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  BFH-Urteil vom 9.2.1993 (VIII R 21/92) BStBl. 1993 II S. 543

Eine Verbindlichkeit darf jedenfalls dann nicht mehr passiviert werden, wenn anzunehmen ist, daß sich der Schuldner auf deren Verjährung berufen wird.

HGB a. F. §§ 38, 39; HGB n. F. §§ 242, 252; EStG § 5 Abs. 1.

Vorinstanz: FG Köln (EFG 1990, 413)

Sachverhalt

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) - eine KG - hatte in ihrer Bilanz zum 31. Dezember 1970 eine Verbindlichkeit in Höhe von 21.500 DM gegenüber ihrer damaligen Organgesellschaft (GmbH) ausgewiesen. Der Verbindlichkeit lagen nach Darstellung der Klägerin Leistungen (Gestaltung einer Festschrift, Exposé für die Neugestaltung einer Zeitschrift, Entwürfe für ein neues Verlagssignet und Vertriebswerbung für eine Kundenzeitschrift) der GmbH zugrunde, die diese in den Jahren 1965 und 1966 an die Klägerin erbracht, jedoch versehentlich erst 1970 abgerechnet hatte. Der Zahlungsanspruch war im Zeitpunkt der Abrechnung bereits verjährt.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) vertrat die Ansicht, daß in der Bilanz der Klägerin zum 31. Dezember 1970 die Verbindlichkeit nicht mehr hätte passiviert werden dürfen. Der Inanspruchnahme der Klägerin habe die Einrede der Verjährung entgegengestanden. Das FA erhöhte dementsprechend den Gewinn des Streitjahres 1970 um 21.500 DM und die Gewinne für die Streitjahre 1974, 1975 und 1977 um die in diesen Jahren zugunsten der GmbH als Betriebsausgaben verbuchten Zinsen auf diese Forderung.

Einspruch und Klage blieben erfolglos.

Das Finanzgericht (FG) begründete sein - in den Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1990, 413 veröffentlichtes - Urteil damit, daß die Verbindlichkeit im Zeitpunkt ihrer Einbuchung zum 31. Dezember 1970 für die Klägerin keine reale wirtschaftliche Belastung mehr gewesen sei und deshalb auch den späteren Zinsaufwandsbuchungen keine entsprechende Verbindlichkeit zugrunde gelegen habe. An einer realen wirtschaftlichen Belastung fehle es, wenn bei einer verjährten Verbindlichkeit keine wirtschaftlich vernünftigen Gründe die Erhebung der Verjährungseinrede hinderten. Das sei der Fall, wenn der Kaufmann im Falle der Geltendmachung der Verjährungseinrede keine geschäftlichen Nachteile im wirtschaftlichen Sinne zu erwarten habe. So liege der Fall hier.

Mit der Revision rügt die Klägerin Verletzung materiellen Rechts (§ 5 Abs. 1 i. V. m. § 4 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes - EStG - und §§ 242 ff. des Handelsgesetzbuches - HGB - sowie § 6 Abs. 1 Nr. 3 i. V. m. Abs. 1 Nr. 2 EStG). Sie ist der Ansicht, daß dem Schuldner das ihm zivilrechtlich eingeräumte Wahlrecht, ob er die Einrede der Verjährung geltend machen will, nicht dadurch genommen werden dürfe, daß er nach Eintritt der Verjährung zur gewinnerhöhenden Ausbuchung der Verbindlichkeit verpflichtet werde.

Die Klägerin beantragt, die Vorentscheidung und die Einspruchsentscheidung aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet. Sie war deshalb zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

1. Gewinnfeststellungsbescheid 1970

Die Klägerin durfte die Verbindlichkeit in der Bilanz zum 31. Dezember 1970 nicht mehr ausweisen.

a) Verbindlichkeiten, die dem Grunde und der Höhe nach feststehen, sind grundsätzlich bis zu ihrer Erfüllung in der Bilanz auszuweisen (§ 38 HGB a. F., § 151 Abs. 1 des Aktiengesetzes - AktG - a. F.; jetzt §§ 247, 266 HGB n. F.; § 5 Abs. 1 EStG; Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 22. November 1988 VIII R 62/85, BFHE 155, 322, BStBl II 1989, 359). Dies ist ausnahmsweise dann anders, wenn mit einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit eine Inanspruchnahme des Schuldners nicht mehr zu erwarten ist. In diesem Fall stellt die Verbindlichkeit für den Schuldner keine wirtschaftliche Last mehr dar (BFH-Urteile in BFHE 155, 322, BStBl II 1989, 359; vom 3. Juni 1992 X R 50/91, BFH/NV 1992, 741).

Der BFH hat diese Grundsätze für noch nicht verjährte Ansprüche aufgestellt. Sie gelten auch für den hier vorliegenden Fall eines bereits verjährten Anspruchs und der Frage, ob noch mit einer Erfüllung durch den Schuldner zu rechnen ist.

Die Schuld darf nicht mehr passiviert werden, wenn sich der Schuldner entschlossen hat, die Einrede der Verjährung zu erheben (vgl. z. B. Adler/Düring/Schmaltz, Rechnungslegung und Prüfung der Aktiengesellschaft, 4. Aufl., § 149 Anm. 37; Clemm/Nonnenmacher in Beck'scher Bilanzkommentar, 2. Aufl., § 247 Anm. 289; Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz mit Nebengesetzen, Kommentar, 20. Aufl., § 6 EStG Anm. 1500 "Verjährung"; Lademann/Söffing/Brockhoff, Kommentar zum Einkommensteuergesetz, § 6 Anm. 851 "Verjährung"). Dasselbe gilt aber auch, wenn anzunehmen ist, daß er sich auf die Verjährung berufen wird (BFH-Urteil in BFH/NV 1992, 741; Hüttemann, Grundsätze ordnungsmäßiger Bilanzierung für Verbindlichkeiten, 2. Aufl., 1976, S. 35; Döllerer, Deutsche Steuer-Zeitung/Ausgabe A - DStZ/A - 1975, 291, 292; Knobbe-Keuk, Bilanz- und Unternehmenssteuerrecht, 8. Aufl., § 4 V 4; Mathiak, Steuer und Wirtschaft - StuW - 1987, 255, 256).

b) Es wird darüber hinaus auch die Meinung vertreten, daß die Verbindlichkeit im Falle ihrer Verjährung nur dann weiterhin in der Bilanz des Schuldners ausgewiesen werden darf, wenn mit einer Erfüllung tatsächlich zu rechnen ist (so wohl Schmidt, Einkommensteuergesetz, 11. Aufl., § 5 Anm. 36 a; Biergans, Einkommensteuer, 6. Aufl., S. 285, und ggf. auch Knobbe-Keuk, a. a. O., § 4 V 4).

c) Der Senat läßt offen, ob er sich dieser Meinung anschließen könnte. Die Klage war im Streitfall schon deshalb abzuweisen, weil anzunehmen ist, daß der Schuldner die Verjährungseinrede erheben wird.

Das FG hat im Wege der Beweiswürdigung festgestellt, daß die Klägerin mit einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit von dieser Möglichkeit Gebrauch machen werde. Es ist dabei davon ausgegangen, daß keine Hinderungsgründe erkennbar seien, die der Erhebung der Einrede entgegenstehen könnten. Insbesondere seien weder Nachteile in den Geschäftsbeziehungen zu der GmbH noch eine Schädigung des wirtschaftlichen Rufes der Klägerin zu befürchten gewesen. Zu dieser Beurteilung kam das FG, weil

- die GmbH den Geschäftsbetrieb bereits vollständig eingestellt habe,

- schon seit Jahren keine geschäftlichen Beziehungen zwischen den Geschäftspartnern mehr bestanden hätten,

- wegen des Organschaftsverhältnisses und der personenidentischen Geschäftsführung eine Schmälerung des guten Rufes der Klägerin als Geschäftspartnerin nicht zu befürchten gewesen sei und

- bei Rechtsbeziehungen zwischen organschaftlich verbundenen Unternehmen andere Grundsätze gelten müßten als zwischen fremden Rechtspersonen.

Der Schluß von diesen Beweisanzeichen auf die fehlende wirtschaftliche Belastung der Klägerin durch die verjährte Schuld ist möglich. Ein Verstoß gegen Denkgesetze und allgemeine Erfahrungssätze liegt nicht vor. Der Senat ist deshalb an diese Beweiswürdigung gebunden (§ 118 Abs. 2 FGO; vgl. dazu z. B. BFH-Urteil vom 15. Mai 1986 III R 190/82, BFHE 147, 22, BStBl II 1986, 714; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 2. Aufl., § 118 Rdnr. 23, m. w. N.). Die Schlußfolgerung des FG muß dabei im Zusammenhang mit der Tatsache gesehen werden, daß die Klägerin die Schuld trotz ihrer Einforderung durch die Gläubigerin und ihrer - der Klägerin - angeblichen Zahlungsbereitschaft weder zeitnah noch in den Folgejahren beglichen hat. Diese Verhaltensweise erlaubt den Rückschluß, daß sich die Klägerin im Zeitpunkt der Bilanzaufstellung durch die Schuld nicht mehr ernsthaft belastet fühlte. Hinzu kommt, daß die Klägerin weder im finanzgerichtlichen Verfahren noch im Rahmen einer zulässigen Verfahrensrüge weitere Umstände (z. B. ausdrücklichen Einredeverzicht, Stundungsvereinbarung, Vereinbarungsdarlehen, bestehende Aufrechnungslage nach § 390 Satz 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches - BGB -, mögliche Befriedigung der GmbH aus vorhandenen Sicherheiten gemäß § 223 Abs. 1 BGB) vorgetragen hat, die einen verständigen Kaufmann zu einem Verzicht auf die Einrede hätten bewegen können.

2. Gewinnfeststellungsbescheide 1974, 1975 und 1977

Die Zahlung von Zinsen auf eine bisher unverzinsliche verjährte Forderung kann ggf. dafür sprechen, daß die Forderung gestundet oder die Schuld in ein Vereinbarungsdarlehen umgewandelt wurde. Dazu hat die Klägerin nichts dargelegt. Das FG brauchte deshalb auf diese Möglichkeit nicht näher einzugehen.

Das gilt vor allem im Streitfall. Die Klägerin ist Gesellschafterin der Gläubigerin. Leistungen, die der Gesellschafter einer Kapitalgesellschaft an diese erbringt, können verschiedene Rechtsgrundlagen haben; sie können insbesondere auch verdeckte Einlagen sein und müssen dann gewinneutral verbucht werden (vgl. z. B. BFH-Beschluß vom 26. Oktober 1987 GrS 2/86, BFHE 151, 523, BStBl II 1988, 348). Zahlungen an die Gesellschaft, die ohne klare und eindeutige Vereinbarung geleistet werden, können deshalb auch dann nicht als betrieblich veranlaßte Zinszahlungen berücksichtigt werden, wenn sie als solche bezeichnet sind (zur Beweislast für den Abzug von Betriebsausgaben vgl. zuletzt BFH-Urteil vom 15. April 1992 III R 96/88, BFHE 168, 133, BStBl II 1992, 819, m. w. N.). Das gilt insbesondere dann, wenn die Zinsverbindlichkeit bisher nur gebucht ist und die Gesellschafterin - wie im Streitfall - die Kapitalgesellschaft über das Organschaftsverhältnis beherrscht.