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  BFH-Urteil vom 14.6.1994 (VII R 104/93) BStBl. 1994 II S. 777

1. Siebdrucke gehören nicht zu den "Kataloggraphiken" des Zolltarifs. Die Umsätze von Siebdrucken sind nicht umsatzsteuerermäßigt.

2. Die Beschränkung der Umsatzsteuerermäßigung für Graphiken auf Erzeugnisse der ZT-Nr. 99.02 ist nicht verfassungswidrig. Insbesondere liegt kein gleichheitswidriger Begünstigungsausschluß vor.

UStG 1980 § 12 Abs. 2 Nr. 1, Anl. Nr. 47; ZT-Nr. 99.02, Vorschrift 2 zu Kapitel 99; GG Art. 3 Abs. 1, Art. 5 Abs. 3 Satz 1.

Vorinstanz: FG Berlin

Sachverhalt

I.

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) betreibt eine Kunstgalerie. Sie verkauft u. a. Siebdrucke, die von Künstlern in Werkstatträumen der Galerie hergestellt und dann signiert werden. Zur Herstellungsweise dieser Drucke hat das Finanzgericht (FG) festgestellt:

....

Die Umsätze der Siebdrucke (1982/1986) wurden von dem Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt) dem vollen Umsatzsteuersatz unterworfen. Die nach erfolglosem Vorverfahren erhobene Klage, mit der die Klägerin die Anwendung des ermäßigten Umsatzsteuersatzes gemäß § 12 Abs. 2 Nr. 1 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) 1980 i. V. m. Nr. 47 der Anlage dazu - hier: Kunstgegenstände der Zolltarif-Nr. (ZT-Nr. ) 99.02 - begehrte, wurde abgewiesen. Das FG führte aus, die Farbsiebdrucke seien keine Originalstiche usw. i. S. der ZT-Nr. 99.02. Sie gehörten auch deshalb nicht zu diesen Gegenständen, weil sie nicht - wie aber erforderlich - von einer Platte unmittelbar abgezogen, sie vielmehr als "Durchdrucke" hergestellt würden. Die umsatzsteuerliche Nichtbegünstigung der Siebdrucke sei nicht verfassungswidrig. Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) sei nicht verletzt; ein sachlich vertretbarer Grund für die unterschiedliche Behandlung der Siebdrucke gegenüber den - deutlich abgrenzbaren - Originalstichen usw. liege darin, daß es im Siebdruck eine sehr große Zahl verschiedenartiger Herstellungsverfahren gebe und daß das Siebdruckverfahren weitgehend mechanisiert werden könne. Auch die durch Art. 5 Abs. 3 GG geschützte Kunstfreiheit sei nicht verletzt. Der Gesetzgeber habe von seinem Gestaltungsspielraum in zulässiger Weise Gebrauch gemacht, indem er Siebdrucke in die Begünstigung nicht einbezogen habe.

Mit ihrer gegen dieses Urteil gerichteten Revision macht die Klägerin geltend, die Warenbeschreibung der ZT-Nr. 99.02 müsse als beispielhafte Aufführung angesehen werden. Soweit das FG - hinsichtlich der Begriffe "Stiche ...." - auf die "Begriffsbildung im Kunsthandel" abhebe, habe es ohne entsprechende Sachaufklärung entschieden. Entgegen der Ansicht des FG sei eine (etwaige) Ausgrenzung der Siebdrucke aus der Steuerprivilegierung verfassungswidrig. Auch bei anderen "Drucktechniken" gebe es unterschiedliche Herstellungsverfahren und weitgehende Mechanisierungsmöglichkeiten. Im übrigen liege in einer Ausgrenzung der Kunstsiebdrucke angesichts artverwandter Drucktechniken auch ein Verstoß gegen Art. 5 Abs. 3 GG ("unzulässiges staatliches Kunstrichtertum").

Entscheidungsgründe

II.

1. Die Revision ist zulassungsfrei statthaft (§ 116 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -) und .... auch im übrigen zulässig.

....

2. Die Revision ist nicht begründet.

Das FG hat zutreffend entschieden, daß die Siebdrucke (Serigraphien) keine Gegenstände sind, deren Umsätze nach § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG 1980 mit Nr. 47 der Anlage umsatzsteuerermäßigt sind, und daß die Nichtberücksichtigung dieser Drucke bei den umsatzsteuerbegünstigten Gegenständen durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken nicht begegnet.

a) Siebdrucke gehören nicht zu den in der vorbezeichneten Vorschrift aufgeführten Gegenständen. Die Auslegung der Anlage zu § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG 1980 richtet sich allein nach den zolltariflichen Vorschriften und Begriffen (Senat, Urteil vom 20. Februar 1990 VII R 172/84, BFHE 160, 342, BStBl II 1990, 760). "Kunstgegenstände" der begünstigten Art sind danach - nur - die in den ZT-Nrn. 99.01 bis 99.03 erfaßten Waren. Von diesen kommt hier, wovon ersichtlich auch die Revision ausgeht, ausschließlich die ZT-Nr. 99.02 in Betracht. Die darin enthaltene Aufzählung - Originalstiche, -schnitte, -radierungen, -steindrucke - ist abschließend. Nach Vorschrift 2 zu Kapitel 99 - einer Rechtsnorm - sind Originalstiche .... i. S. der ZT-Nr. 99.02 Drucke, die von einer oder mehreren vom Künstler vollständig handgearbeiteten Platte(n) in beliebigem, jedoch keinem mechanischen oder fotomechanischen Verfahren unmittelbar abgezogen sind. Zwar ist inzwischen anerkannt, daß Vorschrift 2 zu Kapitel 99 eine mechanische Vervielfältigung von einer vom Künstler vollständig handgearbeiteten Platte nicht verbietet (Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften - EuGH -, Urteil vom 14. Dezember 1988 Rs 291/87, EuGHE 1988, 6462, 6466 f. - Originalsteindrucke -), doch bleibt es dabei, daß bei der Erstellung der Originalplatte keine mechanischen oder fotomechanischen Verfahren angewandt werden dürfen. Bei den Siebdrucken könnte allenfalls das jeweilige - präparierte - Sieb als "Platte" angesehen werden. Für dessen Herstellung werden jedoch zumindest teilweise fotomechanische Verfahren verwendet. In dieser Weise werden, wie sich aus den Feststellungen der Vorinstanz ergibt, die für den Senat bindend sind (§ 118 Abs. 2 FGO), auch die von der Klägerin verkauften Drucke hergestellt. Aufgrund ihrer Herstellungsart sind Siebdrucke von ZT-Nr. 99.02, jetzt Position 9702 der Kombinierten Nomenklatur (KN), ausgeschlossen (EuGH, Urteil vom 27. Oktober 1977 Rs 23/77, EuGHE 1977, 1985, 1990 f.; vgl. auch Urteil vom 13. Dezember 1989 Rs 1/89, EuGHE 1989, 4432, 4436 f.; Senat, Beschluß vom 16. Februar 1993 VII B 147/92, BFH/NV 1993, 762) und der Tarifstelle 49.11 B - andere Drucke -, jetzt Unterposition 4911 9180 KN, zuzuweisen. Das gilt selbst für vom Künstler signierte und numerierte Siebdrucke (s. hierzu auch Tabelle II der Zollaussetzungsverordnung - EWG - Nr. 1945/86 des Rates vom 18. Juni 1986, Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften L 174/1, 71, die derartige Siebdrucke "ex 49.11 B" aufführt). Auf den Kunstwert kommt es insoweit nicht an (vgl. etwa EuGHE 1977, 1985, 1990 - Nr. 3 der Gründe -).

Ohne Belang ist in diesem Zusammenhang, welche Bedeutung den Begriffen "Stiche" usw. im Kunsthandel beigelegt wird. Entscheidend ist vielmehr, daß Siebdrucke nicht den zolltariflichen Anforderungen entsprechen, die für Waren der ZT-Nr. 99.02 gelten. Der von der Klägerin erhobenen Aufklärungsrüge - sollte diese in zulässiger Weise vorgebracht worden sein - braucht mithin nicht nachgegangen zu werden.

b) Rechtsirrtumsfrei erscheint auch die verfassungsrechtliche Beurteilung durch die Vorinstanz. Wäre, wie die Klägerin meint, die mit der in § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG 1980 und Nr. 47 der Anlage enthaltenen Verweisung auf ZT-Nr. 99.02 verbundene "Ausgrenzung" der Siebdrucke von der umsatzsteuerrechtlichen Begünstigung für verfassungswidrig zu erachten, so müßte das Verfahren ausgesetzt und die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) eingeholt werden; würde dieses die Regelung wegen Verstoßes gegen Art. 3 Abs. 1 GG für verfassungswidrig erklären, so hätte der Gesetzgeber eine dem Gleichheitsgebot Rechnung tragende Neuregelung zu schaffen, die auch darin bestehen könnte, daß die betreffenden Erzeugnisse - dann mit Auswirkung auf das Begehren der Klägerin - in die Begünstigung einbezogen werden (z. B. Senat, Urteil vom 9. August 1988 VII R 146/85, BFHE 154, 235, 237, BStBl II 1988, 964). Der Senat vermag jedoch im Streitfall einen Verfassungsverstoß nicht zu erkennen.

Verfassungsrechtlicher Prüfungsmaßstab ist zunächst Art. 3 Abs. 1 i. V. m. Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG. Insoweit kommt es darauf an, ob der dem Gesetzgeber im Rahmen des Gleichheitsgebots verbleibende weite Gestaltungsspielraum durch die Kunstfreiheitsgarantie Einschränkungen erfährt (Bundesverfassungsgericht - BVerfG -, Urteil vom 5. März 1974 1 BvR 712/68, BVerfGE 36, 321, BStBl II 1974, 267, 270 - Schallplatten -), hier in der Weise, daß der (Umsatzsteuer-)Gesetzgeber, der jedenfalls nicht verpflichtet ist, steuerliche Begünstigungen allen Bereichen künstlerischen Schaffens gleichermaßen zugute kommen zu lassen, von Verfassungs wegen gehalten gewesen wäre, auch andere, den Kataloggraphiken (= ZT-Nr. 99.02) "ähnliche" Graphiken in die Steuerbegünstigung einzubeziehen (so Heuer, Steuer und Wirtschaft - StuW - 1985, 229, 239, der den Verweisungsgegenstand, die Gemeinschaftsnorm selbst - ZT-Nr. 99.02, Vorschrift 2 zu Kapitel 99 -, in diesem Sinne "verfassungskonform" verstanden wissen will). Der Senat hält eine Begünstigung sämtlicher (Original-)Graphiken nicht für verfassungsrechtlich geboten. Der Beschränkung auf die Kataloggraphiken liegt keine Lenkungsabsicht des Gesetzgebers zugrunde, sondern, wie sich aus der Entstehungsgeschichte ergibt, das Bestreben, den Kreis der begünstigten Gegenstände eindeutig zu definieren (vgl. hierzu Protokoll der 65. Sitzung/5. Wahlperiode des Finanzausschusses des Deutschen Bundestages, S. 6: Anknüpfung an die Definition im Warenverzeichnis für die Außenhandelsstatistik; s. auch Plückebaum/Malitzky, 10. Aufl., Umsatzsteuergesetz, § 12 Abs. 2 Rz. 449/1). Der Gesetzgeber hat aus diesem Grunde auf die zolltarifliche Abgrenzung zurückgegriffen und sich damit auf die Begünstigung der durch ihre - herkömmliche - Herstellungsweise einwandfrei gekennzeichneten Kataloggraphiken des Zolltarifs beschränkt. Das hieraus allein erkennbare Bemühen um Rechtssicherheit bei der Bestimmung der begünstigten Gegenstände schließt eine auf höhere (nicht ermäßigte) Besteuerung anderer Erzeugnisse gerichtete Lenkungsabsicht aus.

Es kann auch nicht angenommen werden, daß die angegriffene Regelung, die auf eine unterschiedliche Umsatzbesteuerung im graphischen Bereich hinausläuft, eine möglicherweise verfassungsrechtlich bedenkliche wesentliche Beeinträchtigung der Wettbewerbsfähigkeit von Siebdrucken im Verhältnis zu den begünstigten Drucken bewirkt. Siebdrucke unterscheiden sich von jenen Drucken durch die Art ihrer Herstellung (vgl. auch Heuer, StuW 1985, 229, 237), aber auch in ihrer Erscheinungsform. Im Hinblick hierauf liegt es auf der Hand, daß die Entscheidung des Kunstinteressenten für die eine oder die andere Art von Drucken nicht oder jedenfalls weniger durch den Preis, als vielmehr durch die spezifische Eigenart der Graphik bestimmt wird. Im übrigen hat die Klägerin auch nichts vorgetragen, was auf eine durch die Umsatzsteuerregelung bewirkte wesentliche Beeinträchtigung des Handels mit Siebdrucken schließen lassen könnte.

Ein Verstoß gegen das allgemeine Gleichheitsgebot läßt sich ebenfalls nicht bejahen. Die gesetzgeberische Entscheidung, (nur) die zolltariflich festgelegten Graphiken zu begünstigen, kann unter Berücksichtigung des damit verfolgten Zwecks nicht als willkürlich angesehen werden. Denkbar wäre allenfalls ein Verstoß gegen die "selbststatuierte Sachgesetzlichkeit" (hierzu z. B. BVerfG in BVerfGE 36, 321, BStBl II 1974, 267, 271; Senat, Urteil vom 26. März 1991 VII R 100/89, BFHE 164, 148 f., 150, m. w. N.), insoweit nämlich das Gesetz mittelbar, durch Verweisung auf den Zolltarif, hinsichtlich der begünstigten Gegenstände auf (bestimmte) eindeutig feststellbare Herstellungsweisen abhebt. Es kann jedoch dahingestellt bleiben, ob der Umsatzsteuergesetzgeber verpflichtet gewesen wäre, neben den Kataloggraphiken auch andere Originaldrucke zu berücksichtigen, deren Herstellungsart einwandfrei zu definieren ist. Siebdrucke können jedenfalls nicht zu derartigen "anderen" Drucken gerechnet werden. Wie das FG ausgeführt hat, gibt es im Siebdruck eine sehr große Zahl verschiedenartiger Herstellungsverfahren. Die Klägerin ist dem nicht entgegengetreten. Dementsprechend ist davon auszugehen, daß sich die Herstellungsweise von Siebdrucken nicht ebenso eindeutig festlegen läßt wie die Art der Herstellung von Kataloggraphiken (mittels einer vom Künstler vollständig handgearbeiteten Platte). Insoweit fehlt es bei den Siebdrucken an Merkmalen, die die Kataloggraphiken aufweisen, damit an der erforderlichen Gleichartigkeit.