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  BFH-Urteil vom 6.10.1993 (I R 69/93) BStBl. 1994 II S. 318

1. Nach Art. 28 Abs. 3 DBA-Schweiz beträgt die Frist für die Antragstellung auf Erstattung von Kapitalertragsteuer drei Jahre nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Dividende fällig wurde.

2. Unter "fällig" i. S. des Art. 28 Abs. 3 DBA-Schweiz ist entweder der Tag der zivilrechtlichen Fälligkeit in dem jeweils maßgebenden Vertragsstaat oder aber der Tag der Dividendenzahlung zu verstehen. § 11 EStG findet insoweit keine Anwendung.

3. Die Regelung des Art. 28 Abs. 3 DBA-Schweiz wird jedenfalls dann nicht durch die §§ 169 und 170 AO 1977 eingeschränkt, wenn erstere für den Steuerpflichtigen günstiger ist.

DBA-Schweiz 1971 Art. 28 Abs. 3; AO 1977 § 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, § 170 Abs. 1.

Vorinstanz: FG Köln

Sachverhalt

I.

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) war in den Jahren 1981 bis 1983 nur in der Schweiz wohnhaft und in der Bundesrepublik Deutschland (Bundesrepublik) nur beschränkt einkommensteuerpflichtig. Er war alleiniger Gesellschafter der S-GmbH, einer inländischen Kapitalgesellschaft.

Am 7. September 1981 beschloß die Gesellschafterversammlung der S-GmbH eine Ausschüttung von 1,5 Mio. DM aus dem Bilanzgewinn 1980. Die Ausschüttung sollte zu einem noch zu vereinbarenden Zeitpunkt überwiesen werden. Am 22. Dezember 1982 beschloß die Gesellschafterversammlung in Ergänzung des Beschlusses vom 7. September 1981 die Auszahlung der Ausschüttung in Teilbeträgen von 1,1 Mio. DM am 22. Dezember 1982 und von 400.000 DM am 3. Januar 1983. Die S-GmbH nahm entsprechende Überweisungen vor. Sie meldete am 29. Januar 1983 u. a. die auf die Überweisung vom 3. Januar 1983 entfallende Kapitalertragsteuer in Höhe von 100.000 DM an. Die Steuer wurde abgeführt.

Am 13. Juni 1986 beantragte der Kläger beim Beklagten und Revisionskläger (Bundesamt für Finanzen - BfF -) u. a. die Erstattung eines Teilbetrages in Höhe von 40.000 DM der in Höhe von 100.000 DM abgeführten Kapitalertragsteuer nach dem Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Schweizerischen Eidgenossenschaft zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen vom 11. August 1971 - DBA-Schweiz - (BGBl II 1972, 1021, BStBl I 1972, 518). Der Antrag ging beim BfF am 16. Juni 1986 ein. Dieses lehnte ihn am 29. Juli 1986 ab, weil er nicht fristgerecht gestellt worden sei. Der Einspruch blieb erfolglos (Einspruchsentscheidung vom 9. Dezember 1988).

Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt.

Mit seiner vom FG zugelassenen Revision rügt das BfF die Verletzung der §§ 11, 44 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG).

Das BfF beantragt, das Urteil des FG Köln vom 10. Februar 1993 6 K 232/89 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist unbegründet. Sie war deshalb zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

1. Nach den tatsächlichen Feststellungen des FG, an die der erkennende Senat gemäß § 118 Abs. 2 FGO gebunden ist, wurde im Streitfall eine Kapitalertragsteuer in Höhe von 100.000 DM von einem Teilbetrag von 400.000 DM einer vom Kläger erzielten Dividende im Abzugswege (an der Quelle) einbehalten. Für einen solchen Fall sieht Art. 28 Abs. 2 DBA-Schweiz vor, daß die im Abzugswege einbehaltene Kapitalertragsteuer auf Antrag zu erstatten ist, soweit ihre Erhebung durch das DBA-Schweiz eingeschränkt wird.

Dazu hat das FG in tatsächlicher Hinsicht festgestellt, daß der Kläger im Jahre 1983 nur in der Schweiz unbeschränkt steuerpflichtig war. Damit war er i. S. des Art. 4 Abs. 1 DBA-Schweiz eine nur in der Schweiz ansässige Person. Als solche war er abkommensberechtigt.

Art. 10 Abs. 2 Buchst. d DBA-Schweiz schränkt das Recht der Bundesrepublik, auf eine Dividende, die eine inländische Kapitalgesellschaft an einen in der Schweiz ansässigen Gesellschafter zahlt, eine Kapitalertragsteuer zu erheben, dahin ein, daß die Steuer 15 v. H. des Bruttobetrages der Dividende, hier also 15 v. H. von 400.000 DM = 60.000 DM, nicht übersteigen darf. Folglich steht dem Kläger ein Erstattungsanspruch in Höhe der Differenz zwischen 100.000 DM und 60.000 DM = 40.000 DM zu.

2. Nach Art. 28 Abs. 3 DBA-Schweiz ist die Antragstellung nach Abs. 2 fristgebunden. Die Frist beträgt drei Jahre nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Dividende fällig wurde. Zwar wird der Begriff "fällig" im DBA-Schweiz nicht definiert. Auch regeln die deutschen Steuergesetze nicht die Fälligkeit von Dividenden. Schon deshalb verbietet es sich, ihn i. S. des Art. 3 Abs. 2 DBA-Schweiz nach deutschem Steuerrecht zu interpretieren. Die Auslegung kann sich nur an dem DBA-Schweiz selbst orientieren. Dabei kommen zwei Auslegungen in Betracht. Es kann sein, daß die Vertragsstaaten mit der Verwendung des Fälligkeitsbegriffs auf die zivilrechtliche Fälligkeit abstellen wollten (vgl. §§ 271, 284 des Bürgerlichen Gesetzbuches - BGB -), wie sie in dem jeweils maßgebenden Vertragsstaat (hier: Deutschland) geregelt ist. Es kann ebenso sein, daß der Fälligkeitsbegriff an den Begriff der Zahlung i. S. des Art. 10 Abs. 1 DBA-Schweiz anknüpft. Der Senat kann unentschieden lassen, welcher Auslegung der Vorzug zu geben ist, weil beide zu demselben Ergebnis führen. Nach dem am 22. Dezember 1982 gefaßten Ergänzungsbeschluß wurde der hier interessierende Teilbetrag der Dividende erst am 3. Januar 1983 fällig (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 10. Juni 1992 I R 108/88, BFHE 168, 444, BStBl II 1993, 127). Auch wurde die Zahlung des Teilbetrages erst an diesem Tag vorgenommen. Infolgedessen begann die in Art. 28 Abs. 3 DBA-Schweiz vorgesehene Frist im Streitfall erst am 3. Januar 1983 zu laufen. Sie lief am 31. Dezember 1986 ab. Innerhalb der Frist stellte der Kläger den am 16. Juni 1986 eingegangenen Antrag. Dieser Antrag ist fristgerecht.

3. Der Senat muß nicht entscheiden, ob im Streitfall die vierjährige Festsetzungsfrist der §§ 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 und 170 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) am 16. Juni 1986 anwendbar ist und bereits abgelaufen war und ob für ihren Fristbeginn auf § 44 Abs. 1 Satz 2 EStG oder aber auf § 44 Abs. 2 Satz 2 EStG abzustellen ist. Aus den genannten Vorschriften ergibt sich nicht, daß sie an die Stelle der in Art. 28 Abs. 3 DBA-Schweiz getroffenen Regelung treten sollen (kein treaty override). Deshalb ändern die §§ 169, 170 AO 1977 die Fristenregelung des Art. 29 Abs. 3 DBA-Schweiz nicht. Dies gilt jedenfalls dann, wenn die Regelung in Art. 28 Abs. 3 DBA-Schweiz für den Steuerpflichtigen günstiger ist.

4. Der Senat folgt auch nicht der Auffassung des BfF, wonach im Streitfall die in den BFH-Urteilen vom 30. April 1974 VIII R 123/73 (BFHE 112, 355, BStBl II 1974, 541) und vom 21. Oktober 1981 I R 230/78 (BFHE 134, 315, BStBl II 1982, 139) erwähnten Rechtsgrundsätze Anwendung finden sollen. Die genannten Urteile betreffen nicht die Auslegung des Fälligkeitsbegriffes i. S. des Art. 28 Abs. 3 DBA-Schweiz. Es spricht auch kein Anhaltspunkt dafür, daß die Vertragsstaaten den Fälligkeitsbegriff in Art. 28 Abs. 3 DBA-Schweiz im Sinne der höchstrichterlichen deutschen Rechtsprechung zu § 11 EStG verstanden wissen wollten. Auch wollten die genannten Urteile nur der Gefahr begegnen, daß eine Kapitalgesellschaft Aufwendungen an den beherrschenden Gesellschafter gewinnmindernd absetzt, die bei dem Gesellschafter noch nicht als Einnahmen erfaßt werden können (vgl. Trzaskalik, in Kirchhof/Söhn, Einkommensteuergesetz, § 11 Rdnrn. B 5 ff., 45 ff., 51 ff.). Eine solche Gefahr besteht jedoch im Streitfall nicht, weil die Ausschüttung der S-GmbH deren Gewinn nicht mindern darf (§ 8 Abs. 3 Satz 1 des Körperschaftsteuergesetzes). Es entspricht deshalb auch dem Grundgedanken des § 11 EStG, die Zahlung der Dividende i. S. des Art. 10 Abs. 1 DBA-Schweiz mit der Erfüllung des Dividendenanspruchs gleichzustellen.

5. Das FG ist zwar von einer anderen Rechtsauffassung ausgegangen. Sein Ergebnis deckt sich aber mit dem, zu dem auch die Anwendung des Art. 28 Abs. 3 DBA-Schweiz führt. Deshalb ist die Vorentscheidung vom Ergebnis her revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.