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  BFH-Urteil vom 28.4.1993 (I R 100/92) BStBl. 1993 II S. 836

1. Besteht Streit über die Höhe der gemäß § 36 Abs. 2 Nr. 3 EStG anzurechnenden Körperschaftsteuer, so muß das Finanzamt durch Erlaß eines Abrechnungsbescheides gemäß § 218 Abs. 2 AO 1977 entscheiden.

2. Im Verfahren nach § 218 Abs. 2 AO 1977 besteht keine Bindung an eine zuvor erlassene Anrechnungsverfügung. §§ 130, 131 AO 1977 finden insoweit keine Anwendung.

3. Eine Anrechnung von Körperschaftsteuer ist dann nicht möglich, wenn der Steuerpflichtige materiell-rechtlich keine Beteiligungserträge i. S. des § 20 Abs. 1 Nrn. 1 oder 2 oder Abs. 2 Nr. 2 Buchst. a EStG erzielt.

AO 1977 §§ 130, 131, § 218; EStG § 20 Abs. 1 Nrn. 1 bis 3, § 36 Abs. 2 Nr. 3.

Vorinstanz: FG Köln

Sachverhalt

I.

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) war im Streitjahr 1984 alleiniger Gesellschafter der C-GmbH. Daneben war er freiberuflich tätig. Die Beteiligung an der C-GmbH gehörte zu seinem dem freien Beruf dienenden Betriebsvermögen.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) führte bei der C-GmbH eine Betriebsprüfung durch. Dabei stellte es eine vermeintliche verdeckte Gewinnausschüttung der C-GmbH an den Kläger in Höhe von 164.252 DM fest, die in 1984 abgeflossen sein sollte. Es erhöhte den Gewinn der C-GmbH für 1984 um 164.252 DM und stellte für eine entsprechende andere Ausschüttung i. S. des § 27 Abs. 3 Satz 2 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG) 1977 die Ausschüttungsbelastung her (geänderter Körperschaftsteuerbescheid 1984 vom 11. April 1988). Beim Kläger behandelte das FA in dem geänderten Einkommensteuerbescheid 1984 vom 5. Mai 1988 die verdeckte Gewinnausschüttung als Beteiligungsertrag, der die Einkünfte aus selbständiger Arbeit erhöhte. Nach Vorlage einer Bescheinigung gemäß § 44 Abs. 1 KStG 1977 erhöhte es die Einkünfte aus selbständiger Arbeit gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) um 92.392 DM und rechnete irrtümlich auf die festgesetzte Einkommensteuer 1984 nur 91.392 DM an Körperschaftsteuer gemäß § 36 Abs. 2 Nr. 3 EStG an (festgesetzte Einkommensteuer: 12.970 DM).

Am 5. August 1988 erließ das FA einen gemäß § 10 d EStG geänderten Einkommensteuerbescheid 1984 gegenüber dem Kläger, in dem ein Verlust aus 1986 nach 1984 rückgetragen wurde. In dem geänderten Steuerbescheid wurde die Einkommensteuer 1984 mit 0 DM festgesetzt. Der Ansatz der Einkünfte 1984 aus selbständiger Arbeit blieb der Höhe nach unverändert. In der zu dem geänderten Einkommensteuerbescheid erlassenen Anrechnungsverfügung wurde wiederum eine Körperschaftsteuer in Höhe von 91.392 DM angerechnet.

Die C-GmbH legte, vertreten durch den Kläger als ihren Geschäftsführer, Einspruch gegen den geänderten Körperschaftsteuerbescheid 1984 vom 11. April 1988 ein, dem das FA am 2. Januar 1989 entsprach. Das FA verneinte in dem Rechtsbehelfsverfahren letztlich das Vorliegen sowohl einer verdeckten Gewinnausschüttung i. S. des § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG 1977 als auch einer anderen Ausschüttung i. S. des § 27 Abs. 3 Satz 2 KStG 1977. Der Kläger nahm daraufhin seinen Einspruch gegen den Einkommensteuerbescheid 1984 vom 5. August 1988 zurück.

Am 8. März 1989 erließ das FA eine geänderte, jedoch mit keiner Rechtsbehelfsbelehrung versehene Anrechnungsverfügung zur Einkommensteuer 1984. In dieser ging es von einer in Höhe von 0 DM festgesetzten Einkommensteuer 1984 aus. Es rechnete jedoch Körperschaftsteuer in Höhe von 92.392 DM nicht mehr gemäß § 36 Abs. 2 Nr. 3 EStG an. Deshalb führte die Anrechnungsverfügung zu einer Zahlungsforderung gegenüber dem Kläger in Höhe von 91.392 DM. Gegen die Verfügung erhob der Kläger mit Schreiben vom 17. April 1989 Gegenvorstellungen. Er bat um Erlaß eines Abrechnungsbescheides. Mit Schreiben vom 19. August 1989 legte er außerdem Beschwerde gegen die Anrechnungsverfügung ein. Der Beschwerde half das FA nicht ab; die zuständige Oberfinanzdirektion (OFD) wies sie als unbegründet zurück.

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage des Klägers als unbegründet ab.

Mit seiner vom FG zugelassenen Revision rügt der Kläger die Verletzung des § 36 Abs. 2 Nr. 3 Satz 4 Buchst. f EStG und des § 130 Abs. 2 Nr. 4 der Abgabenordnung (AO 1977).

Er beantragt, das Urteil des FG Köln vom 1. Juli 1992 6 K 919/90, die Abrechnungsverfügung vom 8. März 1989 und die Beschwerdeentscheidung vom 8. Februar 1990 ersatzlos aufzuheben.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

1. Die Beteiligten befinden sich im falschen Verfahren. Sie gehen übereinstimmend und zutreffenderweise davon aus, daß der Verwaltungsakt vom 8. März 1989 eine Anrechnungsverfügung bzw. eine Anrechnungsmitteilung ist. Der Kläger legte gegen den Verwaltungsakt "Beschwerde" ein. Das FA behandelte den Rechtsbehelf als eine zulässige Beschwerde. Die zuständige OFD entschied sachlich über dieselbe.

§ 218 Abs. 2 AO 1977 sieht jedoch vor, daß die Finanzbehörde immer dann, wenn über die Verwirklichung von Ansprüchen i. S. des § 218 Abs. 1 AO 1977 gestritten wird, durch Abrechnungsbescheid entscheidet. Der Abrechnungsbescheid geht einer zuvor erlassenen Anrechnungsverfügung vor (vgl. Beschluß des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 20. Oktober 1987 VII R 32/87, BFH/NV 1988, 349; Urteil vom 25. Februar 1992 VII R 41/91, BFH/NV 1992, 716; Brenner, in: Kirchhof/Söhn, Einkommensteuergesetz, § 36 Rdnr. A 235). Er hebt dieselbe jedoch nicht förmlich auf. Deshalb besteht im Verfahren nach § 218 Abs. 2 AO 1977 keine Bindung an eine zuvor erlassene Anrechnungsverfügung. § 130 AO 1977 findet schon aus diesem Grunde keine Anwendung. Es ist gerade der Sinn der in § 218 Abs. 2 AO 1977 getroffenen Regelung, daß das FA über das Bestehen oder Nichtbestehen ohne Bindung an frühere Anrechnungsverfügungen entscheiden kann und muß. § 218 Abs. 2 AO 1977 enthält deshalb eine gegenüber den §§ 130, 131 AO 1977 vorgreifliche Sonderregelung.

Eine Streitigkeit i. S. des § 218 Abs. 2 AO 1977 ist auch dann gegeben, wenn über die Höhe der auf eine festgesetzte Steuer anzurechnenden Steuerbeträge (Vorauszahlungen usw.) gestritten wird. Schon das FA hätte deshalb als Folge der klägerischen Einwendungen im Schriftsatz vom 28. März 1989 - wie auch vom Kläger beantragt - einen Abrechnungsbescheid gemäß § 218 Abs. 2 AO 1977 erlassen müssen. In diesem Abrechnungsbescheid hätte es losgelöst von den §§ 130, 131 AO 1977 über die Höhe der auf die Einkommensteuer 1984 anzurechnenden Steuerzahlungen entscheiden müssen. Die OFD hätte das Beschwerdeverfahren gemäß § 363 AO 1977 aussetzen und das FA zum Erlaß eines Abrechnungsbescheides anhalten müssen. Entsprechend hätte auch das FG das bei ihm anhängige Klageverfahren gemäß § 74 FGO aussetzen und dem FA den Erlaß eines Abrechnungsbescheides aufgeben müssen. Soweit das FG § 74 FGO unbeachtet ließ, liegt ein Verfahrensfehler vor, der vom Senat von Amts wegen zu beachten ist, weil er die Grundordnung des Verfahrens betrifft. Aufgrund des Verfahrensfehlers ist die Vorentscheidung aufzuheben und die Sache an das FG zurückzuverweisen, damit dieses die Aussetzung des Verfahrens nachholen kann.

2. Mit Rücksicht auf die Tatsache, daß die Vorentscheidung wegen eines Verfahrensfehlers aufzuheben ist, bemerkt der erkennende Senat ohne Bindung für das künftige Verfahren gemäß § 218 Abs. 2 AO 1977 folgendes:

a) Die Nichtanrechnung von Körperschaftsteuer in Höhe von 92.392 DM kann im Streitfall nicht auf § 36 Abs. 2 Nr. 3 Satz 4 Buchst. f EStG gestützt werden. Dazu kann dahinstehen, ob die in § 52 Abs. 25 Satz 2 EStG i. d. F. des Wohnungsbauförderungsgesetzes (WoBauFG) vom 22. Dezember 1989 (BGBl I 1989, 2408, BStBl I 1989, 505) angeordnete Rückwirkung verfassungsgemäß ist. Jedenfalls sind die Voraussetzungen des § 36 Abs. 2 Nr. 3 Satz 4 Buchst. f EStG schon deshalb nicht erfüllt, weil in dem bestandskräftigen Einkommensteuerbescheid 1984 vom 5. August 1988 die streitigen Beteiligungserträge i. S. des § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG innerhalb der Einkünfte aus selbständiger Arbeit angesetzt sind. Damit sind sie bei der Veranlagung i. S. des § 36 Abs. 2 Nr. 3 Satz 4 Buchst. f EStG erfaßt. Ob der Bescheid vom 5. August 1988 künftig noch geändert werden kann, muß dabei offenbleiben.

b) Für das Streitjahr 1984 geht allerdings der erkennende Senat davon aus, daß eine Anrechnung von Körperschaftsteuer jedenfalls dann nicht möglich ist, wenn der Steuerpflichtige materiell-rechtlich keine Beteiligungserträge i. S. des § 20 Abs. 1 Nrn. 1 oder 2 oder Abs. 2 Nr. 2 Buchst. a EStG erzielte. FA und ggf. FG werden deshalb in tatsächlicher Hinsicht Feststellungen darüber treffen müssen, ob der Kläger in 1984 Beteiligungserträge von der C-GmbH erzielte.