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  BFH-Urteil vom 14.4.1993 (I R 128/90) BStBl. 1994 II S. 124

1. Eine Mehrmütterorganschaft ist mit Rücksicht auf die im Jahre 1969 vom Gesetzgeber getroffene Grundsatzentscheidung körperschaftsteuerrechtlich anzuerkennen. Sie hat ihre Rechtsgrundlage in einer nach Sinn und Zweck der Mehrmütterorganschaft teleologisch reduzierten Auslegung des § 14 Nrn. 1 und 2 KStG 1977 (abweichend von: Hessisches FG, Urteil vom 6. Mai 1987 IV 600-601/82, EFG 1987, 580).

2. Im Falle einer Mehrmütterorganschaft sind sowohl unmittelbare Beteiligungen der in einer GbR zusammengeschlossenen Gesellschafter an einer zwischengeschalteten Kapitalgesellschaft als auch mittelbare Beteiligungen an der nachgeschalteten Organgesellschaft zusammenzurechnen, wenn und soweit sichergestellt ist, daß die Mehrheit der Stimmrechte in der Organgesellschaft mittelbar der GbR zusteht.

KStG 1977 § 14 Nr. 1 Satz 2; GewStG 1978 § 2 Abs. 2 Nr. 2 Satz 2.

Vorinstanz: FG München

Sachverhalt

I.

Die Klägerin, Revisionsbeklagte und Revisionsklägerin (Klägerin) ist eine GmbH, an deren Stammkapital in den Streitjahren 1981 und 1982 S zu 51 v. H. und die D-GmbH zu 49 v. H. beteiligt waren. Die von S an der Klägerin gehaltenen Anteile waren notwendiges Sonderbetriebsvermögen bei der S-KG, an der S als einziger Komplementär mit einem Kapitalanteil von 90 v. H. und E als einziger Kommanditist mit einem Kapitalanteil von 10 v. H. beteiligt waren. Die D-AG hielt die Anteile an der D-GmbH zu 100 v. H.

Nach dem Gesellschaftsvertrag der Klägerin war das Stimmrecht der S-KG auf 50 v. H. beschränkt, das Stimmrecht der D-GmbH auf 50 v. H. erhöht.

Mit Vertrag vom 27. Dezember 1979 schlossen die S-KG und die D-AG mit Wirkung vom 1. Januar 1980 einen Vertrag über die Bildung einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) zum Zwecke der Sicherung eines einheitlichen Beherrschungswillens gegenüber der Klägerin. In der GbR standen beiden Gesellschaftern die Stimmrechte je zur Hälfte zu. Willensbildendes Gremium war in den Streitjahren ein paritätisch besetzter Ausschuß von maximal vier Vertretern der GbR-Gesellschafter. Die Stimmabgabe in der Gesellschafterversammlung der Klägerin erfolgte unstreitig nur einheitlich. Dagegen wurden die Anteile an der Klägerin nicht auf die GbR übertragen; es bestand kein Gewinnabführungsvertrag.

Außerdem schlossen die D-AG und die D-GmbH am 27. Dezember 1979 einen Geschäftsbesorgungsvertrag. Danach wurde die D-GmbH beauftragt, ihre Beteiligung an der Klägerin im Interesse der D-AG zu verwalten und das Stimmrecht nach den Weisungen der D-AG unter Beachtung der Bestimmungen des Vertrags über die GbR auszuüben. Außerdem verpflichtete sich die D-GmbH in dem von ihr mitunterzeichneten GbR-Vertrag vom gleichen Tage unwiderruflich, für dessen Dauer den Weisungen der D-AG zu folgen.

Der Beklagte, Revisionskläger und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) erkannte das von der Klägerin geltend gemachte gewerbesteuerliche Organschaftsverhältnis zwischen der GbR und der Klägerin nicht an und setzte dementsprechend mit Gewerbesteuerbescheid vom 14. Februar 1984 den einheitlichen Gewerbesteuermeßbetrag 1981 auf 102.875 DM und mit Gewerbesteuerbescheid vom 10. Mai 1984 den einheitlichen Gewerbesteuermeßbetrag 1982 auf 57.731 DM fest.

Die Einsprüche gegen die Gewerbesteuermeßbescheide wies das FA als unbegründet zurück, worauf die Klägerin Klage erhob.

Während des finanzgerichtlichen Verfahrens hat das FA sowohl den Gewerbesteuermeßbescheid für 1981 als auch den für 1982 geändert (Gewerbesteuermeßbescheide vom 29. April 1986 und vom 10. Juli 1987).

Die Klägerin hat beantragt, die Bescheide zum Gegenstand des Verfahrens zu machen (Schriftsätze vom 21. Mai 1986 und vom 22. Juli 1987). Laut Niederschrift über die öffentliche Sitzung des FG wurden die Anträge in der mündlichen Verhandlung nicht mehr gestellt.

Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt und hob (nur) die Gewerbesteuermeßbescheide 1981 und 1982 vom 14. Februar 1984 und vom 10. Mai 1984 sowie die Einspruchsentscheidung vom 5. Oktober 1984 auf.

Die Gewerbesteuermeßbescheide 1981 und 1982 sowie die Einspruchsentscheidung seien aufzuheben, da die Klägerin gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 2 Satz 2 des Gewerbesteuergesetzes (GewStG) i. V. m. § 14 Nrn. 1, 2 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG 1977) als Betriebsstätte eines anderen Unternehmens gelte und deshalb selbst nicht der Gewerbesteuer unterliege (sog. gewerbesteuerliche Organschaft). Die hier allein streitige finanzielle Eingliederung der Klägerin gemäß § 14 Nr. 1 KStG 1977 sei gegeben, da die GbR (Organträger) an der Klägerin (Organgesellschaft) vom Beginn ihres Wirtschaftsjahres ununterbrochen und in einem solchen Maße beteiligt sei, daß ihr die Mehrheit der Stimmrechte aus den Anteilen an der Organgesellschaft zustehe.

Gegen das Urteil legten sowohl die Klägerin als auch das FA Revision ein. Die Klägerin stützt ihre Revision auf einen Verfahrensfehler des FG, weil dasselbe nicht auch die später geänderten Gewerbesteuermeßbescheide 1981 und 1982 aufgehoben habe. Das FA rügt mit seiner Revision die Verletzung des § 2 Abs. 2 Nr. 2 Satz 2 GewStG und des § 14 Nr. 1 KStG 1977 jeweils in den in den Streitjahren geltenden Fassungen.

Die Klägerin beantragt, das Urteil des FG München vom 24. April 1990 7 K 7213/84, die Gewerbesteuermeßbescheide 1981 vom 16. Juni 1983, vom 14. Februar 1984 und vom 29. April 1986, die Gewerbesteuermeßbescheide 1982 vom 10. Mai 1984 und vom 10. Juli 1987 sowie die Einspruchsentscheidung vom 5. Oktober 1984 aufzuheben.

Das FA beantragt, das Urteil des FG München vom 24. April 1990 7 K 7213/84 aufzuheben, die Klage abzuweisen und die Revision der Klägerin als unbegründet zurückzuweisen.

Das Bundesministerium der Finanzen (BMF) ist dem Revisionsverfahren beigetreten, ohne einen Antrag zu stellen.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision der Klägerin ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und aller angefochtenen Gewerbesteuermeßbescheide (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Die Revision des FA ist nur insoweit begründet, als die Vorentscheidung wegen eines Verfahrensfehlers aufzuheben ist. Sie ist jedoch unbegründet, soweit das FA die Abweisung der Klage beantragt hat (§ 126 Abs. 2 und Abs. 3 Nr. 1 FGO).

A. Revision der Klägerin

1. Die Vorentscheidung ist insoweit fehlerhaft, als das FG über die Rechtmäßigkeit der Gewerbesteuermeßbescheide 1981 und 1982 vom 14. Februar 1984 und vom 10. Mai 1984 entschieden hat. Im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem FG waren diese Bescheide durch die später erlassenen Bescheide vom 29. April 1986 und vom 10. Juli 1987 geändert. Damit hat das FG über einen im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung nicht (mehr) existenten Verfahrensgegenstand entschieden. Dies ist ein Verfahrensfehler, der die Grundordnung des Verfahrens berührt und deshalb von dem Revisionsgericht von Amts wegen zu berücksichtigen ist. Der Verfahrensfehler führt zur Aufhebung der Vorentscheidung, ohne daß deshalb die Sache an das FG zurückverwiesen werden muß. Die Klägerin hat die später erlassenen Änderungsbescheide vom 29. April 1986 und vom 10. Juli 1987 rechtswirksam (vgl. II. A. 2.) in das Revisionsverfahren übergeleitet. Auf der Grundlage der fortwirkenden tatsächlichen Feststellungen des FG kann der Senat aus eigener Befugnis über die sich nunmehr gegen die geänderten Gewerbesteuermeßbescheide richtende Klage der Klägerin sachlich entscheiden (§§ 127, 121 i. V. m. § 100 FGO; Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 20. Juli 1988 II R 164/85, BFHE 154, 13, BStBl II 1988, 955).

2. Die Klägerin hat jedenfalls mit Schriftsatz vom 16. August 1990 die Änderungsbescheide vom 29. April 1986 und vom 10. Juli 1987 rechtswirksam in das Revisionsverfahren übergeleitet. Dies gilt unbeschadet der Frage, ob die Bescheide nicht auch rechtswirksam in das Klageverfahren übergeleitet wurden bzw. ob nicht ein entsprechender Antrag im Klageverfahren hätte gestellt werden können (vgl. BFH-Urteil vom 10. Juni 1988 III R 48/87, BFH/NV 1988, 778). Der rechtswirksamen Überleitung steht nicht entgegen, daß die Revision vor allem vom FA eingelegt wurde (vgl. BFH-Urteil vom 15. November 1988 II R 241/84, BFHE 155, 245, BStBl II 1989, 370).

3. Die Klage der Klägerin ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Gewerbesteuermeßbescheide 1981 vom 16. Juni 1983, vom 14. Februar 1984 und vom 29. April 1986 und der Gewerbesteuermeßbescheide 1982 vom 10. Mai 1984 und vom 10. Juli 1987.

3.1 Die Klägerin gilt für die Streitjahre gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 2 Satz 2 GewStG i. V. m. § 14 Nrn. 1 und 2 KStG 1977 - jeweils in den für 1981 und 1982 geltenden Fassungen - als Betriebsstätte eines anderen Unternehmens. Damit war sie selbst kein gewerbliches Unternehmen i. S. des § 2 GewStG.

3.1.1 § 2 Abs. 2 Nr. 2 Satz 2 GewStG 1978 verweist bezüglich der organschaftlichen Eingliederungsvoraussetzungen auf § 14 Nrn. 1 und 2 KStG 1977. Die in § 14 Nrn. 1 und 2 KStG 1977 genannten Eingliederungsvoraussetzungen können auch in der Form einer Mehrmütterorganschaft erfüllt werden. Zwar ist die Mehrmütterorganschaft in § 14 Nrn. 1 und 2 KStG 1977 nicht ausdrücklich erwähnt. Sie war jedoch schon vor der gesetzlichen Regelung der Organschaft durch § 7 a KStG i. d. F. des Gesetzes zur Änderung des Körperschaftsteuergesetzes und anderer Gesetze vom 15. August 1969 - KStG 1968 - (BGBl I 1969, 1182, BStBl I 1969, 471) rechtlich anerkannt (vgl. Urteil des Reichsfinanzhofs - RFH - vom 1. April 1941 I 290/40, RStBl 1942, 947; BFH-Urteil vom 25. Juni 1957 I 22/55 U, BFHE 66, 449, BStBl III 1958, 174; Erlaß des Finanzministers des Landes Nordrhein-Westfalen vom 23. Oktober 1959 S 2526 a - 4640/59 VA - 2, BStBl II 1959, 161, Abschn. IV Nr. 2). Auch war sie Gegenstand der Beratungen des Finanzausschusses des Deutschen Bundestages über den Entwurf des o. g. Körperschaftsteuer-Änderungsgesetzes (vgl. Eckardt, Betriebs-Berater - BB - 1969, 925, 927). Nach der im Einvernehmen mit der Bundesregierung getroffenen Mehrheitsentscheidung des Finanzausschusses sollte die steuerliche Anerkennung der Mehrmütterorganschaft durch die gesetzliche Neuregelung in § 7 a KStG 1968 nicht berührt werden. Diese gesetzgeberische Absicht fand zwar in der Fassung des § 7 a KStG 1968 keinen unmittelbaren Niederschlag. Immerhin kommt sie jedoch im Umkehrschluß zu § 7 a Abs. 1 Nr. 3 Satz 3 KStG 1968 andeutungsweise zum Ausdruck. Nach Auffassung des erkennenden Senats genügt dies, um von der Grundsatzentscheidung des Gesetzgebers auszugehen, die Mehrmütterorganschaft zumindest gewohnheitsrechtlich anzuerkennen, ohne eine ins einzelne gehende Regelung zu erlassen. Die Mehrmütterorganschaft modifiziert die in § 7 a Abs. 1 Nrn. 1 und 2 KStG 1968 genannten Eingliederungsvoraussetzungen, soweit dies Sinn und Zweck der Mehrmütterorganschaft gebieten. Dies ist der Grund, weshalb nach Erlaß des Körperschaftsteuer-Änderungsgesetzes vom 15. August 1969 allgemein von der Fortgeltung der Mehrmütterorganschaft ausgegangen wurde (vgl. Abschn. 32 der Körperschaftsteuer-Richtlinien - KStR - 1969 i. V. m. dem o. g. Erlaß des Finanzministers des Landes Nordrhein-Westfalen vom 23. Oktober 1959). In § 14 KStG 1977 wurde die in § 7 a KStG 1968 enthaltene Regelung lediglich übernommen, ohne daß in dem hier interessierenden Fragenbereich Änderungen beabsichtigt waren.

3.1.2 Aus der Tatsache, daß § 2 Abs. 2 Nr. 2 Satz 2 GewStG 1978 nur auf § 14 Nrn. 1 und 2 KStG 1977 und nicht auf § 14 Nr. 3 Satz 3 KStG 1977 verweist, folgt nichts anderes. Entgegen der Auffassung des im Revisionsverfahren beigetretenen BMF bildet § 14 Nr. 3 Sätze 3 und 4 KStG 1977 nicht die Rechtsgrundlage der Mehrmütterorganschaft. Die Vorschrift läßt lediglich die Grundentscheidung des Gesetzgebers erkennen, daß § 14 Nrn. 1 und 2 KStG 1977 deren steuerlicher Anerkennung nicht entgegenstehen soll. Die Grundsatzentscheidung zwingt in den Fällen der Mehrmütterorganschaft dazu, § 14 Nrn. 1 und 2 KStG 1977 teleologisch reduziert auszulegen. Rechtsgrundlage der Mehrmütterorganschaft ist deshalb § 14 Nrn. 1 und 2 KStG 1977 in einer teleologisch reduzierten Fassung. Die Grenzen der teleologisch reduzierten Auslegung des § 14 Nrn. 1 und 2 KStG 1977 werden dabei durch den Sinn und Zweck der Mehrmütterorganschaft abgesteckt.

3.1.3 Der Senat setzt sich mit seiner Entscheidung nicht in Widerspruch zu dem Beschluß des Großen Senats des BFH vom 25. Juni 1984 GrS 4/82 (BFHE 141, 405, BStBl II 1984, 751). Danach werden die Einkünfte der Gesellschafter einer Personengesellschaft in erster Linie durch die Tätigkeit der Gesellschafter in ihrer gesamthänderischen Verbundenheit bestimmt (vgl. C III 3 a des Beschlusses). Der Anerkennung der Mehrmütterorganschaft steht nicht entgegen, daß die GbR, zu der sich die an der Organgesellschaft beteiligten Gesellschafter zusammenschließen, u. a. kein gewerbliches Unternehmen hatte. Nach § 14 KStG 1977, der nicht Gegenstand des Beschlusses in BFHE 141, 405, BStBl II 1984, 751 war, genügt es, wenn die in der GbR zusammengeschlossenen Personen gewerbliche Unternehmen unterhalten. Sind aber nach der aus § 14 Nr. 3 Satz 3 KStG 1977 erkennbaren Grundsatzentscheidung des Gesetzgebers im Falle einer Mehrmütterorganschaft die von den Gesellschaftern der GbR verwirklichten Tatbestandsmerkmale der GbR zuzurechnen, so muß dies auch hinsichtlich der Eigenschaft als gewerbliches Unternehmen gelten. Nach § 14 Nr. 3 Satz 3 KStG 1977 können die Voraussetzungen des Organträgers von mehreren in bezug auf eine Organgesellschaft erfüllt werden, wenn sie die Voraussetzungen in einer Personengesellschaft parallel bündeln.

3.1.4 Der Senat folgt damit den KStR (Abschn. 52 Abs. 6) und der herrschenden Meinung, die die Möglichkeit einer Mehrmütterorganschaft bejaht (vgl. Blümich/Danelsing, Körperschaftsteuergesetz, § 14 Rdnr. 26; Eckardt, BB 1969, 925, 927; Frotscher/Maas, Körperschaftsteuer, Kommentar, § 14 Anm. 40; Lademann/Gassner, Kommentar zum Körperschaftsteuergesetz, § 14 Rdnr. 62; Hübl, Deutsche Steuer-Zeitung/Ausgabe A - DStZ/A - 1969, 290, 294, und DStZ/A 1972, 81, 83; Jurkat, Die Organschaft im Körperschaftsteuerrecht, Rdnr. 200; Klein/Laube/Schöberle, Handbuch des Körperschaftsteuerrechts, Gruppe 4, § 14 KStG Anm. 3 d; Niemann, Die Organschaft zu einer Personengesellschaft und die Organschaft zu mehreren Unternehmen, S. 97 ff.; Schmidt, Steuer und Wirtschaft - StuW - 1969, 442, 450 ff.; derselbe, GmbH-Rundschau - GmbHR - 1971, 233, 236; Schmidt/Steppert, Die Organschaft, 3. Aufl., S. 73; Schwarz in Gail/Goutier/Grützner, Körperschaftsteuergesetz, § 14 Rdnr. 72; Thiel, Steuerkongreß-Report 1971, 179, 204, und Winter, Die steuerliche Betriebsprüfung - StBp - 1975, 8; zweifelnd Streck, Körperschaftsteuergesetz, Kommentar, § 14 Anm. 55; Greif/Schuhmann, Kommentar zum Körperschaftsteuergesetz, § 14 Anm. 29-31; Sonnenschein, Organschaft und Konzerngesellschaftsrecht, S. 82 ff., und Witt in Dötsch/Ebersberg/Jost/Witt, Körperschaftsteuergesetz, § 14 Rdnr. 38). Er folgt nicht der vom Hessischen FG in dessen Urteil vom 6. Mai 1987 IV 600-601/82 (Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 1987, 580, rechtskräftig) vertretenen Rechtsauffassung.

3.2 Entgegen der Auffassung des FA und des beigetretenen BMF war die Klägerin in den Streitjahren auch finanziell in ein anderes gewerbliches Unternehmen eingegliedert.

3.2.1 Dem steht § 14 Nr. 1 Sätze 1 und 2 KStG 1977 nicht entgegen. Für den Bereich der Mehrmütterorganschaft ist die Vorschrift (teleologisch reduziert) dahin auszulegen, daß sie die Zusammenrechnung der Stimmrechte der in einer Mehrmütterorganschaft verbundenen Unternehmen erlaubt, soweit Sinn und Zweck der Mehrmütterorganschaft die Zusammenrechnung gebieten. Dem folgt im Grundsatz auch die Finanzverwaltung, wenn sie die Zusammenrechnung von Stimmrechten gestattet, die den in einer Mehrmütterorganschaft verbundenen Unternehmen aufgrund unmittelbarer Beteiligungen zustehen (vgl. Oberfinanzdirektion - OFD - Köln, Verfügung vom 8. November 1983 S 2770 - 7 - St 131, Die Veranlagung zur Körperschaftsteuer 1992, IDW-Verlag, S. 834 ff.).

Beispiel:

Drei Unternehmen (A, B und C) sind in einer GbR zu einer Mehrmütterorganschaft im Verhältnis zur Organgesellschaft T zusammengeschlossen. A, B und C halten jeder 1/3 der Anteile an T. In diesem Fall sind die Voraussetzungen des § 14 Nr. 1 Satz 2 KStG 1977 (ohne teleologisch reduzierte Auslegung) nicht erfüllt, weil die GbR nicht an T beteiligt ist und A, B und C nur jeder eine Beteiligung von 1/3 halten.

Die Anerkennung der Mehrmütterorganschaft setzt auch bei unmittelbarer Beteiligung der Gesellschafter an der Organgesellschaft eine teleologisch reduzierte Auslegung des § 14 Nr. 1 Satz 1 KStG 1977 voraus. Entsprechendes muß dann auch für die Zusammenrechnung der unmittelbar gehaltenen Beteiligungen gelten, wenn die in der GbR zusammengeschlossenen Unternehmen nur mittelbar an der Organgesellschaft beteiligt sind.

Beispiel:

Drei Unternehmen (A, B und C) sind in einer GbR zu einer Mehrmütterorganschaft im Verhältnis zur Organgesellschaft T zusammengeschlossen. Die Anteile an T werden zu 100 v. H. von der X-GmbH gehalten, an der A, B und C zu je 1/3 beteiligt sind. Auch in diesem Beispiel sind die Voraussetzungen des § 14 Nr. 1 Satz 2 KStG 1977 (ohne teleologisch reduzierte Auslegung) nicht erfüllt, weil keine der von A, B und C gehaltenen Beteiligungen die Mehrheit der Stimmrechte an T gewährt. Dennoch ist die GbR aufgrund einer teleologisch reduzierten Auslegung des § 14 Nr. 1 Satz 2 KStG 1977 so zu behandeln, als ob sie sämtliche Anteile an der X-GmbH hielte. Aus dieser Sicht sind auch die Voraussetzungen des § 14 Nr. 1 Satz 2 KStG 1977 erfüllt.

3.2.2 Der Senat hat keine Bedenken, den o. g. Rechtsgedanken fortzuentwickeln und ihn auch auf die Zusammenrechnung mittelbar gehaltener Beteiligungen auszudehnen, wenn sichergestellt ist, daß den in der Mehrmütterorganschaft zusammengeschlossenen Unternehmen mittelbar die Mehrheit der Stimmrechte in der Organgesellschaft zusteht.

Beispiel Nr. 1:

Zwei Unternehmen (A und B) sind in einer GbR zu einer Mehrmütterorganschaft im Verhältnis zur Organgesellschaft T zusammengeschlossen. Die Anteile an T werden zu je 50 v. H. von der X-GmbH und der Y-GmbH gehalten. An der X-GmbH ist A zu 100 v. H. beteiligt. An der Y-GmbH ist B zu 100 v. H. beteiligt. Solange vertraglich sichergestellt ist, daß das Stimmrecht innerhalb der T-GmbH nach Maßgabe der Mehrmütterorganschaft ausgeübt wird, sind A und B bei Anwendung des § 14 Nr. 1 Satz 2 KStG 1977 nicht anders zu behandeln, als wenn sie unmittelbar zu je 50 v. H. an T beteiligt wären.

Beispiel Nr. 2:

Drei Unternehmen (A, B und C) sind in einer GbR zu einer Mehrmütterorganschaft im Verhältnis zur Organgesellschaft T zusammengeschlossen. Die Anteile an T werden von der X-GmbH zu 60 v. H. (Alternative: zu 33 1/3 v. H.), von der Y-GmbH zu 20 v. H. und von C zu 20 v. H. (Alternative: zu 46 2/3 v. H.) gehalten. A hält sämtliche Anteile an der X-GmbH; B hält sämtliche Anteile an der Y-GmbH. Für die Frage, ob der GbR mittelbar die Mehrheit der Stimmrechte bei T zusteht, kann es nicht darauf ankommen, ob die X-GmbH zu mehr oder zu weniger als 50 v. H. an der T beteiligt ist. Insoweit ist eine teleologisch reduzierte Auslegung des § 14 Nr. 1 Satz 2 KStG 1977 erforderlich. Sie gebietet es darauf abzustellen, ob A, B und C nach den getroffenen vertraglichen Vereinbarungen ein Mehrheitsstimmrecht durchsetzen können.

Damit ist im Grundsatz darauf abzustellen, ob die in einer Mehrmütterorganschaft zusammengeschlossenen Personen in ihrer Gesamtheit Beteiligungen halten, die die finanzielle Eingliederung der Organgesellschaft in die GbR vermitteln. Dem entspricht der von § 14 Nr. 1 Satz 2 KStG 1977 vorgegebene Zweck, Organschaftsketten zu vermeiden, die durch die Zusammenrechnung von nicht die Stimmenmehrheit gewährenden Beteiligungen entstehen. Die Vorschrift kommt jedoch insoweit nicht zum Zuge, als ihre Anwendung dazu führen würde, Mehrmütterorganschaften aufgrund mittelbarer Beteiligungen generell nicht anzuerkennen. Dies wäre der Fall, wenn auch für die an der Organgesellschaft unmittelbar bestehenden Beteiligungen das Erfordernis der Stimmenmehrheit aufgestellt würde. Hinsichtlich mittelbarer Beteiligungen ist eine Zusammenrechnung ebenso wie bei nur unmittelbaren Beteiligungen geboten.

Der Senat folgt damit nicht der vom BMF vertretenen Ansicht (vgl. Schreiben vom 24. August 1983 IV B 7 - S 2770 - 9/83, BB 1983, 1650; ebenso Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz mit Nebengesetzen, Kommentar, § 14 KStG Rdnr. 187; Frotscher/Maas, a. a. O., § 14 Rdnr. 42; Klein/Laube/Schöberle, a. a. O., § 14 KStG Anm. 4 a; Schmidt, GmbHR 1971, 233, 236; Schmidt/Steppert, a. a. O., S. 75 oben; unentschieden Blümich/Danelsing, a. a. O., § 14 Rdnr. 47; Dötsch/Ebersberg/Jost/Witt, a. a. O., § 14 Rdnr. 38 a, und Lademann/Gassner, a. a. O., § 14 Rdnr. 67). Er folgt im Ergebnis der von Klose (BB 1985, 1847) vertretenen Meinung.

3.3 Im Tatbestand der Vorentscheidung ist das FG davon ausgegangen, daß die nicht von der D-GmbH gehaltenen Anteile an der Klägerin dem S zustanden; sie waren Sonderbetriebsvermögen bei der S-KG. Nach den Gründen in der Vorentscheidung standen die Anteile dagegen dem S und dem E zu. Dieser Widerspruch bedarf jedoch in tatsächlicher Hinsicht keiner Aufklärung, weil er entscheidungsunerheblich ist. Gesellschafter der den Organträger repräsentierenden GbR kann bei einer Mehrmütterorganschaft eine Personengesellschaft sein. Dabei genügt es, daß die zur Begründung der Organschaft erforderliche Beteiligung den Gesellschaftern der Personengesellschaft zusteht und die Gesellschafter die rechtliche und tatsächliche Stellung, die ihnen die Anteile an der Kapitalgesellschaft gewährt, der Personengesellschaft überlassen, womit die Anteile Sonderbetriebsvermögen werden (BFH-Urteil vom 12. Januar 1977 I R 204/75, BFHE 121, 352, BStBl II 1977, 357). Im Streitfall liegen diese Voraussetzungen vor, ohne daß es darauf ankommt, ob die Anteile nur von S oder von S und E gehalten wurden.

Der Auffassung des FG, daß die Anteile Sonderbetriebsvermögen der S-KG seien, liegt die tatsächliche Feststellung i. S. des § 118 Abs. 2 FGO zugrunde, daß die Gesellschafter die rechtliche und tatsächliche Stellung, die ihnen die Anteile gewährten, der S-KG überließen. Außerdem schloß die S-KG den Vertrag über die Bildung einer GbR mit der D-AG ab.

Auf den Streitfall bezogen ist deshalb bei der Prüfung der finanziellen Eingliederung gemäß § 14 Nr. 1 KStG 1977 nur darauf abzustellen, ob der S-KG und der D-AG, die sich zu einer Mehrmütterorganschaft zusammengeschlossen hatten, über die D-GmbH ein Mehrheitsstimmrecht bei der Klägerin zustand. Diese Frage ist zu bejahen, weil die D-AG aufgrund ihrer 100 v. H.-Beteiligung an der D-GmbH und des abgeschlossenen Geschäftsbesorgungsvertrages bei Anwendung des § 14 Nr. 1 KStG 1977 so zu behandeln ist, als ob sie an der Klägerin unmittelbar beteiligt wäre.

B. Revision des FA

Aus dem zur Revision der Klägerin Gesagten folgt, daß sie nur insoweit begründet ist, als die Vorentscheidung wegen des dem FG unterlaufenen Verfahrensfehlers aufzuheben ist. Die Klage der Klägerin ist deshalb jedoch nicht abzuweisen. Sie ist vielmehr begründet, weshalb das FA mit seinem materiell-rechtlichen Anliegen nicht durchdringt. Insoweit war deshalb die Revision als unbegründet zurückzuweisen.