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  BFH-Urteil vom 28.4.1993 (I R 123/91) BStBl. 1994 II S. 147

Streitigkeiten über die Verwirklichung von Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis müssen die Finanzbehörden durch Abrechnungsbescheid gemäß § 218 Abs. 2 Satz 1 AO 1977 entscheiden. § 218 Abs. 2 AO 1977 enthält eine gegenüber §§ 130, 131 AO 1977 vorgreifliche Sonderregelung. Beim Erlaß eines Abrechnungsbescheids besteht keine Bindung an die Anrechnungsverfügungen.

AO 1977 §§ 130, 131, 218 Abs. 2.

Vorinstanz: FG Köln

Sachverhalt

I.

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) war in den Jahren 1980 und 1981 (Streitjahre) Gesellschafter der S-GmbH (künftig: GmbH). Er erhielt von der GmbH Geldzahlungen, die bei seinen Veranlagungen zur Einkommensteuer erklärungsgemäß als Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit erfaßt wurden. Nach einer Außenprüfung bei der GmbH stellte sich heraus, daß ein Teil dieser Zahlungen verdeckte Gewinnausschüttungen waren.

Die GmbH versteuerte diese Beträge als Teil ihres Einkommens und erteilte dem Kläger am 5. Oktober 1987 über die verdeckten Gewinnausschüttungen Steuerbescheinigungen gemäß §§ 44 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG) 1977 und 45 a Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) (für 1980: verdeckte Gewinnausschüttung 3.800 DM + anrechenbare Körperschaftsteuer 2.137,50 DM = zu versteuernde Einnahmen 5.937,50 DM, anrechenbare Kapitalertragsteuer 0 DM; für 1981: verdeckte Gewinnausschüttung 10.000 DM + anrechenbare Körperschaftsteuer 5.625 DM = zu versteuernde Einnahmen 15.625 DM, anrechenbare Kapitalertragsteuer 0 DM).

Mit Schreiben vom 7. Oktober 1987 beantragte der Kläger beim Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt - FA -), die bestandskräftigen Einkommensteuerbescheide für die Streitjahre dahingehend zu ändern, daß die Einnahmen aus Kapitalvermögen im Jahr 1980 um 5.937 DM und im Jahr 1981 um 15.625 DM erhöht und die Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit im Jahr 1980 um 3.800 DM und im Jahr 1981 um 10.000 DM gemindert werden, und auf die neu festgesetzte Einkommensteuer die Körperschaftsteuer anzurechnen, die in den dem Antrag beigefügten Steuerbescheinigungen ausgewiesen ist.

Das FA lehnte den Antrag ab, weil die Einkommensteuerbescheide wegen Festsetzungsverjährung nicht mehr geändert werden dürften (Verwaltungsakt vom 17. Dezember 1987). Einspruch und Klage waren erfolglos.

Mit der Revision rügt der Kläger Verletzung des § 36 Abs. 2 Nr. 3 EStG 1990.

Er beantragt, die in den Steuerbescheinigungen vom 5. Oktober 1987 ausgewiesene Körperschaftsteuer in Höhe von 2.137,50 DM auf die festgesetzte Einkommensteuer 1980 und in Höhe von 5.625 DM auf die festgesetzte Einkommensteuer 1981 anzurechnen.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist unbegründet. Sie war daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

1. Im Revisionsverfahren ist nicht mehr darüber zu entscheiden, ob das FA verpflichtet ist, die bestandskräftigen Einkommensteuerbescheide für die Streitjahre zu ändern. Das Finanzgericht (FG) hat dies verneint. Das angefochtene Urteil ist, soweit es die Verpflichtung zur Änderung der Einkommensteuerbescheide betrifft, rechtskräftig. Der Kläger hat es insoweit nicht mit der Revision angegriffen. Er begehrt im Revisionsverfahren nur noch die Anrechnung der in den Steuerbescheinigungen vom 5. Oktober 1987 ausgewiesenen Körperschaftsteuer auf die für die Streitjahre festgesetzte Einkommensteuer.

2. Diesem Begehren kann der Senat nicht entsprechen, da die Klage insoweit unzulässig ist.

a) Die Anrechnung inländischer Körperschaftsteuer auf die Einkommensteuer ist Teil des Steuererhebungsverfahrens. Sie geschieht durch einen von der Steuerfestsetzung getrennten besonderen Verwaltungsakt (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 16. Oktober 1986 VII R 159/83, BFHE 148, 4, BStBl II 1987, 405). Von ihm, der sog. Anrechnungsverfügung, ist der Verwaltungsakt i. S. des § 218 Abs. 2 Satz 1 der Abgabenordnung (AO 1977) zu unterscheiden, der sog. Abrechnungsbescheid (BFH-Beschluß vom 20. Oktober 1987 VII R 32/87, BFH/NV 1988, 349). Durch Abrechnungsbescheid entscheiden die Finanzbehörden über Streitigkeiten, die die Verwirklichung von Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis betreffen, z. B. darüber, ob Steuererstattungsansprüche gemäß § 36 Abs. 4 EStG erloschen sind (s. BFH-Urteil vom 21. Februar 1989 VII R 42/86, BFH/NV 1989, 762).

Besteht eine derartige Streitigkeit, muß die Finanzbehörde durch Abrechnungsbescheid entscheiden. Der Erlaß des Abrechnungsbescheids dient dazu, endgültig über Streitigkeiten zu entscheiden, die die Verwirklichung von Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis betreffen. Das Verfahren gemäß § 218 Abs. 2 AO 1977 ist vorrangig gegenüber dem Verfahren, das die Anrechnungsverfügung betrifft (s. BFH-Beschluß in BFH/NV 1988, 349). Im Verfahren gemäß § 218 Abs. 2 AO 1977 besteht keine Bindung an die Anrechnungsverfügungen. Sie werden durch den Abrechnungsbescheid formell weder aufgehoben noch geändert. Ob die Anrechnungsverfügungen gemäß §§ 130, 131 AO 1977 geändert werden dürfen, ist für das Verfahren nach § 218 Abs. 2 AO 1977 deshalb bedeutungslos. Sinn der in § 218 Abs. 2 AO 1977 getroffenen Regelung ist es gerade, daß das FA über das Bestehen oder Nichtbestehen eines Anspruchs ohne Bindung an frühere Anrechnungsverfügungen entscheiden kann und muß. § 218 Abs. 2 AO 1977 enthält daher eine gegenüber §§ 130, 131 AO 1977 vorgreifliche Sonderregelung.

b) Zwischen den Beteiligten besteht eine Streitigkeit i. S. des § 218 Abs. 2 AO 1977, nachdem das FA durch Verwaltungsakt vom 17. Dezember 1987 nicht nur die Änderung der Einkommensteuerbescheide, sondern auch die Anrechnung der Körperschaftsteuer abgelehnt und der Kläger dagegen Einspruch eingelegt hatte. Mit dem Rechtsbehelf hatte der Kläger zu erkennen gegeben, daß er nicht die Auffassung des FA teilte, die sich bei Anrechnung der Körperschaftsteuer ergebenden Erstattungsansprüche gemäß § 36 Abs. 3 EStG seien erloschen. Der Einspruch enthält daher konkludent auch einen Antrag auf Erlaß eines Abrechnungsbescheids.

Das FA erkannte dies nicht und erließ daher bisher keinen Abrechnungsbescheid. Mit der Einspruchsentscheidung wies es lediglich den Rechtsbehelf des Klägers gegen die Ablehnung des Antrags auf Änderung der Einkommensteuerbescheide und Anrechnung der Körperschaftsteuer auf die sich bei der Änderung ergebende Einkommensteuer zurück. Die Einspruchsentscheidung enthält keine Ausführungen, die als Ablehnung eines Antrags auf Erlaß eines Abrechnungsbescheids ausgelegt werden können.

c) Über die Frage, ob aufgrund einer Anrechnung der in den Steuerbescheinigungen vom 5. Oktober 1987 ausgewiesenen Körperschaftsteuer auf die festgesetzte Einkommensteuer noch Einkommensteuererstattungsansprüche bestehen, hat das FA somit noch nicht in dem dafür gesetzlich vorgesehenen Verfahren entschieden. Es ist insoweit bisher auch kein außergerichtliches Rechtsbehelfsverfahren durchgeführt worden, dessen Mißerfolg grundsätzlich Voraussetzung der Zulässigkeit der Klage ist (§ 44 Abs. 1 FGO). Da der Kläger gegen die Nichtbescheidung seines Antrags auf Erlaß eines Abrechnungsbescheids keine Beschwerde gemäß § 349 Abs. 2 AO 1977 einlegte, ist die Klage - soweit sie für das Revisionsverfahren noch bedeutsam ist - auch nicht ausnahmsweise gemäß § 46 Abs. 1 FGO zulässig.

3. Die Revision war daher mit der Maßgabe als unbegründet zurückzuweisen, daß die Klage, soweit sie die Anrechnung von Körperschaftsteuer betrifft, als unzulässig abgewiesen wird.

4. Zu der zwischen den Beteiligten streitigen materiell-rechtlichen Frage, ob die Anrechnung der Körperschaftsteuer auch dann gemäß § 36 Abs. 2 Nr. 3 Satz 4 Buchst. f EStG ausgeschlossen ist, wenn - wie im Streitfall - zwar die Einnahmen i. S. des § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG, nicht aber die Einnahmen i. S. des § 20 Abs. 1 Nr. 3 EStG (Einkünfte = Einnahmen, s. § 51 KStG 1977/1984) bei der Veranlagung erfaßt wurden, weist der Senat darauf hin, daß bei ihm unter dem Az. I R 101/92 ein Revisionsverfahren anhängig ist, in dem diese Frage voraussichtlich demnächst entschieden wird.