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  BFH-Urteil vom 14.10.1993 (V R 36/89) BStBl. 1994 II S. 427

Die Zwischenvermietung von Altenwohnungen braucht keinen Gestaltungsmißbrauch (§ 42 AO 1977) darzustellen, wenn der Zwischenvermieter - nicht nur unerhebliche - zusätzliche Leistungen an die Mieter der Altenwohnungen erbringt, die, wie z. B. die Pflege der Heimbewohner bei Erkrankungen oder die medizinische Versorgung, über übliche Vermieterleistungen hinausgehen.

UStG 1973 § 4 Nr. 12 Buchst. a, § 15 Abs. 2 Nr. 1.

Vorinstanz: FG Köln

Sachverhalt

I.

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) - eine Grundstücksgemeinschaft aus niederländischen Kapitalgesellschaften, deren Gesellschafter Pensionsfonds sind - errichtete auf ihrem Grundstück in B ein Altenwohnheim mit 288 Wohnappartements und gewerblich genutzten Räumen. Während der Abzug der Vorsteuerbeträge aus Bauleistungen für die gewerblich genutzten Räume vom Finanzgericht (FG) durch die Vorentscheidung gewährt wurde und mit der Revision nicht mehr angegriffen wird, ist noch streitig, ob die Vorsteuerbeträge aus Rechnungen über Leistungen für die Errichtung und Vermietung der Wohnappartements abziehbar sind.

Die Klägerin vermietete das Altenwohnheim durch Vertrag vom 21. Dezember 1976 an eine GmbH, an der ihre Gesellschafter in Höhe von 40 v. H. beteiligt sind. Das Kapital der GmbH betrug nach einer Kapitalerhöhung 60.000 DM. Die GmbH mietete das Altenwohnheim ab 1. Juli 1976 für 30 Jahre. Es war eine Monatsmiete von 253.750 DM für die Wohnappartements und von 3.000 DM für die gewerblich genutzten Räume vereinbart. Die GmbH hatte das Recht zur Untervermietung der Wohnappartements. Die Klägerin war berechtigt, in die ihr abschriftlich mitgeteilten Mietverträge mit den Wohnungsmietern bei Vertragsverletzungen durch die GmbH einzutreten. Mieterdarlehen von Wohnungsmietern (500 DM je qm) mußte die GmbH an die Klägerin weiterleiten, die daraufhin die Miete verringerte. Die Mieter der Wohnappartements schuldeten der GmbH monatlich durchschnittlich 17,51 DM je qm Miete, während die GmbH der Klägerin insoweit eine Miete von 17,50 DM monatlich je qm zahlen sollte. Die sonstigen Leistungen, die die GmbH an die Bewohner der Wohnappartements erbrachte (Verpflegung, ärztliche Betreuung), waren nach Selbstkostenpreisen berechnet worden.

Die Klägerin stundete der GmbH die ab 1. Oktober 1977 fälligen Mieten (bis 30. Juni 1978) und "stornierte" sie später, um einen Konkurs der GmbH abzuwenden. Die GmbH zahlte erst für Juli 1979 Miete für die Wohnräume. Die Zahlungen sind nach belegten Wohnappartements gestaffelt. Die GmbH zog von der Mietsumme Aufwendungen für Investitionen, Produktverbesserung und Instandsetzung ab und erhielt außerdem seitens der Klägerin einen mit den monatlichen Mieten verrechenbaren Betrag von 375.000 DM für Werbung zur besseren Auslastung der Wohnungen.

Die Klägerin, die für die Steuerpflicht der Mietumsätze optiert hatte, machte in der Voranmeldung für August 1976 einen Vorsteuerabzugsanspruch in Höhe von 2.755.349 DM geltend, den der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) nicht anerkannte. Der deswegen beim FG anhängige Rechtsstreit (5 K 201/78) ruht (§ 251 der Zivilprozeßordnung - ZPO -, § 155 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). In der Umsatzsteuerfestsetzung für 1976 vom 14. Dezember 1983 (Aufhebung des Vorbehalts der Nachprüfung) erkannte das FA die geltend gemachten Vorsteuerbeträge aus Rechnungen über Leistungen, u. a. für die Errichtung der Wohnappartements, nicht an und setzte die Umsatzsteuer auf 0 DM mit der Begründung fest, daß die Klägerin steuerfreie Vermietungsumsätze ausführe.

Die dagegen gerichtete Klage hatte Erfolg, soweit die Vorsteuern mit Leistungsbezügen für die gewerblich genutzten Gebäudeteile und mit Betriebsvorrichtungen zusammenhingen. Vorsteuerbeträge für bezogene Leistungen zur Vermietung der Wohnappartements ließ das FG nicht zum Abzug zu, weil es die Option der Klägerin für die Steuerpflicht dieser Umsätze nicht als wirksam ansah.

Das FG führte unter Hinweis auf die die Zwischenvermietung betreffende Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) aus: Die GmbH habe wegen ihres geringen Stammkapitals von 60.000 DM die Zahlung der Miete von monatlich rund 250.000 DM nicht sicherstellen sowie ein Mietausfallrisiko nicht aus eigener Kraft tragen können und habe wirtschaftlich von der Klägerin als Eigentümerin gestützt werden müssen. Nach den vertraglich vereinbarten Mieten sei der GmbH keine Gewinnspanne verblieben. Die später eingetretene Entwicklung habe die Beurteilung bestätigt, daß die GmbH kein wirtschaftliches Risiko eingegangen sei. Nach der vertraglichen Gestaltung habe sie ein solches Risiko von Anfang an nicht übernehmen können und nicht etwa erst infolge einer später eingetretenen und unvorhersehbaren Entwicklung.

Mit der Revision rügt die Klägerin Verletzung formellen und sachlichen Rechts. Zur Begründung führt sie u. a. aus: Das FG habe gegen § 76 FGO verstoßen, weil es keine Ermittlungsaktivitäten entfaltet und nicht aufgeklärt habe, daß sie, die Klägerin, Anlaufverluste der GmbH habe vermeiden wollen.

Das FG habe sachliches Recht verletzt; denn die Wertung treffe nicht zu, daß die vorliegende Gestaltung rechtsmißbräuchlich sei (§ 42 der Abgabenordnung - AO 1977 -). Die Entscheidung über den Beginn der Verzinsung verletze § 236 AO 1977. Die Vorschrift stelle in Umsatzsteuersachen nicht auf die Rechtshängigkeit des Vorauszahlungs- bzw. Jahressteuerverfahrens, sondern materiell auf die Rechtshängigkeit des Gegenstands des Verfahrens ab.

Die Klägerin beantragt, die Umsatzsteuer 1976 unter Aufhebung der Vorentscheidung anderweitig festzusetzen.

Das FA ist der Revision entgegengetreten.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist begründet, soweit sie sich gegen die Entscheidung des FG über den Vorsteuerabzug bei der Steuerfestsetzung für 1976 richtet.

Soweit die Revision begründet ist, führt sie zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO).

Die Feststellungen des FG ermöglichen dem Revisionsgericht keine Beurteilung dessen, ob der Vorsteuerabzug für die Errichtung der Wohnungen in dem Altenwohnheim deswegen ausgeschlossen ist, weil diese Wohnungen durch steuerfreie Vermietungsumsätze verwendet worden sind (§ 15 Abs. 2 Nr. 1 i. V. m. § 4 Nr. 12 Buchst. a des Umsatzsteuergesetzes 1973 - UStG 1973 -). Ob bei der Beurteilung der Verwendung der Bauleistungen die Vermietung des Altenwohnheims an die GmbH unter Verzicht auf die Steuerbefreiung wegen Gestaltungsmißbrauchs (§ 42 AO 1977) nicht zu beachten ist, läßt sich aufgrund der vorhandenen Feststellungen nicht abschließend entscheiden.

Ob der Abzug der Vorsteuerbeträge aus Rechnungen über Leistungen zur Errichtung der an die GmbH vermieteten Wohnappartements ausgeschlossen ist, weil die Klägerin diese Wohnräume für steuerfreie Mietumsätze verwendet hat (§ 15 Abs. 2 Nr. 1 i. V. m. § 4 Nr. 12 Buchst. a UStG 1973), läßt sich aufgrund der vorhandenen Feststellungen nicht beurteilen.

a) Die Klägerin hat die Wohnungen durch Mietvertrag an die GmbH vermietet. Bezeichnung und Inhalt der für die Überlassung der Wohnappartements maßgebenden vertraglichen Vereinbarungen sind, wovon die Beteiligten und auch das FG ausgehen, als Vermietung i. S. von § 4 Nr. 12 a UStG 1973 und § 535 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) zu beurteilen. Die Klägerin hat auf die Steuerbefreiung der Mietumsätze verzichtet (§ 9 Satz 1 UStG 1973). Die Voraussetzungen für den Verzicht lagen vor, weil die Klägerin das Altenwohnheim an die GmbH als Unternehmer für deren Unternehmen (Betrieb, Verwaltung und Führung des Altenwohnheims) vermietet hatte.

b) Ob diese Gestaltung bei der Beurteilung des Abzugs von Umsatzsteuerbeträgen aus Rechnungen über die Herstellung der Wohnappartements im Rahmen der Steuerfestsetzung für 1976 als rechtsmißbräuchlich (§ 42 AO 1977) nicht anerkannt werden darf, hängt nach ständiger Rechtsprechung des Senats davon ab, daß für die Einschaltung der GmbH als Zwischenmieter wirtschaftliche oder sonst beachtliche Gründe fehlen (vgl. ständige Rechtsprechung, z. B. BFH-Urteil vom 22. Juni 1989 V R 34/87, BFHE 158, 152, BStBl II 1989, 1007, m. w. N.).

aa) Das FG hat zutreffend dahin erkannt, daß die GmbH im Rahmen des Altenheimvertrages mit bzw. gegenüber den Bewohnern der Wohnräume Vermietungsleistungen vereinbart und ausgeführt hat. Diese sind umsatzsteuerrechtlich selbständig und gemäß § 4 Nr. 12 Buchst. a UStG 1973 steuerfrei.

Altenheimverträge sind in ihrem Kern Wohnungsmietverträge, wenn die Wohnungsüberlassung im Vordergrund steht (Urteil des Bundesgerichtshofs - BGH - vom 21. Februar 1979 VIII ZR 88/78, Neue Juristische Wochenschrift - NJW - 1979, 1288). Können die Bewohner des Altenwohnheims außerdem Service-Leistungen wie Wohnungsreinigung, Verpflegung und ärztliche Versorgung) in Anspruch nehmen, liegt zivilrechtlich Wohnraummiete mit dienstvertraglichen Nebenleistungen vor (vgl. Münchener Kommentar zum BGB - MünchKomm -, 2. Aufl., vor § 535 Rdnr. 25). Umsatzsteuerrechtlich ist die Wohnraumvermietung auch bei den bezeichneten Nebenleistungen als steuerfreie Leistung (§ 4 Nr. 12 Buchst. a UStG 1973) anzusehen (zutreffend Abschn. 80 Abs. 2 der Umsatzsteuer-Richtlinien - UStR - 1992). Anders verhält es sich, wenn das Schwergewicht der von dem Altenheim ausgeführten Leistungen - wie in einem Sanatorium oder Kurheim - auf den Betreuungsleistungen liegt (vgl. dazu BGH-Urteil vom 29. Oktober 1980 VIII ZR 326/79, NJW 1981, 341), weil dann das Recht des entsprechenden Vertragstyps gilt. Die Abgrenzung dessen, welcher Art der Heimvertrag angehört, ist Aufgabe der Tatsachenfeststellung (vgl. BGH in NJW 1981, 341, zu 3 b), ee). Dem Revisionsgericht obliegt nur die Entscheidung darüber, ob der Tatrichter die rechtliche Einordnung rechtsirrtumsfrei vorgenommen hat.

Das FG hat festgestellt, daß die Überlassung des Wohnappartements für den Heimbewohner wesentlich war und daß das Schwergewicht nicht bei anderen von der GmbH ausgeführten Leistungen lag. Diese Würdigung ist möglich und verstößt nicht gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze.

bb) Ein Gestaltungsmißbrauch (§ 42 AO 1977) durch Einschaltung der GmbH in die Vermietung der Wohnappartements ist nicht schon aufgrund der Überlegung gegeben, daß die Klägerin im Rahmen eines Altenheimvertrages selbst nur steuerfrei Vermietungsleistungen (§ 4 Nr. 12 Buchst. a UStG 1973) an die Bewohner (mit Vorsteuerausschlußwirkung nach § 15 Abs. 2 Nr. 1 UStG 1973) hätte erbringen können, so daß ein Verzicht auf die Steuerbefreiung (§ 9 Satz 1 UStG 1973) nicht wirksam gewesen wäre. Denn es ist in Betracht zu ziehen, daß die Zwischenvermietung der Wohnräume in dem Altenwohnheim an die GmbH deshalb wirtschaftlich begründet war, weil die Altenwohnungen ohne zusätzliche Betreuungs- und Pflegeleistungen nicht zweckgerecht vermietbar waren und weil die Klägerin diese Leistungen nicht ausführen konnte oder wollte. Das FG wird hierzu aufklären müssen, ob die GmbH wesentliche über übliche Vermieterleistungen hinausgehende Leistungen erbracht hat, die aber nicht nur unbedeutend sind und nicht üblicherweise auch von Vermietern, z. B. mit Hilfe von Hausverwaltern erbracht werden. Als zusätzliche Leistungen, die eine Zwischenvermietung von Altenwohnungen wirtschaftlich rechtfertigen könnten, kommen z. B. in Betracht: Pflege des Heimbewohners bei Erkrankungen, medizinische Versorgung, Betreuung durch allgemeine gesellschaftliche oder kulturelle Veranstaltungen.

Ein wirtschaftlich beachtlicher Grund für die Vermietung der Wohnräume in dem Altenwohnheim an die GmbH könnte für die Klägerin ferner gegeben sein, wenn der Betrieb des streitbefangenen Altenwohnheims von einer besonderen Erlaubnis abhängig war, wenn er behördlich beaufsichtigt wurde oder wenn - nicht bloß unerhebliche - Entscheidungen nur unter Mitwirkung eines Heimbeirates getroffen werden konnten.

Kein wirtschaftlich beachtlicher Grund für eine Vermietung der Altenwohnungen an die GmbH als Zwischenvermieter wäre gegeben, wenn die GmbH lediglich Leistungen zusätzlich übernommen hätte, die bei Wohnungsvermietungen nicht ungewöhnlich sind, wie die turnusmäßige Reinigung von Böden, Fenstern und sanitären Einrichtungen oder die Bereitstellung von Telefonanlagen.