| Home | Index | EStG | Neuzugang | Impressum  
       

 

 

 

 

 

  BFH-Urteil vom 15.12.1992 (IX R 131/90) BStBl. 1993 II S. 492

1. Nutzt ein Steuerpflichtiger eine ihm nicht gehörende Wohnung aufgrund einer gesicherten Rechtsposition, so hat er den Nutzungswert zu versteuern, wenn das vereinbarte und gezahlte Nutzungsentgelt erheblich niedriger als die ortsübliche Marktmiete ist (Anschluß an BFH-Urteil vom 29. November 1983 VIII R 215/79, BFHE 140, 199, BStBl II 1984, 366). Dies ist für Veranlagungszeiträume vor 1987 stets anzunehmen, wenn die ortsübliche Marktmiete um mehr als ein Drittel unterschritten wird.

2. Hat der unentgeltlich Nutzende die gesicherte Rechtsposition durch ein schuldrechtliches Nutzungsrecht an einem Objekt i. S. des § 21 a EStG erlangt, so ist der Nutzungswert dem Nutzungsberechtigten gemäß § 21 Abs. 2, 2. Alternative EStG zuzurechnen.

EStG § 21 Abs. 1 und Abs. 2, 1. und 2. Alternative; EStG 1987 § 21 Abs. 2 Satz 2, § 21 a.

Vorinstanz: FG Münster

Sachverhalt

Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) sind zur Einkommensteuer zusammenveranlagte Eheleute. Im Rahmen einer Betriebsprüfung bei den Eltern der Klägerin stellte der Prüfer u. a. fest, daß die Kläger von diesen ein Einfamilienhaus in D. ab 1. April 1982 zu einem vertraglich vereinbarten monatlichen Mietzins von 700 DM zuzüglich Nebenkosten gemietet hatten. Den monatlich ortsüblichen Nettomietzins ermittelte der Prüfer für die Streitjahre mit 1.250 DM. Außerdem stellte der Prüfer fest, daß im Streitjahr 1984 die von der Klägerin gezahlten Nebenkosten um 600 DM unter den umlagefähigen Ausgaben lagen. Ausgehend von diesen Feststellungen ermittelte der Prüfer den Differenzbetrag zwischen der vertraglich vereinbarten und der ortsüblichen Miete für das Streitjahr 1984 mit (unstreitig) 7.200 DM und für das Streitjahr 1985 mit (unstreitig) 6.600 DM. Er vertrat die Auffassung, in Höhe des Differenzbetrages zwischen der vertraglich vereinbarten und der ortsüblichen Miete werde den Klägern in den Streitjahren (1984: 7.200 DM, 1985: 6.600 DM) das Einfamilienhaus teilweise unentgeltlich aufgrund einer gesicherten Rechtsposition zur Nutzung überlassen. Dies habe zur Folge, daß den Klägern gemäß § 21 Abs. 2 Satz 2, 2. Alternative des Einkommensteuergesetzes (EStG) ein entsprechender Nutzungswert bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung zuzurechnen sei.

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) folgte der Rechtsauffassung des Prüfers und erließ daraufhin gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) geänderte Einkommensteuerbescheide für die Streitjahre.

Das Finanzgericht (FG) gab der nach erfolglosem Einspruch erhobenen Klage statt. Es führte zur Begründung seiner Entscheidung aus, die Regelung des § 21 Abs. 2 Satz 2 EStG 1987, nach der eine Aufteilung der Nutzungsüberlassung einer Wohnung in einen entgeltlichen und einen unentgeltlichen Teil vorzunehmen sei, wenn das Entgelt für die Nutzungsüberlassung weniger als 50 v. H. der ortsüblichen Marktmiete betrage, sei auch für Veranlagungszeiträume vor 1987 anzuwenden. Danach gelte eine bis zu 50 v. H. ermäßigte Marktmiete als vollentgeltliche Miete. Da im Streitfall der Mietzins mehr als 50 v. H. der ortsüblichen Marktmiete (1984: 54 v. H., 1985: 56 v. H.) betragen habe, liege keine teilweise entgeltliche Nutzungsüberlassung vor. Deshalb könne den Klägern auch kein Nutzungswert zugerechnet werden.

Das FA rügt mit der Revision Verletzung von § 21 Abs. 2 Satz 2 EStG in der für das Streitjahr geltenden Fassung. Nach dieser Vorschrift gehöre zu den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung auch der Nutzungswert einer dem Steuerpflichtigen ganz oder teilweise unentgeltlich überlassenen Wohnung. Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs - BFH - (Urteil vom 29. November 1983 VIII R 215/79, BFHE 140, 199, BStBl II 1984, 366) habe ein ganz oder teilweise unentgeltlich Nutzender, der, wie im Streitfall, eine Wohnung aufgrund einer gesicherten Rechtsposition (Mietvertrag) innehat, den Nutzungswert zu versteuern, soweit die Unentgeltlichkeit reiche. Das FA habe deshalb zu Recht den Klägern einen Nutzungswert zugerechnet, soweit sie das Einfamilienhaus unstreitig zu 46 v. H. (1984) und 44 v. H. (1985) teilweise unentgeltlich aufgrund eines Mietvertrages nutzten. Die ab dem Veranlagungszeitraum 1987 geltende Gesetzesregelung des § 21 Abs. 2 Satz 2 EStG 1987 sei auf die Streitjahre nicht anwendbar.

Das FA beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Kläger beantragen, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Während des Revisionsverfahrens hat das FA fürEntscheidungsgründe die Streitjahre hinsichtlich der Höhe des Grundfreibetrags und der Kinderfreibeträge vorläufige Änderungsbescheide erlassen (Einkommensteuerbescheide 1984 und 1985 jeweils vom 31. Juli 1991). Die Kläger haben diese Bescheide gemäß §§ 121, 123, 68 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zum Gegenstand des Verfahrens gemacht.

Entscheidungsgründe

Die Revision des FA ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Entscheidung in der Sache selbst (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 FGO).

1. Das angefochtene Urteil ist aufzuheben, weil das FG rechtsfehlerhaft den Unterschiedsbetrag zwischen der ortsüblichen Marktmiete der Wohnung im Einfamilienhaus und der gezahlten Miete nicht zu den Einnahmen der Kläger aus Vermietung und Verpachtung gerechnet hat.

a) Überläßt ein Eigentümer eine Wohnung ganz oder teilweise unentgeltlich in der Weise, daß der Nutzende die Wohnung aufgrund einer gesicherten Rechtsposition innehat, so hat nach ständiger Rechtsprechung des BFH (vgl. Urteil in BFHE 140, 199, BStBl II 1984, 366) der Nutzende den Nutzungswert zu versteuern. Eine teilweise unentgeltliche Nutzungsüberlassung liegt nach der für die Veranlagungszeiträume vor 1987 maßgebenden Rechtslage immer dann vor, wenn das Nutzungsentgelt die ortsübliche Marktmiete erheblich, d. h. um mehr als ein Drittel, unterschreitet; denn dann ist davon auszugehen, daß die Wohnung teilweise nicht zum Zwecke der Einkunftserzielung überlassen worden ist.

Die ab dem 1. Januar 1987 geltende Regelung, nach der die Überlassung einer Wohnung zu Wohnzwecken - erst - dann in einen entgeltlichen und einen unentgeltlichen Teil aufzuteilen ist, wenn das Entgelt für die Nutzungsüberlassung weniger als 50 v. H. der ortsüblichen Marktmiete beträgt (§ 21 Abs. 2 Satz 2 EStG i. d. F. des Wohneigentumsförderungsgesetzes - WohnEigFG - vom 15. Mai 1986 - BGBl I 1986, 730, BStBl I 1986, 278 -), ist auf Veranlagungszeiträume vor 1987 nicht anwendbar; sie kann insbesondere nicht bei der Auslegung des § 21 Abs. 2 in der vor Inkrafttreten des WohnEigFG geltenden Fassung berücksichtigt werden. Der Senat verweist zur Vermeidung von Wiederholungen auf seine Ausführungen unter II. 2., 3. in seiner Entscheidung vom 15. Dezember 1992 IX R 13/90 (BFHE 170, 162, BStBl II 1993, 490). Die in dieser Entscheidung aufgestellten Grundsätze gelten auch für den Streitfall.

b) Die gesicherte Rechtsposition kann der Nutzende durch die Einräumung eines schuldrechtlichen Nutzungsrechts, z. B. aufgrund Mietvertrags, erlangen (vgl. BFH-Urteil vom 23. Oktober 1984 IX R 48/80, BFHE 143, 313, BStBl II 1985, 453, m. w. N.). In diesem Fall wird bei ganz oder teilweise unentgeltlicher Überlassung einer Wohnung in einem Einfamilienhaus der Nutzungswert dem Nutzungsberechtigten gemäß § 21 Abs. 2, 2. Alternative EStG zugerechnet (vgl. BFH-Urteil vom 16. Juli 1985 IX R 1/79, BFH/NV 1985, 77). Die Zurechnung des Nutzungswerts nach § 21 Abs. 2, 1. Alternative EStG i. V. m. § 21 a EStG kommt dagegen bei schuldrechtlich eingeräumten Nutzungsrechten wie im Streitfall nicht in Betracht; denn § 21 Abs. 2, 1. Alternative EStG knüpft nach ständiger Rechtsprechung des BFH (vgl. Urteil vom 27. Januar 1985 IX R 4/79, BFH/NV 1986, 149) an das Eigentum am Hause bzw. beim Vorbehaltsnießbrauch (vgl. BFH-Urteil vom 7. Dezember 1982 VIII R 153/81, BFHE 138, 180, BStBl II 1983, 627) und beim vorbehaltenen dinglichen Wohnrecht (vgl. BFH-Urteil vom 6. August 1985 IX R 68/82, BFH/NV 1987, 232) an die frühere Eigentümerstellung an. Durch den dinglichen Vorbehalt des Nutzungsrechts bleibt hinsichtlich der Nutzung zwischen Veräußerer und Erwerber alles unverändert (vgl. BFH-Urteil in BFH/NV 1987, 232). Der Mieter bzw. Entleiher eines Grundstücks nutzt dagegen dieses nicht vergleichbar einem Eigentümer (anderer Ansicht Schmidt/Drenseck, Einkommensteuergesetz, 7. Aufl., § 21 Anm. 5 d).

2. Bei Anwendung der unter 1. a) und b) aufgestellten Grundsätze gilt folgendes: Im vorliegenden Fall haben die Kläger die Wohnung im Einfamilienhaus der Eltern der Klägerin aufgrund einer gesicherten Rechtsposition (Mietvertrag) zu einem Mietzins genutzt, der im Streitjahr 1984 um 46 v. H. (7.200 DM) und im Streitjahr 1985 um 44 v. H. (6.600 DM) unter dem ortsüblichen Mietzins lag. Das FA hat demnach zutreffend den Klägern den Unterschiedsbetrag zwischen der ortsüblichen und der gezahlten Miete nach § 21 Abs. 2, 2. Alternative EStG als Nutzungswert bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung zugerechnet.

3. Das FG ist von einer anderen Rechtsauffassung ausgegangen. Die Vorentscheidung war daher aufzuheben. Die Sache ist spruchreif. Die Klage ist nur teilweise begründet.

Nach § 54 EStG i. d. F. des Steueränderungsgesetzes (StÄndG) 1991 vom 24. Juni 1991 (BGBl I 1991, 1322, BStBl I 1991, 665) stehen den Klägern für die Streitjahre je ein Kinderfreibetrag für ihr erstes Kind von 2.432 DM zu. Danach ermäßigt sich ihr zu versteuerndes Einkommen 1984 und 1985 um je 2.000 DM; denn das FA hatte lediglich einen Kinderfreibetrag von je 432 DM in den Streitjahren zuerkannt.