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  BFH-Urteil vom 27.1.1993 (IX R 146/90) BStBl. 1993 II S. 702

Wird eine Eigentumswohnung mit einer kleineren Wohnfläche als vereinbart errichtet, so stellt dies einen Baumangel vor Fertigstellung eines Gebäudes dar, der auch dann keine Absetzungen für außergewöhnliche technische oder wirtschaftliche Abnutzung rechtfertigt, wenn er erst nach der Fertigstellung des Gebäudes entdeckt worden ist (Anschluß an die Senatsentscheidung vom 31. März 1992 IX R 164/87, BFHE 168, 104, BStBl II 1992, 805).

EStG § 7 Abs. 1 Satz 4, § 9 Abs. 1 Satz 1; HGB § 255 Abs. 1 und 2.

Vorinstanz: Niedersächsisches FG

Sachverhalt

Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind Eheleute. Sie wurden im Streitjahr (1984) zur Einkommensteuer zusammenveranlagt.

Die Kläger errichteten 1982 bis 1984 im Rahmen von Bauherrenmodellen mehrere Eigentumswohnungen. Sie erzielen aus deren Vermietung Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung.

Bei der Einkommensteuerfestsetzung für das Streitjahr berücksichtigte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) bei der Festsetzung der Einkommensteuer 1986 nicht ausgeglichene Verluste in Höhe von 550.398 DM. Die Kläger begehrten einen höheren Verlustrücktrag, weil sich ihr Werbungskostenüberschuß bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung 1986 wegen der Differenz zwischen den vereinbarten (768,55 qm) und den gelieferten Wohnflächen (656,49 qm) um 338.776 DM und wegen Rentabilitätsminderung infolge eines Überangebots an Wohnungen aufgrund von Absetzungen für außergewöhnliche technische oder wirtschaftliche Abnutzung (AfaA) nach § 7 Abs. 1 Satz 4 des Einkommensteuergesetzes (EStG) um 81.078 DM erhöhe. Der Einspruch und die Klage hatten keinen Erfolg.

Das Finanzgericht (FG) hat im wesentlichen ausgeführt, durch den Erwerb kleinerer Wohnungen seien den Klägern keine sofort abziehbaren Werbungskosten bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung entstanden. Die erhöhten Aufwendungen von 338.776 DM seien Herstellungskosten. Auch ein Abzug dieser Aufwendungen nach § 7 Abs. 1 Satz 4 EStG komme nicht in Betracht, weil die Lieferung kleinerer Wohnungen weder einen Baumangel darstelle noch dadurch die wirtschaftliche Nutzbarkeit eingeschränkt worden sei. Ebensowenig könne wegen nichterzielter Mieten ein Betrag von 81.078 DM abgezogen werden; gesunkene Rentabilität berechtigte grundsätzlich nicht zu AfaA.

Die Kläger rügen Verletzung materiellen Rechts.

Sie beantragen sinngemäß, das angefochtene Urteil aufzuheben und weitere Werbungskosten von 338.776 DM sofort bzw. 339.583 DM sowie 106.169 DM als AfaA bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung des Jahres 1986 zum Abzug zuzulassen und die Einkommensteuer 1984 entsprechend niedriger festzusetzen.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Das FA hat am 24. Juli 1991 einen hinsichtlich der Grund- und Kinderfreibeträge vorläufigen Änderungsbescheid erlassen, den die Kläger nach §§ 68, 121, 123 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zum Gegenstand des Verfahrens gemacht haben.

Entscheidungsgründe

1. Das Revisionsbegehren des Klägers ist unzulässig, soweit es über das Klagebegehren hinausgeht. Abgesehen davon, daß der Kläger seinen entsprechenden Antrag erst nach Ablauf der Revisionsbegründungsfrist erweitert hat, ist eine Klageänderung im Revisionsverfahren unzulässig (§ 123 FGO).

2. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Entscheidung in der Sache selbst (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 FGO).

a) Das angefochtene Urteil ist aufzuheben und der Klage teilweise stattzugeben; denn das FA hat in seinem geänderten Einkommensteuerbescheid vom 24. Juli 1991 nicht anstelle des Kinderfreibetrags von 432 DM den nach § 54 Abs. 1 EStG i. d. F. des Steueränderungsgesetzes 1991 vom 27. Juni 1991 (BGBl I 1991, 1322, BStBl I 1991, 665) erhöhten Kinderfreibetrag von 2.432 DM berücksichtigt.

b) Die Klage ist im übrigen unbegründet.

Zu Recht hat das FG einen höheren Verlustabzug im Streitjahr 1984 abgelehnt. Der Senat läßt unerörtert, ob - als Voraussetzung für die Überprüfung im Rahmen des Verlustrücktrags nach 1984 - die geltend gemachten Aufwendungen zu einer Erhöhung des Werbungskostenüberschusses gerade im Jahre 1986 führen könnten; denn sie sind nicht als Werbungskosten bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung abziehbar. Dabei ist es unerheblich, ob die Kläger als Bauherren oder Erwerber der Eigentumswohnungen zu beurteilen sind (vgl. BFH-Urteil vom 14. November 1989 IX R 197/84, BFHE 158, 546, BStBl II 1990, 299).

aa) Der Minderwert von 338.776 DM wegen verringerter Wohnflächen ist nicht als Werbungskosten gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG sofort abziehbar. Diese - nach Ansicht der Kläger verlorenen - Aufwendungen rechnen vielmehr zu den Herstellungskosten bzw. Anschaffungskosten der Kläger für die Eigentumswohnungen (§ 255 Abs. 1 und 2 des Handelsgesetzbuches - HGB -).

Wie der erkennende Senat im Anschluß an den Großen Senat des BFH (Beschluß vom 4. Juli 1990 GrS 1/89, BFHE 160, 466, BStBl II 1990, 830) entschieden hat, sind Aufwendungen insoweit nicht als Werbungskosten abziehbar, als ihnen Herstellungsleistungen des Bauunternehmers gegenüberstehen, selbst wenn diese mangelhaft sind (Senatsentscheidung vom 31. März 1992 IX R 164/87, BFHE 168, 104, BStBl II 1992, 805, m. w. N.).

So liegt der Fall hier; denn die von den Klägern bestellten Eigentumswohnungen wurden - wenn auch kleiner als vereinbart - errichtet. Die Abweichung der Wohnfläche von dem im Vertrag vereinbarten Maß stellt lediglich einen Baumangel dar (Urteil des Bundesgerichtshofs - BGH - vom 25. Oktober 1990 VII ZR 230/88, Wertpapier-Mitteilungen - WM - 1991, 10, 12; Kammergericht, Urteil vom 24. November 1988 12 U 5553/87, Neue Juristische Wochenschrift - Rechtsprechungs-Report - NJW RR - 1989, 459; Palandt/Thomas, Bürgerliches Gesetzbuch, 52. Aufl., 1993, § 633 Anm. 2, m. w. N.).

bb) Für den Minderwert wegen verringerter Wohnflächen steht den Klägern keine AfaA nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 7, § 7 Abs. 1 Satz 4 EStG zu. Nach der ständigen Rechtsprechung des erkennenden Senats rechtfertigen Baumängel vor Fertigstellung eines Gebäudes - wie sie auch im Streitfall vorliegen - keine AfaA nach § 7 Abs. 1 Satz 4 EStG (Senatsentscheidungen in BFHE 168, 104, BStBl II 1992, 830, und vom 24. März 1987 IX R 17/84, BFHE 149, 548, BStBl II 1987, 694), und zwar auch dann nicht, wenn sie erst nach der Fertigstellung entdeckt werden; denn dieser Umstand ist lediglich für den Zeitpunkt bedeutsam, in dem der Steuerpflichtige AfaA spätestens vornehmen kann (vgl. Senatsentscheidung vom 1. Dezember 1992 IX R 333/87, BFHE 170, 113). Er besagt indes nichts über den Rechtsgrund der Abziehbarkeit.

Ob die wirtschaftliche Nutzbarkeit und Verwendungsmöglichkeit der Eigentumswohnungen eingeschränkt ist, kann dahinstehen. Daß der Wert der Eigentumswohnungen wegen ihrer geringeren Größe - möglicherweise - nicht den aufgewendeten Kosten entsprach, rechtfertigt ebensowenig einen Abzug von AfaA wie die geringere Ertragsfähigkeit aufgrund der geringeren Wohnfläche (vgl. Urteil des Reichsfinanzhofs - RFH - vom 3. Februar 1937 VI A 442/36, RStBl 1937, 909; Urteil des BFH vom 8. Juli 1980 VIII R 176/78, BFHE 131, 310, BStBl II 1980, 743; vgl. auch Herrmann/Heuer/Raupach, EStG, § 7 Anm. 175 und 227, und Schmidt/Drenseck, Einkommensteuergesetz, § 7 Anm. 9 b).

cc) Auch soweit die Kläger AfaA wegen Minderung des Ertrags geltend machen, kann ihr Begehren keinen Erfolg haben. Es bedarf keiner Entscheidung, ob ein zu Ertragseinbußen führendes Überangebot auf dem Wohnungsmarkt ein außergewöhnlicher Umstand ist, der zu einer AfaA des vermieteten Objekts berechtigt (vgl. dazu Urteilsanmerkung in Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1981, 7; Biergans, Einkommensteuer und Steuerbilanz, 5. Aufl., S. 450; Herrmann/Heuer/Raupach, a. a. O., Anm. 227, und Reiche, Deutsches Steuerrecht 1986, 32). Demgemäß kann auch offenbleiben, ob die Ertragseinbußen nicht nur vorübergehender Natur waren. Eine als außergewöhnlich einzustufende Beeinträchtigung der Nutzbarkeit der Wohnungen zur Erzielung von Einkünften ist jedenfalls nur bei einer ins Gewicht fallenden Werteinbuße anzunehmen (vgl. Werndl, in: Kirchhof/Söhn, EStG, § 7 Rdnr. B 136). Diese ist bei einer Mietminderung von 5 % nicht gegeben.