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  BFH-Beschluß vom 17.12.1992 (V B 22/92) BStBl. 1994 II S. 370

1. Für die Frage, inwieweit Art. 5 Abs. 6 der 6. EG-Richtlinie ein Besteuerungsverbot bezüglich des Entnahmeeigenverbrauchs eines Gegenstandes enthält, wenn dieser Gegenstand "oder seine Bestandteile" nicht zu einem vollen oder teilweisen Abzug der Mehrwertsteuer berechtigt haben, fehlt es an der grundsätzlichen Klärbarkeit in einer (zuzulassenden) Revision mit dem Ziel einer Vorabentscheidung durch den EuGH, wenn nach dem vom FG festgestellten Sachverhalt die "Bestandteile" des Gegenstandes keine Rolle spielen.

2. § 1 Abs. 1 Nrn. 2 und 3 UStG 1980 enthalten keine Sonderregelung für die Besteuerung von Gebrauchtgegenständen i. S. von Art. 32 der 6. EG-Richtlinie. Als allgemeine Regelungen zur Besteuerung des Eigenverbrauches sind diese Vorschriften des UStG 1980 hinsichtlich der Vereinbarkeit mit der 6. EG-Richtlinie an deren entsprechenden allgemeinen Regelungen zu messen.

UStG 1980 § 1 Abs. 1 Nrn. 2 und 3; 6. EG-Richtlinie (77/388 EWG) Art. 5 Abs. 6 und Art. 32.

Vorinstanz: FG Baden-Württemberg

Sachverhalt

I.

Die Klägerin und Beschwerdegegnerin (Klägerin) ist eine GbR, die ein Architektur- und Ingenieurbüro betreibt. 1985 legten die Gesellschafter gebrauchte Gegenstände in das Betriebsvermögen der Klägerin ein. 1986 "entnahmen" die Gesellschafter die Gegenstände wieder.

Der Beklagte und Beschwerdeführer (das Finanzamt - FA -) unterwarf diese Entnahmen als Eigenverbrauch der Umsatzsteuer.

Nach erfolglosem Einspruch gab das Finanzgericht (FG) der Klage gegen den Umsatzsteuerbescheid für 1986 statt. Zur Begründung führte das FG im wesentlichen aus: Der Besteuerung der Entnahmen stehe Art. 5 Abs. 6 der Sechsten Richtlinie des Rates (der EG) vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern - gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage - 77/388 EWG (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften - ABlEG - L 145/1) - 6. EG-Richtlinie - entgegen. Das zum sog. Verwendungseigenverbrauch (§ 1 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b des Umsatzsteuergesetzes - UStG - 1980) ergangene Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) vom 27. Juni 1989 Rs. 50/88 (EuGHE 1989, 1925; Umsatzsteuer-Rundschau - UR - 1989, 373, Der Betrieb - DB - 1989, 2054) sei auch auf den sog. Entnahmeeigenverbrauch (§ 1 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a UStG 1980) anzuwenden. Im Streitfall sei zwar § 1 Abs. 1 Nr. 3 UStG 1980 einschlägig. Darauf komme es aber nicht an, weil diese Vorschrift, wie der Bundesfinanzhof (BFH) im Urteil vom 3. November 1983 V R 4/73 (BFHE 140, 115, BStBl II 1984, 169) dargelegt habe, nur eine an sich überflüssige andere Formulierung des Eigenverbrauchstatbestands i. S. des § 1 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a UStG 1980 sei. Die Gegenstände, um deren Entnahme es hier gehe, seien bei ihrer Einlage in das Vermögen der Klägerin mit Umsatzsteuer belastet gewesen, ohne daß diese die Umsatzsteuer als Vorsteuer hätte abziehen können.

Das FA beantragt mit der Beschwerde Zulassung der Revision gegen das Urteil. Es trägt vor, die Rechtssache habe grundsätzliche Bedeutung i. S. von § 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO).

Entscheidungsgründe

II.

Die Beschwerde des FA ist unbegründet. Die vom FA dargelegten Rechtsfragen sind zum Teil bereits geklärt und im übrigen in einem (mit der Nichtzulassungsbeschwerde angestrebten) Revisionsverfahren nicht klärbar.

1. Soweit das FA eine Klärung der Frage anstrebt, ob Art. 5 Abs. 6 der 6. EG-Richtlinie eine Bestimmung ist, auf die sich der einzelne Steuerpflichtige gegenüber allen innerstaatlichen nicht richtlinienkonformen Vorschriften berufen kann, verweist der Senat auf seinen Beschluß vom 29. August 1991 V B 113/91 (BFHE 165, 109, BStBl II 1992, 267). In diesem Beschluß hat der Senat bereits die Berufbarkeit des Art. 5 Abs. 6 der 6. EG-Richtlinie - soweit diese Bestimmung wortlautgleich mit Art. 6 Abs. 2 Buchst. a der 6. EG-Richtlinie ist - aufgrund des Urteils des EuGH vom 27. Juni 1989 Rs. 50/88 bejaht. Insoweit besteht kein Klärungsbedarf mehr.

2. Soweit das FA grundsätzlichen Klärungsbedarf darin sieht, daß Art. 5 Abs. 6 der 6. EG-Richtlinie die Besteuerung der Entnahme eines Gegenstandes für unternehmensfremde Zwecke nur dann zulasse, wenn dieser Gegenstand "oder seine Bestandteile" zu einem vollen oder teilweisen Abzug der Mehrwertsteuer berechtigt haben, während Art. 6 Abs. 2 Buchst. a der 6. EG-Richtlinie die Besteuerung der Verwendung eines Gegenstandes für unternehmensfremde Zwecke zuläßt, "wenn dieser Gegenstand zum vollen oder teilweisen Abzug der Mehrwertsteuer berechtigt hat" - ohne die "Bestandteile" zu erwähnen -, kann dies im Streitfall nicht zur Zulassung der Revision führen. Der Wortlaut von Art. 5 Abs. 6 und der von Art. 6 Abs. 2 unterscheiden sich zwar im Hinblick auf die Anführung der "Bestandteile". Im Streitfall ist die Frage der Bedeutung der "Bestandteile" i. S. des Art. 5 Abs. 6 jedoch nicht über ein (zuzulassendes) Revisionsverfahren klärbar. Die vom FA angeschnittenen Fragen zu dem Bestandteil betreffen nur das fiktive Beispiel eines Kfz (Schrauben, Batterien, Austauschmotor usw.). Sie spielen im Streitfall nach dem vom FG festgestellten Sachverhalt keine Rolle.

Gemäß § 118 FGO ist der BFH an die in dem angefochtenen Urteil getroffenen tatsächlichen Feststellungen gebunden, es sei denn, daß in bezug auf diese Feststellungen zulässige und begründete Revisionsgründe vorgebracht sind. Die Nichtzulassungsbeschwerde des FA enthält weder einen Anhaltspunkt dafür, welche sog. Bestandteile nach seiner Auffassung eine Rolle spielen könnten, noch ist die Nichtzulassungsbeschwerde gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO auf einen Verfahrensmangel gestützt, aufgrund dessen in einem Revisionsverfahren über die Möglichkeit einer weiteren Sachverhaltsermittlung entschieden werden könnte. Eine Zulassung der Revision sozusagen "ins Blaue hinein" zur Frage, ob an den streitigen Gegenständen irgendwelche Bestandteile eine Rolle spielten, kommt nicht in Betracht. Ob also Art. 5 Abs. 6 der 6. EG-Richtlinie im Hinblick auf das Tatbestandsmerkmal "oder seine Bestandteile" als inhaltlich nicht hinreichend genau und daher als nicht geeignet angesehen werden muß, in den Rechtsbeziehungen zwischen den Mitgliedstaaten und den einzelnen unmittelbare Wirkungen zu entfalten, ist somit im Streitfall in einem Revisionsverfahren nicht entscheidungserheblich. Geht es aber nur um die Entnahme des Gegenstands, so ist auch nach zwischenzeitlicher Verwaltungsauffassung (Schreiben des Bundesministers der Finanzen - BMF - vom 20. Februar 1992 IV A 1 - S 7056 a - 43/92, IV A 2 - S 7102 - 1/92, BStBl I 1992, 220) Art. 5 Abs. 6 der 6. EG-Richtlinie "berufbar".

3. Soweit das FA grundsätzlichen Klärungsbedarf bezüglich der Frage darlegt, ob Art. 5 Abs. 6 der 6. EG-Richtlinie dem einzelnen bei Entnahme von Gebrauchtgegenständen ein Berufungsrecht deshalb nicht eröffne, weil die Bestimmung nicht "unbedingt" i. S. der Rechtsprechung des EuGH sei, weil Art. 32 Abs. 2 der 6. EG-Richtlinie den Mitgliedstaaten die Möglichkeit einräume, auch von Art. 5 Abs. 6 abweichende Regelungen beizubehalten, führt dies ebenfalls nicht zur Zulassung der Revision.

Art. 32 der 6. EG-Richtlinie lautet wie folgt:

"Der Rat erläßt vor dem 31. Dezember 1977 auf Vorschlag der Kommission einstimmig die gemeinschaftliche Regelung für die Besteuerung von Gebrauchtgegenständen, Kunstgegenständen, Antiquitäten und Sammlungsstücken.

Bis zur Anwendung dieser Gemeinschaftsregelung können die Mitgliedstaaten, die auf diesem Gebiet bei Inkrafttreten dieser Richtlinie eine Sonderregelung anwenden, diese beibehalten."

Fraglich ist nach Auffassung des FA die sog. Unbedingtheit des Art. 5 Abs. 6 der 6. EG-Richtlinie wegen des Vorbehalts einer noch zu verabschiedenden EG-Richtlinie (Hinweis auf Schlienkamp, UR 1991, 237).

Klärungsbedarf durch Zulassung der Revision mit dem Ziel, insoweit eine Vorabentscheidung des EuGH einzuholen, sieht der Senat nicht mehr, nachdem der EuGH bereits im Urteil vom 27. Juni 1989 Rs. 50/88 (EuGHE 1989, 1925; UR 1989, 373) dieser Erwägung keinerlei Gewicht beigelegt hat. Auch dieser Entscheidung lag die Frage zugrunde, wie der Eigenverbrauch eines ohne Vorsteuerabzug (privat) erworbenen gebrauchten Gegenstands (so wie er vom FA und dem vorbezeichneten BMF-Schreiben, BStBl I 1992, 220, gesehen wird) zu besteuern ist. Daß im vorbezeichneten EuGH-Urteil die Besteuerung des sog. Verwendungseigenverbrauchs (Art. 6 Abs. 2 der 6. EG-Richtlinie) zu behandeln war, während hier die Besteuerung des Entnahmeeigenverbrauchs (Art. 5 Abs. 6 der 6. EG-Richtlinie) im Streit steht, spielt im Hinblick auf Art. 32 der 6. EG-Richtlinie keine Rolle. Denn diese Richtlinienbestimmung stellt generell auf die "Besteuerung von Gebrauchtgegenständen" ab (vgl. insoweit auch Widmann, Betriebs-Berater - BB - 1992, 468, unter 5.).

Nach der EuGH-Rechtsprechung besteht somit zu der aufgeworfenen Frage der Unbedingtheit des Art. 5 Abs. 6 durch Art. 32 der 6. EG-Richtlinie kein Klärungsbedarf.

Das gilt gleichermaßen, soweit das FA die als grundsätzlich zu klärende Frage dahingehend erweitert, ob Art. 32 Satz 2 der 6. EG-Richtlinie den Regelungsinhalt des Art. 5 Abs. 6 dergestalt einschränke, daß er für die Entnahme von Gebrauchtgegenständen gar nicht zur Anwendung komme, weil wegen Art. 32 Satz 2 nationales Recht vorgehe, weil also den Mitgliedstaaten die Möglichkeit eingeräumt sei, auch von Art. 5 Abs. 6 der 6. EG-Richtlinie abweichende Regelungen einzubehalten. Insoweit verweist das FA auf das BMF-Schreiben im BStBl I 1992, 220 und auf Schlienkamp (a. a. O.).

Diese Frage wäre nur dann in einem Revisionsverfahren (und einem Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH) entscheidungserheblich, wenn die Vorschrift des § 1 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a zum Entnahmeeigenverbrauch (bzw. die des § 1 Abs. 1 Nr. 3 UStG 1980) als sog. "Sonderregelung" zur Besteuerung von Gebrauchtgegenständen i. S. des Art. 32 der 6. EG-Richtlinie angesehen werden könnte.

Für diese Auffassung sieht der Senat keinerlei Anhaltspunkt. § 1 Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 3 UStG 1980 sind allgemeine Besteuerungsvorschriften bezüglich sämtlicher Entnahmen und Verwendungen von Gegenständen zu Zwecken außerhalb des Unternehmens. Die allgemeinen Besteuerungsregeln sind aber hinsichtlich der Vereinbarkeit mit der EG-Richtlinie an deren entsprechenden allgemeinen Regeln zu messen. Sonderregelungen sind in § 1 Abs. 1 Nrn. 1 und 3 zu Gebrauchtgegenständen nicht enthalten. Auch in diesem Zusammenhang verweist der Senat auf das EuGH-Urteil vom 27. Juni 1989 Rs. 50/88 (EuGHE 1989, 1925; UR 1989, 373), in dem Art. 32 der 6. EG-Richtlinie keine Rolle spielte (s. auch Klenk, Umsatzsteuer- und Verkehrsteuer-Recht 1991, 371).