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  BFH-Urteil vom 3.2.1993 (I R 90/88) BStBl. 1993 II S. 516

Eine Gewinnabführung zwischen Schwestergesellschaften unterliegt nur dann der Gesellschaftsteuer, wenn sie nach den Umständen des Einzelfalles eine Zahlung des gemeinsamen Gesellschafters über die eine Gesellschaft an die andere ist. Daran fehlt es, wenn zwischen den beiden Gesellschaften ein selbständiges Rechtsverhältnis besteht, das rechtlich gesehen die "causa" für die Zahlung bildet.

KVStG 1972 § 2 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. a, § 4; Richtlinie 69/335/EWG Art. 4 Abs. 2 Buchst. b.

Vorinstanz: FG Baden-Württemberg

Sachverhalt

I.

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist eine GmbH & Co. KG mit Sitz und Geschäftsleitung in der Bundesrepublik Deutschland (Bundesrepublik), die im Jahre 1977 als Organträgergesellschaft einer inländischen GmbH fungierte. Der entsprechende Organschafts- und Ergebnisabführungsvertrag datiert vom 1. Januar 1977. Gesellschafter der GmbH waren die Eheleute W, die gleichzeitig die Kommanditisten der Klägerin waren. Die Gesellschafter hielten ihre Geschäftsanteile an der GmbH im sog. Sonderbetriebsvermögen der Klägerin. Die GmbH war in die Klägerin wirtschaftlich eingegliedert.

In Erfüllung des Ergebnisabführungsvertrages führte die GmbH ihren Gewinn 1977 in Höhe von 5.666.634 DM an die Klägerin ab. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) sah in der Gewinnabführung eine gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. a des Kapitalverkehrsteuergesetzes (KVStG 1972) steuerpflichtige Leistung der Eheleute W (Kommanditisten) an die Klägerin. Es setzte durch Bescheid vom 26. September 1984 Gesellschaftsteuer in Höhe von 56.666 DM fest.

Die Sprungklage blieb ohne Erfolg.

Mit ihrer vom Finanzgericht (FG) zugelassenen Revision rügt die Klägerin die Verletzung des § 2 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. a KVStG 1972.

Der Senat hat durch Beschluß vom 31. Oktober 1990 (BFHE 162, 574, BStBl II 1991, 371) dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) folgende Rechtsfragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1. Erlaubt Art. 4 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 69/335/EWG den Mitgliedstaaten auch die Besteuerung solcher Leistungen, die nicht von einem Gesellschafter, sondern von einer Personenvereinigung, an der der Gesellschafter als Mitglied oder Gesellschafter beteiligt ist, aufgrund eines mit der Gesellschaft abgeschlossenen Gewinnabführungsvertrages bewirkt werden?

2. Sollte Nr. 1 zu bejahen sein: Wird die nach Art. 4 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 69/335/EWG steuerbare Leistung bereits mit dem zivilrechtlich wirksamen Abschluß des Gewinnabführungsvertrages oder erst mit der Gewinnabführung als solcher bewirkt?

Über diese Rechtsfragen hat der EuGH durch Urteil vom 13. Oktober 1992 Rs. C-49/91 (EuZW 1992, 736) wie folgt entschieden:

"Gemäß Artikel 4 Absatz 2 Buchstabe b der Richtlinie 69/335/EWG des Rates vom 17. Juli 1969 betreffend die indirekten Steuern auf die Ansammlung von Kapital kann eine Gewinnabführung zwischen zwei Gesellschaften, die unter der Kontrolle eines gemeinsamen Gesellschafters stehen, der Gesellschaftsteuer unterworfen werden, wenn es sich nach den Umständen des Einzelfalles eindeutig um eine Zahlung des Gesellschafters über die eine Gesellschaft an die andere handelt. Ein solcher Vorgang kann jedoch dann nicht der Gesellschaftsteuer unterworfen werden, wenn die Gesellschaft, die die Gewinne erhält, an der Gesellschaft, die sie an sie abführt, beteiligt ist."

Die Klägerin beantragt, das Urteil des FG Baden-Württemberg vom 28. April 1988 III K 408/84 und den Gesellschaftsteuerbescheid vom 26. September 1984 KVSt-Liste E 1589/84 ersatzlos aufzuheben.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und des angefochtenen Gesellschaftsteuerbescheides (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

1. Nach § 2 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. a KVStG 1972 unterliegen Zuschüsse als freiwillige Leistungen eines Gesellschafters an eine inländische Kapitalgesellschaft der Gesellschaftsteuer, wenn sie geeignet sind, den Wert der Gesellschaftsrechte zu erhöhen. Ergänzend dazu regeln die §§ 5 und 6 KVStG 1972, was unter einer inländischen Kapitalgesellschaft und was unter ihrem Gesellschafter zu verstehen ist. Nach § 5 Abs. 2 Nr. 3 KVStG 1972 gelten Kommanditgesellschaften mit Sitz oder Geschäftsleitung im Inland u. a. dann als inländische Kapitalgesellschaft, wenn zu ihren persönlich haftenden Gesellschaftern eine GmbH gehört. Die Kommanditisten einer derartigen GmbH & Co. KG sind gemäß § 6 Abs. 2 i. V. m. Abs. 1 Nr. 1 KVStG 1972 deren Gesellschafter.

Zu diesen Voraussetzungen hat das FG in tatsächlicher Hinsicht und den erkennenden Senat bindend (§ 118 Abs. 2 FGO) festgestellt, daß die Klägerin in den Jahren 1977 und 1978 eine GmbH & Co. KG mit Sitz und Geschäftsleitung im Inland war. Sie war deshalb Kapitalgesellschaft i. S. des § 5 Abs. 2 Nr. 3 KVStG 1972. Kommanditisten der Klägerin waren die Eheleute W. Sie waren deshalb die Gesellschafter der Klägerin i. S. des § 6 Abs. 2 i. V. m. Abs. 1 Nr. 1 KVStG 1972.

2. Ein Zuschuß i. S. des § 2 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. a KVStG 1972 setzt eine freiwillige Leistung der Gesellschafter der Kapitalgesellschaft an diese voraus. Daran fehlt es im Streitfall. Nach den tatsächlichen Feststellungen des FG, an die der erkennende Senat gebunden ist (§ 118 Abs. 2 FGO), war die Klägerin im Jahre 1977 aufgrund eines Organschafts- und Ergebnisabführungsvertrages Organträgerin im Verhältnis zu einer GmbH. Gesellschafter der GmbH waren die Eheleute W. Sie hielten die Gesellschaftsanteile an der GmbH im Sonderbetriebsvermögen der Klägerin. Die GmbH führte ihren Gewinn 1977 an die Klägerin ab. Die Gewinnabführung hatte ihren Rechtsgrund in dem Ergebnisabführungsvertrag vom 1. Januar 1977. Sie war deshalb zivilrechtlich eine Leistung der GmbH an die Klägerin. Da die Gesellschaftsteuer als Verkehrsteuer an die Zivilrechtslage anknüpft, kann die Leistung der GmbH nicht gleichzeitig eine Leistung der Eheleute W (Gesellschafter der Klägerin) sein.

3. Allerdings wird nach § 4 KVStG 1972 die Steuerpflicht gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. a KVStG 1972 nicht dadurch ausgeschlossen, daß der Zuschuß nicht von den Gesellschaftern, sondern von einer Personenvereinigung bewirkt wird, an der die Gesellschafter der Klägerin (Eheleute W) als Gesellschafter beteiligt sind. Bei der Auslegung des § 4 KVStG 1972 ist jedoch zu berücksichtigen, daß die Richtlinie 69/335/EWG keine entsprechende Regelung enthält. Eine Anwendung des § 4 KVStG 1972 kommt deshalb nur dann in Betracht, wenn die Leistung der Personenvereinigung auch unter Berücksichtigung der Regelung in Art. 4 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 69/335/EWG als steuerpflichtige Leistung angesehen werden kann. Zu dieser Rechtsfrage hat der erkennende Senat durch Beschluß in BFHE 162, 574, BStBl II 1991, 371 eine Vorabentscheidung des EuGH eingeholt. Der Gerichtshof hat, wie im Tatbestand näher dargelegt, entschieden. An die Entscheidung, die den Beteiligten bekannt ist, ist der erkennende Senat gebunden, was die Auslegung von Art. 4 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 69/335/EWG anbelangt.

Das Urteil des EuGH ist allerdings auslegungsbedürftig. Dessen Rechtsaussage, daß eine Gewinnabführung dann nicht der Gesellschaftsteuer unterliegt, wenn ihr Empfänger Gesellschafter der den Gewinn abführenden Gesellschaft ist, trifft nicht den Streitfall, weil die Klägerin gesellschaftsrechtlich an der den Gewinn abführenden GmbH nicht beteiligt war. Die Entscheidung des erkennenden Senats muß sich deshalb auf die Rechtsaussage des EuGH stützen, daß die Gewinnabführung nur dann der Gesellschaftsteuer unterliegt, wenn sie nach den Umständen des Einzelfalles eindeutig eine Zahlung des gemeinsamen Gesellschafters über die eine Gesellschaft an die andere ist. Daran fehlt es, wenn zwischen den beiden Gesellschaften ein selbständiges Rechtsverhältnis besteht, das rechtlich gesehen die "causa" für die Zahlung bildet. Diese Auslegung entspricht den Schlußanträgen des Generalanwalts F. G. Jacobs, wie er sie in der Sitzung vom 14. Mai 1992 in der Rechtssache C-49/91 vorgetragen hat. Die Begründung des Urteils des EuGH läßt nicht erkennen, daß dieser von den Schlußanträgen des Generalanwalts wesentlich abweichen wollte. Die Auslegung steht allerdings im Widerspruch zu der Stellungnahme der Kommission im Schriftsatz vom 21. Mai 1991 in der Rechtssache C-49/91. Dazu ergibt sich jedoch aus dem Tenor des Urteils des EuGH, daß dieser der Rechtsauffassung der Kommission nicht gefolgt ist.

Da das KVStG 1972 der Umsetzung der Richtlinie 69/335/EWG in nationales Recht dient, ist davon auszugehen, daß § 4 KVStG 1972 nur in dem Umfang anwendbar ist, wie der Bundesrepublik eine Besteuerung nach der Richtlinie möglich war. Dazu ergibt sich aus dem Urteil des EuGH vom 13. Oktober 1992 auf der Grundlage der oben vorgenommenen Auslegung, daß im Streitfall die Tatbestandsvoraussetzungen des § 4 KVStG 1972 nicht verwirklicht sind. Die Eheleute W hatten als Gesellschafter der GmbH durch ihre Zustimmung zu dem Organschafts- und Ergebnisabführungsvertrag vom 1. Januar 1977 zugunsten der Klägerin auf ihr allgemeines Gewinnbezugsrecht verzichtet. Die Klägerin bezog den abgeführten Gewinn aus eigenem Recht. Die Gewinnabführung war keine Zahlung der Eheleute W, die diese durch die GmbH ausführen ließ.

4. Wurden aber im Streitfall die Tatbestandsvoraussetzungen des § 4 KVStG 1972 nicht verwirklicht, so fehlt es an dem Bewirken einer gesellschaftsteuerbaren Leistung i. S. des § 2 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. a KVStG 1972. Soweit das FG von einer anderen Rechtsauffassung ausgegangen ist, verletzt seine Entscheidung Bundesrecht. Sie kann deshalb keinen Bestand haben. Die Sache ist entscheidungsreif. Mangels Verwirklichung eines Besteuerungstatbestandes sind die Vorentscheidung und der Gesellschaftsteuerbescheid vom 26. September 1984 KVSt-Liste E 1589/84 ersatzlos aufzuheben.