November 1983 festgesetzten Ansprüche begann nicht vor Ablauf des Jahres 1983 und endete mit dem 31. Dezember 1988 (§§ 228, 229 Abs. 1 Satz 2 AO 1977); insoweit wird auf die Ausführungen der Vorentscheidung Bezug genommen.

Wie das FG zutreffend erkannt hat, ist durch die Wohnsitzanfragen des FA vom 25. Juli 1985 die Verjährung der Gegenansprüche, mit denen das FA aufgerechnet hat, nicht unterbrochen worden. Es ist somit keine neue Verjährungsfrist in Lauf gesetzt worden (§ 231 Abs. 3 AO 1977).

2. Nach § 231 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 wird die Verjährung unterbrochen durch schriftliche Geltendmachung des Anspruchs, durch Zahlungsaufschub, durch Stundung, durch Aussetzung der Vollziehung, durch Sicherheitsleistung, durch Vollstreckungsaufschub, durch eine Vollstreckungsmaßnahme, durch Anmeldung im Konkurs und durch Ermittlungen der Finanzbehörde nach dem Wohnsitz oder dem Aufenthaltsort des Zahlungspflichtigen. Aus den im Gesetz abschließend aufgezählten, die Verjährung unterbrechenden Maßnahmen ergibt sich, daß diese auf den konkreten Anspruch, dessen Verjährung unterbrochen werden soll, gerichtet sein müssen. Dazu muß zum Ausdruck kommen, daß die Finanzbehörde einen bestimmten Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis, wenn nicht sofort, so doch später, realisieren will. Daraus folgt hinsichtlich der für den Streitfall als Unterbrechungsmaßnahme allein in Betracht kommenden "Ermittlungen nach dem Wohnsitz oder dem Aufenthaltsort des Zahlungspflichtigen", daß es sich um Ermittlungshandlungen der Finanzbehörde handeln muß, die auf die Durchsetzung des Steueranspruchs gerichtet sind. Das kann aber grundsätzlich nur dann angenommen werden, wenn die Finanzbehörde besonderen Anlaß hat, zum Zwecke der Realisierung ihres Anspruchs den Wohnsitz oder Aufenthaltsort des Zahlungspflichtigen zu ermitteln. Ein solcher Anlaß zu Ermittlungshandlungen besteht nur dann, wenn die Finanzbehörde den Wohnsitz oder den Aufenthaltsort des Verpflichteten nicht kennt. Wie das FG zu Recht ausgeführt hat, stellen danach schematische Anfragen an das Einwohnermeldeamt, die nach den Umständen des Falles nicht erforderlich sind, keine Maßnahmen dar, die als "Ermittlungen" i. S. des § 231 AO 1977 angesehen werden können. Sie können folglich die Verjährung des Anspruchs nicht unterbrechen (ebenso: Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 14. Aufl., § 231 AO 1977 Tz. 13: "ernsthafte" Ermittlungen; Kühn/Kutter/Hofmann, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 16. Aufl., § 231 AO 1977 Anm. 4 f.; anderer Ansicht: FG Baden-Württemberg, Urteil vom 15. März 1991 IX K 166/86, EFG 1991, 588).

Es kann dahinstehen, ob dem FA im Zeitpunkt seiner Anfragen an das Einwohnermeldeamt in E gesicherte Erkenntnisse über den Wohnsitz bzw. Aufenthaltsort der Kläger vorgelegen haben. Nach den von der Revision nicht angegriffenen tatsächlichen Feststellungen des FG bestand jedenfalls im Hinblick auf die Realisierung der hier maßgeblichen Steueransprüche kein Anlaß, Ermittlungen nach dem Wohnsitz oder dem Aufenthaltsort der Kläger anzustellen. Der bis heute unverändert fortbestehende Wohnsitz der Kläger in E, E-Straße 31, war dem FA jedenfalls seit der Einkommensteuerveranlagung 1981 bekannt. Dieser Wohnsitz ist auch in den Anfragen an das Einwohnermeldeamt vom 25. Juli 1985 als letzte bekannte Wohnung benannt worden. Die Behauptung in dieser Anfrage, daß der Aufenthalt der Kläger unbekannt sei, trifft nicht zu, denn für das FA bestanden - wie das FG festgestellt hat - keinerlei Anhaltspunkte für einen Wohnsitzwechsel der Kläger. Die Kläger haben vielmehr Jahr für Jahr unter ihrer Anschrift beim FA den Lohnsteuer-Jahresausgleich oder die Veranlagung zur Einkommensteuer beantragt. Außerdem war dem FA im April 1985 - also drei Monate vor den Wohnsitzanfragen - eine Veräußerungsanzeige übersandt worden, in der die Anschrift der Kläger angegeben war und von der eine Durchschrift zu den Steuerakten der Kläger gelangte. Unter diesen Umständen kann nicht - wie die Revision meint - lediglich von einer bloßen Vermutung für das Fortbestehen des dem FA bekannten Wohnsitzes gesprochen werden. Die vage Möglichkeit eines Wohnsitzwechsels, für den im Streitfall jeglicher Hinweis fehlte, kann jedenfalls nicht als Anlaß zu einer Wohnsitzanfrage beim Einwohnermeldeamt angesehen werden.

Die Wohnsitzanfrage diente demnach nach den zutreffenden Ausführungen des FG nicht dazu, den - unbekannten - Wohnsitz der Kläger zu ermitteln, sondern ausschließlich - wie auch der Aktenvermerk im Anschluß an die Anfragen zeigt - der Unterbrechung der Verjährung. Dieser Beurteilung steht nicht entgegen, daß die reguläre Verjährungsfrist erst mit Ablauf des Jahres 1988 endete. Für die rechtzeitige Realisierung der Steueransprüche gegenüber den Klägern war die Wohnsitzanfrage jedenfalls nicht erforderlich. Es handelte sich bei den Anfragen demnach nicht um eine Ermittlung i. S. von § 231 Abs. 1 Satz 1 AO 1977.

Der Senat verkennt nicht, daß es für die Unterbrechung der Verjährung nach § 231 Abs. 1 AO 1977 durch Ermittlungen der Finanzbehörde nach dem Wohnsitz oder dem gewöhnlichen Aufenthaltsort des Zahlungspflichtigen nicht auf die Zweckmäßigkeit der Unterbrechungshandlung ankommt (so FG Baden-Württemberg in EFG 1991, 588). Die Revision weist ferner zu Recht darauf hin, daß auch der alleinige Zweck einer Anfrage an das Einwohnermeldeamt, die Zahlungsverjährung zu unterbrechen, diese Maßnahme nicht von vornherein wirkungslos macht. Wie oben ausgeführt, führt aber die Auslegung des Begriffs der "Ermittlungen" in § 231 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 nach seinem Wortsinn und die Berücksichtigung von Sinn und Zweck der Regelung über die Verjährungsunterbrechung zu dem Ergebnis, Maßnahmen des FA nur dann als Ermittlungen nach dem Wohnsitz oder Aufenthaltsort anzusehen, wenn dem FA der Wohnsitz des Zahlungspflichtigen nicht bekannt war. Denn die Unterbrechungswirkung von Ermittlungen nach dem Wohnsitz oder Aufenthaltsort des Steuerpflichtigen setzt nach dem Zweck des Gesetzes (vgl. insoweit die Erweiterung des § 231 Abs. 1 AO 1977 gegenüber den Unterbrechungsmaßnahmen nach den §§ 208 bis 210 BGB) voraus, daß der Zahlungsanspruch nur mangels Kenntnis des Wohnsitzes oder Aufenthaltsorts des Verpflichteten nicht realisiert werden kann. Sind aber Wohnsitz oder Aufenthaltsort dem FA nicht unbekannt und hat dieses keinerlei Anlaß, am Fortbestand des ihm bekannten Wohnsitzes zu zweifeln, so handelt es sich bei Nachforschungen bzw. Vergewissern über den Wohnsitz des Zahlungspflichtigen nicht um Ermittlungen i. S. des § 231 Abs. 1 AO 1977. Bei dieser Auslegung des Gesetzes wird - entgegen der Auffassung der Revision - die Rechtssicherheit hinsichtlich des in § 231 Abs. 1 AO 1977 geregelten Katalogs der Unterbrechungshandlungen nicht beeinträchtigt.