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  BFH-Urteil vom 5.5.1994 (VI R 6/92) BStBl. 1994 II S. 534

1. Ein Stadtgebiet kann nicht als sog. einheitliche großräumige Arbeitsstätte angesehen werden.

2. Bei einer Einsatzwechseltätigkeit ist in Übereinstimmung mit den LStR der Abzug eines Verpflegungsmehraufwandes nicht von einer Mindestentfernung von der Wohnung oder dem Betriebssitz abhängig.

EStG § 9 Abs. 1 Satz 1.

Vorinstanz: Niedersächsisches FG

Sachverhalt

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) war im Streitjahr 1986 als Handwerker in Osnabrück beschäftigt. Der Arbeitgeber bescheinigte ihm, daß er montags bis donnerstags von 6.45 Uhr bis 16.00 Uhr und freitags von 6.45 Uhr bis 13.00 Uhr zu arbeiten hatte und an wechselnden Einsatzstellen innerhalb des Stadtgebietes eingesetzt war. Nach seinen eigenen Angaben suchte der Kläger arbeitstäglich einen in Osnabrück gelegenen Werkstattraum auf, von dem aus er zu den jeweiligen Einsatzstellen fuhr und zu dem er abends zurückkehrte. Die Fahrt zu diesem Werkstattraum einschließlich der Arbeitsvorbereitung sowie die Rückfahrt sollen täglich mehr als 45 Minuten gedauert haben. Von seiner Wohnung war der Kläger an 184 Tagen mehr als zehn Stunden abwesend.

In der Einkommensteuererklärung 1986 machte der Kläger entsprechend den Grundsätzen für Fahrten zu wechselnden Einsatzstellen Verpflegungsmehraufwendungen von täglich 5 DM an 184 Tagen (920 DM) als Werbungskosten geltend. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) erkannte die Verpflegungsmehraufwendungen nicht zum Werbungskostenabzug an, da das gesamte Stadtgebiet von Osnabrück als weiträumige Arbeitsstelle des Klägers anzusehen und dieser damit nicht auf wechselnden Einsatzstellen tätig gewesen sei.

Das Finanzgericht (FG) gab der nach erfolglosem Vorverfahren erhobenen Klage, mit der der Kläger den Abzug von 920 DM als Werbungskosten begehrte, mit folgenden Gründen statt: Die Voraussetzungen nach Abschn. 22 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 der Lohnsteuer-Richtlinien (LStR) 1984 seien erfüllt. Die Werkstatt, die der Kläger täglich vor und nach seinen Arbeitseinsätzen aufgesucht habe, sei nicht seine regelmäßige Arbeitsstätte gewesen, so daß ein Verpflegungskostenabzug nach Grundsätzen von Dienstgängen (Abschn. 25 Abs. 6 Nr. 3 d LStR 1984) ausscheide. Entgegen der Auffassung des FA könne man nicht das ganze Stadtgebiet von Osnabrück als eine Arbeitsstätte des Klägers betrachten. Vielmehr sei der Kläger auf ständig wechselnden Einsatzstellen beschäftigt gewesen. Das Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 19. Februar 1982 VI R 61/79 (BFHE 138, 175, BStBl II 1983, 466), in welchem ein Waldgebiet von rd. 11 qkm Größe als einheitliche Arbeitsstätte angesehen worden sei, stehe nicht entgegen, da das Stadtgebiet von Osnabrück mehr als zehnmal so groß sei. Der BFH habe vielmehr in seinem Beschluß vom 24. Oktober 1986 VI B 114/85 (BFHE 148, 151, BStBl II 1987, 138) die Auffassung vertreten, daß die Pauschbeträge für Verpflegungsmehraufwendungen auch für Dienstreisen innerhalb des Großraums Berlin grundsätzlich ungekürzt zu gewähren seien. Ähnliches habe der BFH für den Großraum München ausgesprochen. Daraus lasse sich ableiten, daß der BFH nicht dazu neige, die Abziehbarkeit von Verpflegungsmehraufwendungen eines in einem größeren Stadtgebiet tätigen Arbeitnehmers wegen unzutreffender Besteuerung einzuschränken. Es bestehe daher keine Veranlassung, das gesamte Stadtgebiet von Osnabrück als einheitliche Arbeitsstelle des Klägers zu bewerten. Andernfalls würde der Kläger auch erheblich gegenüber solchen Arbeitnehmern benachteiligt sein, die von einer festen Arbeitsstätte aus Dienstgänge unternähmen. Es dürfe nicht übersehen werden, daß die Entscheidung, wonach der Kläger in dem täglich von ihm aufgesuchten Werkstattraum keine regelmäßige Arbeitsstätte gehabt habe, nach der vom Kläger im Klageverfahren eingereichten Tätigkeitsbeschreibung durchaus nicht unzweifelhaft sei.

Mit der Revision begehrt das FA die Aufhebung der Vorentscheidung und die Abweisung der Klage. Es führt im wesentlichen zur Begründung aus: Die Vorentscheidung weiche von der Rechtsprechung des BFH zur Beurteilung einer Beschäftigung an ständig wechselnden Einsatzstellen ab. Der BFH habe eine Beschäftigung an ständig wechselnden Einsatzstellen für den Fall abgelehnt, daß ein Arbeitnehmer in verschiedenen Zweigstellen des Unternehmens seines Arbeitgebers innerhalb derselben Großstadt bzw. innerhalb eines in sich geschlossenen, nicht weit auseinandergezogenen und überschaubaren Gebietes tätig werde (BFH-Urteile vom 2. November 1984 VI R 143/83, BFHE 143, 20, BStBl II 1985, 266, und VI R 38/83, BFHE 142, 389, BStBl II 1985, 139). Eine Beschäftigung an ständig wechselnden Einsatzstellen liege nicht vor, wenn den Fahrten des Arbeitnehmers zu den einzelnen Einsatzstellen nicht das bei einer Dienstreise in der Regel gebotene Moment des Unvorhersehbaren anhafte (BFH-Urteil vom 10. Mai 1985 VI R 157/81, BFHE 144, 46, BStBl II 1985, 595). Die den vorbezeichneten Entscheidungen zugrunde liegenden Sachverhalte seien mit dem vorliegend zu beurteilenden Streitfall vergleichbar. Denn der Kläger sei lediglich innerhalb eines noch überschaubaren Stadtgebietes eingesetzt gewesen. Seinen jeweiligen Einsätzen habe daher nicht das Moment des Unvorhersehbaren angehaftet. Soweit das FG die Anwendung des BFH-Urteils in BFHE 142, 389, BStBl II 1985, 139 mit der Begründung abgelehnt habe, die Entscheidung betreffe nur die steuerliche Beurteilung der Fahrtkosten, so sei dabei übersehen worden, daß der Begriff der ständig wechselnden Einsatzstellen für die Frage der Abziehbarkeit von Verpflegungsmehraufwendungen nicht anders bestimmt werden könne als hinsichtlich der Abziehbarkeit von Fahrtkosten. Die Entscheidung in BFHE 148, 151, BStBl II 1987, 138 gebe für den Streitfall nichts her, da sie Verpflegungsaufwendungen anläßlich von Dienstreisen betreffe, die im Streitfall nicht gegeben seien.

Der Kläger tritt der Revision im wesentlichen mit den Gründen der Vorentscheidung entgegen. Der vorliegend zu beurteilende Streitfall sei, so führt er weiter aus, nicht mit den vom BFH entschiedenen Fällen zu vergleichen, in denen es um den Ort der Arbeitsstätte eines auf dem Betriebsgelände eingesetzten Werkschutzmannes bzw. eines auf dem Gelände des Hamburger Hafens tätigen Stauers gegangen sei. Anders als in den vorbezeichneten Fallgestaltungen könne das Großstadtgebiet von Osnabrück nicht als festliegender oder überschaubarer Bereich beurteilt werden.

Entscheidungsgründe

Die Revision des FA ist unbegründet.

Das FG ist zutreffend davon ausgegangen, daß der Kläger auf ständig wechselnden Einsatzstellen tätig war. Da vor dem FG unstreitig geworden ist, daß der Kläger täglich mehr als zehn Stunden von der Wohnung abwesend war, stand ihm der Verpflegungsmehraufwand nach Abschn. 22 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 i. V. m. Abs. 3 Satz 4 Nr. 2 LStR 1984 in Höhe von täglich 5 DM zum Abzug als Werbungskosten zu.

Entgegen der Auffassung des FA ist das gesamte Stadtgebiet, innerhalb dessen der Kläger seine Arbeit an ständig wechselnden Einsatzorten zu verrichten hatte, nicht als dessen einheitliche großräumige gleichbleibende (regelmäßige) Arbeitsstätte anzusehen. Der Senat hat zwar im Urteil in BFHE 138, 175, BStBl II 1983, 466, 467 entschieden, daß ein Waldarbeiter, der in einem ca. 11 qkm großen Forstrevier seines Arbeitgebers an verschiedenen Hieborten arbeitet, nicht auf wechselnden Einsatzstellen tätig ist, sondern daß es sich bei dem abgegrenzten Waldrevier um eine einheitliche großräumige Arbeitsstätte handelt und damit keine Veranlassung zur Anerkennung eines beruflich veranlaßten Verpflegungsmehraufwandes besteht. Dieser Sonderfall, bei dem sich schon von vornherein die Frage stellen kann, ob und wo in einem Waldrevier kostenträchtige Verpflegungsbedingungen einen beruflich bedingten Verpflegungsmehraufwand verursachen können, ist mit den Gegebenheiten des Streitfalles nicht vergleichbar. Ein größeres räumliches Gebiet kann nur dann als einheitliche gleichbleibende Arbeitsstätte mit der Folge des Ausschlusses eines Verpflegungsmehraufwandes beurteilt werden, wenn es sich um ein zusammenhängendes Gelände des Arbeitgebers handelt, wie es z. B. bei einem größeren Werksgelände oder einem Forstrevier (Urteil in BFHE 138, 175, BStBl II 1983, 466) angenommen werden kann. Ein gesamter Stadtbereich, ein Ballungsgebiet oder der Raum um den Betriebsort oder um die Wohnung im Radius des üblichen Einzugsbereichs kann hingegen nicht als sog. großräumige Arbeitsstätte angesehen werden. Damit war der Kläger nicht auf einer einheitlichen gleichbleibenden Arbeitsstätte, sondern auf ständig wechselnden Einsatzstellen im Stadtgebiet tätig (vgl. auch das zum Abzug von Fahrtkosten ergangene Urteil vom 2. Februar 1994 VI R 109/89, BFHE 173, 179, BStBl II 1994, 422).

Für die Anerkennung eines Verpflegungsmehraufwandes nach den Grundsätzen der Einsatzwechseltätigkeit ist nicht etwa weitere Voraussetzung, daß die jeweiligen Einsatzorte außerhalb eines üblichen Einzugsbereichs von der Wohnung des Arbeitnehmers oder dem Betriebssitz des Arbeitgebers gelegen sind. Allerdings hat der XI. Senat des BFH im Urteil vom 18. September 1991 XI R 34/90 (BFHE 165, 411, BStBl II 1992, 90) und ihm folgend der IV. Senat des BFH im Urteil vom 15. April 1993 IV R 5/92 (BFH/NV 1993, 719) entschieden, daß bei selbständig tätigen Steuerpflichtigen (Gewerbetreibenden), die eine der Einsatzwechseltätigkeit von Arbeitnehmern vergleichbare reiseähnliche Tätigkeit an ständig wechselnden Einsatzstellen verrichten, ein Verpflegungsmehraufwand für die Tätigkeit nur auf solchen Einsatzstellen (wechselnden Betriebsstätten) anerkannt werden kann, welche mehr als 25 km von der Wohnung entfernt gelegen sind.

Der erkennende Senat hat aber die Verwaltungsrichtlinien, die den Verpflegungsmehraufwand bei der Einsatzwechseltätigkeit nicht von einer Mindestentfernung von Wohnung oder Betriebssitz des Arbeitgebers abhängig gemacht haben, bisher nicht in Frage gestellt. Die Entscheidungen des Senats in BFHE 142, 389, BStBl II 1985, 139, in BFHE 144, 46, BStBl II 1985, 595, und das Urteil vom 20. November 1987 VI R 6/86 (BFHE 152, 232, BStBl II 1988, 443) sind nicht zur Frage des Verpflegungsmehraufwandes, sondern zur Höhe der anzuerkennenden Kosten für Fahrten zwischen Wohnung und wechselnden Einsatzstellen ergangen. Auch die Urteile vom 5. November 1987 IV R 180/85 (BFHE 151, 413, BStBl II 1988, 334) und vom 19. September 1990 X R 44/89 (BFHE 162, 77, BStBl II 1991, 97), die auf der Linie der Rechtsprechung des erkennenden Senats liegen, äußern sich nur zur Höhe der Fahrtkosten bei Fahrten zu wechselnden Betriebsstätten. Ein weiteres Urteil des Senats vom 8. August 1986 VI R 195/82 (BFHE 147, 247, BStBl II 1986, 824) betrifft den Verpflegungsmehraufwand eines Berufskraftfahrers; auch bei Berufskraftfahrern machen die LStR, gebilligt durch den Senat, die Anerkennung eines Verpflegungsmehraufwandes nicht von irgendwelchen Mindestentfernungen abhängig.

Die vom Senat zur Höhe der Fahrtkosten aufgestellten Grundsätze sind zur Beantwortung der Frage nach dem Anfall eines abzugsfähigen Verpflegungsmehraufwandes bei einer Einsatzwechseltätigkeit nicht geeignet. In diesen oben genannten Entscheidungen ging es um die Frage, wann Fahrten zwischen Wohnung und Einsatzstellen im Rahmen einer Einsatzwechseltätigkeit wegen vergleichbarer Entfernungen, die üblicherweise von einer großen Anzahl von Arbeitnehmern zwischen Wohnung und ihrer gleichbleibenden (regelmäßigen) Arbeitsstätte zurückgelegt werden, der einschränkenden Regelung des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG zu unterwerfen sind.

Bei der Beurteilung von Verpflegungsmehraufwendungen ergibt sich eine andere Fragestellung, nämlich diejenige, ob bei einer auswärtigen Tätigkeit die bei typisierender Betrachtung dort anzunehmenden Verpflegungsbedingungen den Anfall eines beruflich veranlaßten Verpflegungsmehraufwands als wahrscheinlich erscheinen lassen. Gesteht man der Finanzverwaltung zu, durch typisierende Pauschalen die Höhe von beruflich veranlaßten Verpflegungsmehraufwendungen für bestimmte Fallgruppen festzulegen, um dadurch einen möglichst gleichmäßigen Gesetzesvollzug zu gewährleisten (vgl. Urteil des Senats vom 25. Oktober 1985 VI R 15/81, BFHE 145, 181, BStBl II 1986, 200; Beschluß des Bundesverfassungsgerichts - BVerfG - vom 31. Mai 1988 1 BvR 520/83, BVerfGE 78, 214, 228), dann ist ein Abweichen von diesen typisierenden Regeln nur aus sachlich einleuchtenden Gründen geboten, beispielsweise wenn sich die Regelungen als nicht folgerichtig, willkürlich oder gegen den Gleichheitssatz verstoßend erweisen oder wenn ihre Anwendung wegen der besonderen Umstände des zu beurteilenden Einzelfalles zu einem offensichtlich unzutreffenden Ergebnis führen würde.

Die LStR machen den Abzug eines Verpflegungsmehraufwandes bei einer Einsatzwechseltätigkeit von Mindestentfernungen nicht abhängig. Gleiches gilt für die Anerkennung eines Verpflegungsmehraufwandes bei der sog. Fahrtätigkeit. Auch bei Dienstgängen - die gleiche Regelung findet sich bei Geschäftsgängen (z. B. Abschn. 119 Abs. 5 der Einkommensteuer-Richtlinien 1990) - wird ein Verpflegungsmehraufwand unabhängig von der Einhaltung irgendwelcher Mindestentfernungen zwischen Wohnung/Betriebssitz und dem Einsatzort gewährt. Solange der Abzug eines Verpflegungsmehraufwandes insbesondere bei Dienstgängen ohne Mindestentfernungen anerkannt und nicht in Frage gestellt wird, besteht keine Veranlassung, die Berücksichtigung von Verpflegungsmehraufwendungen - entgegen den Verwaltungs-Richtlinien - bei einer Einsatzwechseltätigkeit von Entfernungsgrenzen abhängig zu machen.

Der IV. und XI. Senat des BFH haben auf Anfrage mitgeteilt, daß der erkennende Senat mit dieser Entscheidung nicht von den Urteilen in BFH/NV 1993, 719, bzw. in BFHE 165, 411, BStBl II 1992, 90 abweicht, weil diese den Abzug von Betriebsausgaben bei einem Gewerbetreibenden betreffen.