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  BFH-Beschluß vom 7.7.1994 (XI B 3/94) BStBl. 1994 II S. 785

1. Der Einspruch gegen einen Einkommensteuerbescheid hat nicht bereits dann endgültig keinen Erfolg i. S. des § 237 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 (Aussetzungszinsen), wenn der Einspruchsführer sein mit dem Einspruch verfolgtes Begehren zwar einschränkt, den Einspruch aber dennoch "vorsorglich" aufrechterhält.

2. Es ist ernstlich zweifelhaft, ob das FA den sich aus einem Einkommensteuervorauszahlungsbescheid geschuldeten Betrag nach § 237 AO 1977 auch dann verzinsen kann, wenn es nicht die Vollziehung dieses Bescheides, sondern die Vollziehung des Einkommensteuerbescheides für den entsprechenden Zeitraum ausgesetzt hat.

FGO § 69 Abs. 3; AO 1977 § 237 Abs. 1 Satz 1, § 239 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 Nr. 5, § 357 Abs. 3 Satz 2, § 367 Abs. 2 Satz 1.

Vorinstanz: FG München (EFG 1994, 384)

Sachverhalt

I.

Die Beteiligten streiten darüber, ob bzw. in welchem Umfang der Antragsgegner und Beschwerdegegner (das Finanzamt - FA -) dem Antragsteller und Beschwerdeführer (Antragsteller) gegenüber Aussetzungszinsen (§ 237 der Abgabenordnung - AO 1977 -) festsetzen durfte.

Das FA erhöhte durch Bescheid vom 2. Juli 1982 rückwirkend die gegen den Antragsteller festgesetzte Einkommensteuervorauszahlung für das 4. Quartal 1981 um 590.870 DM. Der Antragsteller legte hiergegen Einspruch ein, über den wegen seinerzeit beim Antragsteller laufender Steuerfahndungs- und Betriebsprüfungen nicht entschieden worden ist. Ein Antrag auf Aussetzung der Vollziehung des Bescheides wurde nicht gestellt. Das FA hatte jedoch den zu entrichtenden Vorauszahlungsbetrag antragsgemäß bis zum Ergehen des Einkommensteuerjahresbescheides für 1981 zinslos gestundet. Die Einkommensteuer 1981 wurde durch Bescheid vom 28. Juli 1983 auf 1.116.094 DM festgesetzt. Nach Abzug von Abzugsteuern und Zahlungen ergab sich hiernach eine spätestens am 31. August 1983 fällige Restschuld von 995.069 DM. Der Antragsteller legte auch hiergegen Einspruch ein. Zugleich beantragte er Aussetzung der Vollziehung, der das FA durch Verfügung vom 13. September 1983 unter Vorbehalt des Widerrufs in voller Höhe entsprach, rechnerisch allerdings aufgeteilt in Höhe von 562.165 DM für Einkommensteuervorauszahlung IV/1981 und in Höhe von 432.904 DM für Einkommensteuer 1981. Diese Aussetzungsverfügung wurde durch Bescheid vom 1. Dezember 1987 widerrufen, nachdem sich die Beteiligten nach Abschluß der Betriebsprüfung über die hierbei aufgegriffenen und streitigen Punkte geeinigt hatten. Der ausstehende Abschlußbetrag von 995.069 DM wurde vom Antragsteller daraufhin am 11. Dezember 1987 entrichtet.

Durch Änderungsbescheid vom 6. Juni 1988 setzte das FA die Einkommensteuer 1981 aufgrund der Ergebnisse der Betriebsprüfung auf 971.215 DM herab. Der vom Antragsteller hiergegen eingelegte Einspruch wurde zunächst "rein vorsorglich" aufrechterhalten und am 25. Juli 1990 zurückgenommen.

Das FA erließ im Anschluß daran (am 6. September 1991) zwei Bescheide über die Festsetzung von Aussetzungszinsen. Der erste Bescheid - zuletzt zugunsten des Antragstellers geändert durch Bescheid vom 23. März 1993, der gemäß § 68 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zum Gegenstand des Verfahrens gemacht worden ist - bezog sich auf die Einkommensteuervorauszahlung IV/1981 aus dem Bescheid vom 2. Juli 1982, der zweite auf die Einkommensteuer 1981 aus dem Bescheid vom 28. Juli 1983. Dagegen wandte sich der Antragsteller mit Einsprüchen und Klage, über die das Finanzgericht (FG) noch nicht entschieden hat.

Den zugleich gestellten Antrag des Antragstellers, die Vollziehung der Zinsbescheide auszusetzen, lehnte das FA ab. Auch das FG entsprach dem Antrag nur zu einem geringen Teil der Höhe nach. Im übrigen vertrat es die Auffassung, ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Zinsbescheide lägen nicht vor. Die Festsetzungsfrist sei nicht abgelaufen. Der Zinsanspruch sei erst mit Rücknahme des gegen den Einkommensteuerbescheid 1981 gerichteten Einspruchs am 25. Juli 1990 entstanden. Erst zu diesem Zeitpunkt habe i. S. von § 237 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 endgültig festgestanden, daß der Rechtsbehelf keinen Erfolg gehabt habe. Darauf, daß der Antragsteller seinen Einspruch lediglich "vorsorglich" erhoben und daß er sich in der Sache infolge der mit der Betriebsprüfung getroffenen Verständigung als gebunden angesehen habe, könne es nicht ankommen. Ausschlaggebend sei der Eintritt der formalen Unanfechtbarkeit des Bescheides. - Es sei zum weiteren nicht zu beanstanden, daß das FA zwei Zinsbescheide erlassen habe, einen bezogen auf den Einkommensteuervorauszahlungsbescheid und einen bezogen auf den Einkommensteuerbescheid. Zwar hätte das FA einen einheitlichen Bescheid erlassen sollen. Seine dem widersprechende Vorgehensweise sei aber nicht rechtswidrig, weil die verfahrensmäßige Aufteilung erkennbar auf der betragsmäßigen Aufteilung in der Aussetzungsverfügung vom 13. September 1983 beruhe. Der sich auf die Vorauszahlung IV/1981 beziehende Zinsbescheid sei deshalb nicht ersatzlos aufzuheben, sondern nur materiell-rechtlich richtigzustellen. - Der Leitsatz des FG-Urteils ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1994, 384 wiedergegeben.

Seine Beschwerde, der das FG nicht abgeholfen hat, begründet der Antragsteller damit, daß die gemäß § 237 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 endgültige Erfolglosigkeit des gegen den Einkommensteuerbescheid 1981 gerichteten Einspruchs nicht erst mit dessen Rücknahme im Jahre 1990, sondern bereits im Jahre 1987 infolge der in der Schlußbesprechung getroffenen Verständigung mit dem FA eingetreten sei. Entsprechend dieser Verständigung sei der Rechtsbehelfsantrag ausdrücklich eingeschränkt worden; es wäre ihm, dem Antragsteller, ohne Verstoß gegen Treu und Glauben nicht möglich gewesen, die seinerzeit streitigen Fragen erneut aufzugreifen. Darüber hinaus hätte betreffend die Einkommensteuervorauszahlung kein Zinsbescheid mehr ergehen dürfen. Der Vorauszahlungsbescheid habe sich erledigt, nachdem das FA den Jahressteuerbescheid erlassen habe. In Höhe des auf die Vorauszahlung entfallenden Teilbetrages sei die Vollziehung der Einkommensteuerabschlußzahlung jedoch zu keinem Zeitpunkt ausgesetzt worden. Der sich auf die Vorauszahlung beziehende Zinsbescheid müsse deshalb ersatzlos aufgehoben werden.

Der Antragsteller beantragt, den Beschluß des FG, soweit er den Aussetzungsantrag ablehne, aufzuheben und die Vollziehung der Zinsbescheide in vollem Umfang auszusetzen.

Das FA beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II.

Die Beschwerde ist im Hinblick auf den Zinsbescheid betreffend die Einkommensteuervorauszahlung IV/1981 begründet, im übrigen unbegründet.

1. Nach § 69 Abs. 3 Satz 1 FGO kann das Gericht der Hauptsache die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsaktes ganz oder teilweise aussetzen. Die Aussetzung soll erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes bestehen oder wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte (§ 69 Abs. 3 Satz 1 i. V. m. Abs. 2 Satz 2 FGO). Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes sind zu bejahen, wenn bei der summarischen Prüfung dieses Bescheides anhand des aktenkundigen Sachverhalts neben für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige, gegen die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes sprechende Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung der Tatfragen bewirken (Beschluß des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 10. Februar 1967 III B 9/66, BFHE 87, 447, BStBl III 1967, 182, seitdem ständige Rechtsprechung).

Das FG ist von diesen Rechtsgrundsätzen ausgegangen und hat sie im Hinblick auf den Zinsbescheid betreffend Einkommensteuer 1981 auch zutreffend angewandt; es ist im summarischen Verfahren nicht davon auszugehen, daß der Zinsanspruch insoweit verjährt ist (im folgenden unter 2.). Entgegen seiner Auffassung bestehen jedoch ernstliche Zweifel daran, daß auch der Zinsbescheid betreffend Einkommensteuervorauszahlung IV/1981 rechtmäßig ist (im folgenden unter 3.).

2. Nach § 237 Abs. 1 AO 1977 ist der geschuldete Betrag, hinsichtlich dessen die Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsakts ausgesetzt wurde, zu verzinsen, soweit ein förmlicher außergerichtlicher Rechtsbehelf oder eine Anfechtungsklage gegen einen Steuerbescheid endgültig keinen Erfolg gehabt hat. Die einjährige Frist (§ 239 Abs. 1 Satz 1 AO 1977) für die Festsetzung der Zinsen beginnt hiermit einhergehend mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem der außergerichtliche Rechtsbehelf oder die Anfechtungsklage endgültig erfolglos geblieben ist (§ 239 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 AO 1977). Diese Voraussetzungen sind im Streitfall bei summarischer Prüfung erfüllt.

Das FA hat die Zinsen dem Antragsteller gegenüber am 6. September 1991 und damit innerhalb der Jahresfrist des § 239 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 festgesetzt, wenn der Zinsanspruch im Laufe des Jahres 1990 entstanden ist. Hiervon kann bei summarischer Prüfung des Falles ausgegangen werden. "Endgültig keinen Erfolg gehabt" hat der Rechtsbehelf insbesondere dann, wenn er durch unanfechtbare Entscheidung abgewiesen oder vom Rechtsbehelfsführer zurückgenommen worden ist (BFH-Urteil vom 27. November 1991 X R 103/89, BFHE 166, 311, BStBl II 1992, 319; BFH-Beschluß vom 22. Januar 1988 III B 134/86, BFHE 152, 212, 216, BStBl II 1988, 484). Erst dann ist der Tatbestand verwirklicht, an den das Gesetz den Anspruch auf Aussetzungszinsen knüpft (§ 38 AO 1977; s. BFH-Urteil in BFHE 166, 311, BStBl II 1992, 319, m. w. N.). Im Streitfall hat der Antragsteller seinen gegen den Einkommensteuerbescheid 1981 gerichteten Einspruch am 25. Juli 1990 zurückgenommen. Daß sich die zugrundeliegenden, zunächst streitigen Fragen bereits in der Schlußbesprechung im Jahre 1987 durch eine entsprechende Verständigung des Antragstellers mit dem FA erledigt haben mögen, steht dem nicht entgegen. Entscheidend ist, daß der Antragsteller aus diesem Umstand keine verfahrensrechtlichen Konsequenzen gezogen, sondern den Einspruch "vorsorglich" aufrechterhalten hat. Damit aber stand (noch) nicht fest, daß der Einspruch i. S. von § 237 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 "endgültig keinen Erfolg gehabt hat". Eine derartige endgültige Erfolglosigkeit war nach Lage der Dinge auch nicht teilweise - im Umfang der zwischen dem Antragsteller und der Betriebsprüfung im Rahmen der Schlußbesprechung im Jahre 1987 getroffenen Verständigung - gesichert. Der Einkommensteuerbescheid 1981 konnte infolge des nach wie vor aufrechterhaltenen Einspruchs jederzeit geändert werden. Die Sache war vom FA in vollem Umfang erneut zu überprüfen (vgl. § 367 Abs. 2 Satz 1 AO 1977), und zwar unabhängig davon, ob der Antragsteller als Einspruchsführer einzelne ursprüngliche Streitpunkte zwischenzeitlich als erledigt angesehen hat. An Angaben des Steuerpflichtigen, inwieweit der Verwaltungsakt angefochten wird (vgl. § 357 Abs. 3 Satz 2 AO 1977), ist das FA im Einspruchsverfahren grundsätzlich nicht gebunden (s. Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 14. Aufl., § 357 AO 1977 Tz. 8). Insofern verhält es sich anders als im finanzgerichtlichen Klageverfahren (vgl. § 96 Abs. 1 Satz 2 FGO) und in dem Fall, daß der Rechtsbehelfsführer einer Änderung des Verwaltungsaktes nach § 172 Abs. 1 Nr. 2 i. V. m. § 132 AO 1977 zustimmt, bei der dem Rechtsbehelfsantrag nicht in vollem Umfang stattgegeben wird (vgl. dazu BFH-Urteil in BFHE 166, 311, BStBl II 1992, 319, m. w. N.).

3. Allerdings hat das FA die Aussetzungszinsen durch zwei Bescheide festgesetzt und hierdurch zum einen die sich aus dem Einkommensteuerbescheid für 1981 vom 28. Juli 1983 ergebende Abschlußschuld in Höhe von 432.904 DM, zum anderen den sich nach dem Einkommensteuervorauszahlungsbescheid IV/1981 vom 2. Juli 1982 geschuldeten Betrag von 562.165 DM verzinst. Nur die Vollziehung des Einkommensteuerbescheides ist vom FA aber durch dessen Verfügung vom 13. September 1983 ausgesetzt worden, die Vollziehung des Einkommensteuervorauszahlungsbescheides hingegen nicht. Infolgedessen bestehen ernstliche Zweifel daran, daß im Hinblick auf die sich aus diesem Vorauszahlungsbescheid ergebenden Steuerschulden des Antragstellers ein Zinsbescheid ergehen durfte (vgl. § 239 Abs. 1 Satz 1 AO 1977). Zwar decken sich die Steuerschulden, die nach beiden angefochtenen Zinsbescheiden zu verzinsen sind, in ihrer Summe mit der geschuldeten Gesamtabschlußzahlung aus dem Einkommensteuerbescheid. Die Aufteilung der Zinsfestsetzungen und ihrer Bemessungsgrundlagen entspricht auch der rechnerischen Aufteilung der Schulden in der Aussetzungsverfügung des FA vom 13. September 1983 hinsichtlich des angefochtenen Einkommensteuerbescheides 1981. Auch in dieser Verfügung wurde zwischen der Einkommensteuervorauszahlung IV/1981 und der Einkommensteuer 1981 unterschieden. Dennoch bleibt es dabei, daß lediglich die Vollziehung des (vom Antragsteller angefochtenen) Einkommensteuerbescheides vom 28. Juli 1983 ausgesetzt worden ist.

Angesichts dieser Rechtslage erscheint bei summarischer Prüfung der sich auf die Einkommensteuervorauszahlung IV/1981 beziehende Zinsbescheid des FA als rechtswidrig.

Ob und ggf. in welcher Weise er - wie das FG annimmt - "materiell-rechtlich richtiggestellt" werden könnte, ist jedenfalls im Zuge der hier gebotenen kursorischen Prüfung nicht zu beurteilen.

4. Der Beschluß des FG ist deshalb, soweit er den Zinsbescheid über den Vorauszahlungsbescheid IV/1981 betrifft, aufzuheben. Dem Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ist insoweit zu entsprechen.