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  BFH-Beschluß vom 29.6.1993 (VI B 108/92) BStBl. 1993 II S. 760

Der Finanzrechtsweg ist nicht gegeben für eine Klage des Arbeitnehmers gegen seinen Arbeitgeber wegen Streitigkeiten über das Bestehen einer Nettolohnvereinbarung und die daraus folgenden Ansprüche des Arbeitnehmers auf Abführen von Lohnsteuer bzw. die Berichtigung der Lohnbescheinigung.

FGO § 33; GVG § 17 a; EStG § 36 Abs. 2 Nr. 2, § 38 Abs. 2.

Vorinstanz: FG München (EFG 1992, 756)

Sachverhalt

Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) war von August 1990 bis Juni 1991 bei der Beklagten und Beschwerdegegnerin (Beklagte) als Arbeitnehmer beschäftigt. Nach seinem - von der Beklagten bestrittenen - Vorbringen stand ihm aufgrund einer Nettolohnvereinbarung ein Arbeitslohn von monatlich 3.500 DM netto zuzüglich 500 DM pauschaler Sonn- und Feiertagszuschläge sowie freie Kost und Wohnung zu. Die hierauf entfallende Lohn- und Lohnkirchensteuer berechnete der Kläger für beide Streitjahre mit monatlich 1.200 DM. Die Beklagte wies demgegenüber als einbehaltene Lohn- und Lohnkirchensteuer für das Streitjahr 1990 nur insgesamt 4.500 DM sowie für das Streitjahr 1991 insgesamt 6.000 DM aus.

Mit seiner Klage begehrt der Kläger, die Beklagte zu verpflichten, den von ihm errechneten Mehrbetrag an Lohn- und Lohnkirchensteuer an das zuständige Finanzamt (FA) abzuführen. Hilfsweise macht er geltend, die Beklagte solle dazu verurteilt werden, ihm die Lohnsteuer- und Lohnkirchensteuerbeträge für die Streitjahre nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen und ausgehend von einer Nettolohnvereinbarung zu bescheinigen. Der Kläger ist der Ansicht, für seine Klage sei der Rechtsweg zu den Finanzgerichten (FG) eröffnet. Er könne nicht darauf verwiesen werden, die Anrechnung der zutreffenden Steuerbeträge erst im Rahmen seiner Einkommensteuerveranlagung zu verlangen.

Das FG erklärte nach Anhörung der Beteiligten durch Beschluß vom 30. Juni 1992 16 K 928/92 den Finanzrechtsweg für unzulässig und verwies den Rechtsstreit an das zuständige Arbeitsgericht. Die Entscheidungsgründe sind in den Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1992, 756 veröffentlicht.

Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner vom FG gemäß § 155 der Finanzgerichtsordnung (FGO) i. V. m. § 17 a Abs. 4 des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG) wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtsfrage zugelassenen Beschwerde.

Der Kläger beantragt, den angefochtenen Beschluß aufzuheben und den Finanzrechtsweg für zulässig zu erklären.

Die Beklagte beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist unbegründet. Das FG hat zutreffend den Finanzrechtsweg verneint und zugleich den Rechtsstreit an das zuständige Gericht des zulässigen Rechtswegs verwiesen (vgl. § 17 a Abs. 2 Satz 1 GVG i. V. m. § 155 FGO).

a) Nach § 33 Abs. 1 Nr. 1 FGO ist der Finanzrechtsweg gegeben in öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten über Abgabenangelegenheiten. Unter Abgabenangelegenheiten sind alle mit der Verwaltung der Abgaben oder sonst mit der Anwendung abgabenrechtlicher Vorschriften durch die Finanzbehörde zusammenhängenden Angelegenheiten zu verstehen (§ 33 Abs. 2 Satz 1 FGO). Fehlt - wie im Streitfall - eine ausdrückliche Rechtswegzuweisung, so entscheidet sich die Frage, ob eine solche Streitigkeit vorliegt, nach der Rechtsnatur des Klagebegehrens, wie sie sich aus dem dem Klageantrag zugrunde liegenden Sachverhalt ergibt (vgl. z. B. Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 20. November 1979 VII R 38/77, BFHE 129, 445, BStBl II 1980, 249, und vom 14. Juli 1987 VII R 116/86, BFHE 150, 396, BStBl II 1987, 863; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 14. Aufl., § 33 FGO Tz. 2, jeweils m. w. N.).

b) Im Streitfall macht der Kläger mit seiner im Finanzrechtsweg erhobenen Klage zwar sinngemäß geltend, daß ihm gegen die Beklagte ein öffentlich-rechtlicher Anspruch auf Abführung von Lohnsteuer (einschließlich Lohnkirchensteuer) oder - jedenfalls - auf Erteilung einer Lohnsteuerbescheinigung mit den nach seiner Ansicht steuerrechtlich zutreffenden Eintragungen zustehe. Nach dem sachlichen Gehalt seines Klagebegehrens geht es dem Kläger jedoch ausschließlich um die Klärung der Frage, in welcher Höhe die Beklagte aus dem Arbeitsverhältnis Arbeitslohn schuldet und noch durch Zahlungen an das FA erfüllen muß. Die hierfür allein ersichtliche Anspruchsgrundlage ergibt sich aus § 611 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB). Das vom Kläger in diesem Zusammenhang behauptete Vorliegen einer Nettolohnvereinbarung besagt nur, daß die Beklagte als Arbeitgeberin den vereinbarten Nettoarbeitslohn zahlen und als zusätzlichen Arbeitslohn noch die auf den - unter Berücksichtigung des Nettoarbeitslohns hochgerechneten - Bruttoarbeitslohn entfallenden Abzugsbeträge (z. B. Lohnsteuer) tragen muß (z. B. Urteile des Bundesarbeitsgerichts - BAG - vom 18. Januar 1974 3 AZR 183/73, Der Betrieb - DB - 1974, 778; des Landesarbeitsgerichts - LAG - Köln vom 6. Juni 1990 10 Sa 574/90, DB 1991, 1229; Palandt/Putzo, Bürgerliches Gesetzbuch, 52. Aufl., § 611 Rdnr. 51; Urteil des Senats vom 6. Dezember 1991 VI R 122/89, BFHE 166, 540, BStBl II 1992, 441); dabei kann der Kläger als Arbeitnehmer Zahlung an sich selbst nur in Höhe des vereinbarten Nettolohns verlangen (z. B. Urteil des BAG vom 8. April 1987 5 AZR 60/86 - nicht veröffentlicht -). Als Reflex dieser bürgerlich-rechtlichen Nettolohnvereinbarung entsteht im Zeitpunkt des Zuflusses des Arbeitslohns gemäß § 38 Abs. 2 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) die auf den - unter Berücksichtigung des Nettoarbeitslohns hochgerechneten - Bruttoarbeitslohn entfallende Lohnsteuer, deren Schuldner auch im Falle der Nettolohnvereinbarung aus steuerlicher Sicht gemäß § 38 Abs. 2 Satz 1 EStG der Kläger als Arbeitnehmer ist (vgl. z. B. Urteile des BAG in DB 1974, 778, und des Senats vom 26. Februar 1982 VI R 123/78, BFHE 135, 211, BStBl II 1982, 403).

Das Klagebegehren des Klägers betrifft damit im Kern eine bürgerlich-rechtliche Streitigkeit, für die gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 3 a des Arbeitsgerichtsgesetzes (ArbGG) der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten eröffnet ist. Der Finanzrechtsweg ist dafür offensichtlich nicht gegeben. Die Höhe der Abzugsbeträge ist im Rahmen des vom Kläger als Arbeitnehmer gegen die Beklagte als Arbeitgeberin geltend gemachten Anspruchs aus der behaupteten Nettolohnvereinbarung lediglich eine öffentlich-rechtliche Vorfrage bei der Ermittlung des sich aus § 611 BGB ergebenden Vergütungsanspruchs (vgl. dazu Schaub, Arbeitsrecht-Handbuch, 7. Aufl., § 71 I.5).

c) Der Senat sieht sich in seiner Beurteilung des Klagebegehrens durch die Erwägung bestätigt, daß für eine isolierte Klage gegen die Arbeitgeberin auf Abführung von Lohnsteuer bzw. die Berichtigung der Lohnsteuerbescheinigung - unabhängig von der Frage, ob überhaupt ein dahingehender öffentlich-rechtlicher Anspruch besteht - kein Rechtsschutzbedürfnis ersichtlich ist. Eine solche Klage könnte - wie der Kläger sinngemäß auch geltend macht - nur dem Ziel dienen, bereits vorab die Höhe der im Wege der Anrechnung gemäß § 36 Abs. 2 Nr. 2 EStG zu berücksichtigenden Lohnsteuer klären zu lassen. Die Entscheidung über eine solche Anrechnung wird jedoch erst im Steueranrechnungsverfahren getroffen. Sie setzt nur voraus, daß die Lohnsteuer aus der Sicht des Arbeitnehmers vorschriftsmäßig einbehalten worden ist (vgl. dazu z. B. Urteil des Senats vom 28. Februar 1992 VI R 146/87, BFHE 167, 507, BStBl II 1992, 733, m. w. N.). Behauptet der Arbeitnehmer eine Nettolohnvereinbarung, so ist er deshalb - was die Anrechnung von Steuerabzugsbeträgen angeht - auf die Möglichkeit zu verweisen, das Vorliegen einer solchen Vereinbarung in den Verfahren der Steuerfestsetzung und der Steueranrechnung als bürgerlich-rechtliche Vorfrage durch die Finanzbehörde sowie ggf. die FG klären und gleichzeitig auch endgültig entscheiden zu lassen (vgl. dazu z. B. Urteil in BFHE 167, 507, BStBl II 1992, 733, m. w. N.).

d) Der gegenteiligen Meinung des LAG München im Urteil vom 21. August 1985 5 Sa 62/85 (LAGE § 2 ArbGG 1979 Nr. 4) vermag sich der Senat aus den dargelegten Gründen nicht anzuschließen. Soweit sich das LAG München im vorgenannten Urteil zur Begründung seiner Auffassung auf das - soweit ersichtlich nicht veröffentlichte - Urteil des BAG vom 22. Oktober 1975 4 AZR 498/74 beruft, ist dem schon deshalb nicht zu folgen, weil der vom BAG entschiedene Sachverhalt keine Nettolohnvereinbarung betraf.

2. Der Senat hat nicht darüber zu befinden, ob und inwieweit für eine gegen den Arbeitgeber gerichtete Klage des Arbeitnehmers auf Abführung von Lohnsteuer bzw. Berichtigung der Lohnbescheinigung unter bürgerlich-rechtlichen Gesichtspunkten ein Rechtsschutzbedürfnis besteht (vgl. dazu z. B. Urteil des BAG vom 30. Januar 1969 5 AZR 229/68, DB 1969, 1156; Müller, DB 1977, 997, 1000 f.; ders., Deutsche Steuerzeitung 1993, 307, 310, m. w. N.).