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  BFH-Urteil vom 17.2.1993 (II R 83/90) BStBl. 1993 II S. 580

1. Die Pflicht zur Abgabe der Steuererklärung besteht auch dann "auf Grund gesetzlicher Vorschrift" i. S. des § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO 1977, wenn das Einzelsteuergesetz den zur Abgabe der Steuererklärung verpflichteten Personenkreis generell umschreibt und lediglich das Entstehen der Erklärungspflicht im Sinne des Vorbehaltes oder eine Bedingung an eine Konkretisierungshandlung (Auswahlermessen) des FA, nämlich an die Aufforderung zur Abgabe der Steuererklärung durch das FA knüpft.

2. § 31 ErbStG 1974 enthält eine Regelung, aus der sich ergibt, wer zur Abgabe einer Steuererklärung potentiell verpflichtet ist (§ 149 Abs. 1 Satz 1 AO 1977).

AO 1977 § 149 Abs. 1 und Abs. 2, § 169 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1; ErbStG 1974 § 31.

Vorinstanz: FG Hamburg (EFG 1991, 131)

Sachverhalt

I.

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) ist auf Grund eines Testaments vom 22. Januar 1972 Alleinerbe des Nachlasses seiner am 4. August 1980 verstorbenen Adoptivmutter. Eine Abschrift des Testaments wurde dem Beklagten und Revisionskläger (dem Finanzamt - FA -) nach Eröffnung zusammen mit einer Abschrift des Erbscheines am 19. September 1980 vom Nachlaßgericht zugesandt. Mit Schreiben vom 25. September 1980 forderte das FA den Kläger zur Abgabe einer Erbschaftsteuererklärung auf, die dieser am 6. August 1981 abgab.

Das FA setzte durch Bescheid vom 16. Dezember 1985 gegen den Kläger Erbschaftsteuer in Höhe von 721.428 DM fest und ermäßigte die Steuer mit der Einspruchsentscheidung auf 720.784 DM.

Mit Einspruch und Klage berief sich der Kläger u. a. auf den Ablauf der Festsetzungsfrist.

Das Finanzgericht (FG) hob Bescheid und Einspruchsentscheidung auf. Die Entscheidung ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1991, 131 veröffentlicht.

Mit der vom FG zugelassenen Revision rügt das FA unrichtige Anwendung des § 170 Abs. 2 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) sowie des § 30 Abs. 1 und 3 des Erbschaftsteuergesetzes (ErbStG).

Das FA beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

1. Gemäß § 169 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 ist eine Steuerfestsetzung unzulässig, wenn die - im Streitfall vierjährige (vgl. § 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO 1977) - Festsetzungsfrist abgelaufen ist. Die Festsetzungsfrist beginnt im Regelfall gemäß § 170 Abs. 1 AO 1977 mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuer entstanden ist. Abweichend hiervon beginnt die Festsetzungsfrist jedoch nach § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO 1977 in den Fällen, in denen auf Grund gesetzlicher Vorschrift eine Steuererklärung oder eine Steueranmeldung einzureichen oder eine Anzeige zu erstatten ist, mit dem Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuererklärung, die Steueranmeldung oder die Anzeige eingereicht wird, spätestens jedoch mit Ablauf des dritten Kalenderjahres, das auf das Kalenderjahr folgt, in dem die Steuer entstanden ist.

Soweit das FG in seinem Urteil die Auffassung vertritt, eine Hemmung des Beginns der Festsetzungsfrist gemäß § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO 1977 sei nicht eingetreten, weil der Kläger im Streitfall nicht "auf Grund gesetzlicher Vorschrift" zur Abgabe einer Erbschaftsteuererklärung verpflichtet gewesen sei, vermag dem der Senat nicht zu folgen.

"Auf Grund gesetzlicher Vorschrift" besteht die Pflicht zur Abgabe einer Steuererklärung, wenn diese gesetzlich, d. h. durch förmliches Gesetz oder auch durch Rechtsverordnung (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 8. November 1984 IV R 19/82, BFHE 142, 363, BStBl II 1985, 199 f.) vorgeschrieben ist. Die Verpflichtung, eine Steuererklärung abzugeben, kann sich zum einen unmittelbar aus den (Einzel-)Steuergesetzen ergeben (§ 149 Abs. 1 Satz 1 AO 1977; z. B. § 56 der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung - EStDV -) oder dann entstehen, wenn das FA - ohne daß eine ausdrückliche Regelung im Einzelsteuergesetz vorliegt - zur Abgabe einer Steuererklärung auffordert (§ 149 Abs. 1 Satz 2 AO 1977).

Der Senat läßt offen, ob er der Rechtsauffassung des I. Senates des BFH in seinem Urteil vom 28. November 1990 I R 71/89 (BFHE 163, 414, BStBl II 1991, 440) folgen könnte, auch in den Fällen des § 149 Abs. 1 Satz 2 AO 1977 lasse die bloße Aufforderung des FA eine gesetzliche Steuererklärungspflicht mit den sich aus § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO 1977 ergebenden Rechtsfolgen entstehen. Denn ein solcher Fall liegt hier bereits deshalb nicht vor, weil § 31 ErbStG 1974 eine Regelung enthält, aus der sich ergibt, wer zur Abgabe einer Steuererklärung jedenfalls potentiell verpflichtet ist (§ 149 Abs. 1 Satz 1 AO 1977).

Entgegen der Auffassung der Vorinstanz beruht die Pflicht zur Abgabe der Steuererklärung nicht nur dann "auf Gesetz", wenn sich die Pflicht zur Abgabe der Steuererklärung "unmittelbar" aus Gesetz oder Rechtsverordnung, d. h. "allein" aus objektiver gesetzlicher Grundlage unabhängig vom Verhalten der Finanzbehörde ergibt (so: Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 14. Aufl., § 170 AO 1977 Tz. 2 a; Orlopp in Klein/Orlopp, Abgabenordnung, Kommentar, 4. Aufl., 1989, § 170 Anm. 3 a; Kühn/Kutter/Hofmann, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 16. Aufl., 1990, § 170 Anm. 3; Ruban in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, 9. Aufl., § 170 Rdnr. 24; Moench, Erbschaftsteuer, Kommentar, 6. Aufl., 1991, § 9 Rdnr. 53 a, am Ende; Kapp, Kommentar zum Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz, § 31 Anm. 4; Schwarz/Frotscher, Abgabenordnung, Kommentar, § 170 Rdnr. 3; Urteil des FG Baden-Württemberg vom 15. Oktober 1987 III K 301/85, EFG 1988, 278; Urteil des FG Hamburg vom 19. Juni 1990 II 141/88, EFG 1991, 131), sondern auch dann, wenn das Steuergesetz den zur Abgabe der Steuererklärung verpflichteten Personenkreis generell umschreibt und lediglich das Entstehen der Erklärungspflicht im Sinne eines Vorbehaltes oder einer Bedingung an eine Konkretisierungshandlung (Auswahlermessen) des FA, nämlich die Aufforderung zur Abgabe der Steuererklärung durch die Finanzbehörde knüpft (so: BFH-Entscheidungen vom 24. Juli 1990 IX B 138/89, BFH/NV 1991, 159, unter Abschn. I. 2., und vom 17. August 1989 IX R 76/88, BFHE 159, 398, BStBl II 1990, 411, 414; Trzaskalik in Hübschmann/Hepp/Spitaler, a. a. O., 9. Aufl., § 149 Anm. 22; Troll, Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz, Kommentar, Anh. I Tz. 28; Sosnitza in Umsatzsteuer- und Verkehrsteuer-Recht 1990, 171 ff.).

Nach der hier maßgebenden Vorschrift des § 31 Abs. 1 ErbStG 1974 kann das FA von jedem an einem Erbfall Beteiligten ohne Rücksicht darauf, ob er selbst steuerpflichtig ist, die Abgabe einer Erklärung verlangen. Alle am Erbfall Beteiligten sind nach dieser gesetzlichen Regelung potentiell steuererklärungspflichtig. Die gesetzliche Pflicht zur Abgabe der Erbschaftsteuererklärung entsteht jedoch erst in dem Zeitpunkt, in dem das FA einen oder mehrere aus dem im Gesetz umschriebenen Kreis der (potentiell) Verpflichteten auffordert, die Steuererklärung abzugeben.

Das auf anderen rechtlichen Grundsätzen beruhende Urteil des FG ist aufzuheben.

2. Die Sache ist spruchreif.

Im Streitfall wurde der als Erbe am Erbfall beteiligte Kläger mit Schreiben des FA vom 25. September 1980 zur Abgabe einer Steuererklärung aufgefordert. Damit war der Kläger gemäß § 31 Abs. 1 ErbStG 1974 verpflichtet, eine Erbschaftsteuererklärung abzugeben. Diese Verpflichtung beruht - wie oben dargelegt - unabhängig davon, daß sie erst durch die Konkretisierungshandlung des FA, nämlich die Aufforderung zur Abgabe der Steuererklärung entstand, auf gesetzlicher Vorschrift, nämlich auf § 31 Abs. 1 ErbStG 1974.

Mit dem Entstehen der auf Gesetz beruhenden Steuererklärungspflicht des Klägers traten auch die Rechtswirkungen des § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO 1977 ein, die zu einem von § 170 Abs. 1 AO 1977 abweichenden Beginn der Festsetzungsfrist führten. Danach begann die Festsetzungsfrist im Streitfall erst mit Ablauf des Jahres 1981, weil der Kläger erst im Jahre 1981 eine Steuererklärung abgab. Die vierjährige Festsetzungsfrist war somit im Zeitpunkt des Erlasses des Erbschaftsteuerbescheides am 16. Dezember 1985 noch nicht abgelaufen.

Da der Steueranspruch ansonsten weder dem Grunde noch der Höhe nach umstritten ist und auch sonst Rechtsfehler nicht erkennbar sind, ist die Klage abzuweisen.