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  BFH-Urteil vom 4.11.1992 (XI R 32/91) BStBl. 1993 II S. 425

Die Hemmung der Festsetzungsfrist aufgrund einer Außenprüfung beim Gesellschafter tritt nicht hinsichtlich derjenigen Besteuerungsgrundlagen ein, die gesondert festzustellen sind.

AO 1977 § 171 Abs. 4 und Abs. 10.

Vorinstanz: FG Münster

Sachverhalt

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) erzielte im Streitjahr u. a. Einkünfte aus Gewerbebetrieb aus einer Kommanditbeteiligung an einer Seeschiffsreederei in Berlin (KG). Im Streitjahr erzielte er aus der Veräußerung dieser Beteiligung einen Veräußerungsgewinn von 73.936 DM, den er in seiner 1982 abgegebenen Einkommensteuererklärung nicht erklärte. Der Kläger wurde zunächst unter Vorbehalt der Nachprüfung veranlagt. Nach einer auch die Einkommensteuer des Streitjahres betreffenden, Ende 1986 durchgeführten Außenprüfung erließ der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) am 25. Mai 1987 unter Aufhebung des Vorbehalts der Nachprüfung einen geänderten Einkommensteuerbescheid, in dem auch eine am 27. Juni 1986 beim FA eingegangene Mitteilung des für die KG zuständigen Betriebs-FA, nach der am 17. April 1986 ein geänderter Feststellungsbescheid ergangen war, durch Berücksichtigung des Veräußerungsgewinns ausgewertet wurde.

Der u. a. gegen den Ansatz des Veräußerungsgewinns gerichtete Einspruch des Klägers blieb ohne Erfolg. Im Laufe des gerichtlichen Verfahrens hielt der Kläger ursprüngliches weiteres Begehren nicht mehr aufrecht, sondern wandte sich nur noch gegen den Ansatz des Veräußerungsgewinns. In dem angefochtenen Urteil gab das Finanzgericht (FG) der Klage statt.

Zur Begründung der Revision trägt das FA vor, durch eine Betriebsprüfung werde die Frist für die Festsetzungsverjährung im Umfang der Prüfungsanordnung gehemmt, nicht aber im tatsächlichen Umfang der Prüfung. Folge man der gegenteiligen Auffassung des FG, würden diejenigen Einkommensteueransprüche, die sich auf gesondert festzustellende Einkünfte bezögen, keiner Ablaufhemmung unterliegen, weil allenfalls eine Ablaufhemmung bezüglich der Feststellungsfrist in Betracht käme. Nach § 171 Abs. 4 der Abgabenordnung (AO 1977) werde der Ablauf der Festsetzungsfrist für die Steuern gehemmt, auf die sich die Außenprüfung erstrecke. Dies sei im Streitfall die gesamte Einkommensteuer des Streitjahres. Im übrigen unterlägen Steuerfestsetzungen aufgrund einer Außenprüfung der Änderungssperre des § 173 Abs. 2 AO 1977 unabhängig davon, ob nachträglich bekanntgewordene Tatsachen bei der Prüfung hätten festgestellt werden können, weil der aufgrund der Prüfung ergangene Einkommensteuerbescheid alle für die Einkommensteuer maßgebenden Besteuerungsgrundlagen des betreffenden Jahres umfasse. Eine solche umfassende Wirkung der Änderungssperre sei nur gerechtfertigt, wenn die durch die Außenprüfung bewirkte Ablaufhemmung sich ebenfalls auf den gesamten Umfang des in der Prüfungsanordnung bezeichneten Steueranspruchs bezöge.

Das FA beantragt, das angegriffene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Das FA hat am 7. August 1990 einen geänderten Bescheid erlassen, der die Streitfrage nicht berührt. Der Kläger hat beantragt, den geänderten Bescheid zum Gegenstand des Verfahrens zu machen (§§ 68, 123 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

Entscheidungsgründe

Die Revision führt zur Aufhebung des angegriffenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO). Das FG hat nicht geprüft, ob dem Kläger wegen der unterlassenen Erklärung des Veräußerungsgewinns in seiner Einkommensteuererklärung für das Streitjahr eine Steuerhinterziehung oder eine leichtfertige Steuerverkürzung mit der Folge der verlängerten Festsetzungsfrist (§ 169 Abs. 2 Satz 2 AO 1977) vorzuwerfen ist. Da das angegriffene Urteil insoweit keine Feststellungen enthält, ist der Senat zu einer abschließenden Entscheidung nicht imstande. Würden die Feststellungen des FG weder eine Steuerhinterziehung noch eine leichtfertige Steuerverkürzung ergeben, war die Festsetzungsfrist für die Einkommensteuer 1980 gemäß §§ 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, 170 Abs. 2 Nr. 1 AO 1977 Ende 1986 abgelaufen, so daß das FA den Gewinn aus der Veräußerung der KG-Beteiligung im Einkommensteuerbescheid vom 25. Mai 1987 nicht mehr erfassen durfte.

Die durch § 171 Abs. 10 AO 1977 vorgeschriebene Frist für die Anpassung des Einkommensteuerbescheids an den geänderten Feststellungsbescheid war bei Erlaß des geänderten Einkommensteuerbescheids am 25. Mai 1987 bereits abgelaufen. Der Ablauf der Festsetzungsfrist aufgrund der Außenprüfung war insoweit nicht nach § 171 Abs. 4 AO 1977 gehemmt.

Nach dieser Vorschrift läuft die Festsetzungsfrist für die Steuern, auf die sich eine Außenprüfung erstreckt, mit der vor Ablauf der Festsetzungsfrist begonnen wird, nicht ab, bevor die aufgrund der Außenprüfung zu erlassenden Steuerbescheide unanfechtbar geworden sind. § 171 Abs. 4 AO 1977 unterscheidet sich von der bis 1976 gültigen Vorschrift des § 146 a Abs. 3 der Reichsabgabenordnung (AO) nicht nur durch die Ersetzung des Begriffs Betriebsprüfung durch den der Außenprüfung, was keine sachliche Bedeutung hat, sondern auch darin, daß sich die Hemmung der Festsetzungsfrist auf die Steuern bezieht, auf die sich die Außenprüfung erstreckt. § 146 a Abs. 3 AO stellt demgegenüber auf die Hemmung der Ansprüche ab. Der sachliche Umfang der Ablaufhemmung während einer Prüfung ergibt sich bis 1976 aus den Sachverhalten, die für die durch die Betriebsprüfungsanordnung bezeichneten Steuerarten und Besteuerungszeiträume von Bedeutung sind und auf die sich die Prüfung tatsächlich erstreckt (Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 19. März 1985 VIII R 4/81, BFH/NV 1986, 3). Nach der durch § 171 Abs. 4 AO 1977 geschaffenen Rechtslage bestimmt sich der Umfang der Fristhemmung hingegen nach den Steuern, die in der Prüfungsanordnung genannt und vom Prüfer auch tatsächlich - jedenfalls stichprobenartig - geprüft werden (BFH-Urteil vom 18. Juli 1991 V R 54/87, BFHE 165, 13, BStBl II 1991, 824). Die Prüfungsanordnung gibt somit den Rahmen vor, innerhalb dessen die Ablaufhemmung eintreten kann, während die tatsächlichen Prüfungsmaßnahmen im Einzelfall diejenige Steuerart und den Besteuerungszeitraum bestimmen, in dem die Ablaufhemmung im Einzelfall tatsächlich eintritt (Gosch in Deutsches Steuerrecht - DStR - 1988, 416, 419; Ruban in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, 9. Aufl., Rdnrn. 55 und 56 zu § 171 AO 1977; a. A. Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 14. Aufl., § 171 AO 1977 Tz. 16 a, die auf die einzelnen geprüften Besteuerungsgrundlagen abstellen).

Dem FA ist zuzugeben, daß die in § 171 Abs. 4 AO 1977 verwendete Formulierung "Steuern, auf die sich die Außenprüfung erstreckt" so verstanden werden könnte, daß alle für die Steuer des betreffenden Zeitraums maßgeblichen Besteuerungsgrundlagen von der Fristhemmung aufgrund der Außenprüfung erfaßt würden. Hinsichtlich derjenigen Besteuerungsgrundlagen, die nicht Gegenstand einer Außenprüfung beim Steuerpflichtigen sein können, kann dieser Grundsatz jedoch nicht gelten. § 171 Abs. 4 AO 1977 betrifft nämlich nach der Gesetzessystematik und dem der Vorschrift zugrunde liegenden Zweck nur solche Bescheide, die unmittelbar aufgrund einer Außenprüfung ergehen. Die Vorschrift verfolgt den Zweck, sicherzustellen, daß die Prüfungsfeststellungen auch tatsächlich der Besteuerung zugrunde gelegt werden können (Tipke/Kruse, a. a. O., Tz. 16 a zu § 171 AO 1977). Darüber hinaus soll durch die Verwendung des umfassenden Begriffs "Steuern" eine etwaige Unklarheit über den Umfang der Ablaufhemmung aufgrund der Außenprüfung ausgeschlossen werden (BTDrucks VI/1982, S. 151 ff. zu § 152 Abs. 3 des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung - EGAO 1977 -; BFH-Urteil vom 15. Dezember 1989 VI R 151/86, BFHE 159, 296, BStBl II 1990, 526). Eine am Gesetzeszweck orientierte Auslegung der Vorschrift ergibt, daß dieser Zweck nicht erfordert, die Hemmung der Festsetzungsfrist auf Besteuerungsgrundlagen zu erstrecken, die gemäß § 180 Abs. 1 Nr. 2 a AO 1977 gesondert festzustellen sind und die deshalb nicht Gegenstand einer Außenprüfung beim Steuerpflichtigen sind. Ihre Herausnahme aus dem von der Ablaufhemmung erfaßten Bereich beeinträchtigt nicht die Verwertung der Prüfungsfeststellungen, weil diese sich auf derartige Besteuerungsgrundlagen nicht erstrecken können. Unklarheit über den Umfang der Fristhemmung hinsichtlich der Festsetzung kann deshalb nicht entstehen, weil schon aufgrund von § 182 Abs. 1 AO 1977 gesetzlich klargestellt ist, daß diejenigen Sachverhalte, die dem Feststellungsbereich zuzuordnen sind, im Feststellungsverfahren mit bindender Wirkung für die Steuerfestsetzung festgestellt werden.

Insbesondere ergibt aber die Gesetzessystematik hinsichtlich des Festsetzungsverfahrens und des Feststellungsverfahrens, daß gesondert festzustellende Besteuerungsgrundlagen gesondert betrachtet werden müssen, und zwar sowohl hinsichtlich des Verfahrens (einerseits §§ 155 ff. AO 1977, andererseits §§ 179 ff. AO 1977) als auch hinsichtlich der Fristen (einerseits §§ 169 ff. AO 1977, andererseits § 181 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 mit Sondervorschriften in § 181 Abs. 3 und 4 AO 1977). Eine Verknüpfung beider Verfahren findet in materieller Hinsicht aufgrund von § 182 Abs. 1 und § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO 1977 dadurch statt, daß Feststellungsbescheide die erforderlichen Folgebescheide inhaltlich binden und letztere bei einer Änderung der Grundlagenbescheide diesen angepaßt werden müssen, wobei hierfür § 171 Abs. 10 AO 1977 eine besondere Frist festlegt. Damit ergänzt § 171 Abs. 10 AO 1977 in verjährungsrechtlicher Hinsicht § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO 1977 (BFH-Urteil vom 12. August 1987 II R 202/84, BFHE 150, 319, BStBl II 1988, 318). Die Ablaufhemmung des § 171 Abs. 10 AO 1977 bezieht sich auf die Festsetzung des Steuerbetrags, für den die Besteuerungsgrundlagen abweichend von § 157 Abs. 2 AO 1977 in einem Feststellungsverfahren in verbindlicher Form gesondert festgestellt werden müssen. Daraus ergibt sich einerseits eine materielle Beschränkung des von der Frist des § 171 Abs. 10 AO 1977 betroffenen Sachverhalts, andererseits die Unabhängigkeit der im Feststellungsverfahren erfaßten Besteuerungsgrundlagen im Hinblick auf die Verjährungsfristen. In den dem vorliegenden Sachverhalt entgegengesetzten Fällen wird deshalb durch eine Außenprüfung im Bereich der Gewinnfeststellung der Ablauf der Festsetzungsfrist für den Folgebescheid nicht in vollem Umfang gehemmt, sondern aufgrund von § 171 Abs. 10 AO 1977 lediglich hinsichtlich der Besteuerungsgrundlagen, die Gegenstand der Gewinnfeststellung sind (BFH-Urteile vom 4. April 1989 VIII R 265/84, BFHE 156, 371, BStBl II 1989, 593; vom 13. Dezember 1989 X R 179/87, BFH/NV 1990, 681; Herden, Deutsche Steuer-Zeitung 1980, 254; Brandis, DStR 1986, 174).

Gegen diese Auffassung spricht auch nicht die durch § 173 Abs. 2 AO 1977 festgelegte Änderungssperre nach vorausgegangener Außenprüfung. Diese bezieht sich nur auf Änderungen i. S. von § 173 Abs. 1 AO 1977, nicht aber auf Änderungen, die aufgrund anderer Vorschriften erfolgen (BFH-Urteile vom 29. April 1987 I R 118/83, BFHE 149, 508, BStBl II 1988, 168; vom 28. November 1989 VIII R 83/86, BFHE 159, 418, BStBl II 1990, 458). Eine erhöhte Rechtsbeständigkeit aufgrund einer Außenprüfung kommt nur insoweit in Betracht, als die Besteuerungsgrundlagen Gegenstand der Außenprüfung waren.