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  BFH-Urteil vom 12.2.1992 (II R 113/88) BStBl. 1993 II S. 268

Im Rahmen der Schätzung des gemeinen Werts nichtnotierter Anteile an Kapitalgesellschaften nach dem sog. Stuttgarter Verfahren können die mit einer Preissteigerungsrücklage (§ 74 EStDV) verbundenen latenten Ertragsteuerbelastungen bei der Ermittlung des Vermögenswerts nicht berücksichtigt werden (Anschluß an BFHE 126, 227, BStBl II 1979, 34).

BewG 1965 § 9, § 11 Abs. 2.

Vorinstanz: FG Hamburg (EFG 1988, 505)

Sachverhalt

I.

Sämtliche Anteile an der Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), einer GmbH, wurden am streitigen Stichtag (31. Dezember 1972) von der Beigeladenen, einer KG, gehalten. Zwischen der Klägerin und der Beigeladenen bestand ein steuerlich anerkanntes Organschaftsverhältnis mit Ergebnisabführungsverpflichtung.

In ihrer Steuerbilanz zum 31. Dezember 1972 wies die Klägerin Preissteigerungsrücklagen (vgl. § 74 der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung 1971 - EStDV -) in Höhe von 33.006.040 DM aus. Die auf diese Rücklagen entfallende latente Ertragsteuerbelastung betrug - abgezinst - 10.379.019 DM.

Im Anschluß an eine Außenprüfung stellte das Finanzamt (FA) mit dem angefochtenen, gemäß § 164 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) geänderten Bescheid vom 13. März 1985 den gemeinen Wert der Anteile an der Klägerin auf den 31. Dezember 1972 mit 979 DM für je 100 DM des Stammkapitals fest. Dabei berücksichtigte das FA die auf die Preissteigerungsrücklagen entfallende latente Ertragsteuerbelastung zwar bei der Ermittlung des Ertragshundertsatzes, nicht jedoch bei der Errechnung des Vermögenswerts.

Mit ihrer nach erfolglosem Einspruch erhobenen Klage begehrte die Klägerin, die auf die Preissteigerungsrücklagen entfallende latente Ertragsteuerbelastung auch bei der Ermittlung des Vermögenswertes zu berücksichtigen.

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage mit seinem in den Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1988, 505 veröffentlichten Urteil ab.

Mit ihrer Revision rügt die Klägerin die Verletzung materiellen Rechts. Sie beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben sowie den angefochtenen Feststellungsbescheid in Gestalt der Einspruchsentscheidung mit der Maßgabe abzuändern, daß der gemeine Wert der Anteile auf den 31. Dezember 1972 auf 730 DM für je 100 DM des Stammkapitals festgestellt werde.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das FA) beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist unbegründet.

1. Anteile an Kapitalgesellschaften, die keinen Kurswert i. S. von § 11 Abs. 1 des Bewertungsgesetzes (BewG) haben, sind gemäß § 11 Abs. 2 BewG mit dem gemeinen Wert anzusetzen. Liegen - wie im Streitfall - zeitnahe Verkäufe, aus denen der gemeine Wert abgeleitet werden könnte, nicht vor, so ist dieser Wert unter Berücksichtigung des Vermögens und der Ertragsaussichten der Gesellschaft zu schätzen (§ 11 Abs. 2 Satz 2 BewG). Diese Schätzung erfolgt nach dem in Abschn. 76 ff. der Vermögensteuer-Richtlinien 1972 (VStR 1972) geregelten Stuttgarter Verfahren, das der Bundesfinanzhof (BFH) in ständiger Rechtsprechung als ein geeignetes Schätzungsverfahren anerkannt hat, soweit es nicht in Ausnahmefällen zu offensichtlich unrichtigen Ergebnissen führt (vgl. z. B. Urteile vom 6. März 1991 II R 18/88, BFHE 164, 91, BStBl II 1991, 558, und vom 28. März 1990 II R 108/85, BFHE 159, 568, BStBl II 1990, 493).

Zu Recht hat es das FG abgelehnt, die auf die von der Klägerin gebildeten Preissteigerungsrücklagen entfallende latente Ertragsteuerbelastung bei der Ermittlung des Vermögenswertes nach Abschn. 77 VStR 1972 abzusetzen.

a) Der Vermögenswert der Anteile an der Klägerin bemißt sich nach den Regeln des Abschn. 77 VStR 1972. Ausgangspunkt der danach maßgeblichen tatsächlichen Werte der am streitigen Stichtag vorhandenen Wirtschaftsgüter ist - aus Praktikabilitätsgründen - der Einheitswert des Betriebsvermögens (Abschn. 77 Abs. 1 Satz 2 VStR 1972). Dieser kann freilich für die Anteilsbewertung nicht unbesehen übernommen werden. Er bedarf vielmehr einer Korrektur nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten. Diese Korrektur darf allerdings nicht dazu führen, daß am streitigen Stichtag noch nicht vorhandenes, erst künftig entstehendes (Aktiv- oder Passiv-)Vermögen bei der Vermögenswertermittlung berücksichtigt wird.

Die Schätzung des gemeinen Werts der Anteile dient dem Zweck, einen Steuerwert zu ermitteln. Dies gebietet es, die Grundsätze des Bewertungsrechts und damit insbesondere das Stichtagsprinzip zu beachten (Senatsurteil vom 13. August 1986 II R 213/82, BFHE 147, 531, BStBl II 1987, 48, 50, unter 2., m. w. N.). Hiernach dürfen sich bei der Ermittlung des Vermögenswerts nur solche Verhältnisse und Gegebenheiten auswirken, die im Bewertungszeitpunkt so hinreichend konkretisiert sind, daß mit ihnen als Tatsache zu rechnen ist. Daraus folgt, daß bei der Ermittlung des Vermögenswerts nur entstandene Schulden oder wenigstens ausreichend begründete Verhältnisse für ein Leistungsgebot berücksichtigt werden dürfen (vgl. BFH-Urteil vom 2. Oktober 1981 III R 27/77, BFHE 134, 167, BStBl II 1982, 8, 9, unter 2. a). Alles andere liefe auf die unzulässige Ermittlung des künftigen und nicht des allein maßgeblichen, am streitigen Stichtag vorhandenen Vermögens hinaus.

b) Dementsprechend hat es der BFH in ständiger Rechtsprechung abgelehnt, die in den stillen Reserven des (steuerbilanziellen) Betriebsvermögens enthaltene latente Ertragsteuerbelastung bei der Ermittlung des Vermögenswerts abzusetzen (Urteile vom 9. September 1966 III 263/63, BFHE 87, 108, BStBl III 1967, 43; vom 18. Dezember 1968 III R 135/67, BFHE 95, 266, BStBl II 1969, 370; vom 20. Dezember 1968 III R 122/67, BFHE 95, 280, BStBl II 1969, 373; vom 20. Oktober 1978 III R 31/76, BFHE 126, 227, BStBl II 1979, 34; in BFHE 134, 167, BStBl II 1982, 8; vgl. auch das Urteil des erkennenden Senats vom 2. Oktober 1991 II R 153/88, BFHE 166, 372, BStBl II 1992, 274, betreffend den ähnlichen Fall der latenten Belastung der stillen Reserven mit der Verpflichtung eines Versicherungsunternehmens, einen Teil der laufenden Überschüsse an die Versicherungsnehmer auszukehren).

Dies gilt auch in bezug auf solche latenten Ertragsteuerbelastungen, die mit steuerfreien Rücklagen - hier der Preissteigerungsrücklage - verbunden sind. Steuerfreie Rücklagen lassen sich als "gleichsam offen ausgewiesene stille Reserven" begreifen (BFH-Urteil vom 25. Juni 1975 I R 201/73, BFHE 116, 532, BStBl II 1975, 848, 850, linke Spalte). Bereits in seinem Urteil in BFHE 126, 227, BStBl II 1979, 34 hat es der III. Senat des BFH abgelehnt, die mit einer Preissteigerungsrücklage verbundene latente Ertragsteuerbelastung bei der Ermittlung des Vermögenswerts als Schuldposten zu berücksichtigen. Er hat dabei darauf hingewiesen, daß im Hinblick auf das Stichtagsprinzip Schwebezustände nur insoweit Beachtung finden könnten, als sie sich aufgrund der bis zum Bewertungszeitpunkt eingetretenen Entwicklung konkretisiert hätten. Diese bewertungsrechtliche Regelung diene der Typengerechtigkeit, die den Vorrang vor der mangels Praktikabilität in einer Massenbewertung nicht durchsetzbaren individuellen Gerechtigkeit habe. Preissteigerungsrücklagen stellten nach Handelsbilanzrecht einen Sonderposten mit Rücklagenanteil dar. Diese Mischposten enthielten nicht nur Rücklagen, sondern auch Rückstellungen für zukünftige Steuerforderungen. Indessen könne nicht jede Rückstellung zu einem Schuldabzug bei der Ermittlung des Vermögens i. S. des § 11 Abs. 2 Satz 2 BewG führen, sondern nur solche Rückstellungen, denen ein Sachverhalt zugrunde liege, der die Leistungspflicht hinreichend konkretisiere. Das sei bei den latenten Ertragsteuerbelastungen nicht der Fall. Es komme hinzu, daß bei Betrieben, die sich nicht in Liquidation befänden, sondern auf Fortführung gerichtet seien, die latente Ertragsteuerbelastung auch betriebswirtschaftlich nicht auf dem Vermögen liege, sondern die zukünftigen Gewinne belaste. Dies treffe auf die Preissteigerungsrücklage in besonderem Maße zu, deren Funktion darin bestehe, Gewinne der Vergangenheit in die Zukunft zu verlagern (BFH in BFHE 126, 227, BStBl II 1979, 34, unter 3.).

Diesen Erwägungen schließt sich der erkennende Senat an. Für die in Rede stehenden latenten Ertragsteuerbelastungen kann am streitigen Stichtag eine (den Vermögenswert mindernde) Schuld nicht ber_cksichtigt werden, weil die mit der künftigen Auflösung der Preissteigerungsrücklagen verbundenen Erträge und die damit - möglicherweise - einhergehenden Steuerschulden erst nach dem streitigen Stichtag entstehen. Ebensowenig kann für die latente Ertragsteuerbelastung der Preissteigerungsrücklagen eine Rückstellung angesetzt werden, da ein die Leistungspflicht hinreichend konkretisierender Sachverhalt am streitigen Stichtag noch nicht vorlag. Zwar ist der Klägerin zuzugeben, daß - im Unterschied zu den etwa im nichtabnutzbaren Anlagevermögen enthaltenen stillen Reserven - bei der Preissteigerungsrücklage feststeht, ob, wann und in welcher Höhe sie aufzulösen ist. Offen ist aber auch hier, ob, wann und in welcher Höhe die spätere Auflösung der steuerfreien Rücklagen zu einer Erhöhung der Steuerschulden künftiger Jahre führen wird. Denn die künftige Ertragsteuerbelastung wird naturgemäß nicht nur durch die Auflösung steuerfreier Rücklagen, sondern durch eine Vielzahl - auch gegenläufig wirkender - Faktoren bestimmt (BFH-Urteil in BFHE 95, 266, BStBl II 1969, 370, unter II.).

Mit Recht hat der III. Senat überdies darauf hingewiesen, daß die Preissteigerungsrücklage die künftigen Erträge, nicht hingegen das gegenwärtige Vermögen belastet. Eine Belastung und Minderung des Vermögens tritt erst nach dem streitigen Stichtag, nämlich in dem Augenblick ein, in dem der erhöhte Steueraufwand entsteht und dadurch "die Erträge belastet" werden.

c) Davon abgesehen kommt ein Abzug der in den Preissteigerungsrücklagen enthaltenen latenten Ertragsteuerbelastung im vorliegenden Streitfall aber auch schon deswegen nicht in Betracht, weil es sich bei der Klägerin um eine Organgesellschaft handelt, die aufgrund eines - steuerlich wirksamen - Ergebnisabführungsvertrages (EAV) ihren gesamten Gewinn an die Beigeladene (= Organträgerin) abzuführen hat.

Diese Besonderheiten haben die ertragsteuerliche Konsequenz, daß die von der Klägerin erzielten Einkommen und Gewerbeerträge in vollem Umfang bei der Beigeladenen als Organträgerin erfaßt und allein dort versteuert werden. Die Klägerin hat also weder Körperschaftsteuer noch Gewerbesteuer zu zahlen (vgl. § 7 a des Körperschaftsteuergesetzes - KStG - 1968, § 2 Abs. 2 Nr. 2 Satz 2 des Gewerbesteuergesetzes - GewStG - 1968).

Ungeachtet dieser ertragsteuerlichen Rechtslage werden zwar einerseits die von der Organgesellschaft erzielten Gewinne trotz des bestehenden EAV nach der ständigen Rechtsprechung des BFH zur Anteilsbewertung bei der Ermittlung des Ertragshundertsatzes der Organgesellschaft berücksichtigt (vgl. z. B. Urteile in BFHE 164, 91, BStBl II 1991, 558, unter II. 1. a); vom 2. Oktober 1985 II R 214/82, BFHE 145, 90, BStBl II 1986, 47, 48; vom 25. Oktober 1974 III R 128/73, BFHE 113, 531, BStBl II 1975, 83, unter 1., mit weiteren Nachweisen aus der älteren Rechtsprechung). Denn der Abschluß eines EAV führt nicht zur Ertragslosigkeit der Anteile an der Organgesellschaft. Die Abführungsverpflichtung ist bei der Bewertung der Anteile an der Organgesellschaft ebensowenig gewinnmindernd zu berücksichtigen wie eine Gewinnausschüttung (Urteil in BFHE 164, 91, BStBl II 1991, 558, unter II. 1. a), m. w. N.). Andererseits kann jedoch nicht an der Tatsache vorbeigegangen werden, daß die von der Organgesellschaft erzielten Gewinne und Erträge bei dieser keiner ertragsteuerlichen Belastung (mit Körperschaftsteuer und Gewerbesteuer) unterliegen. In seinem Urteil in BFHE 145, 90, BStBl II 1986, 47 hat der erkennende Senat daher entschieden, daß bei der Berücksichtigung der Ertragsaussichten im Rahmen der Bewertung von Anteilen an einer Organgesellschaft mit Ergebnisabführungsverpflichtung eine fiktive Körperschaftsteuer nicht abgezogen werden kann. Zutreffend hat das FG darauf hingewiesen, daß nichts anderes für den Abzug einer latenten Ertragsteuerbelastung bei der Ermittlung des Vermögenswertes der Organgesellschaft gelten könne. Wenn schon am Bewertungsstichtag realisierte Gewinne (Erträge) nicht zu Körperschaftsteuer- und Gewerbesteuerschulden der Organgesellschaft und damit zu einer Minderung des Vermögenswertes durch entsprechende Passivposten führen können, so muß dies grundsätzlich in gleicher Weise auch für die in den stillen Reserven und steuerfreien Rücklagen (hier: Preissteigerungsrücklagen) verkörperten nichtverwirklichten Gewinne gelten, für die dann ebenfalls ein Passivposten (d. h. eine Steuer"rückstellung" in Höhe der latenten Ertragsteuerbelastung) nicht angesetzt werden kann.