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  BFH-Urteil vom 25.11.1993 (VI R 45/93) BStBl. 1994 II S. 254

Führt ein Arbeitgeber im Rahmen des betrieblichen Vorschlagwesens eine Verlosung durch, an der alle Arbeitnehmer teilnehmen, die einen Verbesserungsvorschlag eingereicht haben, so sind die verlosten Sachpreise Arbeitslohn der jeweiligen Gewinner. Die Einräumung der bloßen Gewinnchance führt noch nicht zu einem Zufluß von Arbeitslohn (Bestätigung der Rechtsprechung in dem Urteil vom 11. März 1988 VI R 106/84, BFHE 153, 324, BStBl II 1988, 726; Änderung der Rechtsprechung in dem Urteil vom 19. Juli 1974 VI R 114/71, BFHE 114, 28, BStBl II 1975, 181).

EStG § 11 Abs. 1, § 19.

Vorinstanz: FG Baden-Württemberg

Sachverhalt

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) versprach in den Jahren 1984 und 1986 jedem ihrer Arbeitnehmer, der einen Verbesserungsvorschlag im Rahmen des betrieblichen Vorschlagwesens einreichte, neben der üblichen Prämie die Teilnahme an einer Verlosung, und zwar unabhängig von der Qualität des Verbesserungsvorschlags. Die Verlosung fand im Rahmen der betrieblichen Weihnachtsfeier statt. Für das Jahr 1984 wurden Reisepreise im Wert von 2.500 DM, 1.500 DM und 1.000 DM verlost. Die Gewinner nahmen die Preise im Jahre 1985 in Anspruch. Im Jahre 1986 wurden Goldmünzen im Wert von 3.296,31 DM, 1.488,84 DM und 870,39 DM verlost, die den Gewinnern sofort übergeben wurden. Von den insgesamt ca. 1.000 Arbeitnehmern der Klägerin hatten 66 Arbeitnehmer im Jahre 1984 und 82 Arbeitnehmer im Jahre 1986 Verbesserungsvorschläge eingereicht und an der Verlosung teilgenommen.

Bei einer Lohnsteueraußenprüfung beurteilte der Prüfer die ausgesetzten Preise als Arbeitslohn der Arbeitnehmer, die sie gewonnen hatten. Er ermittelte für die jeweiligen Gewinner die auf diese entfallende Lohnsteuer. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) erließ einen mit einem Pauschalierungsbescheid zusammengefaßten Haftungsbescheid über die entsprechende Lohnsteuer.

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage, mit der die Klägerin die Aufhebung des Haftungsbescheides begehrte, als unbegründet ab. Es sah den Zufluß von Arbeitslohn nicht bereits in der Einräumung einer Gewinnchance, sondern erst in dem Gewinn bei der Verlosung.

Die Klägerin rügt mit ihrer Revision eine Verletzung der §§ 19, 8 und 42 d des Einkommensteuergesetzes (EStG) und trägt im einzelnen vor: Ihre Inanspruchnahme gemäß § 42 d EStG sei deshalb rechtswidrig, weil ihren Arbeitnehmern durch die verlosten Sachpreise überhaupt kein Arbeitslohn (§ 19 EStG) zugeflossen sei. Übertrage man die von der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) zum ganz überwiegend eigenbetrieblichen Interesse anläßlich von Zuwendungen bei Betriebsveranstaltungen entwickelten Grundsätze auf die im Streitfall durchgeführte Verlosung, so sei der Vorteil in Form der Sachpreise nicht "für" die Beschäftigung gewährt worden. Die mit der Verlosung angestrebte Motivation zur Einreichung von Verbesserungsvorschlägen habe in ihrem, der Klägerin, ausschließlichen unternehmerischen Eigeninteresse gelegen.

Die Klägerin beantragt, die Vorentscheidung und den Haftungsbescheid in Gestalt der Einspruchsentscheidung aufzuheben.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

Die Revision der Klägerin ist unbegründet. Das FG hat zu Recht entschieden, daß die Gewinne aus der Verlosung steuerpflichtiger Arbeitslohn der jeweiligen Gewinner i. S. des § 19 Abs. 1 Nr. 1 EStG sind und der angefochtene Haftungsbescheid rechtmäßig ist.

1. Nach der Rechtsprechung des Senats ist der Zufluß (§ 11 Abs. 1 EStG) eines Vorteils dann als Einnahme (§ 8 Abs. 1 EStG) bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit (§ 19 Abs. 1 Nr. 1 EStG) zu erfassen, wenn der Vorteil durch das Arbeitsverhältnis veranlaßt ist (vgl. BFH-Urteil vom 11. März 1988 VI R 106/84, BFHE 153, 324, BStBl II 1988, 726, 728, zu B I. 1., m. w. N.). Mit der Frage, ob bei einer vom Arbeitgeber veranstalteten Verlosung bereits die Gewinnchancen oder erst die Gewinne aus der Verlosung als durch das Arbeitsverhältnis veranlaßte Vorteile zu erfassen sind und ob das in der Verlosung liegende Zufallsmoment die Zuordnung des Gewinns zu der beruflichen Sphäre ausschließt, hat sich der Senat in Urteilen vom 19. Juli 1974 VI R 114/71 (BFHE 114, 28, BStBl II 1975, 181) und vom 15. Dezember 1977 VI R 150/75 (BFHE 124, 190, BStBl II 1978, 239) auseinandergesetzt. Er ist dabei zu gegensätzlichen Ergebnissen gelangt.

In dem Urteil in BFHE 114, 28, BStBl II 1975, 181 hat er es abgelehnt, einen Veranlassungszusammenhang zwischen dem Gewinn aus einer Verlosung und dem Arbeitsverhältnis bereits deshalb zu bejahen, weil der Steuerpflichtige nur in seiner Eigenschaft als Arbeitnehmer eines bestimmten Arbeitgebers berechtigt war, an der Verlosung teilzunehmen. Er hat in dem Gewinn aus einer Verlosung mit der Begründung keinen Arbeitslohn gesehen, daß der Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis durch die Zwischenschaltung der Verlosung unterbrochen worden sei. Der dem Arbeitnehmer gewährte Vorteil habe in der Einräumung einer Gewinnchance gelegen, die durch den (beruflich veranlaßten) Besitz der sog. Glückstaler vermittelt worden sei. Die Umsetzung der Gewinnchance in einen Gewinn sei durch die Verlosung erfolgt, auf deren Ausgang der einzelne Arbeitnehmer keinen Einfluß gehabt habe. Die Gewinnchance sei im konkreten Fall allerdings wegen ihres geringen Wertes nicht als Arbeitslohn zu erfassen.

Demgegenüber ist in dem Urteil in BFHE 124, 190, BStBl II 1978, 239 nicht bereits die Gewinnchance, sondern erst der Gewinn (Klappräder) aus einer Verlosung als Arbeitslohn gewertet worden. In dem konkreten Fall ist darauf abgestellt worden, daß die Teilnahmeberechtigung der Arbeitnehmer an weitere Voraussetzungen als die bloße Arbeitnehmereigenschaft, nämlich keine Abwesenheit wegen Krankheit, geknüpft gewesen sei. Kumulativ ist für die Annahme von Arbeitslohn das zahlenmäßige Verhältnis zwischen Losgewinnen und Arbeitnehmern (330 Klappräder zum Gesamtpreis von 32.977 DM für 1.500 Arbeitnehmer), also der Wahrscheinlichkeitsgrad eines Gewinns, herangezogen worden.

2. Der Senat ist nach erneuter Überprüfung der Rechtslage der Auffassung, daß bei einer von einem Arbeitgeber ausschließlich für seine Arbeitnehmer, d. h. betriebsintern, veranstalteten Verlosung die durch ein Los vermittelte Gewinnchance noch nicht zu einem Zufluß (§ 11 Abs. 1 EStG) von Arbeitslohn führt. Sagt der Arbeitgeber seinem Arbeitnehmer aufgrund des Dienstverhältnisses eine Leistung zu, so begründet der Anspruch auf diese Leistung (noch) keinen gegenwärtigen Zufluß von Arbeitslohn (vgl. BFH-Urteil vom 27. Mai 1993 VI R 19/92, BFHE 172, 46, BStBl II 1994, 246). Ein Vorteil ist dem Arbeitnehmer vielmehr erst dann zugeflossen, wenn der Arbeitgeber die geschuldete Leistung tatsächlich erbringt. Anders ist die Rechtslage im allgemeinen nur dann zu beurteilen, wenn der Arbeitgeber zugunsten seiner Arbeitnehmer Aufwendungen tätigt, die einen eigenen Rechtsanspruch der Arbeitnehmer gegenüber einem Dritten begründen (vgl. BFH-Urteil in BFHE 172, 46, BStBl II 1994, 246). Danach kann dann, wenn ein Arbeitgeber seinen Arbeitnehmern die Chance zuwendet, einen Sachpreis in einer von ihm selbst ausschließlich für seine Arbeitnehmer durchgeführten Verlosung zu gewinnen, der Zufluß von Arbeitslohn noch nicht angenommen werden.

Dies entspricht auch der überwiegend in der Literatur vertretenen Auffassung. Danach ist bei einer vom Arbeitgeber veranstalteten Verlosung die Verteilung der Lose und die Durchführung der Verlosung als einheitlicher, in den Bereich des Arbeitsverhältnisses fallender Vorgang zu beurteilen; die bloße Gewinnchance wird noch nicht als steuerpflichtiger Arbeitslohn angesehen (Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz mit Nebengesetzen, Kommentar, § 19 EStG Anm. 400 "Lose"; Schmidt/Drenseck, Einkommensteuergesetz, § 19 Anm. 7 c; Blümich/Thürmer, Einkommensteuergesetz, § 19 Rz. 280 "Losgewinne"; Barein in Littmann/Bitz/Meincke, Das Einkommensteuerrecht, § 19 EStG Rz. 253; Giloy in Kirchhof/Söhn, Einkommensteuergesetz, § 19 Rdnr. B 1000 "Losgewinne"; vgl. auch bereits Wolff, Finanz-Rundschau - FR - 1981, 401, 403).

3. Der in dem Gewinn aus einer betriebsintern veranstalteten Verlosung liegende Vorteil ist nach Auffassung des Senats grundsätzlich durch das Arbeitsverhältnis veranlaßt und damit - von dem Ausnahmefall des ganz überwiegend eigenbetrieblichen Interesses des Arbeitgebers abgesehen - Arbeitslohn i. S. des § 19 Abs. 1 Nr. 1 EStG. Die Arbeitnehmereigenschaft ist bei einer ausschließlich für die Arbeitnehmer durchgeführten Verlosung nicht nur notwendige Voraussetzung (conditio sine qua non), sondern auch hinreichende Bedingung für die Wertung, daß der Vorteil durch das Arbeitsverhältnis veranlaßt ist. Soweit der Senat in dem Urteil in BFHE 114, 28, BStBl II 1975, 181 in der Verlosung wegen des darin liegenden Zufallsmoments einen Vorgang gesehen hat, der den beruflichen Veranlassungszusammenhang unterbricht, ist der von Fein (Betriebs-Berater - BB - 1979, 367) geäußerten Kritik zuzustimmen. Danach ist dann, wenn berufliche Umstände zur Teilnahmeberechtigung an der Verlosung geführt haben, auch der "per Zufall" erzielte Gewinn der beruflichen Sphäre zuzurechnen. Fein (BB 1979, 367, 369) weist zu Recht darauf hin, daß die Unterbrechung des Kausalzusammenhangs im Schadensrecht gerade zur Voraussetzung hat, daß der Zweitschaden außerhalb aller Wahrscheinlichkeit liegt. Demgegenüber teilt der Arbeitgeber die Lose den Arbeitnehmern von vornherein im Hinblick auf die sichere Erwartung eines Treffers zu. Die Zweitursache "Zufall" ist von vornherein eingeplant.

4. Der Senat teilt die Auffassung der Vorinstanz, daß die Annahme von Arbeitslohn im Streitfall nicht unter dem Gesichtspunkt des ganz überwiegend eigenbetrieblichen Interesses der Klägerin ausscheidet. Ein ganz überwiegend eigenbetriebliches Interesse des Arbeitgebers kann zwar in der Regel bei üblichen Verlosungen im Rahmen einer Betriebsveranstaltung anerkannt werden, wenn alle an der Veranstaltung teilnehmenden Arbeitnehmer Lose erhalten. Anders ist es aber zu beurteilen, wenn die Verlosung nur gelegentlich einer Betriebsveranstaltung durchgeführt wird und wenn im Vorfeld der Betriebsveranstaltung bestimmte Bedingungen für die Teilnahme an der Verlosung erfüllt werden mußten. In einem derartigen Fall ist im allgemeinen anzunehmen, daß die Lose und damit die Gewinne die Gegenleistung für ein bestimmtes Verhalten der Arbeitnehmer darstellen.

Im Streitfall ist die Verlosung gelegentlich einer betrieblichen Weihnachtsfeier, also einer Betriebsveranstaltung, durchgeführt worden. Es konnten an ihr - anders als in dem vom FG Baden-Württemberg rechtskräftig entschiedenen Fall (Urteil vom 21. Oktober 1992 12 K 113/88, Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 1993, 253) - nicht alle Teilnehmer der Betriebsveranstaltung, sondern nur diejenigen Arbeitnehmer teilnehmen, die bestimmte Voraussetzungen erfüllt, nämlich Verbesserungsvorschläge eingereicht hatten. Die Gewinne waren den "per Zufall" ermittelten Arbeitnehmern von der Klägerin für ein bestimmtes Verhalten zugewendet worden. Daß die von der Klägerin mit der Verlosung angestrebte Verhaltensweise ihrer Arbeitnehmer, die Einreichung von Verbesserungsvorschlägen, im betrieblichen Interesse der Klägerin gelegen hat, schließt den Arbeitslohncharakter des Gewinns nicht aus. Insoweit kann nichts anderes gelten, als wenn ein Arbeitgeber im Rahmen eines sog. Sicherheitswettbewerbs Prämien an seine Arbeitnehmer zahlt. Derartige Prämien sind Arbeitslohn i. S. des § 19 Abs. 1 Nr. 1 EStG (vgl. BFH-Urteil in BFHE 153, 324, BStBl II 1988, 726). Dem Hinweis der Klägerin auf den Begriff der Annehmlichkeit hat das FA in seiner Revisionserwiderung zu Recht entgegengehalten, daß der BFH beginnend mit dem Urteil vom 17. September 1982 VI R 75/79 (BFHE 137, 13, BStBl II 1983, 39) den Begriff des Arbeitslohns neu definiert hat und der Begriff der Annehmlichkeit dabei keine Rolle mehr spielt (vgl. dazu auch Schmidt/Drenseck, a. a. O., § 19 Anm. 7 a).