| Home | Index | EStG | Neuzugang | Impressum  
       

 

 

 

 

 

  BFH-Beschluß vom 18.3.1994 (III B 222/90) BStBl. 1994 II S. 520

Haben die Beteiligten aufgrund der Entscheidung des BVerfG zu den Grundfreibeträgen (BVerfGE 87, 153, BStBl II 1993, 413) übereinstimmend den Rechtsstreit für erledigt erklärt, sind die Kosten des erledigten Rechtsstreits dem beklagten FA aufzuerlegen, wenn dem Kläger nach der Besteuerung ein geringeres Einkommen als das sozialhilferechtliche Existenzminimum verblieben ist und das FA einem während des Rechtsstreits gestellten Antrag des Klägers auf Ruhen des Verfahrens nicht zugestimmt hat.

FGO §§ 74, 138 Abs. 1, 137 Satz 2, 155; ZPO § 251.

Vorinstanz: Hessisches FG

Sachverhalt

Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) erhob nach erfolglosem Vorverfahren Klage wegen Einkommensteuer 1986. Er hielt den im Einkommensteuertarif berücksichtigten Grundfreibetrag aus verfassungsrechtlichen Gründen für zu niedrig. Mit Schreiben vom 16. Februar 1990 beantragte er, das Verfahren ruhen zu lassen, bis über die damals beim erkennenden Senat anhängige Revision gegen das Urteil des Finanzgerichts (FG) Köln vom 14. Juli 1988 5 K 424/88 (Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 1988, 581) entschieden sei.

Das FG wies die Klage ab und ließ die Revision nicht zu. Hiergegen legte der Kläger Nichtzulassungsbeschwerde ein. Er stützt die Nichtzulassungsbeschwerde auf grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache. Da die Grundfreibeträge unterhalb des sozialhilferechtlichen Existenzminimums lägen, sei deren Verfassungsmäßigkeit im Interesse einer Vielzahl von Steuerpflichtigen klärungsbedürftig.

Nach Bekanntwerden der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 25. September 1992 2 BvL 5, 8, 14/91 (BVerfGE 87, 153, BStBl II 1993, 413) zu den Grundfreibeträgen erklärten sowohl der Kläger als auch der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt - FA -) den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt.

Der Kläger beantragt, die Kosten des Verfahrens dem FA aufzuerlegen.

Das FA beantragt, die Kosten des Verfahrens dem Kläger aufzuerlegen.

Der Kläger erhebt Bedenken gegen die geschäftsplanmäßige Besetzung des Senats. Er macht geltend, der Senatsvorsitzende könne die Richterbank beeinflussen, indem er den Berichterstatter bestimme und damit in Beschlußverfahren zusammen mit diesem Berichterstatter die Mehrheit bilden könne. Darin liege eine Verletzung des Rechts auf den gesetzlichen Richter.

Entscheidungsgründe

1. Der Senat teilt diese Bedenken nicht. Er entscheidet daher im Streitfall in seiner geschäftsplanmäßigen Besetzung. Diese Besetzung verletzt entgegen der Auffassung des Klägers nicht dessen Recht auf den gesetzlichen Richter nach Art. 101 Abs. 1 Satz 2 des Grundgesetzes (GG). Nach § 10 Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) entscheiden die Senate des Bundesfinanzhofs (BFH) regelmäßig in der Besetzung von fünf Richtern, bei Beschlüssen außerhalb der mündlichen Verhandlung - wie in vorliegendem Fall - in der Besetzung von drei Richtern. Welche drei Richter jeweils an den Beschlüssen außerhalb der mündlichen Verhandlung mitwirken, ergibt sich aus dem senatsinternen Mitwirkungsplan. Danach entscheidet der Senat in der Besetzung des Vorsitzenden, des Berichterstatters und des Mitberichterstatters. Der Mitberichterstatter ergibt sich in der Regel aus der Endziffer der Geschäftsnummern des Senats. Der Berichterstatter wird vom Vorsitzenden bestimmt. Nach dieser Regelung ist im Streitfall verfahren worden.

Sie entspricht den Anforderungen an den gesetzlichen Richter. Der VIII. Senat des BFH hat mit Beschluß vom 29. Januar 1992 VIII K 4/91 (BFHE 165, 569, BStBl II 1992, 252) eingehend begründet, daß es verfassungsrechtlich nicht geboten ist, die Berichterstatter für die einzelnen Beschlußsachen vor Beginn des Geschäftsjahres nach abstrakten generellen Regeln schriftlich in dem senatsinternen Mitwirkungsplan festzulegen. Der erkennende Senat schließt sich dieser Rechtsprechung an. Die Auswahl des Berichterstatters durch den Senatsvorsitzenden darf demgemäß nur nicht willkürlich getroffen werden, d. h. sie muß von sachgerechten Erwägungen (z. B. besondere Fachkompetenz des Richters für die zu entscheidenden Fragen, Vorbefassung des Richters mit gleichen oder ähnlichen Problemen, gleichmäßige Arbeitsbelastung der Senatsmitglieder im Interesse möglichst schneller Rechtsschutzgewährung usw.) getragen sein.

Im Streitfall gibt es keinerlei Anhaltspunkte für die Erwägung, die Auswahl des Berichterstatters könnte willkürlich erfolgt sein. Zum Berichterstatter ist nach der zwar nicht schriftlich, aber mündlich festgelegten Aufgabenverteilung im Senat der im Schwerpunkt für Verfahrensfragen einschließlich schwieriger Kostensachen zuständige Richter bestimmt worden. Die Auswahl des Berichterstatters entsprach daher der regelmäßig geübten senatsinternen Aufgabenverteilung.

2. Die Hauptsache ist erledigt.

Da die Beteiligten übereinstimmend die Hauptsache für erledigt erklärt haben, ist es unerheblich, ob sich der Rechtsstreit tatsächlich erledigt hat. Ohne Bedeutung für die Erledigung der Hauptsache ist auch, daß die beiderseitigen Erledigungserklärungen im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren abgegeben worden sind. Der Senat hat ohne weitere Nachprüfung von der Erledigung auszugehen (Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 3. Aufl., § 138 Rdnr. 11 m. w. N.).

3. Folglich ist nur noch über die Kosten des erledigten Rechtsstreits zu entscheiden.

Gemäß § 138 Abs. 1 FGO ist die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens nach billigem Ermessen zu treffen. Im Streitfall entspricht es billigem Ermessen, die Kosten des gesamten Verfahrens dem FA aufzuerlegen.

Dieser Entscheidung steht nicht entgegen, daß nach § 138 Abs. 1 zweiter Halbsatz FGO der bisherige Sach- und Streitstand zu berücksichtigen ist. Nach dem bisherigen Sach- und Streitstand wäre der Kläger allerdings ohne die Erledigung der Hauptsache mit seiner Klage endgültig unterlegen. Das BVerfG hat in seiner Entscheidung in BVerfGE 87, 153, BStBl II 1993, 413 die Grundfreibeträge zwar ab 1978 für verfassungswidrig erklärt, Folgerungen daraus aber erst für die Veranlagungszeiträume ab 1993 für erforderlich gehalten.

Bis 1992 sind die gesetzlichen Regelungen über die Grundfreibeträge unverändert weiter anzuwenden. Da der Kläger mit seiner Klage die Herabsetzung der Steuer für das Streitjahr nur wegen des (aus verfassungsrechtlichen Gründen) zu niedrigen Grundfreibetrags begehrt hat, hätte nach bisherigem Sach- und Streitstand weder die Nichtzulassungsbeschwerde noch im Falle der Zulassung der Revision die Klage Erfolg haben können.

Trotz Unterliegens sind jedoch nach § 137 Satz 2 FGO diejenigen Kosten eines Verfahrens der obsiegenden Partei aufzuerlegen, die durch Verschulden dieser obsiegenden Partei entstanden sind. Diese Rechtslage muß auch im Rahmen der Billigkeitsprüfung nach § 138 Abs. 1 FGO berücksichtigt werden. Im Streitfall trifft das FA ein Verschulden daran, daß es zu dem angegriffenen Urteil des FG und zu der Nichtzulassungsbeschwerde gekommen ist.

Der Kläger hatte mit Schreiben vom 16. Februar 1990 an das FG das Ruhen des Verfahrens bis zur Entscheidung über die damals beim erkennenden Senat anhängige Revision gegen das Urteil des FG Köln in EFG 1988, 581 betreffend die Verfassungsmäßigkeit der Grundfreibeträge beantragt. Zu diesem Zeitpunkt war wegen der Verfassungsmäßigkeit der Grundfreibeträge noch kein Musterverfahren beim BVerfG anhängig. Die Vorlageverfahren zu den Grundfreibeträgen, auf die der Beschluß des BVerfG in BVerfGE 87, 153, BStBl II 1993, 413 ergangen ist, sind erst später anhängig geworden (s. die einzelnen Daten in dem Beschluß des erkennenden Senats vom 7. Februar 1992 III B 24, 25/91, BFHE 166, 418, BStBl II 1992, 408). Ebenso ist das Urteil des erkennenden Senats vom 8. Juni 1990 III R 14-16/90 (BFHE 161, 109, BStBl II 1990, 969) zu den Grundfreibeträgen erst nach dem Antrag auf Ruhen des Verfahrens ergangen, so daß bei der Antragstellung auch noch keine Verfassungsbeschwerde gegen dieses Urteil anhängig sein konnte. Ein Grund für eine Aussetzung des Klageverfahrens durch das FG bestand daher noch nicht (s. u. a. Beschlüsse des erkennenden Senats vom 8. Juni 1990 III R 41/90, BFHE 161, 1, BStBl II 1990, 944, und in BFHE 166, 418, BStBl II 1992, 408). Das beim BFH anhängige Musterverfahren wäre aber für das FG ein Grund gewesen, gemäß § 155 FGO i. V. m. § 251 der Zivilprozeßordnung (ZPO) das Ruhen des Verfahrens anzuordnen, wenn das FA dem Antrag des Klägers auf Ruhen des Verfahrens zugestimmt hätte (Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 74 FGO Rdnr. 5).

Im Streitfall mußte das FA dem Antrag des Klägers auf Ruhen des Verfahrens zustimmen. Zwar steht es auch bei vor dem BFH anhängigen Musterverfahren grundsätzlich im Ermessen der Beteiligten, ob sie einem Antrag der anderen Partei auf Ruhen des Verfahrens zustimmen. Im Streitfall war das Ermessen des FA jedoch auf Null reduziert, so daß eine Verpflichtung zur Zustimmung bestand.

Maßgebend dafür ist, daß die Verfassungsmäßigkeit der Grundfreibeträge schon vor der Klärung durch das BVerfG deshalb als besonders zweifelhaft angesehen wurde, weil in Einzelfällen auch Steuerpflichtige der Besteuerung unterworfen wurden, denen nach der Besteuerung nicht einmal mehr ein Einkommen in Höhe des sozialhilferechtlichen Existenzminimums verblieb (vgl. Beschlüsse des erkennenden Senats vom 25. Juli 1991 III B 555/90, BFHE 164, 570, BStBl II 1991, 876, und vom 29. Oktober 1991 III B 83/91, BFH/NV 1992, 246). Aus diesem Grund hat das BVerfG die geltenden Grundfreibeträge auch für verfassungswidrig erklärt. Ein solcher Fall ist hier gegeben.

Der Kläger hatte im Streitjahr lt. Steuerbescheid ein zu versteuerndes Einkommen in Höhe von 5.357 DM. Das sozialhilferechtliche Existenzminimum betrug für das Streitjahr nach den vom BVerfG in seinem Beschluß in BVerfGE 87, 153, BStBl II 1993, 413 angeführten Tabellen bei niedrigster Berechnung 8.030 DM. Das steuerpflichtige Einkommen des Klägers lag also weit unter diesem Betrag. Trotzdem mußte der Kläger von diesem Einkommen noch Einkommensteuer in Höhe von 178 DM zahlen.

Die Besteuerung des sozialhilferechtlichen Existenzminimums berührt einen besonders empfindlichen Bereich der allgemeinen Handlungsfreiheit nach Art. 2 Abs. 1 GG. Wenn schon durch die Besteuerung wie im Streitfall in diese Handlungsfreiheit eingegriffen worden war, mußte das FA bei Rechtsmitteln gegen dieses Vorgehen wenigstens daran mitwirken, weitere (zusätzliche) Rechtsmittelkosten nach Möglichkeit zu vermeiden. Das hätte dadurch geschehen müssen, daß das FA dem Antrag auf Ruhen des Verfahrens zugestimmt hätte, um dem Kläger nach einer für ihn ungünstigen Klärung der Rechtsfrage die Klagerücknahme zu ermöglichen.

Der Senat läßt sich bei seiner Entscheidung auch davon leiten, daß das BVerfG nur deshalb davon abgesehen hat, den Gesetzgeber zu einer rückwirkenden Neuregelung zu verpflichten, weil andernfalls die gegenwärtigen Haushalte mit Steuererstattungsansprüchen von außerordentlicher Höhe aus früheren Haushaltsperioden in Frage gestellt worden wären. Bei der im Streitfall zu treffenden Kostenentscheidung geht es dagegen nicht um etwaige Ansprüche aus früheren Jahren, sondern um die Frage, wer jetzt die Kosten des gesamten Verfahrens zu tragen hat.