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  BFH-Urteil vom 19.5.1993 (II R 71/92) BStBl. 1993 II S. 633

Auf einen ein Grundstück im Beitrittsgebiet betreffenden Grundstückskaufvertrag, der zwar während des zeitlichen Geltungsbereichs des GrEStG DDR abgeschlossen wurde, für den aber eine erforderliche behördliche Genehmigung erst im zeitlichen Anwendungsbereich des GrEStG 1983 wirksam erteilt wurde, ist insgesamt das GrEStG 1983 anzuwenden. Dies hat zur Folge, daß für diesen Rechtsvorgang die Steuer mit 2 v. H. der Bemessungsgrundlage zu berechnen ist.

Einigungsvertrag Art. 8 i. V. m. Anlage I Kapitel IV Sachgebiet B Abschnitt II Nr. 14; GrEStG 1983 § 1 Abs. 1 Nr. 1, § 11 Abs. 1; GrEStG DDR § 1 Abs. 1 Nr. 1; AO 1977 § 38; Grundstücksverkehrsverordnung § 2.

Vorinstanz: FG Berlin (EFG 1993, 98)

Sachverhalt

I.

Durch notariell beurkundeten Vertrag vom 7. Dezember 1990 erwarben die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) als Miteigentümer je zur Hälfte ein Grundstück in Berlin-Müggelheim. Der Kaufpreis betrug 200.000 DM. Die Genehmigung nach der Grundstücksverkehrsverordnung wurde den Klägern Anfang Januar 1991 bekanntgegeben. Durch Steuerbescheide vom 27. Februar 1991 setzte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) Grunderwerbsteuer gegen die Kläger in Höhe von je 7.000 DM fest. Dabei wandte das FA das Grunderwerbsteuergesetz der ehemaligen DDR vom 18. September 1970 (GVBl Sonderdruck Nr. 677) - GrEStG DDR - an und berechnete nach § 13 GrEStG DDR einen Steuersatz von 7 v. H.

Hiergegen richtete sich die Klage. Mit dieser machten die Kläger geltend, daß für ihren Erwerb der Steuersatz von 2 v. H. nach dem Grunderwerbsteuergesetz 1983 (GrEStG 1983) maßgeblich sei. Der tatsächliche Eigentumserwerb sei erst mit der Genehmigung bewirkt, mithin erst im Jahre 1991 realisiert worden.

Das Finanzgericht (FG) hat der Klage stattgegeben und abweichend von den angefochtenen Bescheiden und den zu diesen ergangenen Einspruchsentscheidungen die Grunderwerbsteuer auf jeweils 2.000 DM festgesetzt. Für den Erwerb sei das GrEStG 1983 anwendbar. Die Grunderwerbsteuer sei erst mit der Genehmigung des Kaufvertrags nach der Grundstücksverkehrsverordnung Anfang Januar 1991 entstanden. Wenn der Einigungsvertrag für die Anwendung des DDR-Rechts einerseits und des Rechts der alten Bundesländer andererseits auf das Entstehen der Abgabe abstelle, so sei damit die Entstehung der Steuerschuld in zeitlicher Hinsicht gemeint. Der Steueranspruch entstehe, sobald der Tatbestand verwirklicht sei, an den das Gesetz die Leistungspflicht knüpfe. Die Verwirklichung des Tatbestands setze entgegen der Auffassung des Beklagten in Fällen einer erforderlichen Genehmigung diese Genehmigung voraus. Im Streitfall habe der Kaufvertrag vom 7. Dezember 1990 der Genehmigung bedurft. Es wäre unverständlich, wenn das FA die Grunderwerbsteuer schon dann festsetzen könne, wenn noch gar keine Genehmigung vorliege und damit noch nicht feststehe, ob der Veräußerer zur Übereignung verpflichtet sei. Diese Auslegung werde nicht dadurch in Frage gestellt, daß die Gesetzgeber entsprechende ausdrückliche Regelungen mehrfach getroffen hätten, nicht jedoch mit Wirkung für das Beitrittsgebiet und für die Zeit vom 1. Juli bis zum 31. Dezember 1990. Die vom Beklagten insoweit zitierten Entscheidungen des Bundesfinanzhofs (BFH) seien zu § 23 Abs. 1 GrEStG 1983 ergangen, der an die Verwirklichung des Erwerbsvorgangs anknüpfe.

Hiergegen richtet sich die Revision des beklagten FA. Gerügt wird die Verletzung materiellen Rechts. Das FA beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision des FA ist unbegründet.

Das FG hat zu Recht erkannt, daß auf den Erwerb der Kläger das GrEStG 1983 anzuwenden und nach dessen § 11 Abs. 1 Grunderwerbsteuer in Höhe von 2 v. H. der Bemessungsgrundlage entstanden ist.

1. Der Kaufvertrag vom 7. Dezember 1990 hat nicht dazu geführt, daß Grunderwerbsteuer nach dem GrEStG DDR entstanden ist. Zum Zeitpunkt des Abschlusses des Kaufvertrags war allerdings das GrEStG DDR im Beitrittsgebiet noch anzuwenden. Dies folgt aus Art. 8 i. V. m. Anlage I Kapitel IV Sachgebiet B Abschn. II Nr. 14 Abs. 1 des Einigungsvertrags. Nach Satz 1 dieser Vorschrift trat das Recht der Bundesrepublik Deutschland (Bundesrepublik) u. a. auf dem Gebiet des Rechts der Besitz- und Verkehrsteuern einschließlich der Einfuhrumsatzsteuer (erst) am 1. Januar 1991 in Kraft. Für die Steuern, die vor dem 1. Januar 1991 entstanden, war nach Satz 2 der Regelung das bis zum 31. Dezember 1990 im Beitrittsgebiet geltende Recht weiter anzuwenden. Diese Regelung erfaßt auch die Grunderwerbsteuer. Diese bundesgesetzliche Anordnung der (befristeten) Weiteranwendung des GrEStG DDR ist als solche verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (vgl. II. 3. a des Senatsurteils vom 19. Mai 1993 II R 29/92, BStBl II 1993, 630).

2. Der Kaufvertrag bedurfte nach § 2 der Verordnung über den Verkehr mit Grundstücken (Grundstücksverkehrsverordnung) der ehemaligen DDR vom 15. Dezember 1977 (Gesetzesblatt 1978 I Nr. 5, S. 73) der Genehmigung. Die Grundstücksverkehrsverordnung galt in der Fassung des Einigungsvertrags nach dem 3. Oktober 1990 fort (Anlage II Kapitel III Sachgebiet B Abschn. II Nr. 1 des Einigungsvertrags). Genehmigungsbedürftig war nach dem Wortlaut des § 2 Abs. 1 Buchst. a der Grundstücksverkehrsverordnung in der damals geltenden Fassung "die Übertragung des Eigentums an einem Grundstück durch Vertrag". Mit dem Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) ist diese Formulierung dahin zu verstehen, daß sich die Genehmigungspflicht zumindest auch auf die schuldrechtliche Verpflichtung zur Eigentumsübertragung bezieht. Ohne diese Genehmigung ist der Grundstückskaufvertrag (zumindest) schwebend unwirksam, d. h. die Parteien sind zwar gebunden, es bestehen aber keine Erfüllungsansprüche.

3. Das GrEStG DDR ist revisibles Recht i. S. des § 118 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO), das vom erkennenden Senat überprüft werden kann (II. 3. b des Senatsurteils in BStBl II 1993, 630). Ohne die erforderliche Genehmigung des Kaufvertrags konnte Grunderwerbsteuer nach dem GrEStG DDR nicht entstehen. Nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG DDR unterliegt ein Kaufvertrag oder ein anderes Rechtsgeschäft, das den Anspruch auf Übereignung eines Grundstücks begründet, der Grunderwerbsteuer. Der Tatbestand des § 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG DDR ist dahingehend auszulegen, daß er nur erfüllt ist, wenn die zur Wirksamkeit eines Grundstückskaufvertrags erforderliche Genehmigung erteilt ist. Dazu bedarf es keines Rückgriffs auf eine ggf. durch Rechtsprechung zu schließende Regelungslücke, die dadurch entstanden sein könnte, daß für das Grunderwerbsteuerrecht der DDR im Zeitpunkt des Kaufvertragsabschlusses eine § 14 GrEStG 1983 entsprechende Vorschrift fehlt (vgl. Senatsurteil vom 19. Mai 1993 II R 23/92, BStBl II 1993, 628). Der zum Entstehen der Steuer zu erfüllende Tatbestand i. S. § 38 der Abgabenordnung (AO 1977) setzt bei einem schwebend unwirksamen Erwerbsvorgang die Erteilung der notwendigen Genehmigung voraus. Da bis zum Ablauf des Jahres 1990 die Genehmigung im Streitfall nicht erteilt wurde, ist während des zeitlichen Anwendungsbereichs des GrEStG DDR eine Grunderwerbsteuer nicht entstanden.

4. Für eine im Jahre 1991 entstandene Steuer ist nach der Überleitungsvorschrift des Einigungsvertrags (Anlage I Kapitel IV Sachgebiet B Abschn. II Nr. 14 Abs. 1) das am 1. Januar 1991 im Beitrittsgebiet in Kraft getretene Recht der Bundesrepublik anzuwenden. Da der der Steuer unterliegende Tatbestand erst nach dem 31. Dezember 1990 durch wirksame Erteilung der erforderlichen Genehmigung erfüllt wurde, findet im Streitfall das GrEStG 1983 Anwendung. Das gilt auch in bezug auf § 14 Nr. 2 GrEStG 1983, weil hinsichtlich des zum 1. Januar 1991 im Beitrittsgebiet in Kraft getretenen Rechts insoweit keine Einschränkung vorgesehen ist. Erst aufgrund und - insoweit als Folge der Anwendung des § 14 Nr. 2 GrEStG 1983 - zum Zeitpunkt der Erteilung der Genehmigung ist im Streitfall die Grunderwerbsteuer entstanden.

Diese Auffassung steht nicht im Widerspruch zur Rechtsprechung des erkennenden Senats, nach der grundsätzlich zwischen Erwerbsvorgang und Erwerb zu unterscheiden und ein Erwerbsvorgang i. S. des § 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG 1983 bereits dann verwirklicht ist, wenn die Vertragspartner im Verhältnis zueinander gebunden sind, eine erforderliche behördliche Genehmigung aber noch nicht erteilt ist (vgl. Senatsurteil vom 20. Dezember 1989 II R 31/88, BFHE 159, 260, BStBl II 1990, 234, m. w. N.). Ausgehend von dieser Unterscheidung ist es für die Frage, ob auf einen der Grunderwerbsteuer unterliegenden Rechtsvorgang (zeitlich) das frühere (landesrechtliche) Grunderwerbsteuerrecht oder das GrEStG 1983 anzuwenden ist, entscheidend, wann der Erwerbsvorgang in diesem Sinne verwirklicht, d. h. Bindungswirkung im Verhältnis der Vertragspartner zueinander eingetreten ist (vgl. Senatsurteil vom 17. September 1986 II R 136/84, BFHE 147, 538, BStBl II 1987, 35). Dies ist jedoch eine Folge der (Übergangs-)Regelung des § 23 GrEStG 1983, der ausdrücklich auf die Verwirklichung des Erwerbsvorgangs als maßgeblichen Zeitpunkt abstellt. Da die Übergangsregelung des Einigungsvertrags im Gegensatz dazu auf den Zeitpunkt des Entstehens der Steuer abstellt, lassen sich die Grundsätze zur Abgrenzung des zeitlichen Geltungsbereichs des GrEStG 1983 gegenüber dem davor geltenden Recht auf den Streitfall nicht übertragen. Für die Grunderwerbsteuer mag es zwar regelmäßig sinnvoller sein, bezüglich des zeitlichen Anwendungsbereichs verschiedener Rechtsvorschriften auf die Verwirklichung des Erwerbsvorgangs abzustellen, da nur dieser Zeitpunkt der Disposition der Parteien und damit der Steuerpflichtigen unterliegt. Die dem entgegenstehende, aber eindeutige Entscheidung des Gesetzgebers des Einigungsvertrags ist jedoch auch für die Grunderwerbsteuer hinzunehmen. Verfassungsrechtliche Bedenken dagegen bestehen nicht.

Auf einen ein Grundstück im Beitrittsgebiet betreffenden Grundstückskaufvertrag, der zwar während des zeitlichen Geltungsbereichs des GrEStG DDR abgeschlossen wurde, für den aber eine erforderliche behördliche Genehmigung erst im zeitlichen Anwendungsbereich des GrEStG 1983 wirksam erteilt wurde, ist daher insgesamt das GrEStG 1983 anzuwenden. Dies hat zur Folge, daß für diesen Rechtsvorgang die Steuer nach § 11 Abs. 1 GrEStG 1983 mit 2 v. H. der Bemessungsgrundlage zu berechnen ist.