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  BFH-Urteil vom 4.5.1994 (XI R 86/92) BStBl. 1994 II S. 773

Die Tätigkeit im Aufsichtsrat einer kommunalen Eigengesellschaft, die von einem Ratsmitglied ausgeübt wird, kann als ehrenamtliche Tätigkeit unter den weiteren Voraussetzungen des § 4 Nr. 26 Buchst. b UStG 1980 steuerfrei sein.

UStG 1980 § 4 Nr. 26 Buchst. b.

Vorinstanz: FG Düsseldorf

Sachverhalt

I.

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) ist als Steuerberater freiberuflich tätig. Daneben war er in den Streitjahren Mitglied des Rates der Stadt D und wurde in dieser Eigenschaft in den Verwaltungsrat der Stadtsparkasse sowie in den Aufsichtsrat der Versorgungs- und Verkehrsgesellschaft mbH (DVV) entsandt. Einziger Gesellschafter der DVV ist die Stadt D. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) unterwarf die Aufsichtsratsvergütungen (250 DM pro Sitzung; pro Jahr weniger als 3.000 DM netto) der Umsatzsteuer. Der Kläger meinte demgegenüber, daß er nicht selbständig tätig geworden sei, daß die erhaltenen Sitzungsgelder zumindest aber für eine ehrenamtliche Tätigkeit gewährt worden und damit gemäß § 4 Nr. 26 Buchst. b des Umsatzsteuergesetzes (UStG) 1980 steuerfrei seien. Der nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobenen Klage gab das Finanzgericht (FG) statt: Es handele sich um eine ehrenamtliche Tätigkeit, deren Entgelt nur in Auslagenersatz und einer angemessenen Entschädigung für Zeitversäumnis bestehe. Die gesetzliche Differenzierung zeige, daß auch im privatrechtlich organisierten Bereich Tätigkeiten ehrenamtlich ausgeübt werden könnten. Das Merkmal der Ehrenamtlichkeit verlange, daß die Tätigkeit der Ehre wegen ausgeübt werde, d. h. im allgemeinen Interesse liege. Für die Bejahung einer ehrenamtlichen Tätigkeit sei entscheidend, daß die Tätigkeit der DVV und damit auch die der Aufsichtsratsmitglieder im Rahmen der Überwachung der Geschäftsführung als Bestandteil gemeindlicher Daseinsvorsorge auf die Förderung der Belange der Allgemeinheit gerichtet sei.

Mit der Revision rügt das FA unter Bezugnahme auf das rechtskräftige Urteil des FG Düsseldorf vom 4. September 1990 16 K 197/86 U Verletzung des § 4 Nr. 26 Buchst. b UStG 1980. Zwar sei eine ehrenamtliche Tätigkeit nicht schon deshalb abzulehnen, weil die Tätigkeit im Aufsichtsrat einer GmbH ausgeübt worden sei. Allerdings müsse ein Bezug zur Erfüllung öffentlicher Aufgaben vorhanden sein. Sei die Gemeinnützigkeit nicht in der Satzung festgelegt und handele es sich mithin um ein Erwerbsunternehmen, so spreche dies gegen einen unmittelbaren Bezug zum öffentlichen Gemeinwohl und damit gegen eine ehrenamtliche Tätigkeit. Dementsprechend werde auch im Schrifttum die Auffassung vertreten, daß die Tätigkeit im Aufsichts- oder Verwaltungsrat eines Versorgungsbetriebs einer Gemeinde, der in der Rechtsform einer AG oder einer GmbH betrieben werde, nicht ehrenamtlich sei. Die DVV sei nicht als gemeinnützig anerkannt; ihr Zweck sei auf die Durchsetzung wirtschaftlicher Interessen gerichtet.

Das FA beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen, und führt aus: Das FA enge den Begriff der ehrenamtlichen Tätigkeit zu sehr ein. Auch Eigengesellschaften der Energieversorgung erfüllten öffentliche Aufgaben und trügen zum öffentlichen Gemeinwohl bei. Auch wenn Eigengesellschaften wie Eigenbetriebe nicht gemeinnützig i. S. der §§ 51 ff. der Abgabenordnung (AO 1977) seien, dienten sie gleichwohl dem öffentlichen Gemeinwohl. Die politische Verantwortung und Verbindung zum öffentlichen Gemeinwohl komme auch in der Zusammensetzung des Aufsichtsrates zum Ausdruck. Abgesehen von den Bedingungen des Mitbestimmungsgesetzes kämen die übrigen Aufsichtsräte ausnahmslos aus der Gemeindevertretung und der Gemeindeverwaltung. Der Gemeinderat wähle die Aufsichtsräte und entsende sie in die Aufsichtsgremien der Gesellschaften. Bei den Zahlungen an die Aufsichtsräte handele es sich nicht um die sonst üblichen Aufsichtsratsvergütungen, sondern lediglich um Entschädigungen für die Teilnahme an Sitzungen.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist unbegründet (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Das FG hat die Tätigkeit des Klägers zutreffend als steuerfreie ehrenamtliche Tätigkeit beurteilt.

1. Gemäß § 4 Nr. 26 UStG 1980 ist von den unter § 1 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 fallenden Umsätzen die ehrenamtliche Tätigkeit steuerfrei, wenn sie für juristische Personen des öffentlichen Rechts ausgeübt wird oder wenn das Entgelt für diese Tätigkeit nur in Auslagenersatz und einer angemessenen Entschädigung für Zeitversäumnis besteht.

Nach dem Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 27. Juli 1972 V R 33/72 (BFHE 106, 479, BStBl II 1972, 844) gehören zu den ehrenamtlichen Tätigkeiten zunächst alle die Tätigkeiten, die in einem anderen Gesetz ausdrücklich als solche genannt werden. Unter den Wortlaut dieser Vorschrift fielen ferner die Tätigkeiten, die man im allgemeinen Sprachgebrauch herkömmlicherweise als ehrenamtlich bezeichne. Das sei bei Aufsichtsrats- und Vorstandsmitgliedern von Genossenschaften der Fall, soweit diese ihre Tätigkeit unentgeltlich bzw. lediglich gegen Aufwandsentschädigung und nebenberuflich ausübten. Ihre Tätigkeit werde in der Literatur zum Genossenschaftswesen allgemein ausdrücklich als ehrenamtlich angesprochen. Die Verwendung des Begriffes ehrenamtlich lasse sich im Genossenschaftswesen damit erklären, daß die Genossenschaften ihrem Grundgedanken nach gemeinschaftliche Selbsthilfeeinrichtungen mit Selbstverwaltung seien und daß für sie deshalb schon bei ihrer Entstehung Begriffe aus der Selbstverwaltung - in der den Ehrenämtern und den ehrenamtlichen Tätigkeiten herkömmlicherweise besondere Bedeutung zukomme - entlehnt worden seien. Es bestünden auch keine Anhaltspunkte für die Annahme, daß die Steuerfreiheit auf die Tätigkeiten habe beschränkt werden sollen, die für eine den öffentlich-rechtlichen Körperschaften nach Ziel und Funktion vergleichbare juristische Person geleistet würden. Durch Urteil vom 16. Dezember 1987 X R 7/82 (BFHE 152, 182, BStBl II 1988, 384) hat der BFH entschieden, daß ein Schätzer der Oldenburgischen Landesbrandkasse, einer öffentlich-rechtlichen Feuerversicherung genossenschaftlichen Ursprungs, seine Sachverständigentätigkeit ehrenamtlich ausübe. Ergebe sich die Bezeichnung "ehrenamtlich" weder aus dem Gesetz, noch lasse sich ein diesbezüglicher Sprachgebrauch ermitteln, so sei auf den Kern der Rechtsbegriffe "Ehrenamt" und "ehrenamtliche Tätigkeit" zurückzugreifen, wie er sich vor allem unter dem Blickwinkel der Beteiligung von Bürgern an dem öffentlichen Gemeinwesen, insbesondere im Bereich der kommunalen und sozialversicherungsrechtlichen Selbstverwaltung sowie in der Justiz geformt habe. Eine ehrenamtliche Tätigkeit im Bereich des Verwaltungsrechts sei danach die typischerweise nebenberufliche, unentgeltlich ausgeübte und von einem Träger öffentlicher Gewalt übertragene Wahrnehmung eines begrenzten und institutionell geordneten Wirkungskreises im Bereich öffentlicher Gewalt (vgl. auch Abschn. 120 der Umsatzsteuer-Richtlinien - UStR - 1992).

Für den nicht öffentlich-rechtlichen Bereich, der mit den Rechtsformen des Privatrechts gestaltet wird, gilt nach Auffassung des Senats eine entsprechend modifizierte Begriffsbestimmung. Neben dem Fehlen eigennützigen Erwerbsstrebens, das bei Unentgeltlichkeit der Tätigkeit indiziert ist, und der fehlenden Hauptberuflichkeit ist hier besonderes Kennzeichen ehrenamtlicher Tätigkeit der Einsatz für eine fremdnützig bestimmte Einrichtung; diese Konstellation ist z. B. bei Tätigkeiten für Selbsthilfeeinrichtungen anzutreffen, wie etwa im genossenschaftlichen Bereich, oder auch im Verbandsbereich, nicht hingegen bei reinen Erwerbsgesellschaften.

2. Im Streitfall sind die Voraussetzungen des § 4 Nr. 26 Buchst. b UStG 1980 erfüllt. Die Tätigkeit des Klägers war unentgeltlich; er erhielt nach den Feststellungen des FG lediglich Auslagenersatz und eine angemessene Entschädigung für Zeitversäumnis. Die Tätigkeit als Mitglied des Aufsichtsrates der DVV übte der Kläger nicht als Hauptberuf aus. Die Tätigkeit war auch nicht mit seinem Hauptberuf verbunden, wie es bei den aus dem Kreis der Gemeindeverwaltung berufenen Aufsichtsratsmitgliedern der Fall ist ("Annextätigkeit"). Die Aufsichtsratstätigkeit des Klägers war vielmehr Ausfluß seiner (ehrenamtlichen) Ratstätigkeit; er wurde durch den Gemeinderat in den Aufsichtsrat der DVV gewählt. Ohne Ratsmitgliedschaft wäre ihm dieses Amt verschlossen geblieben; seine Tätigkeit ist nicht dem Erwerbsbereich (dem Bereich eigennützigen Erwerbsstrebens) zuzuordnen. Die Tätigkeit der DVV als kommunaler Eigengesellschaft war auf öffentliche Daseinsvorsorge gerichtet. Gegenstand des Unternehmens sind nach § 2 Abs. 1 der Satzung die Versorgung mit Elektrizität, Gas, Wasser und Wärme sowie die Erfüllung von Verkehrsaufgaben jeder Art, insbesondere des öffentlichen Nahverkehrs. Die Rechtsform der GmbH steht dieser Beurteilung nicht entgegen. Entscheidend ist die Art der Tätigkeit. Ob die Tätigkeit in der Rechtsform des Eigenbetriebs oder der Eigengesellschaft ausgeübt wird, ist nach Auffassung des Senats ohne Bedeutung. Entgegen der Auffassung des FA setzt Ehrenamtlichkeit nicht (in die Satzung aufgenommene) Gemeinnützigkeit i. S. der §§ 51 ff. AO 1977 voraus. So hat der BFH in dem Urteil in BFHE 106, 479, BStBl II 1972, 844 die Tätigkeit von Aufsichtsrats- und Vorstandsmitgliedern einer Genossenschaft als ehrenamtlich beurteilt, ohne daß sich die Genossenschaft in ihrer Satzung als gemeinnützig bezeichnet hätte. Ausreichend ist eine fremdnützige Tätigkeit, wie z. B. im Bereich von Selbsthilfeeinrichtungen oder bei öffentlicher Daseinsvorsorge; Gemeinnützigkeit i. S. der §§ 51 ff. AO 1977 ist weder in sachlicher noch in formaler Hinsicht erforderlich.