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  BFH-Beschluß vom 10.11.1993 (I B 122/93) BStBl. 1994 II S. 155

Die in Art. 2 des Zustimmungsgesetzes vom 10. August 1990 vorgesehene rückwirkende Anwendung der Protokollvorschriften der Nr. 22 Buchst. b i. V. m. Nr. 16 Buchst. e zum DBA-Italien 1989 auf den 1. Januar 1990 begründet keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit entsprechend geänderter Einkommensteuerbescheide 1990.

DBA-Italien 1925 Art. 7 und 11; DBA-Italien 1989 Art. 15 Abs. 2 und 31; Protokoll Nr. 16 Buchst. e, Nr. 22 Buchst. b; Zustimmungsgesetz vom 10. August 1990 Art. 2.

Vorinstanz: Hessisches FG

Sachverhalt

I.

Das Hessische Finanzgericht (FG) hat den Antrag der Antragsteller und Beschwerdeführer (Antragsteller) gegen den Antragsgegner und Beschwerdegegner (Finanzamt - FA -) wegen Aussetzung der Vollziehung des geänderten Einkommensteuerbescheides 1990 vom 4. Februar 1993 abgelehnt und die Beschwerde zugelassen. Der entsprechende Beschluß vom 29. Juni 1993 wurde den Antragstellern am 2. Juli 1993 zugestellt. Sie legten am 13. Juli 1993 beim FG Beschwerde ein, der das FG nicht abgeholfen hat und der folgender Sachverhalt zugrunde liegt:

Die Antragsteller sind Eheleute, die für das Streitjahr 1990 zusammen zur Einkommensteuer zu veranlagen sind. Der Antragsteller erzielte in 1990 Einkünfte u. a. aus einer an 52 Tagen in Italien ausgeübten nichtselbständigen Arbeit. Das FA behandelte diese Einkünfte im Erstbescheid zur Einkommensteuer 1990 vom 25. September 1992 als nach Art. 7 und 11 des Abkommens zwischen dem Deutschen Reiche und Italien zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und zur Regelung anderer Fragen auf dem Gebiete der direkten Steuern vom 31. Oktober 1925 - DBA-Italien 1925 - (RGBl II 1925, 1146) steuerfreie. Der Bescheid enthielt den Hinweis, daß nach dem Inkrafttreten des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Italienischen Republik zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen und zur Verhinderung der Steuerverkürzung vom 18. Oktober 1989 - DBA-Italien 1989 - (BGBl II 1990, 743, BStBl I 1990, 397) eine Änderung ergehen müsse.

Das DBA-Italien 1989 ist am 27. Dezember 1992 in Kraft getreten (BGBl II 1993, 59). Das FA erließ am 4. Februar 1993 einen gemäß § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. d der Abgabenordnung (AO 1977) i. V. m. Art. 2 Satz 2 des Zustimmungsgesetzes vom 10. August 1990 (BGBl II 1990, 742, BStBl I 1990, 396) zum DBA-Italien 1989 geänderten Einkommensteuerbescheid 1990, in dem die o. g. Einkünfte als im Inland steuerpflichtige behandelt wurden. Gegen den Bescheid legten die Antragsteller Einspruch ein, über den - soweit bekannt - noch nicht entschieden ist. Sie beantragten beim FA die Aussetzung der Vollziehung des geänderten Einkommensteuerbescheides insoweit, als die festgesetzte Einkommensteuer auf die vom Antragsteller aufgrund seiner in Italien ausgeübten nichtselbständigen Arbeit erzielten Einkünfte entfällt. Den Antrag lehnte das FA ab. Deshalb richteten die Antragsteller einen entsprechenden Antrag an das FG, über den das FG - wie eingangs erwähnt - entschied.

Die Beschwerde der Antragsteller ist auf die Verletzung materiellen Rechts gestützt.

Sie beantragen sinngemäß, den Beschluß des FG vom 29. Juni 1993 3 V 1166/93 zu ändern und die Vollziehung des geänderten Einkommensteuerbescheides 1990 vom 4. Februar 1993 in Höhe eines Teilbetrages von 9.746 DM auszusetzen.

Das FA beantragt, die Beschwerde als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II.

Die Beschwerde ist unbegründet. Sie war deshalb zurückzuweisen (§ 132 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

1. Nach § 69 Abs. 3 Satz 1 i. V. m. Abs. 2 Satz 2 FGO soll das FG die Vollziehung eines Steuerbescheides aussetzen, wenn ernstliche Zweifel an dessen Rechtmäßigkeit bestehen oder wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit eines angefochtenen Steuerbescheides bestehen dann, wenn gewichtige Umstände Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung von Rechtsfragen oder Unklarheiten in der Beurteilung des Sachverhaltes bewirken (vgl. Beschluß des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 22. Oktober 1980 I S 1/80, BFHE 131, 455, BStBl II 1981, 99). Derartige Umstände sind im Streitfall nicht gegeben.

2. Die vom Antragsteller im Streitjahr 1990 erzielten Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit sind in der Bundesrepublik Deutschland (Bundesrepublik) ohne Einschränkung steuerpflichtig. Dazu geht der Senat auf der Grundlage der tatsächlichen Feststellungen des FG, die von den Antragstellern in der Beschwerdebegründung nicht angegriffen wurden, davon aus, daß die Antragsteller in 1990 ihren einzigen Wohnsitz im Inland hatten. Sie waren deshalb hier unbeschränkt steuerpflichtig. In sachlicher Hinsicht erstreckte sich die Steuerpflicht auf alle in § 2 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) genannten Einkünfte. Dazu gehören auch die aus nichtselbständiger Arbeit (§ 2 Abs. 1 Nr. 4 EStG) unabhängig davon, ob dieselbe im In- oder im Ausland ausgeübt wurde.

3. Die vom Antragsteller erzielten Einkünfte sind auch insoweit im Inland steuerpflichtig, als sie auf einer vor dem 10. Mai 1990 in Italien ausgeübten nichtselbständigen Arbeit beruhen. Art. 7 und 11 DBA-Italien 1925 finden für den Veranlagungszeitraum 1990 keine Anwendung mehr. Dies beruht auf dem Zustimmungsgesetz vom 10. August 1990 zum DBA-Italien 1989. Nach Art. 2 des Zustimmungsgesetzes ist die Protokollvorschrift Nr. 22 Buchst. b in Verbindung mit der Protokollvorschrift Nr. 16 Buchst. e zum DBA-Italien 1989 ab dem 1. Januar 1990 anzuwenden. Bereits ergangene Steuerfestsetzungen sind aufzuheben oder zu ändern. Das Zustimmungsgesetz trat am Tage nach seiner Verkündung in Kraft. Dies war der 19. August 1990. Durch Art. 2 des Zustimmungsgesetzes vom 10. August 1990 wurde das Zustimmungsgesetz vom 7. Dezember 1925 (RGBl II 1925, 1145) zum DBA-Italien 1925 dahin geändert, daß die Art. 7 und 11 DBA-Italien 1925 schon für die Zeit ab dem 1. Januar 1990 auf Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit i. S. des Art. 15 Abs. 2 DBA-Italien 1989 nicht mehr anzuwenden sind. Die entsprechende Änderung des DBA-Italien 1925 ergibt sich zwar nicht unmittelbar aus dem Wortlaut des Art. 2 des Zustimmungsgesetzes vom 10. August 1990, wohl aber aus der Nr. 16 Buchst. e des Protokolls, auf die Art. 2 des Zustimmungsgesetzes verweist, und aus der Natur der Sache. Da Art. 2 des Zustimmungsgesetzes eine Übergangsregelung zu einem neu abgeschlossenen DBA enthält, muß die Vorschrift als konkludente Änderung des Zustimmungsgesetzes zum alten DBA verstanden werden. Ob die entsprechende Änderung auch völkerrechtlich wirksam ist, ist für die Anwendung des Zustimmungsgesetzes im Inland irrelevant.

4. a) Nach Art. 2 des Zustimmungsgesetzes vom 10. August 1990 ist die Protokollvorschrift der Nr. 22 Buchst. b i. V. m. der Protokollvorschrift Nr. 16 Buchst. e ab dem 1. Januar 1990 anzuwenden. Die Protokollvorschrift der Nr. 22 betrifft die erstmalige Anwendung des DBA-Italien 1989, wie sie in dessen Art. 31 geregelt ist. Wenn es in Buchst. b der Nr. 22 heißt, daß abweichend von Art. 31 Abs. 2 Buchst. a DBA-Italien 1989 Nr. 16 Buchst. e des Protokolls schon ab dem 1. Januar 1989 Anwendung findet, so deckt diese Vereinbarung auch die in Art. 2 des Zustimmungsgesetzes geregelte Anwendung erst für die Zeit ab dem 1. Januar 1990 ab. Insoweit kommt es für die Abkommensanwendung ab dem 1. Januar 1990 nicht darauf an, daß die genannten Bestimmungen unterschiedliche Zeitpunkte nennen.

b) Nach Nr. 16 Buchst. e des Protokolls können Einkünfte aus unselbständiger Arbeit i. S. des Art. 15 Abs. 2 DBA-Italien 1989 ungeachtet der Art. 7 und 11 DBA-Italien 1925 auch in der Bundesrepublik besteuert werden, wenn die Einkünfte in der Zeit ab dem 1. Januar 1989 bis zum 31. Dezember 1992 von einer in der Bundesrepublik ansässigen Person erzielt werden. Der Antragsteller erfüllt alle genannten Voraussetzungen. Er war i. S. des Art. 4 Abs. 1 DBA-Italien 1989 im Streitjahr 1990 nur in der Bundesrepublik ansässig. Er erzielte Einkünfte i. S. des Art. 15 Abs. 2 DBA-Italien 1989. Dazu ist es unerheblich, daß das DBA-Italien 1989 im Streitjahr 1990 noch nicht in Kraft war. Nr. 16 Buchst. e des Protokolls erwähnt die Einkünfte nur ihrer Art nach und unabhängig von dem Inkrafttreten des DBA-Italien 1989. Der Antragsteller erzielte aber schon in 1990 der Art nach Einkünfte aus unselbständiger Arbeit, wie sie in Art. 15 Abs. 2 DBA-Italien 1989 angesprochen sind.

5. Die Anwendung des Art. 2 des Zustimmungsgesetzes vom 10. August 1990 ist auch verfassungsrechtlich unbedenklich.

a) Dazu geht der Senat davon aus, daß die im Zustimmungsgesetz getroffene Regelung formell am Tage nach seiner Verkündung in Kraft trat. Materiell-rechtlich sollte das Zustimmungsgesetz erst nach Inkrafttreten des DBA-Italien 1989, dann allerdings rückwirkend auf den 1. Januar 1990 Anwendung finden. Insoweit ist es unerheblich, daß das Zustimmungsgesetz zeitlich vor dem Austausch der Ratifikationsurkunden beschlossen und verkündet wurde. Zwar hätte der deutsche Gesetzgeber schon im Jahre 1990 einseitig das DBA-Italien 1925 für teilweise unanwendbar erklären und durch eine Regelung nach Art der Nr. 16 Buchst. e des Protokolls zum DBA-Italien 1989 ersetzen können. Dies ist jedoch nicht geschehen. Ausweislich des Art. 2 Sätze 2 und 3 des Zustimmungsgesetzes ist der deutsche Gesetzgeber davon ausgegangen, daß das Zustimmungsgesetz vor dem völkerrechtlichen Inkrafttreten des DBA-Italien 1989 keine materielle Wirkung erzeugen sollte.

b) In bezug auf die unter Art. 2 des Zustimmungsgesetzes vom 10. August 1990 fallenden Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit besteht eine Rückwirkung darin, daß erst mit dem Inkrafttreten des DBA-Italien 1989 am 27. Dezember 1992 die Vorschrift auf die Veranlagungszeiträume 1990 bis 1992 materiell-rechtlich anwendbar wurde. Insoweit handelt es sich um eine "echte" Rückwirkung von Gesetzen im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts - BVerfG - (vgl. Urteil vom 19. Dezember 1961 2 BvL 6/59, BVerfGE 13, 261, 271). Diese ist jedoch zulässig.

c) Das BVerfG (vgl. Urteil in BVerfGE 13, 261, 271; Beschlüsse vom 10. März 1971 2 BvL 3/68, BVerfGE 30, 272, 286, 287; vom 25. Juni 1974 2 BvF 2, 3/73, BVerfGE 37, 363, 397) hat in ständiger Rechtsprechung eine "echte" Rückwirkung als zulässig angesehen, wenn der Bürger in dem Zeitpunkt, auf den der Eintritt der Rechtsfolge vom Gesetz zurückbezogen wird, mit einer Änderung der Gesetzeslage rechnen mußte. Ein Vertrauensschutz in den Fortbestand der ursprünglichen Rechtslage fällt grundsätzlich mit dem endgültigen Gesetzesbeschluß des Deutschen Bundestages weg (vgl. BVerfG in BVerfGE 30, 272, 287; Beschluß vom 14. Mai 1986 2 BvL 2/83, BVerfGE 72, 200, 271). Unerheblich ist, daß im Streitfall mit dem endgültigen Gesetzesbeschluß des Deutschen Bundestages noch keine völkerrechtliche Verbindlichkeit des DBA-Italien 1989 eintrat. Die insoweit bestehenden Unsicherheiten betrafen nicht mehr den Inhalt des DBA-Italien 1989, sondern die Voraussetzungen seiner Ratifizierung in Italien. Sie müssen von den Bürgern hingenommen werden (vgl. BVerfG in BVerfGE 72, 200, 273). Dies gilt auch dann, wenn - wie im Falle des DBA-Italien 1989 - das völkerrechtliche Abkommen erst rd. zweieinhalb Jahre später in Kraft tritt. Entscheidend ist im Streitfall allein, daß der Deutsche Bundestag das Zustimmungsgesetz zum DBA-Italien 1989 am 10. Mai 1990 in dritter Lesung beschlossen hat. Seit diesem Tage mußten die Bürger mit der rückwirkenden Änderung der Gesetzeslage rechnen. Auch konnte der Deutsche Bundestag am 10. Mai 1990 die rückwirkende Anwendung des Zustimmungsgesetzes auf den 1. Januar 1990 vorsehen, soweit die nach altem Recht zu ändernden Rechtsfolgen noch nicht eingetreten waren. Dies gilt auch für die Besteuerung der von dem Antragsteller erzielten Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit, weil die Antragsteller als unbeschränkt Steuerpflichtige mit diesen Einkünften zur Einkommensteuer 1990 zu veranlagen waren (§ 46 EStG). Ihre Einkommensteuerschuld 1990 entstand erst mit dem Ablauf des 31. Dezember 1990 (§ 36 Abs. 1 EStG). Deshalb war der Sachverhalt, an den das EStG die Entstehung der Einkommensteuerschuld 1990 der Antragsteller knüpfte, am 10. Mai 1990 noch nicht abgeschlossen. Die insoweit vom Zustimmungsgesetz auf den 1. Januar 1990 ausgehende Rückwirkung war eine "unechte". Unechte Rückwirkungen sind aber verfassungsrechtlich grundsätzlich zulässig (BVerfG-Urteil vom 8. Februar 1977 1 BvR 79/70 u. a., BVerfGE 43, 242, 286). Aus den unter II. 5. d) noch näher darzustellenden Gründen verdient auch ein Vertrauen der Antragsteller in den Fortbestand der früheren Rechtslage keinen Vorrang.

d) Das BVerfG hat ferner die Rückwirkung von Gesetzen dann als verfassungsrechtlich zulässig angesehen, wenn zwingende Gründe des Gemeinwohls die Rückwirkung rechtfertigen (Urteil in BVerfGE 13, 261, 272; Beschlüsse in BVerfGE 30, 367, 390, und in BVerfGE 72, 200, 260). Im Streitfall greift auch dieser Gesichtspunkt durch.

Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) verlangt für das Einkommensteuerrecht, daß die Einkommensteuer die Steuerpflichtigen rechtlich und tatsächlich gleichmäßig belastet. Wird die Gleichheit in der Steuerbelastung durch sachlich nicht gerechtfertigte Steuerbefreiungen verfehlt, so kann dies die Verfassungswidrigkeit der Steuerbefreiungsvorschrift nach sich ziehen (BVerfG-Urteil vom 27. Juni 1991 2 BvR 1493/89, BStBl II 1991, 654, 664). Die in Art. 2 des Zustimmungsgesetzes vom 10. August 1990 vorgesehene Rückwirkung diente dem Ziel, die durch Art. 7 und 11 DBA-Italien 1925 eingetretene Ungleichheit in der Steuerbelastung unbeschränkt Steuerpflichtiger auszugleichen. Die genannten Vorschriften sahen nämlich die Steuerbefreiung von Einkünften aus in Italien ausgeübter nichtselbständiger Arbeit deshalb vor, weil die Einkünfte in Italien besteuert werden sollten. Tatsächlich bewirkte die Regelung jedoch eine an sich nicht beabsichtigte Steuerbefreiung von Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit, die in dem Nichtansässigkeitsstaat nur kurzfristig ausgeübt wurde, in beiden Vertragsstaaten. Dies war sachlich nicht gerechtfertigt und entsprach auch nicht dem international Üblichen. So gesehen war die einkommensteuerliche Belastung der Antragsteller im Verhältnis zu vergleichbaren anderen unbeschränkt Steuerpflichtigen ungleich. Die Antragsteller wurden nicht mehr nach ihrer Leistungsfähigkeit besteuert. Es lag im öffentlichen Gemeinwohlinteresse, diesen Zustand zum frühestmöglichen Zeitpunkt zu beenden.

Der erkennende Senat hat in der Vergangenheit davon abgesehen, die Art. 7 und 11 DBA-Italien 1925 als vorkonstitutionelles Recht für teilweise verfassungswidrig zu erklären. Er hat sich dabei wesentlich von der Rechtsprechung des BVerfG leiten lassen, wonach dem Gesetzgeber stets ein weiter Gestaltungsspielraum zugestanden wurde (vgl. Tipke, Die Steuerrechtsordnung, 1993, S. 324 ff. m. w. N.). Auch konnte der Senat nicht unberücksichtigt lassen, daß der Gesetzgeber in der Vergangenheit andere positive Vorschriften erließ bzw. bestehen ließ, auf Grund derer in vergleichbaren Einzelfällen von der Besteuerung von Einkünften abweichend von dem Grundsatz der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit abgesehen wurde (vgl. Tipke, a. a. O., S. 320, 321). Von der Frage nach der teilweisen Verfassungswidrigkeit der Art. 7 und 11 DBA-Italien 1925 ist jedoch die zu trennen, ob der Gesetzgeber gehalten war, die bestehende Ungleichbesteuerung zu beseitigen. Der Senat bejaht letztere Verpflichtung, weil die durch die Anwendung der Art. 7 und 11 DBA-Italien 1925 hervorgerufene Ungleichbehandlung eklatant war. Von der Sache her war eine Revision des DBA-Italien 1925 schon lange geboten. Dies muß auch für die Antragsteller einsichtig sein, weil für die Nichtbesteuerung ihrer Einkünfte aus in Italien ausgeübter nichtselbständiger Arbeit kein vernünftiger Grund zu erkennen ist.

6. Die rückwirkende Anwendung von Art. 2 des Zustimmungsgesetzes vom 10. August 1990 berührt auch nicht Art. 220 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWGV). Die Vorschrift enthält nur den Auftrag an die Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft, Verhandlungen über die Rechtsstellung ihrer Staatsangehörigen einzuleiten. In seinem Urteil vom 11. Juli 1985 Rs 137/84 (EuGHE 1985, 2681, 2694) hat der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften entschieden, daß Art. 220 EWGV kein unmittelbar geltendes Recht beinhaltet. Die Vorschrift steckt vielmehr nur den Rahmen für die von den Mitgliedstaaten einzuleitenden Verhandlungen ab. In diesem Sinne enthält sie nur eine Zielvorgabe an die Mitgliedstaaten. Es kommt hinzu, daß die rückwirkende Anwendung der im Streitfall interessierenden Protokollbestimmungen im Einklang mit dem völkerrechtlich wirksam vereinbarten DBA-Italien 1989 steht.