| Home | Index | EStG | Neuzugang | Impressum  
       

 

 

 

 

 

  BFH-Urteil vom 18.8.1993 (II R 102/90) BStBl. 1994 II S. 9

Bei der Ermittlung des Ertragshundertsatzes im Rahmen der Anteilsbewertung nach dem Stuttgarter Verfahren kommt ein besonderer Abschlag (vgl. Abschnitt 78 Abs. 2 VStR 1983) bei einer handwerklich tätigen GmbH, die unter Einsatz eines nicht unwesentlichen Betriebskapitals eine Anzahl qualifizierter Arbeitskräfte beschäftigt, nicht in Betracht.

BewG 1965 §§ 9, 11 Abs. 2.

Vorinstanz: FG Nürnberg

Sachverhalt

I.

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin), eine GmbH, betreibt eine Kunst- und Bauschlosserei. Sie verfügte am streitigen Feststellungszeitpunkt (31. Dezember 1985) über ein eingezahltes Stammkapital von 50.000 DM. Daran waren der Beigeladene zu 2 (Geschäftsführer der Klägerin) mit 34.000 DM (68 %), der Beigeladene zu 1 mit 10.000 DM (20 %) sowie die Beigeladenen zu 3 und 4 zu je 3.000 DM (je 6 %) beteiligt. Betriebsgrundstücke und Gebäude, Maschinen, Betriebs- und Geschäftsausstattung sowie Kfz und geringwertige Wirtschaftsgüter hat die Klägerin von der A GbR (= Besitzgesellschaft im Rahmen einer Betriebsaufspaltung) gepachtet.

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) stellte den gemeinen Wert der Anteile an der Klägerin auf den 31. Dezember 1985 zunächst für alle Anteile auf 927 DM je 100 DM des Stammkapitals fest. Im Einspruchsverfahren ermäßigte das FA den gemeinen Wert der Anteile der Beigeladenen zu 3 und 4 wegen deren fehlenden Einflusses auf die Geschäftsführung auf 905 DM. Dagegen lehnte es das Begehren der Klägerin ab, bei der Ermittlung des Ertragshundertsatzes einen besonderen Abschlag (vgl. Abschn. 78 Abs. 2 der Vermögensteuer-Richtlinien - VStR - 1983) in Höhe von 30 % des durchschnittlichen Jahresertrages vorzunehmen.

Mit der Klage verfolgte die Klägerin ihr Begehren weiter. Sie machte geltend, daß ihre durchschnittliche Eigenkapitalverzinsung mit 296,1 % erheblich über dem Branchendurchschnitt von 95,5 % liege. Diese überdurchschnittliche Rendite sei ohne wesentlichen Einsatz von Betriebskapital hauptsächlich infolge des persönlichen Einsatzes und der Fähigkeiten des Beigeladenen zu 2 erzielt worden.

Das Finanzgericht (FG) gab der Klage teilweise statt und stellte unter Berücksichtigung eines besonderen Abschlags (vgl. Abschn. 78 Abs. 2 VStR 1983) in Höhe von 15 % den gemeinen Wert der Anteile der Beigeladenen zu 1 und 2 auf 816 DM und der Beigeladenen zu 3 und 4 auf 794 DM fest.

Mit der Revision rügt das FA die Verletzung materiellen Rechts. Es beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision des FA ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

1. Anteile an Kapitalgesellschaften, die keinen Kurswert i. S. von § 11 Abs. 1 des Bewertungsgesetzes in der für den streitigen Stichtag geltenden Fassung (BewG) haben, sind gemäß § 11 Abs. 2 BewG mit dem gemeinen Wert anzusetzen. Liegen - wie im Streitfall - zeitnahe Verkäufe, aus denen der gemeine Wert abgeleitet werden könnte, nicht vor, so ist dieser Wert unter Berücksichtigung des Vermögens und der Ertragsaussichten der Gesellschaft zu schätzen (§ 11 Abs. 2 Satz 2 BewG). Diese Schätzung erfolgt nach dem in Abschn. 76 ff. VStR 1983 geregelten Stuttgarter Verfahren, das der Bundesfinanzhof (BFH) in ständiger Rechtsprechung als ein geeignetes Schätzungsverfahren anerkannt hat, soweit es nicht in Ausnahmefällen zu offensichtlich unzutreffenden Ergebnissen führt (vgl. z. B. Urteile vom 6. März 1991 II R 18/88, BFHE 164, 91, BStBl II 1991, 558, und vom 28. März 1990 II R 108/85, BFHE 159, 568, BStBl II 1990, 493).

Anders als das früher (bis 1952) angewendete "Berliner Verfahren", einem Mittelwertverfahren, bei dem der Unternehmenswert aus dem Mittel von Substanzwert und Ertragswert abgeleitet wurde (vgl. Gürsching/Stenger, Kommentar zum Bewertungsgesetz und Vermögensteuergesetz, 9. Aufl., § 11 BewG Rdnr. 52), liegt der Schwerpunkt des "Stuttgarter Verfahrens" auf dem Vermögenswert (Substanzwert). Daneben werden - allerdings nicht gleichgewichtig - auch Ertragswertgesichtspunkte berücksichtigt (Gürsching/Stenger, a. a. O., § 11 BewG Rdnr. 53). Das Stuttgarter Verfahren stellt eine besondere Variante der sog. Übergewinnmethode dar, wobei der Unternehmenswert verstanden wird als Summe der Teilreproduktionswerte (Vermögenswerte) und des Mehrwerts, der darauf beruht, daß das zu bewertende Unternehmen Gewinne über den Normalgewinn hinaus, d. h. sog. Übergewinne, erwirtschaftet (Moxter, Grundsätze ordnungsmäßiger Unternehmensbewertung, S. 85 ff.).

2. Von dem zur Ermittlung des Ertragshundertsatzes zu schätzenden nachhaltig erzielbaren Jahresertrag der Gesellschaft (vgl. Abschn. 78 Abs. 1 VStR 1983) kann ein Abschlag (vgl. Abschn. 78 Abs. 2 VStR 1983) bis zu 30 % bei Gesellschaften vorgenommen werden, bei denen "ohne Einsatz eines größeren Betriebskapitals .... der Ertrag ausschließlich und unmittelbar von der persönlichen Tätigkeit des Gesellschafter-Geschäftsführers abhängig ist, ohne daß dies bereits durch ein entsprechendes Entgelt abgegolten wird. In Betracht kommen Gesellschaften von Angehörigen freier Berufe (z. B. Steuerberater und Wirtschaftsprüfer) sowie bestimmter selbständiger Gewerbetreibender (z. B. Handelsvertreter, Makler und Unternehmensberater)".

Zu Unrecht gehen die Klägerin und das FG davon aus, daß die Voraussetzungen für einen derartigen Abschlag im vorliegenden Streitfall erfüllt seien.

a) Ein Abschlag ist nicht schon allein dadurch gerechtfertigt, daß die Gesellschaft auffallend hohe Erträge erwirtschaftet. Denn eine allgemeine Korrektur besonders hoher (objektiver) Ertragsaussichten entspricht nicht dem System des Stuttgarter Verfahrens (BFH-Urteil vom 23. April 1986 II R 215/83, BFHE 146, 467, BStBl II 1986, 594, unter 2. e). Vielmehr muß vor allem feststehen, daß diese Erträge ausschließlich und unmittelbar von der persönlichen Tätigkeit des Gesellschafter-Geschäftsführers abhängig sind. Ein solches - qualifiziertes - Kausalverhältnis wird nur selten vorliegen. In den weitaus überwiegenden Fällen erweist sich der Unternehmensertrag als das Ergebnis des Zusammenwirkens einer Vielzahl von Faktoren, deren singuläre Beiträge zum Unternehmensgesamterfolg sich zumeist einer zuverlässigen (exakten) Quantifizierung entziehen. Von diesen Faktoren stellt die unternehmensleitende Tätigkeit nur eine - wenn auch wichtige - Komponente dar. Daneben spielt regelmäßig - auch und gerade bei Handwerksbetrieben - der Einsatz von Arbeitskräften (Arbeitnehmern), Maschinen, Werkzeugen und Werkstoffen eine Rolle. Maßgeblichen Einfluß auf ein überdurchschnittliches Betriebsergebnis nehmen überdies vor allem oft diejenigen - immateriellen - Faktoren, die in ihrer Gesamtheit den Geschäftswert (Firmenwert) eines Unternehmens ausmachen, etwa der Ruf des Unternehmens, der Kundenstamm, die Bezugs- und Absatzquoten, der Standort, die Organisation, das Know-how, die Belegschaftsqualität und anderes mehr (Kropff in Geßler/Hefermehl, Kommentar zum Aktiengesetz, 1973, § 153 Anm. 63). Diese den Geschäftswert bildenden und damit den "Übergewinn" maßgeblich beeinflussenden Faktoren mögen zwar von einem tüchtigen und erfolgreichen Unternehmensleiter (mit-)geschaffen worden sein. Gleichwohl sind sie nicht als Gewinnbeitrag unmittelbar der leitenden Tätigkeit des Geschäftsführers zuzurechnen. Anders ausgedrückt stellen sie nicht den Ertrag der persönlichen Arbeitsleistung des Unternehmensleiters dar, der nach dem Grundgedanken des Urteils des Reichsfinanzhofs (RFH) vom 6. Februar 1941 III 54/40 (RStBl 1941, 444) nicht der Vermögensbesteuerung unterliegen soll. Vielmehr verkörpern diese geschäftswertbildenden Faktoren einen objektiven, losgelöst von der Person des Unternehmers bestehenden (vgl. z. B. Schmidt, Kommentar zum Einkommensteuergesetz, 12. Aufl., § 5 Anm. 23 a, m. w. N.), wenn auch wenig greifbaren und mehr oder minder flüchtigen Wert, den ein Erwerber des Unternehmens oder der Unternehmensanteile entsprechend vergüten würde.

b) Bei Anwendung dieser Grundsätze kann im Streitfall dahinstehen, ob - wie das FG gemeint hat - die Erfolgswirksamkeit der unternehmensleitenden Tätigkeit des Beigeladenen zu 2 durch dessen Gehalt und Tantiemen nicht ausreichend abgegolten wurde. Denn die Klägerin hat jedenfalls nicht darzulegen vermocht, daß die von ihr erzielten überdurchschnittlichen Erträge das ausschließliche und unmittelbare Ergebnis der Tätigkeit ihres Gesellschafter-Geschäftsführers - des Beigeladenen zu 2 - darstellten.

Die Klägerin konnte zunächst nicht darlegen, daß sie ohne den Einsatz eines nicht unwesentlichen Betriebskapitals auskam. Für die Beantwortung dieser Frage ist unerheblich, ob die von der Klägerin eingesetzten Betriebsmittel (Betriebsgrundstücke, Gebäude, Maschinen und Werkzeuge, Betriebs- und Geschäftsausstattung, Kfz, geringwertige Wirtschaftsgüter, Vorratsvermögen usw.) ihr selbst gehörten oder von der mit ihr personell verflochtenen Besitzgesellschaft (GbR) gepachtet wurden (vgl. auch Urteil des FG Baden-Württemberg vom 3. Februar 1983 III 93/80, Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 1983, 487, 488, unter 6.). Der Ansicht von Troll, wonach das Vorhandensein eines größeren Betriebskapitals für einen Abschlag keine Rolle spielen soll (Troll, Bewertung der Aktien und GmbH-Anteile bei der Vermögensteuer, 5. Aufl., S. 110), kann sich der erkennende Senat aus den unter II. 2. a aufgezeigten Gründen nicht anschließen (vgl. auch schon BFH-Urteil vom 6. April 1962 III 261/59 U, BFHE 74, 682, BStBl III 1962, 253). Auch der vom RFH in RStBl 1941, 444 befürworteten großzügigen Abschlagspraxis folgt der Senat nicht. Die dort vom RFH aufgestellten Grundsätze sind schon dadurch hinfällig geworden (ebenso schon BFH-Urteil in BFHE 74, 682, BStBl III 1962, 253), daß sie auf der Grundlage des inzwischen aufgegebenen Berliner Verfahrens (vgl. oben II. 1.) entwickelt wurden, bei dem der Ertragswert eines Unternehmens den gemeinen Wert der Anteile in ungleich stärkerem Maße beeinflußte als bei dem nunmehr maßgeblichen Stuttgarter Verfahren, dessen Ergebnisse gerade bei guten Ertragsaussichten zum Teil erheblich hinter den Resultaten anderer Schätzungsmethoden zurückbleiben (vgl. Helbling, Unternehmensbewertung und Steuern, 4. Aufl., S. 87; Gürsching/Stenger, a. a. O., § 11 BewG Rdnr. 55).

Hinzu kommt, daß in dem Unternehmen der Klägerin im Durchschnitt ca. 12 bis 14 qualifizierte, nach eigener Darstellung der Klägerin ausschließlich in ihrem sehr gut geführten Betrieb ausgebildete Mitarbeiter - darunter ein Meister - beschäftigt wurden.

Im Streitfall bildete daher die qualitativ und quantitativ herausragende Betätigung des Gesellschafter-Geschäftsführers der Klägerin nur eine - wenn auch gewichtige - Komponente unter mehreren Ursachen für die Ertragsstärke des Unternehmens. Dies reicht indessen für einen besonderen Abschlag vom Jahresertrag (vgl. Abschn. 78 Abs. 2 VStR 1983) nicht aus. Bei Nichterweislichkeit der Voraussetzungen dieser Regelung hat die Klägerin die objektive Beweislast (Feststellungslast) zu tragen.