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  BFH-Urteil vom 18.5.1994 (I R 84/93) BStBl. 1994 II S. 713

Die Beschränkung des Verlustrücktrags auf das nicht ausgeschüttete Einkommen gem. § 8 Abs. 5 KStG 1984/1991 gilt nicht für den Verlustausgleich oder den Verlustvortrag.

KStG 1984/1991 § 8 Abs. 5.

Vorinstanz: FG Baden-Württemberg

Sachverhalt

I.

Im Jahre 1990 wurde bei der Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), einer GmbH, eine Außenprüfung für die Jahre 1985 bis 1988 durchgeführt. Die Prüfung führte zu Einkommenserhöhungen wegen verdeckter Gewinnausschüttungen.

Aufgrund der Feststellungen der Betriebsprüfung ergaben sich folgende Besteuerungsgrundlagen:

 

1985

1986

1987

1988

 

DM

DM

DM

DM

       

Gewinn/Verlust

./. 31.191

./. 127.304

./. 20.604

18.626

+ KSt

51.526

4.680

34.135

1.023

+ vGA

90.820

8.320

60.686

1.820

 

-------------

---------------

--------------

--------------

Zwischensumme

111.155

./. 114.304

74.217

21.469

       

Verlust aus 1983

./. 17.852

---

---

---

Verlust aus 1986

---

---

./. 74.217

./. 21.469

 

-------------

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--------------

zu versteuerndes

       

Einkommen:

93.303

./. 114.304

0

0

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) erließ am 10. Oktober 1991 entsprechend geänderte Körperschaftsteuerbescheide für 1985 bis 1988 und entsprechend geänderte Bescheide über die Feststellung des verwendbaren Eigenkapitals. Die Klägerin legte gegen die Bescheide Einsprüche ein, über die noch nicht entschieden ist.

Am 3. Juli 1992 erging der Körperschaftsteuerbescheid 1990, gegen den die Klägerin ebenfalls Einspruch einlegte. Die Klägerin machte geltend, daß § 8 Abs. 4 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG) 1984 (§ 8 Abs. 5 KStG 1991) auch bei Verlustausgleich und Verlustvortrag entsprechend anzuwenden sei. Auf dieser Grundlage seien bei der Veranlagung 1990 noch ein Verlustvortrag aus 1986 in Höhe von 108.680 DM und ein Verlustvortrag aus 1989 in Höhe von 6.286 DM zu berücksichtigen.

Zugleich stellte die Klägerin beim FA den Antrag, die Vollziehung des Körperschaftsteuerbescheides 1990 auszusetzen. Das FA lehnte den Antrag mit Verfügung vom 23. Juli 1992 ab.

Nach erfolglosem Beschwerdeverfahren erhob die Klägerin Klage, die vom Finanzgericht abgewiesen wurde.

Die Klägerin stützt ihre Revision auf Verletzung materiellen Rechts.

Die Klägerin beantragt sinngemäß, das Urteil des FG aufzuheben und das FA zu verpflichten, die Vollziehung des Körperschaftsteuerbescheids 1990 auszusetzen.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision der Klägerin ist unbegründet. Sie war zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Die Voraussetzungen einer Aussetzung der Vollziehung liegen nicht vor.

1. Gemäß § 361 Abs. 2 Satz 2 der Abgabenordnung (AO 1977) soll auf Antrag die Vollziehung eines Steuerbescheids ausgesetzt werden, wenn ernstliche Zweifel an dessen Rechtmäßigkeit bestehen oder wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.

2. Im Streitfall bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Körperschaftsteuerbescheids 1990.

a) Gemäß § 8 Abs. 5 KStG 1991 (§ 8 Abs. 4 KStG 1984) ist bei Kapitalgesellschaften und sonstigen Körperschaften i. S. des § 43 KStG der Verlustrücktrag nach § 10 d Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) nur vorzunehmen, soweit im Abzugsjahr das Einkommen den ausgeschütteten Gewinn übersteigt, der sich vor Abzug der Körperschaftsteuer ergibt und für den die Ausschüttungsbelastung nach § 27 KStG herzustellen ist.

b) Die Vorschrift ist auf Fälle des Verlustausgleichs und des Verlustvortrags nicht anwendbar.

Ziel jeder Gesetzesauslegung ist die Ermittlung des objektivierten Willens des Gesetzgebers, wie er sich insbesondere aus dem Gesetzeswortlaut und dem Sinnzusammenhang der Vorschrift ergibt (Urteil des Bundesverfassungsgerichts - BVerfG - vom 21. Mai 1952 2 BvH 2/52, BVerfGE 1, 299, 312). Die Motive und Vorstellungen der gesetzgebenden Körperschaften bzw. deren Mitglieder können insoweit berücksichtigt werden, als sie im Gesetz selbst einen hinreichenden Ausdruck gefunden haben (vgl. z. B. Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 14. Mai 1991 VIII R 31/88, BFHE 164, 516, BStBl II 1992, 167 a. E., m. w. N.; vom 29. Juli 1992 I R 114/91, BFHE 169, 76, 78, BStBl II 1993, 180; BFH-Beschluß vom 6. Oktober 1993 I B 65/93, BFHE 172, 452, BStBl II 1994, 189).

c) Der Wortlaut des § 8 Abs. 4 KStG 1984 (§ 8 Abs. 5 KStG 1991) gibt zu keinen Zweifeln über seinen Anwendungsbereich Anlaß. Die Vorschrift ist nach ihrem Wortlaut ("Der Verlustrücktrag nach § 10 d Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes ....") eindeutig auf den Verlustrücktrag beschränkt. Der im Gesetzeswortlaut objektivierte Wille des Gesetzgebers zielt somit nur auf eine Regelung für den Verlustrücktrag.

Diese gesetzgeberische Absicht wird durch die Gesetzesmaterialien bestätigt. Nach dem Bericht des Finanzausschusses des Bundestages (BTDrucks 7/5310 S. 11) handelt es sich um eine Vorschrift, "die infolge der Einführung des Verlustrücktrags durch das Gesetz zur Änderung des Einkommensteuergesetzes vom 20. April 1976 (BGBl I, 1054) erforderlich geworden ist". Bei den unter das Anrechnungsverfahren fallenden Körperschaften könne "der Verlustrücktrag eine zusätzliche Entlastung von der Körperschaftsteuer nur bewirken, soweit das Einkommen den ausgeschütteten Gewinn übersteigt". Um zu vermeiden, daß abziehbarer Verlust ohne steuerliche Entlastung verbraucht werde, bestimme der neu eingefügte Abs. 4 "für die bezeichneten Fälle" eine Beschränkung des Verlustrücktrags. Wortlaut und Gesetzesmaterialien ergeben damit übereinstimmend, daß der Gesetzgeber nur eine Regelung für Fälle des Verlustrücktrags beabsichtigte. Dem entspricht, daß auch die den § 8 Abs. 5 KStG 1991 (§ 8 Abs. 4 KStG 1984) ergänzende Vorschrift des § 33 Abs. 3 KStG nur Fälle des Verlustrücktrags regelt.

d) Es kann dahinstehen, ob ein Gesetz mit eindeutigem Wortlaut überhaupt der Auslegung zugänglich ist (streitig, vgl. z. B. BVerfG-Beschluß vom 11. Oktober 1978 1 BvR 84/74, BVerfGE 49, 304, 318; BFH-Urteil vom 1. August 1974 IV R 120/70, BFHE 113, 357, BStBl II 1975, 12). Wenn gegen den Wortlaut eine erweiternde Auslegung auf Fälle des Verlustvortrags überhaupt möglich sein sollte, müßte ein vom Wortlaut abweichender gesetzgeberischer Wille klar erkennbar sein.

Das ist nicht der Fall. Das mit der Regelung verfolgte gesetzgeberische Ziel ist nicht eindeutig.

aa) Im steuerrechtlichen Schrifttum wird teilweise die Auffassung vertreten, § 8 Abs. 5 KStG 1991 solle verhindern, daß die steuerentlastenden Wirkungen eines Verlustrücktrags durch Herstellung der Ausschüttungsbelastung kompensiert würden. Ohne Beschränkung des Verlustrücktrags vernichte der Verlustabzug steuerpflichtiges Einkommen und damit auch voll belastetes verwendbares Eigenkapital. Das könne für bereits erfolgte Ausschüttungen die steuererhöhende Herstellung der Ausschüttungsbelastung auslösen (vgl. Streck, Körperschaftsteuergesetz, 3. Aufl., § 8 Anm. 152). Dieser Gesetzeszweck wird im Regelfall jedoch bereits durch § 33 Abs. 3 KStG erreicht. § 33 Abs. 3 schreibt auch die vor dem Verlustrücktrag maßgebliche Verwendung der vollbelasteten Teile des verwendbaren Eigenkapitals fest. Die vor dem Verlustrücktrag ermittelte Ausschüttungsbelastung bleibt selbst dann unverändert, wenn sich das Einkommen des Rücktragsjahres durch den Rücktrag vermindert. Zu einer zusätzlich herzustellenden Ausschüttungsbelastung kann es grundsätzlich nicht kommen (Dötsch/Zenthöfer in Dötsch/Gottstein/ Stegmüller/Zenthöfer, Körperschaftsteuer, 10. Aufl. Rz. 1266). Wegen des inneren Zusammenhangs beider Vorschriften wurden durch das Standortsicherungsgesetz vom 13. September 1993 (BGBl I 1993, 1569, BStBl I 1993, 774) sowohl § 8 Abs. 5 als auch § 33 Abs. 3 KStG ersatzlos aufgehoben.

bb) Andere Autoren sehen das gesetzgeberische Ziel des § 8 Abs. 5 KStG 1991 in der Vermeidung einer zweimaligen Steuerermäßigung im Rücktragsjahr. Die Vorschrift solle verhindern, daß neben der durch die Ausschüttung bewirkten Körperschaftsteuer-Minderung und der Körperschaftsteuer-Anrechnung beim Anteilseigner zusätzlich eine Körperschaftsteuer-Erstattung für die ausgeschütteten Einkommensteile gewährt werde (Orth in Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz mit Nebengesetzen, Kommentar, § 33 KStG Anm. 210; Söffing, Verlustabzug, Steuerberater-Kongreß-Report 1977, 131 ff.; a. A. Dötsch/Eversberg/Jost/Witt, Körperschaftsteuer, § 33 Rz. 55; Jünger in Lademann, Körperschaftsteuergesetz, § 33 Anm. 130).

cc) Schließlich wird die Auffassung vertreten, daß § 8 Abs. 4 KStG 1984 nur die Reihenfolge der Berücksichtigung von Ausschüttungen und Verlustrücktrag regele. Da die Körperschaftsteuer-Entlastung voll besteuerten verwendbaren Eigenkapitals nur einmal erfolgen könne, müsse die Reihenfolge mehrerer entlastender Vorgänge geregelt werden. § 8 Abs. 4 KStG räume Ausschüttungen jeder Art einen Vorrang vor dem Verlustrücktrag ein. Dieser Auffassung hat sich auch der Senat im Urteil vom 9. Dezember 1987 I R 260/83 (BFHE 151, 560, BStBl II 1988, 460, 461) angeschlossen (ebenso: Dötsch/Eversberg/Jost/Witt, a. a. O., § 33 Anm. 56; Kläschen, Körperschaftsteuer, Kommentar, § 8 Rz. 236; Dötsch/Zenthöfer in Dötsch/Gottstein/Stegmüller/Zenthöfer, a. a. O., Rz. 1268).

dd) Bei dieser Meinungsvielfalt über die vom Gesetzgeber angestrebten Ziele ist ein klarer, vom Gesetzeswortlaut abweichender gesetzgeberischer Wille nicht erkennbar.

3. Der Senat folgt nicht den Überlegungen der Klägerin über die gesetzessystematische Rangfolge von verdeckten Gewinnausschüttungen und dem Verlustrück- bzw. -vortrag bei der Ermittlung des zu versteuernden Einkommens.

Die Vorschrift über die Zurechnung von verdeckten Gewinnausschüttungen (§ 8 Abs. 3 Satz 2 KStG) ist eine dem Bereich der Gewinnermittlung zuzuordnende Bestimmung (vgl. BFH-Urteil vom 2. Februar 1994 I R 78/92, BFHE 173, 412, BStBl II 1994, 479; ebenso: Dötsch/Eversberg/Jost/Witt, a. a. O., Vor § 8 Rz. 20; Frotscher/Maas, Körperschaftsteuergesetz, § 8 Rz. 38, 40). Damit gehört § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG zu den Vorschriften über die Ermittlung der durch verdeckte Gewinnausschüttungen zu Unrecht verminderten Einkünfte und ist bei der Ermittlung des zu versteuernden Einkommens zumindest nicht nach den Bestimmungen über den Verlustabzug anzuwenden.

4. Ein Verstoß gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 des Grundgesetzes ist nicht erkennbar. Der Gesetzgeber war berechtigt, den Verlustvortrag zeitlich (bis zum Veranlagungszeitraum 1990) zu begrenzen und damit die steuerliche Wirksamkeit von Verlusten einzuschränken. Ebenso konnte er auch den Verlustrücktrag im Interesse einer Verbesserung der Liquidität im Verlustentstehungsjahr günstiger behandeln als den Verlustvortrag in Gewinnjahren, für die im allgemeinen von einer bereits verbesserten Liquidität des Unternehmens ausgegangen werden kann.

5. Der Streitfall bietet keine Anhaltspunkte, daß die Vollziehung des angefochtenen Steuerbescheids für die Klägerin eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte i. S. des § 361 Abs. 2 Satz 2 AO 1977 zur Folge hätte.