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  BFH-Urteil vom 18.8.1993 (II R 10/90) BStBl. 1993 II S. 766

Die Vereinbarung der Verlängerung eines Erbbaurechts unterliegt als Rechtsgeschäft i. S. des § 1 Abs. 1 Nr. 1, § 2 Abs. 2 Nr. 1 GrEStG 1983 der Grunderwerbsteuer (Änderung der Rechtsprechung).

GrEStG 1983 § 1 Abs. 1 Nr. 1, § 2 Abs. 2 Nr. 1, § 8 Abs. 1, § 9 Abs. 2 Nr. 2.

Vorinstanz: FG Baden-Württemberg

Sachverhalt

I.

Der Klägerin und Revisionsbeklagten (Klägerin) war durch notariell beurkundeten Vertrag vom 7. Mai 1957 ein bis 30. September 1986 befristetes Erbbaurecht bestellt worden. Der Erbbauzins betrug jährlich 250 DM. Die Klägerin erstellte auf dem Erbbaugrundstück im Jahre 1957 acht grundsteuerbegünstigte Wohnungen. Durch notariell beurkundeten Vertrag vom 11. Oktober 1985 vereinbarten der Grundstückseigentümer und die Klägerin eine Verlängerung des bestehenden Erbbaurechts um weitere 30 Jahre bis 30. September 2016. Weiter wurde eine Erhöhung des Erbbauzinses ab 1. Januar 1985 auf 8.208 DM jährlich vereinbart.

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) unterwarf die Vereinbarung der Verlängerung des Erbbaurechts nach den Vorschriften des Grunderwerbsteuergesetzes (GrEStG) 1983 der Grunderwerbsteuer. Er setzte durch Bescheid vom 24. Oktober 1985 entsprechend dem Kapitalwert des neu vereinbarten Erbbauzinses auf 30 Jahre nach einer Bemessungsgrundlage von (8.208 DM 15,333 gemäß § 13 Abs. 1 des Bewertungsgesetzes - BewG -, Anhang 2 zu den Vermögensteuer-Richtlinien - VStR -, Tabelle 1 =) 125.853,26 DM und einem Steuersatz von 2 v. H. die Grunderwerbsteuer auf 2.517 DM fest. Auf die Klage hat das Finanzgericht (FG) den Grunderwerbsteuerbescheid sowie die dazu ergangene Einspruchsentscheidung vom 8. Januar 1986 aufgehoben.

Nach Auffassung des FG unterliegt die Verlängerung des Erbbaurechts durch den Vertrag vom 11. Oktober 1985 nicht der Grunderwerbsteuer, denn für den für die grunderwerbsteuerrechtliche Beurteilung maßgebenden ursprünglichen Erwerbsvorgang sei Grunderwerbsteuer nicht festzusetzen gewesen.

Mit der Revision rügt das FA Verletzung materiellen Rechts. Zwar stelle die Vereinbarung der Verlängerung eines Erbbaurechts kein Rechtsgeschäft i. S. des § 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG dar. Durch die Verlängerung des Erbbaurechts entstehe jedoch Grunderwerbsteuer, wenn eine zusätzliche Gegenleistung vereinbart worden sei (Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 24. Februar 1982 II R 4/81, BFHE 136, 146, BStBl II 1982, 625). Diese sei unabhängig von der grunderwerbsteuerrechtlichen Beurteilung des eigentlichen Erwerbsvorgangs nach dem zum Zeitpunkt der Vereinbarung geltenden Grunderwerbsteuerrecht zu erfassen (Tz. 2 des Erlasses des Finanzministeriums Baden-Württemberg vom 17. Juli 1985 S 4500 A -, Grunderwerbsteuer-Kartei der Oberfinanzdirektionen Freiburg - Karlsruhe - Stuttgart, Karte 10 zu § 1 GrEStG 1983).

Das FA beantragt, unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Klage als unbegründet abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II.

Auf die Revision des FA ist das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

1. Die Vorentscheidung ist aufzuheben. Nach den Urteilen des BFH vom 24. Februar 1982 II R 4/81 (BFHE 136, 146, BStBl II 1982, 625) und vom 23. Juni 1982 II R 33/80 (BFHE 136, 150, BStBl II 1982, 630), auf die sich das FG gestützt hat, war die Vereinbarung, das Erbbaurecht vor seinem Ablauf zu verlängern, entsprechend der sachenrechtlichen Beurteilung als - bloße - Inhaltsänderung i. S. des § 877 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) nicht als für sich der Grunderwerbsteuer unterliegender Vorgang, insbesondere nicht als Rechtsgeschäft i. S. des § 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG 1983 anzusehen. Diese an das bürgerliche Recht anknüpfende Auffassung wird in grunderwerbsteuerrechtlicher Sicht den Besonderheiten des Erbbaurechts als eines - regelmäßig (vgl. § 27 der Verordnung über das Erbbaurecht - ErbbauVO -) - zeitlich befristeten einem Grundstück gleich zu behandelnden Teilrechts (§ 2 Abs. 2 Nr. 1 GrEStG 1983) jedoch nicht gerecht. Der erkennende Senat kommt daher unter Aufgabe der in den genannten Urteilen vertretenen Auffassung zu dem Ergebnis, daß die Vereinbarung der Verlängerung eines Erbbaurechts als Rechtsgeschäft i. S. des § 1 Abs. 1 Nr. 1, § 2 Abs. 2 Nr. 1 GrEStG 1983 der Grunderwerbsteuer unterliegt. Hierfür sind folgende Gründe maßgebend:

a) Das Erbbaurecht ist das veräußerliche und vererbliche Recht, auf oder unter der Oberfläche des Grundstücks ein Bauwerk zu haben (§ 1 Abs. 1 ErbbauVO); es kann auf einen für das Bauwerk nicht erforderlichen Teil des Grundstücks erstreckt werden, sofern das Bauwerk wirtschaftlich die Hauptsache bleibt (§ 1 Abs. 2 ErbbauVO). Insofern stellt sich das Erbbaurecht als eine Beschränkung des Eigentums an dem Grundstück dar (BFH-Urteil vom 28. November 1967 II R 37/66, BFHE 91, 191, BStBl II 1968, 223). Mit der Belastung des Grundstücks (§ 1 Abs. 1 ErbbauVO) durch die eigentümerähnliche Erbbauberechtigung (§§ 11, 14 ErbbauVO) wird, wie der Senat in der genannten Entscheidung weiter ausgeführt hat, für deren Dauer die Vollherrschaft an der Grundstücksfläche in Eigentum und Erbbauberechtigung gespalten. Dem Erbbauberechtigten steht für die Dauer seines Rechts eine eigentumsähnliche Form der Herrschaft an der Grundstücksfläche zu (vgl. auch BFH-Urteil vom 5. Dezember 1979 II R 122/76, BFHE 129, 223, BStBl II 1980, 136).

b) Der Grunderwerbsteuer unterliegen nach § 1 Abs. 1 GrEStG 1983 die dort bezeichneten Rechtsvorgänge, die sich auf inländische Grundstücke beziehen. Gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 1 GrEStG 1983 steht das Erbbaurecht einem Grundstück gleich. Hieraus hat der Senat im Urteil in BFHE 91, 191, BStBl II 1968, 223 gefolgert, daß nicht nur die Verpflichtung, ein Erbbaurecht zu übertragen (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG), hilfsweise die Einigung über die Übertragung des Erbbaurechts (§ 873 Abs. 1 BGB, § 1 Abs. 1 Nr. 2 GrEStG) der Grunderwerbsteuer unterliegt, sondern auch die Verpflichtung ein Erbbaurecht zu bestellen (§ 1 Abs. 1 Nr. 1, § 2 Abs. 2 Nr. 1 GrEStG, § 11 Abs. 2 ErbbauVO), hilfsweise die Bestellung des Erbbaurechts (§ 1 Abs. 1 Nr. 2, § 2 Abs. 2 Nr. 1 GrEStG, § 873 BGB). Denn wenn das Erbbaurecht dem Grundstück gleichstehe (§ 2 Abs. 2 Nr. 1 GrEStG), so stehe die Erbbauberechtigung dem Eigentum gleich. Daraus folge, daß das Rechtsgeschäft, durch welches aus dem Vollrecht des Eigentums an einem Grundstück die Erbbauberechtigung als beschränktes Recht am Grundstück, zugleich aber als Vollrecht am Erbbaurecht ausgeschieden werde, in gleicher Weise der Grunderwerbsteuer unterliegen müsse wie die Übertragung vom Eigentum des Veräußerers in das Eigentum des Erwerbers (Übereignung).

c) Wie der Senat im Urteil vom 9. August 1978 II R 164/73 (BFHE 126, 71, BStBl II 1978, 678) ergänzend dargelegt hat, erfordert § 2 Abs. 2 Nr. 1 GrEStG eine sinngemäß entsprechende Anwendung des § 1 Abs. 1 GrEStG. Diese ist aber nicht nur in den vom Senat entschiedenen Fällen der Übertragung eines bestehenden und der Begründung eines neuen Erbbaurechts, sondern auch dann geboten, wenn - wie im Streitfall - der Grundstückseigentümer dem Erbbauberechtigten das Erbbaurecht vor dessen Ablauf verlängert (§ 27 Abs. 3 ErbbauVO). Denn die Verlängerung des Erbbaurechts steht ebenso wie die Übertragung eines bestehenden Erbbaurechts und die Bildung (Bestellung) eines Erbbaurechts der Übereignung (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 GrEStG) gleich. Der Grundstückseigentümer räumt auf diesem Wege dem (bisherigen) Erbbauberechtigten eine anderenfalls erlöschende, über die (noch) bestehende zeitlich begrenzte Berechtigung hinausgehende Berechtigung an dem Grundstück i. S. des § 1 Abs. 1 ErbbauVO ein. Die das Erbbaurecht charakterisierende eigentumsähnliche Form der Herrschaft an der Grundstücksfläche wird für einen weiteren Zeitraum übertragen und damit für diesen Zeitraum (erstmals) begründet. Das verlängerte Recht ist im Umfang der Verlängerung eine neue - grundstücksgleiche (§ 2 Abs. 2 Nr. 1 GrEStG) - Belastung des Grundstücks (Fischer in Boruttau/ Egly/Sigloch, Grunderwerbsteuergesetz, Kommentar, 13. Aufl., Vorbemerkung Rdnr. 549).

d) Die vom Senat nunmehr vertretene Auffassung führt dazu, daß die grunderwerbsteuerrechtlichen Auswirkungen einer Verlängerung des Erbbaurechts nicht mehr nach dem Recht zu untersuchen sind, das im Zeitpunkt der (erstmaligen) Bestellung des Erbbaurechts maßgebend war, was, wie bereits der Streitfall zeigt, zu nicht unerheblichen Schwierigkeiten führen könnte. Maßgebend für die grunderwerbsteuerrechtliche Beurteilung ist nunmehr das im Zeitpunkt der Verlängerung geltende Recht, z. B. auch hinsichtlich persönlicher Befreiungen von der Grunderwerbsteuer. Denn die Grunderwerbsteuer entsteht in dem Zeitpunkt, in dem das Rechtsgeschäft über die Verlängerung des Erbbaurechts abgeschlossen worden ist (§ 38 der Abgabenordnung - AO 1977 - i. V. m. § 1 Abs. 1 Nr. 1, § 2 Abs. 2 Nr. 1 GrEStG 1983).

2. Die Sache ist spruchreif.

Im Ergebnis zutreffend hat das FA durch den Grunderwerbsteuerbescheid vom 24. Oktober 1985 die Grunderwerbsteuer festgesetzt. Die Vereinbarung vom 11. Oktober 1985 unterliegt gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 1, § 2 Abs. 2 Nr. 1 GrEStG 1983 der Grunderwerbsteuer. Die Höhe der festgesetzten Steuer ist nicht zu beanstanden. Insbesondere ist der auf die Laufzeit der Verlängerung des Erbbaurechts kapitalisierte Erbbauzins zutreffend als Wert der Gegenleistung der Bemessung der Grunderwerbsteuer zugrunde gelegt worden (§ 9 Abs. 2 Nr. 2, § 8 Abs. 1 GrEStG 1983).