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  BFH-Urteil vom 9.6.1993 (II R 69/92) BStBl. 1993 II S. 682

Auf einen ein Grundstück im Beitrittsgebiet betreffenden Grundstückskaufvertrag, der zwar während des zeitlichen Geltungsbereichs des GrEStG DDR abgeschlossen wurde, für den aber eine erforderliche behördliche Genehmigung erst im zeitlichen Anwendungsbereich des GrEStG 1983 wirksam erteilt wurde, ist insgesamt das GrEStG 1983 anzuwenden (BFH-Urteil vom 19. Mai 1993 II R 71/92, BStBl II 1993, 633). Dies hat zur Folge, daß diese Erwerbe unter keine nach dem Grunderwerbsteuerrecht der ehemaligen DDR - möglicherweise - bestehenden Grunderwerbsteuerbefreiungen fallen können.

Einigungsvertrag Art. 8 i. V. m. Anlage I Kapitel IV Sachgebiet B Abschn. II Nr. 14; GrEStG 1983 § 1 Abs. 1 Nr. 1, § 11 Abs. 1; GrEStG DDR § 1 Abs. 1 Nr. 1; EigenheimVO.

Vorinstanz: BG Potsdam (EFG 1992, 616)

Sachverhalt

I.

Durch notariell beurkundeten Vertrag vom 12. November 1990 erwarben der Kläger und seine Ehefrau ein Grundstück zu je einem halben Anteil. Der Kaufpreis betrug insgesamt 100.000 DM. Das Grundstück war mit einem Eigenheim bebaut. Seit Januar 1991 bewohnen der Kläger und seine Ehefrau dieses Eigenheim. Die erforderliche Genehmigung wurde am 19. Februar 1991 erteilt.

Mit Bescheid vom 6. Februar 1991 setzte das beklagte Finanzamt (FA) gegen den Kläger Grunderwerbsteuer in Höhe von 7 v. H. fest. Es wandte dabei das Grunderwerbsteuergesetz der ehemaligen DDR vom 18. September 1970 (Gesetzblatt - GBl - Sonderdruck Nr. 677) - GrEStG DDR - an. Durch Änderungsbescheid vom 5. Juni 1991 setzte es die Grunderwerbsteuer gegen den Kläger auf 3.500 DM herab. Das FA rechnete dem Kläger nunmehr nur den halben Kaufpreis als Bemessungsgrundlage für die Steuer zu. Der dagegen erhobene Einspruch blieb erfolglos.

Hiergegen richtete sich die Klage. Mit dieser machte der Kläger geltend, daß der Erwerb des Grundstücks nach der Verordnung über den Neubau, die Modernisierung und die Instandsetzung von Eigenheimen (EigenheimVO) vom 31. August 1978 (GBl I S. 425) i. V. m. § 15 Abs. 7 der Durchführungsbestimmung (DB) zur EigenheimVO vom 18. August 1987 (GBl I S. 215) von der Grunderwerbsteuer befreit sei. Diese Vorschriften seien im Streitfall anwendbar, weil nach dem Einigungsvertrag das Grunderwerbsteuerrecht der ehemaligen DDR bis zum 31. Dezember 1990 weitergegolten habe.

Das Bezirksgericht - Senat für Finanzrecht - (BG) hat der Klage stattgegeben und den Grunderwerbsteuerbescheid und die diesen bestätigende Einspruchsentscheidung aufgehoben. Die Klage sei zulässig. Zwar sei die Klage verspätet erhoben worden, dem Kläger sei jedoch Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Der Erwerb des Grundstücks sei nach der EigenheimVO steuerfrei. Im Streitfall sei der Erwerbsvorgang nach dem Grunderwerbsteuerrecht der ehemaligen DDR zu beurteilen. Für die Anwendung von Steuerbefreiungsvorschriften sei derjenige Zeitpunkt maßgeblich, zu dem die Steuer entstanden wäre, wenn der Erwerb nicht steuerbefreit gewesen wäre. Dies sei im Streitfall der Zeitpunkt der notariellen Beurkundung des Grundstückskaufvertrags. Zwar sei auch nach dem GrEStG DDR die Entstehung der Grunderwerbsteuer von der Erteilung der Genehmigung abhängig. Das Fehlen einer dem § 14 Nr. 2 GrEStG 1983 entsprechenden Regelung im GrEStG DDR habe jedoch zur Folge, daß die Erteilung der Genehmigung auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses zurückwirke. Die Steuerbefreiung nach der EigenheimVO habe bis zum 31. Dezember 1990 weitergegolten. Die Regelung im Einigungsvertrag beziehe sich auf das gesamte Besitz- und Verkehrsteuerrecht und damit auch auf das Grunderwerbsteuerrecht. Zum Grunderwerbsteuerrecht der ehemaligen DDR gehöre aber nicht nur das GrEStG DDR, sondern auch die Steuerbefreiungstatbestände, die in anderen Gesetzen usw. geregelt gewesen seien. Die Voraussetzungen der Steuerbefreiung lägen im Streitfall vor.

Hiergegen richtet sich die Revision des FA. Gerügt wird die Verletzung materiellen Rechts. Das FA beantragt, das Urteil des BG aufzuheben. Die EigenheimVO und die DB zur EigenheimVO seien auf den Streitfall nicht mehr anwendbar. Aufgrund der Systematik des Einigungsvertrags ergebe sich, daß die für den Kompetenzbereich des Bundesministers der Finanzen (BMF) in Kapitel IV bestimmte Weitergeltung von Steuerrecht der ehemaligen DDR sich nur auf die Vorschriften beziehe, die dem Kompetenzbereich des BMF zuzurechnen seien. Die EigenheimVO und die DB seien keine derartigen Vorschriften. Die ehemalige DDR habe mit der EigenheimVO bestimmte Ziele verfolgt, die ihr förderungswürdig erschienen seien. Wenn es die Bundesrepublik Deutschland (Bundesrepublik) mit Abschluß des Einigungsvertrags unterlassen habe, diese Ziele weiterzuverfolgen und den Regelungsinhalt bestimmter Rechtsnormen, wie in diesem Fall der EigenheimVO außer Kraft treten zu lassen, so gelte das für deren Regelungsinhalt insgesamt. Die EigenheimVO sei nicht - auch nicht punktuell - in der Anlage II zum Einigungsvertrag als fortgeltendes Recht aufgeführt. Da der Erwerbsvorgang am 12. November 1990 verwirklicht worden sei, sei die Grunderwerbsteuer gemäß GrEStG DDR mit einem Steuersatz von 7 v. H. zu erheben.

Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen. Die EigenheimVO habe bis zum 31. Dezember 1990 weitergegolten.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision des FA führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Herabsetzung der Grunderwerbsteuer auf 1.000 DM sowie zur Klageabweisung im übrigen.

Das BG hat zu Unrecht angenommen, daß der Erwerb im Streitfall nach dem Grunderwerbsteuerrecht der ehemaligen DDR zu beurteilen und nach diesem von der Steuer befreit sei. Auf ihn ist vielmehr das GrEStG 1983 anzuwenden. Mangels einer einschlägigen Steuerbefreiung ist nach diesem Grunderwerbsteuer in Höhe von 2 v. H. der Bemessungsgrundlage entstanden.

1. a) Der Kaufvertrag vom 12. November 1990 hat nicht dazu geführt, daß Grunderwerbsteuer nach dem GrEStG DDR entstanden ist. Zum Zeitpunkt des Abschlusses des Kaufvertrags war allerdings das GrEStG DDR im Beitrittsgebiet noch anzuwenden. Dies folgt aus Art. 8 i. V. m. Anl. I Kapitel IV Sachgebiet B Abschn. II Nr. 14 Abs. 1 des Einigungsvertrags. Nach Satz 1 dieser Vorschrift trat das Recht der Bundesrepublik u. a. auf dem Gebiet des Rechts der Besitz- und Verkehrsteuern einschließlich der Einfuhrumsatzsteuer (erst) am 1. Januar 1991 in Kraft. Für die Steuern, die vor dem 1. Januar 1991 entstanden, war nach Satz 2 der Regelung das bis zum 31. Dezember 1990 im Beitrittsgebiet geltende Recht weiter anzuwenden. Diese Regelung erfaßt auch die Grunderwerbsteuer. Diese bundesgesetzliche Anordnung der (befristeten) Weiteranwendung des GrEStG DDR ist als solche verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (vgl. II.3.a des Senatsurteils vom 19. Mai 1993 II R 29/92, BStBl II 1993, 630).

b) Der Kaufvertrag im Streitfall bedurfte nach § 2 der Verordnung über den Verkehr mit Grundstücken (GrundstücksverkehrsVO) der ehemaligen DDR vom 15. Dezember 1977 (GBl 1978 I Nr. 5 S. 73) der Genehmigung. Die GrundstücksverkehrsVO galt in der Fassung des Einigungsvertrags nach dem 3. Oktober 1990 fort (Anl. II Kapitel III Sachgebiet B Abschn. II Nr. 1 des Einigungsvertrags). Genehmigungsbedürftig war nach dem Wortlaut des § 2 Abs. 1 Buchst. a der GrundstücksverkehrsVO in der damals geltenden Fassung "die Übertragung des Eigentums an einem Grundstück durch Vertrag". Mit dem Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) ist diese Formulierung dahin zu verstehen, daß sich die Genehmigungspflicht zumindest auch auf die schuldrechtliche Verpflichtung zur Eigentumsübertragung bezieht. Ohne diese Genehmigung ist der Grundstückskaufvertrag schwebend unwirksam, d. h. die Parteien sind zwar gebunden, es bestehen aber keine Erfüllungsansprüche.

Ohne diese erforderliche Genehmigung des Kaufvertrags konnte nach dem GrEStG DDR - das als revisibles Recht i. S. des § 118 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) der Überprüfung durch den Senat unterliegt (vgl. II.3.b des Senatsurteils vom 19. Mai 1993 II R 29/92, BStBl II 1993, 630) - eine Grunderwerbsteuer nicht entstehen. Nach § 1 Abs. 1 GrEStG DDR unterliegt ein Kaufvertrag oder ein anderes Rechtsgeschäft, das den Anspruch auf Übereignung eines Grundstücks begründet, der Grunderwerbsteuer. Der Tatbestand des § 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG DDR ist dahingehend auszulegen, daß er nur erfüllt ist, wenn die zur Wirksamkeit eines Grundstückskaufvertrags erforderliche Genehmigung erteilt ist (vgl. II.2.b des Senatsurteils vom 19. Mai 1993 II R 23/92, BStBl II 1993, 628). Da bis zum Ablauf des Jahres 1990 die Genehmigung im Streitfall nicht erteilt wurde, ist während des zeitlichen Anwendungsbereichs des GrEStG DDR eine Grunderwerbsteuer nicht entstanden.

2. Da die Genehmigung erst im Jahre 1991 wirksam erteilt worden ist, konnte eine Grunderwerbsteuer auch erst in diesem Jahr entstehen. Auf einen ein Grundstück im Beitrittsgebiet betreffenden Grundstückskaufvertrag, der zwar während des zeitlichen Geltungsbereichs des GrEStG DDR abgeschlossen wurde, für den aber eine erforderliche behördliche Genehmigung erst im zeitlichen Anwendungsbereich des GrEStG 1983 wirksam erteilt wurde, ist insgesamt das GrEStG 1983 anzuwenden (vgl. das Senatsurteil vom 19. Mai 1993 II R 71/92, BStBl II 1993, 633).

3. Die (ausschließliche) Anwendbarkeit des GrEStG 1983 hat zur Folge, daß der Erwerb unter keine Steuerbefreiung nach dem Grunderwerbsteuerrecht der ehemaligen DDR fallen kann. Der Senat kann daher offenlassen, ob die Grunderwerbsteuerbefreiung nach der EigenheimVO der DDR nach dem Beitritt weitergegolten und ob deren Voraussetzungen im Streitfall erfüllt sind. Die Unanwendbarkeit einer nach dem Grunderwerbsteuerrecht der DDR - möglicherweise - bestehenden Steuerbefreiung auf einen im zeitlichen Geltungsbereich des GrEStG DDR abgeschlossenen - aber schwebend unwirksam gebliebenen - Grundstückskaufvertrag ergibt sich aus der eindeutigen Regelung in Anl. I Kapitel IV Sachgebiet B Abschn. II Nr. 14 des Einigungsvertrags, die allein auf das Entstehen der Steuer abstellt. Mit dieser Vorschrift hat der Gesetzgeber im Interesse einer möglichst schnellen und eindeutigen Herstellung der Rechtseinheit auch auf dem Gebiet der Steuern eine grundsätzlich für alle Steuerarten gleichermaßen geltende Übergangsregelung geschaffen. Diese die Besonderheiten einzelner Steuerarten nicht berücksichtigende Übergangsregelung kann sich für bestimmte Steuern als nicht besonders zweckmäßig erweisen und zu gewissen Härten führen. Auch wenn für die Grunderwerbsteuer ein Abstellen auf den Abschluß des Kaufvertrags und nicht auf die von Zufälligkeiten abhängige Erteilung der Genehmigung abstellende Regelung sachgemäßer erschiene (vgl. § 23 GrEStG 1983), beansprucht die vom Gesetzgeber des Einigungsvertrags getroffene allgemeine Übergangsregelung auch Geltung für die Grunderwerbsteuer. Verfassungsrechtlich ist sie nicht zu beanstanden. Die Frage einer (möglicherweise) verfassungsrechtlich unzulässigen Rückwirkung von Rechtsfolgen oder einer tatbestandlichen Rückanknüpfung stellt sich im Streitfall nicht, da alle entscheidungserheblichen Rechtsnormen bereits vor Abschluß des Grundstückskaufvertrags verkündet waren. Die Tatsache, daß die Verwaltung - entgegen der Auffassung des erkennenden Senats - davon ausging, daß Grunderwerbsteuer nach dem GrEStG DDR auch durch einen (noch) schwebend unwirksamen Grundstückskaufvertrag entstehen könne, konnte schon im Hinblick auf die komplizierte und unübersichtliche Übergangsrechtslage im fraglichen Zeitraum keinen allgemeinen Vertrauenstatbestand schaffen, der einer Besteuerung - ausgehend von der Rechtsauffassung des erkennenden Senats - nach dem GrEStG 1983 entgegenstehen würde. Zu berücksichtigen ist dabei auch, daß die Verwaltung darüber hinaus der Auffassung war, daß die von den Klägern beanspruchte Grunderwerbsteuerbefreiung für nach dem Wirksamwerden des Beitritts abgeschlossene Kaufverträge nicht mehr zu gewähren war.

4. Der Grundstückskaufvertrag vom 12. November 1990 ist ein Rechtsvorgang, der nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG 1983 der Grunderwerbsteuer unterliegt. Die Steuer dafür beträgt nach § 11 Abs. 1 GrEStG 1983 2 v. H. des auf den Kläger anteilig entfallenden Kaufpreises (§ 8 Abs. 1, § 9 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG 1983) in Höhe von 50.000 DM.

5. Die von anderen Grundsätzen ausgehende Entscheidung des BG ist aufzuheben. Die Sache ist spruchreif. Der Senat entscheidet in der Sache selbst. Die Grunderwerbsteuer beträgt 1.000 DM.