| Home | Index | EStG | Neuzugang | Impressum  
       

 

 

 

 

 

  BFH-Urteil vom 29.10.1992 (V R 48/90) BStBl. 1993 II S. 251

Hat ein Unternehmer in einer Rechnung für eine steuerfreie Ausfuhrlieferung Umsatzsteuer gesondert ausgewiesen und steht fest, daß der Leistungsempfänger den Vorsteuerabzug aus dieser Rechnung weder in Anspruch genommen hat noch künftig geltend machen kann, liegt eine wirksame Berichtigung des Steuerbetrags i. S. des § 14 Abs. 2 Satz 2 UStG 1980 bereits dann vor, wenn eine vom Unternehmer erstellte schriftliche Berichtigung des Steuerbetrags dem Leistungsempfänger zugeht, ohne daß der Unternehmer die ursprüngliche Rechnung zurückerhält.

UStG 1980 § 14 Abs. 2, § 17 Abs. 1.

Vorinstanz: FG Münster

Sachverhalt

I.

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) betrieb u. a. von 1982 bis 1984 einen Groß- und Einzelhandel mit Textilien. Er lieferte im Juni 1982 an die Firma V, Niederlande, Hemden, wofür er am 28. Juni 1982 214 090,20 DM zuzüglich offen ausgewiesener Umsatzsteuer in Höhe von 27.831,72 DM in Rechnung stellte. V übersandte dem Kläger am 31. Dezember 1982 eine als "Debet Nota" bezeichnete Belastungsanzeige über diesen Umsatzsteuerbetrag. Am 22. November 1984 erteilte der Kläger V eine berichtigte Rechnung über 214 090,20 DM ohne Umsatzsteuerausweis. Seine Bitte um Rückgabe der Originalrechnung vom 28. Juni 1982 blieb unerfüllt. Das Bundesamt für Finanzen (BfF) teilte dem Beklagten und Revisionskläger (Finanzamt - FA -) am 20. August 1986 mit, daß die bei ihm geführte V aus dieser Rechnung keine Vorsteuervergütung erhalten habe.

Den Antrag des Klägers vom 2. März 1989, unter Änderung der unter Vorbehalt der Nachprüfung stehenden Umsatzsteuerfestsetzung für 1984 die festgesetzte negative Umsatzsteuer um 27.831,72 DM zu erhöhen, lehnte das FA ab. Das Finanzgericht (FG) gab der nach erfolglosem Einspruch erhobenen Klage statt. Es führte mit dem in Umsatzsteuer-Rundschau (UR) 1991, 106 und Deutsches Steuerrecht (DStR) 1990, 450 abgedruckten Urteil im wesentlichen aus: Der Kläger habe mit der Übersendung der Rechnung vom 22. November 1984 die ursprüngliche Rechnung vom 28. Juni 1982 für die steuerfreie Ausfuhrlieferung wirksam berichtigt. Unerheblich sei, daß der Kläger die Originalrechnung nicht zurückerhalten habe. Die gegenteilige Auffassung der Finanzverwaltung (Abschn. 189 Abs. 6 der Umsatzsteuer-Richtlinien - UStR -) habe keine gesetzliche Grundlage. Selbst wenn man der Meinung sei, daß der Rechnungsaussteller eine Umsatzsteuerberichtigung nur vornehmen könne, wenn feststehe, daß der Rechnungsempfänger den Vorsteuerabzug aus der Rechnung weder in Anspruch genommen habe noch nehmen werde, zwinge dies nicht dazu, die Umsatzsteuerberichtigung von der Rückgabe der Originalrechnung abhängig zu machen. Dem Sicherungsbedürfnis der Finanzverwaltung sei genügt, wenn der die Steuer berichtigende Unternehmer eindeutig dartue, daß die durch die Erteilung der Erstrechnung geschaffene Gefährdungslage nicht entstanden oder wieder beseitigt sei. Dies treffe im Streitfall zu. V habe nach der Auskunft des BfF die Vergütung des in der Erstrechnung ausgewiesenen Umsatzsteuerbetrags bisher nicht beantragt; die dafür bestehende Antragsfrist sei abgelaufen.

Mit der Revision rügt das FA Verletzung des § 14 Abs. 2 Satz 2 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) 1980. Das FG berücksichtige, so führt es aus, nicht hinreichend, daß es sich bei dieser Vorschrift um einen abstrakten und nicht um einen konkreten Gefährdungstatbestand handle. Es sei nicht entscheidungserheblich, ob die gesondert in Rechnung gestellte Umsatzsteuer dem Abnehmer tatsächlich vergütet werde oder nicht. Der Gefährdungstatbestand werde erst durch die Rückgabe der Originalrechnung beseitigt.

Das FA beantragt, die Klage unter Aufhebung der Vorentscheidung abzuweisen.

Der Kläger ist der Revision entgegengetreten.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision des FA ist unbegründet.

Das FG hat zu Recht entschieden, daß der Kläger bei der Umsatzsteuerfestsetzung für 1984 die Berichtigung des streitigen Steuerbetrags gemäß § 14 Abs. 2 Satz 2 i. V. m. § 17 Abs. 1 UStG 1980 geltend machen konnte.

1. Nach § 14 Abs. 2 Satz 1 UStG 1980 schuldet der Unternehmer, der in einer Rechnung für eine Lieferung oder sonstige Leistung einen höheren Steuerbetrag, als er nach diesem Gesetz für den Umsatz schuldet, gesondert ausgewiesen hat, auch den Mehrbetrag. Berichtigt er den Steuerbetrag gegenüber dem Leistungsempfänger, so ist gemäß § 14 Abs. 2 Satz 2 UStG 1980 § 17 Abs. 1 dieses Gesetzes entsprechend anzuwenden.

a) § 14 Abs. 2 (und nicht Abs. 3) UStG 1980 erfaßt auch die Fälle, in denen ein Unternehmer in einer Rechnung Umsatzsteuer für steuerfreie Umsätze gesondert ausgewiesen hat (vgl. Senatsurteile vom 7. Mai 1981 V R 126/75, BFHE 133, 127, BStBl II 1981, 547, und vom 14. Dezember 1989 V R 125/84, BFHE 159, 277, BStBl II 1990, 401).

b) Der Senat teilt nicht die Auffassung in Abschn. 189 Abs. 6 UStR 1985, die Berichtigung des Steuerbetrags sei nur unter der Voraussetzung möglich, daß der leistende Unternehmer die sog. Erstrechnung zurückerhält.

aa) Dem Wortlaut des § 14 Abs. 2 Satz 2 UStG 1980 läßt sich diese Aussage nicht entnehmen. Insbesondere macht die in Bezug genommene Berichtigungsvorschrift des § 17 Abs. 1 UStG 1980 die Berichtigung von Steuerbetrag und Vorsteuerabzug nach Änderung der Bemessungsgrundlage nicht von der Rückgabe der Erstrechnung abhängig. Nur im Fall gemeinsamer Entgeltänderung für unterschiedlich besteuerte Leistungen eines bestimmten Zeitabschnitts hat der Leistende gemäß § 17 Abs. 4 UStG 1980 dem Empfänger "einen Beleg" zu erteilen, aus dem zu ersehen ist, wie sich die Änderung der Entgelte auf die unterschiedlich besteuerten Umsätze verteilt. Von einer generellen Verpflichtung zur Belegerteilung bei Berichtigung von Steuerbetrag und Vorsteuerabzug im Fall der Änderung der Bemessungsgrundlage hat der Gesetzgeber "aus Vereinfachungsgründen" abgesehen (vgl. den schriftlichen Bericht des Finanzausschusses des Deutschen Bundestages zum Entwurf des UStG 1967, zu BTDrucks V/1581, Einzelbegründung zu § 17).

bb) Aus Sinn und Zweck des § 14 Abs. 2 UStG 1980 ergibt sich (jedenfalls für den Streitfall) nichts anderes.

Bei Einführung dieser Vorschrift nahm der Gesetzgeber zwar auf die Wahrung der sog. Aufkommensneutralität von Steuerschuld des Leistenden und Vorsteuerabzug des Leistungsempfängers in der Unternehmerkette Bedacht (vgl. schriftlicher Bericht des Finanzausschusses zum Entwurf des UStG 1967, zu BTDrucks V/1581, Einzelbegründung zu § 14): "Nach Absatz 2 der Vorschrift schuldet der Unternehmer, der in einer Rechnung eine zu hohe Steuer ausgewiesen hat, auch den Mehrbetrag. Diese Regelung ist erforderlich, weil der Abnehmer nach § 15 berechtigt ist, die ihm gesondert in Rechnung gestellte Steuer als Vorsteuer abzuziehen. Rechnungen mit unrichtigem Steuerausweis können jedoch berichtigt werden. In diesen Fällen ist auch der Vorsteuerabzug zu berichtigen."

Mit diesen Erwägungen ging der Gesetzgeber aber im Fall der Berichtigung eines zu hohen Steuerausweises nicht über die grundsätzliche Risikoverteilung des Gesetzes zwischen Steuerpflichtigem und Fiskus bezüglich des Besteuerungsergebnisses hinaus. Der Grundsatz vom Gleichgewicht zwischen Umsatzsteuerschuld des Leistenden und Vorsteuerabzug des Leistungsempfängers aus einem Umsatz in der Unternehmerkette ist im UStG 1980 insbesondere nicht in dem Sinn verwirklicht, daß Steuerschuld und Vorsteuerabzug materiell im Sinn einer gegenseitigen Abhängigkeit verknüpft worden wären. Steuerschuld des Leistenden und Vorsteuerabzug des Leistungsempfängers sind vielmehr getrennt in den jeweiligen Steuerschuldverhältnissen nach eigenen Grundsätzen zu prüfen (vgl. Senatsurteil vom 2. November 1989 V R 56/84, BFHE 159, 266, BStBl II 1990, 253).

Eine Haftung des Unternehmers über den Zeitpunkt der Rechnungsberichtigung hinaus für den vom Rechnungsempfänger zu Unrecht als Vorsteuer abgezogenen Betrag, wie sie z. B. in § 14 a UStG des Entwurfs eines Steuerreformgesetzes (StRG) 1990 (BTDrucks 11/2157) vorgesehen war, kennt das geltende Recht nicht. Ob es gleichwohl in bestimmten Fällen für die "Berichtigung" des in Rechnung gestellten "höheren Steuerbetrags" fordert, daß der Leistungsempfänger den (bereits beanspruchten) Vorsteuerabzug rückgängig macht und/oder die Erstrechnung dem Leistenden zurückgibt, kann der Senat bei der Gestaltung des Streitfalles offenlassen.

Insbesondere braucht der Senat im Streitfall nicht abschließend zu entscheiden, wie im einzelnen die Berichtigung gegenüber dem Leistungsempfänger ausgestaltet sein muß. Die Wirksamkeit der Rechnungsberichtigung hängt jedenfalls dann nicht von der Rückgabe der Erstrechnung durch den nicht im Erhebungsgebiet ansässigen Unternehmer (§ 51 Abs. 3 Satz 1 der Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung - UStDV - 1980) ab, wenn dieser bis zum Zugang der Korrekturmitteilung den Vorsteuerabzug nicht in Anspruch genommen hat und künftig nicht mehr erhalten kann. Die Forderung nach Rückgabe der Erstrechnung wäre in einem solchen Fall ein leerer Formalismus. Entscheidend ist, daß eine Gefährdung des Steueraufkommens, der § 14 Abs. 2 Satz 1 UStG 1980 entgegenwirken soll, ausgeschlossen ist. Dies ist bereits bei der Auslegung und Anwendung des § 14 Abs. 2 Satz 2 UStG 1980 und nicht nur im Rahmen von Billigkeitsmaßnahmen (§§ 163, 227 der Abgabenordnung - AO 1977 -) zu berücksichtigen.

cc) Diese unter bb) dargelegten Voraussetzungen sind im Streitfall erfüllt. Die V hatte bis zum Zugang der berichtigten Rechnung vom 22. November 1984 keine Vorsteuervergütung (§§ 59 bis 61 UStDV 1980) erhalten. Die Frist für deren Beantragung (§ 61 Abs. 1 Satz 2 UStDV 1980) war zu diesem Zeitpunkt bereits abgelaufen. Für einen Vorsteuerabzug im Rahmen eines Besteuerungsverfahrens nach § 16 und § 18 Abs. 1 bis 4 UStG 1980 (vgl. § 57 Abs. 2 UStDV 1980) bestehen keine Anhaltspunkte.

c) Auch das Gemeinschaftsrecht spricht nicht für die strengeren Anforderungen der Finanzverwaltung an eine Berichtigung nach § 14 Abs. 2 Satz 2 UStG 1980, zumal das (deutsche) UStG 1980 (wie schon das UStG 1967) nach bislang vorherrschender Ansicht eine formalere Handhabung von Vorsteuerabzug des Leistungsempfängers und Steuerschuld des Leistenden aus unrichtigen Rechnungen vorsieht, als dies nach der Auslegung der 6. EG-Richtlinie zur Harmonisierung der Umsatzsteuern (77/388/EWG, Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften 1977, Nr. L 145, S. 1) durch den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) gemeinschaftsrechtlich erforderlich ist (vgl. EuGH, Urteil vom 13. Dezember 1989 Rs. C-342/87, Slg. 1989, 4227, UR 1991, 83). Wie der erkennende Senat in seinem Urteil vom 29. Oktober 1987 V R 154/83 (BFHE 152, 161, BStBl II 1988, 508) ausgeführt hatte, hängt der Vorsteuerabzug nach § 15 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 UStG 1980 nicht davon ab, daß die Leistung, über die mit gesondert ausgewiesenem Steuerbetrag abgerechnet wurde, tatsächlich steuerpflichtig ist. Der EuGH legte in seinem vorbezeichneten Urteil entgegen dieser Auffassung, die insbesondere auch von der Kommission der EG vertreten wurde (vgl. Absatz 9 f. des Urteils), Art. 17 der 6. EG-Richtlinie dahin aus, daß das darin vorgesehene Recht auf Vorsteuerabzug sich nicht auf eine Steuer erstrecke, die ausschließlich deshalb geschuldet werde, weil sie in der Rechnung ausgewiesen sei, sondern daß das Recht auf Vorsteuerabzug nur für diejenigen Steuern bestehe, die geschuldet werden, d. h. mit einem der Besteuerung unterworfenen Umsatz im Zusammenhang stehen. Zur Wahrung des Grundsatzes "der Neutralität der Mehrwertsteuer" ist es nach Auffassung des EuGH "Sache der Mitgliedstaaten ...., die Geltung dieses Grundsatzes dadurch zu gewährleisten, daß sie in ihrem innerstaatlichen Recht vorsehen, daß jede zu Unrecht in Rechnung gestellte Steuer berichtigt werden kann, wenn der Aussteller der Rechnung seinen guten Glauben nachweist".

Auch dieser Rechtsprechung des EuGH läßt sich nicht entnehmen, daß für die Berichtigung eines unrichtigen Steuerausweises (höherer Steuerbetrag) die Rückgabe der sog. Erstrechnung erforderlich sei.

2. Das FG ging auch zutreffend davon aus, daß die Berichtigung in entsprechender Anwendung des § 17 Abs. 1 Satz 3 UStG 1980 im Streitjahr als dem Jahr der Rechnungsberichtigung vorzunehmen war (vgl. Senatsurteil in BFHE 159, 277, BStBl II 1990, 401, unter 1. mit Nachweisen).