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  BFH-Urteil vom 9.2.1994 (II R 24/90) BStBl. 1994 II S. 501

Bei der Schätzung des gemeinen Werts von Anteilen nach dem Stuttgarter Verfahren sind für die Entscheidung darüber, ob ein Anteilsbesitz einen Einfluß auf die Geschäftsführung gewährt, die von einem herrschenden und einem beherrschten Unternehmen gehaltenen Anteile zusammenzurechnen. Ergibt sich danach, daß die Anteile insgesamt einen Einfluß auf die Geschäftsführung gewähren, so sind die von den einzelnen Unternehmen gehaltenen Anteile - unabhängig von ihrer jeweiligen prozentualen Beteiligungshöhe - als Anteile mit Einfluß auf die Geschäftsführung zu bewerten.

BewG § 9 Abs. 2, § 11 Abs. 2.

Vorinstanz: FG Düsseldorf

Sachverhalt

I.

Streitig ist, ob bei der Schätzung des gemeinen Werts der von der A-AG gehaltenen Anteile an der Klägerin - einer GmbH - und Revisionsklägerin (Klägerin) nach dem Stuttgarter Verfahren ein Abschlag von 25 v. H. zu machen ist, weil diese keinen Einfluß auf die Geschäftsführung vermitteln.

An der Klägerin waren an den maßgeblichen Stichtagen folgende Gesellschafter beteiligt:

B-AG zu

65 v.H.

C-GmbH zu

25 v.H.

A-AG zu

10 v.H.

An der A-AG war die B-AG zu 90 v. H. beteiligt. Zwischen der B-AG und der A-AG bestand ein Beherrschungs- und Ergebnisabführungsvertrag. Die A-AG war verpflichtet, nach den Weisungen der B-AG zu handeln.

Die Gesellschafter der Klägerin hatten sich zwecks einheitlicher Willensbildung zu einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) zusammengeschlossen. Für die Mehrheit war die Zustimmung von mindestens 67 v. H. der Stimmen aller Gesellschafter erforderlich. Die Klägerin ihrerseits war verpflichtet, nach dem Willen dieser GbR und deren Weisungen zu handeln.

Durch Bescheide vom 29. Juli 1981 stellte das beklagte Finanzamt (FA) den gemeinen Wert der Anteile an der Klägerin auf den 31. Dezember 1975 und auf den 31. Dezember 1976 fest. Im Rahmen der Schätzung nach dem Stuttgarter Verfahren machte es bei der Ermittlung des Vermögenswertes einheitlich einen Abschlag von 15 v. H. (Abschn. 77 Abs. 5 der Vermögensteuer-Richtlinien 1974 - VStR -).

Hiergegen richtete sich die Klage. Mit dieser machte die Klägerin geltend, daß bei der Schätzung des Wertes der von der A-AG gehaltenen Anteile jeweils ein Abschlag von 25 v. H. vorzunehmen sei, weil die A-AG nur 10 v. H. der Anteile an der Klägerin halte und damit keinen Einfluß auf die Geschäftsführung habe (Abschn. 80 VStR). Ein Organschaftsverhältnis bleibe bei allen Bestimmungen des Stuttgarter Verfahrens unbeachtlich. Es sei nicht ersichtlich, aus welchen Gründen es bei einer Mehrmütterorganschaft zu einer abweichenden Beurteilung kommen solle.

Das Finanzgericht (FG) hat die Klage als unbegründet abgewiesen. Die von der A-AG gehaltenen Anteile von 10 v. H. an der Klägerin vermittelten einen Einfluß auf die Geschäftsführung. Die A-AG sei wegen des zwischen ihr und der B-AG bestehenden Beherrschungs- und Ergebnisabführungsvertrags verpflichtet gewesen, nach deren Weisungen zu handeln. Wegen dieser vertraglichen Bindung spiele der denkbare Einfluß der A-AG auf die Geschäftsführung der Klägerin keine Rolle, sondern nur der gemeinschaftliche Einfluß der B-AG und der A-AG zusammen.

Hiergegen richtet sich die Revision der Klägerin. Mit dieser macht die Klägerin Verletzung materiellen Rechts geltend. Sie beantragt, unter Aufhebung der Vorentscheidung die angefochtenen Bescheide des beklagten FA dahingehend abzuändern, daß bei der Feststellung des gemeinen Wertes der von der A-AG gehaltenen Anteile der Vermögenswert um 25 v. H. gekürzt wird. Zur Begründung trägt sie im wesentlichen vor: Der Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag rechtfertige es nicht, bei der Bewertung der von der A-AG gehaltenen Anteile den Abschlag von 25 v. H. zu versagen. Die Beteiligung der A-AG an der Klägerin könne zwar den Einfluß der B-AG auf die Klägerin verstärken, dies sei aber keine Eigenschaft des Anteilsbesitzes der A-AG. Zu Unrecht beziehe sich das FG zur Stützung seiner Auffassung über das Vorliegen eines gemeinschaftlichen Einflusses auf das Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 5. Oktober 1973 III R 8/72 (BFHE 110, 567, BStBl II 1974, 77). Diese Entscheidung sei durch die nachfolgende Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) überholt, im übrigen aber seien die Überlegungen für eine Zusammenrechnung bei Ehegatten auf den Streitfall nicht übertragbar. Das körperschaftsteuerliche Organschaftsverhältnis könne keine Auswirkungen auf die Bewertung der fraglichen Beteiligung haben. Ein Einfluß auf die Geschäftsführung lasse sich auch nicht aus der von den Anteilseignern gebildeten GbR ableiten.

Das beklagte FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision der Klägerin ist unbegründet.

Im Ergebnis zu Recht hat das FG die Auffassung des FA bestätigt, daß bei der Schätzung des gemeinen Wertes der von der A-AG gehaltenen Anteile an der Klägerin ein Abschlag in Höhe von 25 v. H. wegen fehlenden Einflusses auf die Geschäftsführung nicht in Betracht kommt.

1. Für die von der A-AG gehaltenen Geschäftsanteile an der Klägerin ist der gemeine Wert festzustellen. Verkäufe, aus denen dieser Wert abgeleitet werden könnte, liegen nicht vor; deshalb ist er unter Berücksichtigung des Vermögens und der Ertragsaussichten der GmbH zu schätzen (§ 11 Abs. 2 des Bewertungsgesetzes - BewG -).

Das FA hat diese Schätzung nach dem sog. Stuttgarter Verfahren (Abschn. 76 ff. VStR) vorgenommen. Der BFH hat in ständiger Rechtsprechung dieses Verfahren als ein geeignetes Schätzungsverfahren anerkannt, soweit es nicht im Ausnahmefall zu offensichtlich unrichtigen Ergebnissen führt (vgl. Senatsurteil vom 6. März 1991 II R 18/88, BFHE 164, 91, BStBl II 1991, 558, m. w. N.).

In der Regelbewertung nach dem Stuttgarter Verfahren haben sich Gesichtspunkte schon ausgewirkt, die wegen des "Beteiligungscharakters" von Anteilen an einer Kapitalgesellschaft bei Bewertung nach Börsenkursen oder Kaufpreisen zu einem Paketzuschlag führen würden (§ 11 Abs. 3 BewG). Die Regelbewertung unterstellt damit, daß für die danach bewerteten Anteile der Einfluß auf die Geschäftsführung typisch ist (BFH-Urteil vom 14. November 1980 III R 81/79, BFHE 132, 479, 482, BStBl II 1981, 351). Deshalb sieht Abschn. 80 Abs. 2 VStR für Anteile, die keinen Einfluß auf die Geschäftsführung gewähren, eine von der Regelbewertung abweichende Wertermittlung vor. Unter der Geschäftsführung im Sinne dieser Anweisung ist bei der GmbH die Mitwirkung der Anteilsinhaber in der Gesellschafterversammlung zu verstehen (vgl. Senatsurteil vom 28. März 1990 II R 108/85, BFHE 159, 568, BStBl II 1990, 493, m. w. N.). Eine Sonderbewertung nach Abschn. 80 VStR setzt daher voraus, daß der Anteilsbesitz keinen Einfluß auf die in der Gesellschafterversammlung zu beschließenden Geschäfte ermöglicht.

Nach ständiger Rechtsprechung des BFH sind für die Entscheidung, ob eine Beteiligung Einfluß auf die Geschäftsführung gewährt, die Verhältnisse des Einzelfalles maßgebend. Dabei können jedoch nur solche Verhältnisse berücksichtigt werden, die die Beschaffenheit der Beteiligung kennzeichnen und damit den gemeinen Wert i. S. des § 9 Abs. 2 BewG beeinflussen. Ungewöhnliche oder persönliche Verhältnisse müssen außer Betracht bleiben (vgl. BFH-Urteil vom 6. Oktober 1978 III R 95/76, BFHE 126, 66, BStBl II 1979, 6, m. w. N.). Die "Beschaffenheit" eines Geschäftsanteils an einer GmbH wird dabei nicht nur von dessen Umfang, sondern auch vom Umfang der Anteile bestimmt, die im Eigentum anderer Gesellschafter stehen. Zu berücksichtigen ist daher jeweils auch die Streuung der übrigen Anteile.

Die A-AG hält selbst nur 10 v. H. der Anteile an der Klägerin. Bei einer Beteiligung in dieser Höhe an einer GmbH hängt es grundsätzlich von den Verhältnissen des Einzelfalles ab, ob diese Beteiligung Einfluß auf die Geschäftsführung vermittelt (vgl. BFH in BFHE 126, 66, BStBl II 1979, 6). Eine Beteiligung von 10 v. H. an einer GmbH vermittelt jedoch regelmäßig dann keinen Einfluß auf die Geschäftsführung, wenn ein anderer Gesellschafter vorhanden ist, der einen Gesellschaftsanteil von mehr als 50 v. H. der Stimmen besitzt (vgl. Senatsurteil in BFHE 159, 568, BStBl II 1990, 493, 494). Wäre im Streitfall allein auf die Höhe der von der A-AG selbst gehaltenen Beteiligung abzustellen, so wäre nach diesen Grundsätzen - abgesehen von dem allgemeinen Vorbehalt (weiterer) Besonderheiten des Einzelfalls - davon auszugehen, daß diese Beteiligung keinen Einfluß auf die Geschäftsführung vermittelte.

Für die Frage, ob nach den dargelegten Grundsätzen die von der A-AG gehaltenen Anteile einen Einfluß auf die Geschäftsführung vermitteln, ist jedoch nicht nur auf deren eigenen Anteilsbesitz abzustellen, sondern sind die von der B-AG an der Klägerin gehaltenen Anteile mitzuberücksichtigen. Zwischen der B-AG und der A-AG besteht ein Beherrschungsvertrag. Mit diesem hat die A-AG die Leitung ihrer Gesellschaft der herrschenden B-AG unterstellt (§ 291 Abs. 1 Satz 1 des Aktiengesetzes - AktG -). Dies berechtigt den Vorstand des herrschenden Unternehmens, dem Vorstand der beherrschten Gesellschaft hinsichtlich der Leitung der Gesellschaft Weisungen zu erteilen (§ 308 Abs. 1 Satz 1 AktG). Der Vorstand des beherrschten Unternehmens ist verpflichtet, die Weisungen des herrschenden Unternehmens zu befolgen (§ 308 Abs. 2 Satz 1 AktG). Das Weisungsrecht erstreckt sich - innerhalb der gesetzlichen Grenzen (vgl. zu diesen Geßler in Geßler/Hefermehl/Eckardt/Kropff, Kommentar zum Aktiengesetz, § 308 Anm. 46 ff.) - auf alle Maßnahmen, die die eigentliche Betriebsführung betreffen (Koppensteiner in Kölner Kommentar zum Aktiengesetz, 2. Aufl., § 308 Rdnr. 18). Diese Weisungsbefugnis erstreckt sich auch auf die Ausübung von Rechten aus Beteiligungen bzw. auf deren Verkauf (vgl. Geßler in Geßler/Hefermehl/Eckardt/Kropff, a. a. O., § 292 Anm. 100). Weigert sich der Vorstand des beherrschten Unternehmens, rechtmäßige Weisungen zu befolgen, so stehen dem herrschenden Unternehmen gerichtlich durchsetzbare Erfüllungs- und Schadensersatzansprüche zu. Das herrschende Unternehmen kann demnach die Rechte aus Beteiligungen, die vom beherrschten Unternehmen gehalten werden, zwar nicht selbst ausüben, wohl aber deren Ausübung durch das beherrschte Unternehmen in rechtlich durchsetzbarer Weise steuern. Damit kann das herrschende Unternehmen die Geschäftsführung eines Beteiligungsunternehmens auch durch Anteile beeinflussen, die vom beherrschten Unternehmen gehalten werden. Die Rechte aus vom herrschenden und vom beherrschten Unternehmen gehaltenen Anteilen können daher insgesamt entsprechend einem einheitlichen Willen - dem des herrschenden Unternehmens - ausgeübt werden. Diese Wirkung des Beherrschungsvertrages rechtfertigt und gebietet es, die Einflußmöglichkeit auf die Geschäftsführung der Gesellschaft nach den Anteilen zu beurteilen, die insgesamt von dem herrschenden und dem beherrschten Unternehmen gehalten werden. Für die Betrachtungsweise nach § 9 Abs. 2 BewG kommt hinzu, daß auch über einen Verkauf des gesamten Anteilsbesitzes einheitlich vom herrschenden Unternehmen entschieden werden kann. Dies hat zur Folge, daß diese Anteile am Markt wie eine einzige Beteiligung angeboten werden können. Von einem herrschenden Unternehmen gehaltene Anteile sind daher auch dann als solche mit Einfluß auf die Geschäftsführung zu bewerten, wenn sie diese Eigenschaft nur unter Mitberücksichtigung der vom beherrschten Unternehmen gehaltenen Anteile besitzen. Zwar hat das beherrschte Unternehmen danach selbst keinen Einfluß auf die Geschäftsführung der Beteiligungsgesellschaft, mittels der von ihm gehaltenen Anteile nimmt es jedoch teil an dem über das herrschende Unternehmen ausgeübten Einfluß auf die Geschäftsführung. Für die Entscheidung darüber, ob ein Anteilsbesitz einen Einfluß auf die Geschäftsführung vermittelt, sind daher die von einem herrschenden und einem beherrschten Unternehmen gehaltenen Anteile zusammenzurechnen. Ergibt sich danach, daß die Anteile insgesamt einen Einfluß auf die Geschäftsführung gewähren, so sind die von den einzelnen Unternehmen gehaltenen Anteile - unabhängig von ihrer jeweiligen prozentualen Beteiligungshöhe - als Anteile mit Einfluß auf die Geschäftsführung zu bewerten.

Diese Auslegung verstößt nicht gegen den Grundsatz, daß auch bei Bestehen einer Organschaft eine getrennte Vermögensbesteuerung der Gesellschaften vorzunehmen ist. Für die Vermögensteuer werden die Anteile auch bei dieser Betrachtungsweise bei der Gesellschaft erfaßt, von der sie gehalten werden. Lediglich bei der Feststellung ihres gemeinen Wertes wird berücksichtigt, daß sie bezüglich der Ausübung der aus ihnen fließenden Rechte und ihrer Veräußerung einem einheitlichen Willen unterliegen. Im Ergebnis entspricht dies der Auffassung, die der BFH für die atypische Unterbeteiligung an einem Stammanteil bereits bisher vertreten hat (Urteil vom 12. Mai 1978 III R 56/76, BFHE 125, 294, BStBl II 1978, 520).

Diese Auslegung widerspricht auch nicht der Regelung des § 9 Abs. 2 Satz 3 und Abs. 3 BewG, wonach u. a. persönliche Verhältnisse, insbesondere Verfügungsbeschränkungen, nicht zu berücksichtigen sind. Die sich aus dem Beherrschungsvertrag ergebende Einheitlichkeit des Willens hinsichtlich einer Verfügung über die Anteile eröffnet die Möglichkeit, im nach § 9 Abs. 2 BewG maßgeblichen gewöhnlichen Geschäftsverkehr einen höheren Preis zu erzielen. Diese Wirkung des Beherrschungsvertrags kann nicht einer (unbeachtlichen) Verfügungsbeschränkung gleichgestellt werden.

2. Im Streitfall nimmt daher der von der A-AG gehaltene Anteilsbesitz von 10 v. H. an der Einflußnahme auf die Geschäftsführung, die durch die von der B-AG gehaltene Beteiligung von 65 v. H. ermöglicht wird, teil. Auch die von der A-AG gehaltene Beteiligung gewährt daher Einflußnahme auf die Geschäftsführung. Ein Abschlag von 25 v. H. nach Abschn. 80 VStR ist daher nicht zu gewähren.

Die Tatsache, daß die drei Gesellschafter der Klägerin ihre Gesellschaftsrechte über die GbR gegenüber der Klägerin im Rahmen einer Mehrmütterorganschaft einheitlich ausüben, steht diesem Ergebnis zumindest nicht entgegen. Ob und inwieweit dies für sich gesehen geeignet wäre, der A-AG Einfluß auf die Geschäftsführung zu gewähren, ist deshalb nicht entscheidungserheblich.