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  BFH-Urteil vom 11.5.1993 (VII R 133/92) BStBl. 1993 II S. 684

1. Die in § 15 Abs. 1 Nr. 10 (a. F.) KraftStG 1979 erteilte Ermächtigung zur vorzeitigen Aufhebung von § 9 a, § 10 Abs. 6 KraftStG 1979 durch Rechtsverordnung ist rechtsgültig.

2. Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die AufhVO vom 7. Juni 1991 (BGBl I 1991, 1223) bestehen nicht (Bestätigung der Rechtsprechung).

KraftStG 1979 § 15 Abs. 1 Nr. 10, § 9 a, § 10 Abs. 6; AufhVO; GG Art. 80 Abs. 1; EWGV Art. 7.

Vorinstanz: FG Bremen (EFG 1993, 104)

Sachverhalt

I.

Für das Halten eines Sattelanhängers der Klägerin und Revisionsklägerin, einer internationalen Spedition, setzte das beklagte und revisionsbeklagte Finanzamt die bis dahin ermäßigte Kraftfahrzeugsteuer nach der rückwirkenden Aufhebung von § 9 a, § 10 Abs. 6 des Kraftfahrzeugsteuergesetzes (KraftStG) 1979 durch die am 14. Juni 1991 verkündete Verordnung zur Aufhebung von kraftfahrzeugsteuerlichen Sondervorschriften vom 7. Juni 1991 (BGBl I 1991, 1223, BStBl I 1991, 662) - AufhVO - mit Bescheid vom 22. August 1991 ab 1. März 1991 wieder in der ursprünglichen Höhe fest.

Das Finanzgericht (FG) wies die gegen diesen Bescheid gerichtete Klage ab (Urteil vom 20. Oktober 1992 2 92 015 K 5, Entscheidungen der Finanzgerichte 1993, 104).

Mit der Revision gegen dieses Urteil rügt die Klägerin, daß die AufhVO aus verschiedenen Gründen rechtsunwirksam sei. Die rückwirkende Aufhebung der besonderen (ermäßigten) Steuersätze zum 1. März 1991 verstoße gegen das Verbot der rückwirkenden Geltung belastender Normen. Die Rückwirkung sei auch nicht von der Ermächtigung in § 15 Abs. 1 Nr. 10 KraftStG 1979 (eingefügt durch Art. 2 des Gesetzes über Gebühren für die Benutzung von Bundesfernstraßen mit schweren Lastfahrzeugen - StrBG - vom 30. April 1990, BGBl I 1990, 826, BStBl I 1990, 240) gedeckt.

Die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme der Ermächtigung - wesentliche Änderung der Belastung mit sonstigen Abgaben - hätten überdies nicht vorgelegen, da die Erhebung der Straßenbenutzungsgebühr lediglich ausgesetzt und zudem die Mineralölsteuer erhöht worden sei. Die Ermächtigung selbst sei verfassungswidrig, weil sie dem Verordnungsgeber die Möglichkeit einräume, über den Fortbestand einer gesetzlichen Regelung zu befinden. Zur Aufhebung der Steuervergünstigungen hätte es eines formellen Gesetzes bedurft. Die Wiedereinführung höherer Steuersätze ohne gleichzeitige Belastung ausländischer Wettbewerber verstoße im Hinblick auf die Kabotageberechtigung ausländischer Fuhrunternehmen und die Steuerfreiheit nach bilateralen Abkommen gegen das Verbot der Ungleichbehandlung gleicher Sachverhalte und diskriminiere gemeinschaftsrechtswidrig die deutschen Unternehmer. Die Aufhebung - durch gesetzesändernde Verordnung - sei aus haushaltspolitischen Zwecken erfolgt, entgegen dem gesetzgeberischen Willen, der der Absenkung der Steuertarife zugrunde gelegen habe.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist nicht begründet.

Das FG hat richtig erkannt, daß die angefochtene Besteuerung unter rückwirkender Anwendung des nicht ermäßigten Kraftfahrzeugsteuersatzes rechtmäßig ist, weil der besondere Kraftfahrzeugsteuertarif durch die AufhVO rechtsgültig rückwirkend aufgehoben worden ist. Durchgreifende verfassungsrechtliche Bedenken bestehen weder gegen die AufhVO noch gegen die ihr zugrunde liegende Ermächtigung. Das hat das FG mit zutreffender Begründung entschieden. Die Rügen der Revision vermögen demgegenüber nicht durchzugreifen.

1. Entgegen der Ansicht der Revision verstößt § 15 Abs. 1 Nr. 10 KraftStG 1979 (i. d. F. des StrBG) nicht deshalb gegen Art. 80 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG), weil der Verordnungsgeber (unter näher bestimmten Voraussetzungen) zur vorzeitigen Aufhebung des Sondertarifs ermächtigt worden ist. Unter dem Gesichtspunkt von Art. 80 Abs. 1 GG bestehen gegen eine derartige Regelung dann keine Bedenken, wenn den Bestimmtheitsanforderungen nach Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG genügt ist (AK-GG-Ramsauer, 2. Aufl., 1989, Art. 80 Rz. 41; Bundesverfassungsgericht - BVerfG -, Beschluß vom 6. Mai 1958 2 BvL 37/56 usw., BVerfGE 8, 155, 170 f., 173; vgl. auch Schmidt-Bleibtreu/Klein, GG, 7. Aufl., 1990, Art. 80 Anm. 10). Diese Voraussetzung ist gegeben (Senat, Beschluß vom 21. Dezember 1992 VII B 128/92, BFHE 169, 486, BStBl II 1993, 201).

Aus dem Gesichtspunkt des Vorrangs des Gesetzes läßt sich ein weiteres Bedenken nicht herleiten. Zwar hat das BVerfG entschieden (Beschluß vom 8. Juni 1988 2 BvL 9/85 usw., BVerfGE 78, 249, 273 - Fehlbelegungsabgabe -), daß die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers im Verhältnis zum Verordnungsgeber im Hinblick auf den Vorrang des Gesetzes dann nicht mehr gewahrt wird, wenn die erteilte Ermächtigung es dem Adressaten überläßt, nach Belieben von ihr Gebrauch zu machen, und erst dadurch das Gesetz anwendbar wird. Auf den Fall der Ermächtigung zu einer abrogierenden Verordnungsregelung, wie sie im übrigen der Staatspraxis nicht fremd ist - vgl. etwa die im früheren § 27 des Zollgesetzes enthaltene (und auch genutzte) Ermächtigung, die darin vorgesehene Zollbegünstigung unter näher bestimmten Voraussetzungen durch Verordnung einzuschränken oder aufzuheben -, wird sich dieser Grundsatz nicht oder jedenfalls nicht ohne weiteres übertragen lassen. Die Frage kann jedoch letztlich offenbleiben. Denn auch bei Anwendung des vorbezeichneten Maßstabs ergibt sich, daß die hier zu beurteilende Ermächtigung nicht zu beanstanden ist. Es ist nämlich nicht ins Belieben des Verordnungsgebers gestellt, bei Vorliegen der gesetzlich bestimmten Voraussetzungen den Sondertarif aufzuheben oder nicht. Vielmehr entspricht es dem vorgegebenen "Regelungsprogramm" - Verknüpfung zwischen Straßenbenutzungsgebühr und Kraftfahrzeugsteuerermäßigung (BStBl II 1993, 201; vgl. auch die bei der Fassung der Ermächtigung berücksichtigte Stellungnahme des Bundesrats, BTDrucks 11/6336, S. 26) -, daß bei einer wesentlichen Änderung der Belastung mit sonstigen Abgaben jedenfalls infolge Nichterhebung der Straßenbenutzungsgebühr von der Ermächtigung Gebrauch zu machen ist. Nach dem Gesamtzusammenhang des Gesetzes und dem vom Gesetzgeber verfolgten und im Gesetz selbst zum Ausdruck gelangten Zweck ergeben sich hierfür hinreichende normative Anhaltspunkte (vgl. BVerfGE 78, 249, 274).

Der Senat teilt auch nicht die Auffassung der Klägerin, daß die Rückwirkung der AufhVO von der Ermächtigung nicht gedeckt sei. Es ist von Verfassungs wegen nicht geboten, daß eine Ermächtigung zum Erlaß rückwirkender Verordnungen ausdrücklich erteilt wird, vielmehr genügt es, wie auch die Klägerin anerkennt, daß sich eine entsprechende Ermächtigung aus Sinn und Zweck des Gesetzes ergibt (BVerfG, Beschluß vom 8. Juni 1977 2 BvR 499/74 usw., BVerfGE 45, 142, 163; Schmidt-Bleibtreu/Klein, a. a. O., Anm. 2 a). Der enge Zusammenhang zwischen Straßenbenutzungsgebühr und Kraftfahrzeugsteuerermäßigung (Angleichung der Wettbewerbsbedingungen unter angemessener Anlastung der Wegekosten; BTDrucks 11/6336, S. 1) rechtfertigt auch die Annahme, daß jedenfalls bei einer wesentlichen Belastungsänderung infolge Nichterhebung der Gebühr eine Rückwirkung der auf die Ermächtigung gestützten Verordnung auf einen zurückliegenden Zeitpunkt der Nichterhebung ermächtigungskonform ist. Im übrigen bestätigt die Neufassung der Ermächtigung (durch Art. 19 Nr. 7 des Steueränderungsgesetzes - StÄndG - 1991 vom 24. Juni 1991, BGBl I 1991, 1322, BStBl I 1991, 665), daß der Bundesgesetzgeber von einer wirksamen Aufhebung des Sondertarifs ausgegangen ist.

2. Unbegründet sind auch die Angriffe, die die Revision gegen die AufhVO selbst richtet. Insoweit verweist der Senat auf seine Entscheidung in BStBl II 1993, 201. An der Rechtsauffassung, die sich aus dieser Entscheidung ergibt, wird festgehalten. Ergänzend ist zu bemerken:

a) Die gesetzliche Voraussetzung einer wesentlichen Belastungsänderung ist erfüllt, obwohl das StrBG selbst - aus Gründen der möglichen Wiedererhebung der Gebühr aufgrund einer Gemeinschaftsregelung (vgl. auch § 2 der Verordnung zur weiteren Aussetzung der Gebührenerhebung für die Benutzung von Bundesfernstraßen mit schweren Lastfahrzeugen vom 19. Juli 1991, BGBl I 1991, 1573; § 15 Abs. 1 Nr. 10 KraftStG 1979 i. d. F. des StÄndG 1991) - nicht aufgehoben worden ist. Allein durch die (normative) Aussetzung der Gebührenerhebung ist eine Änderung der Belastung mit sonstigen Abgaben in wesentlichem Umfang eingetreten. Die Aussetzung ist nicht, wie die Klägerin meint, befristet, sondern lediglich hinsichtlich ihres Außerkrafttretens auflösend bedingt (EG-Regelung über die Zulässigkeit der Gebührenerhebung) und nur in diesem Zusammenhang mit einer Befristung (drei Monate nach Erlaß einer entsprechenden Gemeinschaftsregelung) verbunden. Diese Regelung in Verbindung mit § 15 Abs. 1 Nr. 10 KraftStG 1979 n. F. schließt die Gefahr einer Doppelbelastung durch Gebühr und volle (nicht ermäßigte) Kraftfahrzeugsteuer aus.

b) Ob allein haushaltspolitische (finanzpolitische) Gründe die vorzeitige Aufhebung des Sondertarifs zugelassen hätten, braucht nicht entschieden zu werden. Die Maßnahme rechtfertigt sich jedenfalls aus den auch in Anspruch genommenen umwelt- und verkehrspolitischen Gründen (BStBl II 1993, 201).

c) Offenbleiben kann auch, ob in der Wiederherstellung der Rechtslage vor Inkrafttreten des StrBG (keine Gebühr; nicht ermäßigte Kraftfahrzeugsteuer) eine Diskriminierung gesehen werden kann. Selbst wenn eine (Inländer-)Diskriminierung vorläge, wäre sie nicht gemeinschaftsrechtswidrig. Art. 7 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft erfaßt nicht eine Ungleichbehandlung, die für die Unternehmen der verschiedenen Mitgliedstaaten mangels einer gemeinsamen Verkehrspolitik aus den Unterschieden in den nationalen Rechtsvorschriften folgt (Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften, Urteil vom 25. Januar 1983 Rs 126/82, EuGHE 1983, 72, 92).