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  BFH-Urteil vom 27.10.1992 (IX R 66/91) BStBl. 1993 II S. 591

Größere Erhaltungsaufwendungen, die das FA im Jahr ihrer Entstehung bestandskräftig zu Unrecht als Herstellungskosten behandelt hat, können nach § 82 b EStDV gleichmäßig anteilig auf die Folgejahre verteilt werden. Der auf das Jahr der Entstehung entfallende Anteil der Aufwendungen bleibt dabei unberücksichtigt.

EStDV § 82 b.

Vorinstanz: FG Rheinland-Pfalz

Sachverhalt

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist Eigentümer eines Zweifamilienhauses, in dem er eine Wohnung selbst nutzt und die andere Wohnung vermietet hat. Im Jahr 1983 wandte er für den Einbau von zwei Isolierglasfenstern insgesamt 1.440 DM auf. Ein Zehntel dieses Betrages machte er für 1983 nach § 82 a EStDV geltend. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) versagte den Abzug nach dieser Vorschrift. Er rechnete statt dessen den Gesamtbetrag den Herstellungskosten zu und berücksichtigte lediglich die Absetzung für Abnutzung (AfA) nach § 7 Abs. 4 des Einkommensteuergesetzes (EStG) in Höhe von 2 % (= 28 DM). Der Steuerbescheid wurde bestandskräftig. Für das Streitjahr 1984 machte er erfolglos ein Fünftel der Gesamtaufwendungen (= 288 DM) als Erhaltungsaufwand nach § 82 b EStDV geltend. Das FA berücksichtigte wiederum nur die AfA.

Das Finanzgericht (FG) wies die nach erfolglosem Einspruch erhobene Klage ab. Der Kläger habe in 1983 kein Wahlrecht nach § 82 b EStDV ausgeübt. Die ursprünglich begehrte Aufteilung nach § 82 a EStDV entspreche nicht den Aufteilungsmöglichkeiten des § 82 b EStDV. Eine Umdeutung sei nicht möglich, weil der Kläger das Vorgehen des FA im Jahr 1983 akzeptiert habe. Das Wahlrecht nach § 82 b Abs. 1 Satz 1 EStDV könne nur für das Jahr ausgeübt werden, in dem die Aufwendungen entstanden sind.

Mit der Revision rügt der Kläger Verletzung des § 82 b EStDV.

Während des Revisionsverfahrens hat das FA einen hinsichtlich der Höhe des Grundfreibetrags und der Nichtabziehbarkeit privater Schuldzinsen vorläufigen Änderungsbescheid erlassen und darin den Kinderfreibetrag für das erste Kind nach § 54 EStG i. d. F. des Steueränderungsgesetzes 1991 berücksichtigt. Diesen Bescheid hat der Kläger nach § 68 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zum Gegenstand des Revisionsverfahrens gemacht.

Entscheidungsgründe

I.

Auf die Revision des Klägers ist die Vorentscheidung schon aus verfahrensrechtlichen Gründen aufzuheben, weil sich während des Revisionsverfahrens der angefochtene Verwaltungsakt, über dessen Rechtmäßigkeit das FG entschieden hat, geändert hat (Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 1. Februar 1989 II R 128/85, BFHE 155, 563, 564, BStBl II 1989, 348, und vom 14. November 1990 II R 126/87, BFHE 163, 218, 220, BStBl II 1991, 556; Senatsurteil vom 31. März 1992 IX R 2/86, BFH/NV 1992, 759). Der während des Revisionsverfahrens ergangene Änderungsbescheid vom 23. Oktober 1992 war verfahrensrechtlich ein neuer Verwaltungsakt (BFH in BFHE 163, 218, 220, BStBl II 1991, 556), der die Steuerfestsetzung der Höhe nach verändert hat. Da dem FG-Urteil der ursprüngliche Einkommensteuerbescheid zugrunde liegt, ist es durch die während des Revisionsverfahrens geänderte Steuerfestsetzung des FA überholt.

II.

1. Der Senat entscheidet nach §§ 100, 121 FGO in der Sache selbst. Eine Zurückverweisung an das FG nach § 127 FGO ist nicht geboten, weil die Sache spruchreif ist (vgl. Senatsurteil in BFH/NV 1992, 759).

2. Die Klage ist begründet. Die Aufwendungen des Jahres 1983 sind im Streitjahr 1984 gemäß § 82 b Abs. 1 Satz 1 EStDV zu einem Fünftel als Werbungskosten bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung abzuziehen.

a) Nach dieser Vorschrift kann ein Steuerpflichtiger größere Aufwendungen für die Erhaltung von Gebäuden, die im Zeitpunkt der Leistung des Erhaltungsaufwands nicht zu einem Betriebsvermögen gehören und überwiegend Wohnzwecken dienen, abweichend von § 11 Abs. 2 EStG auf zwei bis fünf Jahre gleichmäßig verteilen. Daraus ergibt sich, daß der Steuerpflichtige für das Jahr der Entstehung der Aufwendungen wählen kann, ob er die genannten Aufwendungen in diesem Jahr voll als Werbungskosten absetzen oder auf zwei bis fünf Jahre gleichmäßig verteilen will (BFH-Urteile vom 26. Oktober 1977 VIII R 6/75, BFHE 123, 489, BStBl II 1978, 96, und vom 26. Oktober 1977 VIII R 111/74, BFHE 124, 498, BStBl II 1978, 367).

Wie der Senat in seinem Urteil vom 27. Oktober 1992 im Verfahren IX R 152/89 (BFHE 170, 57, BStBl II 1993, 589) entschieden hat, kann der Steuerpflichtige die im Entstehungsjahr nicht als Werbungskosten abgezogenen Aufwendungen, soweit sie nicht aufgrund der Bestandskraft des Steuerbescheids dieses Jahres anteilig von der Verteilung ausgeschlossen sind, auch dann noch anteilig gleichmäßig auf die Folgejahre verteilen, wenn er im Entstehungsjahr das Wahlrecht nach § 82 b EStDV nicht ausgeübt hat. Ist der Steuerbescheid für das Jahr der Entstehung der Aufwendungen bestandskräftig geworden, so schließt dies zwar den Abzug des auf dieses Jahr entfallenden Anteils an den Aufwendungen aus, steht aber einer gleichmäßigen anteiligen Verteilung der verbleibenden Aufwendungen in den übrigen Jahren des Verteilungszeitraums nicht entgegen. Wegen der Begründung im einzelnen wird auf das Urteil in BFHE 170, 57, BStBl II 1993, 589 verwiesen.

b) Sind größere Erhaltungsaufwendungen in dem Jahr, in dem sie geleistet worden sind, bestandskräftig zu Unrecht als Herstellungskosten behandelt und nur in Form der AfA berücksichtigt worden, so steht dies dem anteiligen Abzug der Erhaltungsaufwendungen nach § 82 b EStDV in den übrigen Jahren des Verteilungszeitraums ebenfalls nicht entgegen. Auch in derartigen Fällen folgt aus der Bestandskraft der Veranlagung des Entstehungsjahres nur, daß die Steuerfestsetzung dieses Jahres grundsätzlich nicht mehr geändert werden kann. Eine Bindung hinsichtlich des Wahlrechts für die Folgejahre ergibt sich daraus nicht. Nach dem Grundsatz der Abschnittsbesteuerung ist in jedem Veranlagungszeitraum der Sachverhalt erneut zu prüfen und rechtlich zu würdigen. § 82 b EStDV eröffnet als Ausnahme von § 11 Abs. 2 EStG die Verteilung größerer Erhaltungsaufwendungen auf mehrere Veranlagungszeiträume. Ob überhaupt Erhaltungsaufwendungen vorliegen, ist für die Anwendung dieser Vorschrift eine Vorfrage, die für jeden Veranlagungszeitraum gesondert beantwortet werden muß. Durch die unzutreffende Behandlung als Herstellungskosten sind die Erhaltungsaufwendungen im Jahr ihrer Entstehung weder als nach der Grundregel des § 11 Abs. 2 EStG abgezogen zu beurteilen, noch hat der Steuerpflichtige für dieses Jahr das Wahlrecht nach § 82 b EStDV ausgeübt, so daß er die Aufwendungen noch anteilig auf den restlichen Verteilungszeitraum verteilen kann.

Eine Ausübung des Wahlrechts nach § 82 b EStDV kann im Streitfall auch nicht darin gesehen werden, daß der Kläger hinsichtlich der Aufwendungen ursprünglich erhöhte Absetzungen nach § 82 a EStDV geltend gemacht hat. Die in beiden Vorschriften geregelten Wahlrechte unterscheiden sich nach ihren Voraussetzungen und Rechtsfolgen grundlegend, so daß die Berufung auf eine der Vorschriften nicht auch zugleich das Wahlrecht nach der anderen Vorschrift umfaßt.

3. Nach diesen Maßstäben ist im Streitjahr 1984 ein Fünftel der Aufwendungen für den Einbau der Isolierglasfenster, die unstreitig Erhaltungsaufwand darstellen, nach § 82 b EStDV abzuziehen. Zugleich ist die vom FA insoweit gewährte AfA rückgängig zu machen.

Da hierbei von dem nach § 68 FGO zum Gegenstand des Revisionsverfahrens gemachten Änderungsbescheid auszugehen ist, unterschreitet die Steuerfestsetzung des Senats den zunächst vom Kläger gestellten Antrag. Damit hält sich der Senat jedoch im Rahmen der §§ 96 Abs. 1 Satz 2, 121 FGO. Denn die Klage richtet sich gegen den geänderten Einkommensteuerbescheid vom 23. Oktober 1992, über den im Revisionsverfahren erstmals zu entscheiden ist. Dies folgt aus den §§ 68, 123 FGO. Diese Vorschriften eröffnen im Interesse der Prozeßökonomie dem Kläger die Möglichkeit, einen während des Revisionsverfahrens erlassenen Änderungsbescheid nicht gesondert mit Einspruch und Klage anzufechten, sondern ihn unmittelbar in das Revisionsverfahren einzuführen und damit dessen Streitgegenstand auszutauschen. Zu diesem Zweck läßt § 123 FGO ausnahmsweise im Revisionsverfahren eine Klageänderung zu (Geist, Finanz-Rundschau 1989, 229, 231). Der Kläger darf sein dem neuen Verfahrensgegenstand entsprechendes geändertes Begehren in der Revisionsinstanz durch einen entsprechenden, bestimmten Antrag geltend machen und begründen. Darauf hat der Vorsitzende, soweit erforderlich, hinzuwirken (§§ 121, 76 Abs. 2 FGO; Geist, a. a. O.). Eine ausdrückliche Anpassung des prozessualen Begehrens an den veränderten Streitgegenstand des Revisionsverfahrens ist allerdings dann entbehrlich, wenn - wie im Streitfall - der ursprünglich in der Revisionsinstanz gestellte Antrag in Verbindung mit dem Antrag nach § 68 FGO das letztlich verfolgte Rechtsschutzziel eindeutig erkennen läßt.

Im Streitfall steht aufgrund des ursprünglichen Antrags des Klägers fest, daß er den Abzug anteiliger Erhaltungsaufwendungen von 288 DM begehrt. Aufgrund des Antrags nach § 68 FGO richtet sich dieses Begehren nunmehr gegen den Änderungsbescheid vom 23. Oktober 1992, der den Kinderfreibetrag nach § 54 EStG i. d. F. des StÄndG 1991 berücksichtigt hat. Darin liegt sinngemäß zugleich eine nach § 123 FGO zulässige Klageerweiterung mit dem Ziel, die Einkommensteuer niedriger als zunächst beantragt festzusetzen.