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  BFH-Urteil vom 15.3.1994 (XI R 87/92) BStBl. 1994 II S. 587

§ 1 Abs. 4 der 10. UStDV ist rechtsgültig.

UStG 1973 § 15 a Abs. 1, 2, 4, 6, 7 Nr. 1; 10. UStDV § 1 Abs. 4; GG Art. 80 Abs. 1 Satz 2.

Vorinstanz: FG Münster

Sachverhalt

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) hatte im Rahmen der Umsatzsteuerveranlagung für 1974 in den Herstellungskosten von vier Ferienwohnungen enthaltene Umsatzsteuer als Vorsteuerbeträge abgezogen, und zwar für

Wohnung Nr. 12

3.770 DM

Wohnung Nr. 26

4.535 DM

Wohnung Nr. 27

3.770 DM

Wohnung Nr. 28

3.770 DM.

Sie vermietete die Wohnungen seit dem 1. Februar 1975, verzichtete auf die Steuerfreiheit der Vermietungsumsätze und optierte zur Regelbesteuerung. Die Wohnungen wurden am 30. Juni 1977 und am 15. Juli 1977 veräußert bzw. zwangsversteigert.

Im Anschluß an eine Umsatzsteuersonderprüfung berichtigte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) den 1974 vorgenommenen Vorsteuerabzug in Höhe von 11.982,57 DM und setzte mit Bescheid vom 24. Januar 1980 die Umsatzsteuer für 1977 auf 5.636 DM fest. Im Einspruchsverfahren widerrief die Klägerin für das Streitjahr 1977 ihren Verzicht auf die Steuerbefreiung der Vermietungsumsätze. Nachdem das FA sie auf die Verböserung hingewiesen hatte, erhöhte es in der Einspruchsentscheidung vom 12. Juni 1986 die Umsatzsteuer für 1977 auf 12.808 DM.

Das Finanzgericht (FG) hat die Umsatzsteuer auf 1.584 DM herabgesetzt. Es führt im wesentlichen aus, die Voraussetzungen für die Berichtigung des Vorsteuerabzugs seien dem Grunde nach erfüllt. Durch den Verzicht der Klägerin auf die Steuerfreiheit der Vermietungsumsätze sei eine für den Vorsteuerabzug maßgebliche Änderung der Verhältnisse ab 1. Januar 1977 eingetreten, die eine Berichtigung bis zum 31. Januar 1985 notwendig gemacht habe. Für das Streitjahr seien 1/10 der auf die Herstellungskosten der Ferienwohnung entfallenden Vorsteuerbeträge von insgesamt 15.845 DM zu korrigieren. § 1 Abs. 4 der Zehnten Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung (10. UStDV) finde keine Anwendung, weil das FA die Änderung der Verhältnisse nicht in der Veräußerung bzw. Entnahme der Ferienwohnungen, sondern in der Rückgängigmachung des Verzichts auf die Steuerfreiheit der Vermietungsumsätze ab 1. Januar 1977 gesehen habe. Selbst wenn man davon ausgehe, daß § 1 Abs. 4 10. UStDV entsprechend seinem auf die Endgültigkeit der dort genannten Verwendungsänderungen abstellenden Zweck auch dann gelten solle, wenn eine Berichtigung nach § 15 a Abs. 1 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) zunächst durch eine zeitlich vorangehende Änderung der Verhältnisse ausgelöst worden sei - wie im Streitfall durch Widerruf der Option zur Steuerpflicht der Verwendung - und die Veräußerung oder Entnahme des Wirtschaftsguts erst später hinzutrete, so könne sich solches nicht auf den Fall einer entgeltlichen Veräußerung auswirken. Für diesen Fall verbleibe es bei der gesetzlichen Regelung des § 15 a Abs. 6 UStG, welche die Ermittlung des Berichtigungsbetrags bestimme und die abschnittsweise, d. h. auf die Kalenderjahre des Berichtigungszeitraums gleichmäßig aufzuteilende Berichtigung nach § 15 a Abs. 1 und 2 UStG unberührt lasse. Soweit die Verordnung hiervon für den Fall der entgeltlichen Veräußerung abweiche, sei sie mangels Ermächtigungsgrundlage unwirksam. Der Senat folge nicht dem Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 28. Juni 1990 V R 110/87 (BFH/NV 1991, 203), wonach § 44 Abs. 4 UStDV 1980 sich auf die Ermächtigungsgrundlage in § 15 a Abs. 7 Nr. 1 UStG 1980 stütze. Denn § 44 Abs. 4 UStDV 1980 ebenso wie § 1 Abs. 4 10. UStDV bestimme weder das Unterbleiben einer Berichtigung aus Vereinfachungs- und Billigkeitsgründen, noch treffe die Verordnung nähere Bestimmungen darüber, wie der Ausgleich nach § 15 a UStG durchzuführen sei; sie ändere die pro rata temporis-Regelung in § 15 a Abs. 1 und 2 UStG ab. Hierzu sei der Verordnungsgeber aber lediglich durch § 15 a Abs. 7 Nr. 3 Buchst. b UStG für den Fall einer unentgeltlichen Veräußerung oder Überlassung eines Wirtschaftsguts ermächtigt. Die Einbeziehung entgeltlicher Veräußerungen durch § 1 Abs. 4 10. UStDV bzw. § 44 Abs. 4 UStDV 1980 gehe über den von der Ermächtigungsnorm des § 15 a Abs. 7 Nr. 3 UStG gezogenen Rahmen hinaus.

Mit der vom FG zugelassenen Revision rügt das FA Verletzung des § 15 a Abs. 4, 6 und 7 Nr. 1 UStG 1973 und § 1 Abs. 4 10. UStDV. Es trägt im wesentlichen vor, das angefochtene Urteil stehe in Widerspruch zum BFH-Urteil in BFH/NV 1991, 203.

Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin ist nicht vertreten.

Entscheidungsgründe

Die Revision des FA ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Klageabweisung (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

Die Vorentscheidung ist aufzuheben, weil das FG zu Unrecht § 1 Abs. 4 10. UStDV nicht angewendet hat.

Nach § 15 a Abs. 1 Sätze 1 und 2 UStG 1973 ist eine Berichtigung des Vorsteuerabzugs vorzunehmen, wenn sich die Verhältnisse, die im Kalenderjahr der erstmaligen Verwendung des Grundstücks (Erstjahr) für den Vorsteuerabzug maßgebend waren, innerhalb von 10 Jahren ändern. Es ist für jedes Kalenderjahr der Änderung ein Ausgleich durch eine Berichtigung des Abzugs der auf die Anschaffungs- oder Herstellungskosten entfallenden Vorsteuerbeträge durchzuführen. Dabei ist für jedes Kalenderjahr von 1/10 der auf das Grundstück entfallenden Vorsteuerbeträge auszugehen (§ 15 a Abs. 2 Satz 1 UStG 1973). Nach § 15 a Abs. 4 UStG 1973 ist eine Änderung der Verhältnisse, die im Erstjahr für den Vorsteuerabzug maßgebend waren, auch dann gegeben, wenn das Grundstück vor Ablauf des maßgeblichen Berichtigungszeitraums veräußert oder zum Eigenverbrauch entnommen wird und dieser Umsatz für den Vorsteuerabzug anders zu beurteilen ist als die Verwendung im Erstjahr. Die Berichtigung ist nach § 15 a Abs. 6 UStG 1973 so vorzunehmen, als wäre das Wirtschaftsgut in der Zeit von der Veräußerung oder Entnahme bis zum Ablauf des maßgeblichen Berichtigungszeitraums unter entsprechend geänderten Verhältnissen weiterhin für das Unternehmen verwendet worden.

Nach § 15 a Abs. 7 Nr. 1 Halbsatz 1 UStG 1973 kann der Bundesminister der Finanzen (BMF) mit Zustimmung des Bundesrates durch Rechtsverordnung nähere Bestimmungen darüber treffen, wie der Ausgleich nach den Absätzen 1 bis 6 durchzuführen ist. Auf dieser Ermächtigungsgrundlage, die gemäß Art. 80 Abs. 1 Satz 3 des Grundgesetzes (GG) in der Verordnung angegeben ist, beruht § 1 Abs. 4 10. UStDV. Nach § 1 Abs. 4 10. UStDV ist im Falle der Veräußerung oder Entnahme des Wirtschaftsguts während des maßgeblichen Berichtigungszeitraums die Berichtigung des Vorsteuerabzugs für das Kalenderjahr der Veräußerung oder Entnahme zum Eigenverbrauch und die folgenden Kalenderjahre des Berichtigungszeitraums bereits bei der Berechnung der Steuer für den Voranmeldungszeitraum durchzuführen, in dem die Veräußerung oder Entnahme zum Eigenverbrauch stattgefunden hat.

Entgegen der Auffassung des FG ist diese Bestimmung, die dem zu § 15 a UStG 1980 ergangenen § 44 Abs. 4 UStDV vom 21. Dezember 1979 (UStDV 1980) entspricht, rechtsgültig. Sie ändert insbesondere nicht das Gesetz ab. § 15 a Abs. 6 UStG 1973 regelt nur die Ermittlung des Berichtigungsvolumens. Weder dieser Vorschrift noch § 15 a Abs. 4 UStG 1973 läßt sich entnehmen, ob der ermittelte Berichtigungsbetrag im Jahr des Eintritts der Veränderung auf einmal oder ab diesem Zeitpunkt verteilt auf die Restdauer des Berichtigungszeitraums - pro rata temporis - anzusetzen ist. Eine pro rata temporis-Regelung ergibt sich aus § 15 a Abs. 1 Satz 1 UStG 1973. Nach dieser Vorschrift richtete sich - mangels anderer gesetzlicher Regelung - vor Inkrafttreten der 10. UStDV am 1. Januar 1975 die Berichtigung des Vorsteuerabzugs im Falle der Veräußerung oder Entnahme zum Eigenverbrauch (vgl. dazu BFH-Urteil vom 10. Mai 1991 V R 69/86, Umsatzsteuer-Rundschau - UR - 1991, 295). Abgesehen davon, daß die pro rata temporis-Regelung in § 15 a Abs. 1 Satz 1 UStG 1973 nicht ausdrücklich niedergelegt ist, sondern sich durch Auslegung des Gesetzes nach Sinnzusammenhang und Zweck ergibt, ist dadurch die Art und Weise der Durchführung der Berichtigung des Vorsteuerabzugs nicht abschließend für alle Fälle der Änderung der Verhältnisse i. S. des § 15 a UStG 1973 geregelt. Die Vorschrift erfaßt die Fälle, in denen das Wirtschaftsgut bis zum Ende des Berichtigungszeitraums zur Ausführung von Umsätzen für das Unternehmen verwendet wird und sich innerhalb dieses Zeitraums die für den Vorsteuerabzug im Erstjahr maßgebenden Verhältnisse - möglicherweise sogar mehrfach - ändern. Daß § 15 a Abs. 6 UStG 1973 bei einer zur Änderung der maßgeblichen Verhältnisse gegenüber dem Erstjahr führenden Veräußerung oder Entnahme eine Weiterverwendung des Wirtschaftsguts für das Unternehmen bis zum Ende des Berichtigungszeitraums fingiert, läßt zwar die Anwendung der pro rata temporis-Regelung des § 15 a Abs. 1 Satz 1 UStG 1973 zu; dadurch ist aber nicht ausgeschlossen, für die Art und Weise der Berichtigung im Falle der Veräußerung oder Entnahme entsprechend der Ermächtigung in § 15 a Abs. 7 Satz 1 Halbsatz 1 UStG 1973 eine besondere Regelung zu treffen. Dies ist durch § 1 Abs. 4 10. UStDV rechtswirksam geschehen.

Inhalt, Zweck und Ausmaß der Ermächtigung in § 15 a Abs. 7 Satz 1 Halbsatz 1 UStG 1973 genügen den Anforderungen des Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG. Eine Ermächtigungsnorm hält auch dann der verfassungsrechtlichen Prüfung am Maßstab der zu Art. 80 Abs. 1 GG entwickelten Rechtsgrundsätze stand, wenn sich die dort geforderte Bestimmtheit durch Auslegung nach den allgemeinen Auslegungsregeln ermitteln läßt. Zur Klärung können daher - wie auch sonst bei der Auslegung einer Vorschrift - der Sinnzusammenhang der Norm mit anderen Bestimmungen und das Ziel, das die gesetzliche Regelung insgesamt verfolgt, berücksichtigt werden (Beschluß des Bundesverfassungsgerichts - BVerfG - vom 1. Juli 1987 1 BvL 21/82, BVerfGE 76, 130, 142, m. w. N.). Inhalt und Zweck der Ermächtigung sind in § 15 a Abs. 7 Nr. 1 Halbsatz 1 UStG 1973 hinreichend bestimmt. Sie bestehen darin, die Art und Weise der Durchführung des Ausgleichs bei der Berichtigung des Vorsteuerabzugs nach § 15 a Abs. 1 bis 6 UStG 1973 zu regeln. Auch das Ausmaß der Ermächtigung ist im Gesetz genügend konkretisiert. Es ergibt sich zwar nicht unmittelbar aus der Ermächtigungsnorm selbst. In welchem Rahmen sich die aufgrund der Ermächtigung erlassenen Verordnungen halten werden, ist aber durch § 15 a Abs. 1, 2 und 6 UStG 1973 klar vorgezeichnet. Da in diesen Vorschriften der Berichtigungszeitraum und die Ermittlung des Berichtigungsvolumens geregelt sind, kann sich die Durchführung des Ausgleichs nur in den Grenzen zwischen der Erfassung des Berichtigungsvolumens auf einmal und dessen Verteilung bis zum Ende des Berichtigungszeitraums bewegen.

Bei Anwendung der vorgenannten Rechtsgrundsätze auf den Streitfall ist die Berichtigung der 1974 abgezogenen Vorsteuerbeträge in einem Betrag im Streitjahr vorzunehmen. Ab 1. Januar 1977 änderten sich die im Erstjahr 1975 für den Vorsteuerabzug maßgeblichen Verhältnisse - steuerpflichtige Vermietung (§ 4 Nr. 12 i. V. m. § 9 UStG 1973) - dadurch, daß die Klägerin ihren Verzicht auf die Steuerbefreiung der Vermietungsumsätze widerrief. Dadurch war ab 1. Januar 1977 der Tatbestand des § 15 a Abs. 1 UStG 1973 mit der Folge des Ausgleichs pro rata temporis erfüllt. Eine erneute Änderung der für den Vorsteuerabzug im Erstjahr maßgebenden Verhältnisse trat im Streitjahr durch die nach § 4 Nr. 9 a UStG 1973 steuerfreie Veräußerung und dieser gleichstehende Zwangsversteigerung der Wohnungen (vgl. zur Zwangsversteigerung BFH-Urteil vom 19. Dezember 1985 V R 139/76, BFHE 146, 484, BStBl II 1986, 500) am 30. Juni bzw. 15. Juli 1977 ein. Dadurch wurde der Tatbestand des § 15 a Abs. 4 UStG 1973 erfüllt. Von diesen Zeitpunkten an richtet sich die Berichtigung der abgezogenen Vorsteuerbeträge nach § 15 a Abs. 6 UStG 1973 i. V. m. § 1 Abs. 4 10. UStDV. Es ist das Berichtigungsvolumen bis zum Ende des Berichtigungszeitraums zu ermitteln; diese Beträge sind zusammen mit den für den Zeitraum 1. Januar 1977 bis 30. Juni bzw. 15. Juli 1977 ermittelten Berichtigungsbeträgen im Streitjahr anzusetzen.

Die Sache ist spruchreif. Das FA hat die Berichtigung des Vorsteuerabzugs entsprechend den vorgenannten Grundsätzen vorgenommen. Gründe, die gegen die Rechtmäßigkeit der Umsatzsteuerfestsetzung im übrigen sprechen könnten, sind weder geltend gemacht noch ersichtlich. Die Klage ist abzuweisen.