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  BFH-Urteil vom 13.9.1994 (IX R 89/90) BStBl. 1995 II S. 39

Der Einspruch eines Feststellungsbeteiligten gegen den Bescheid über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Einkünften aus Vermietung und Verpachtung hemmt den Ablauf der Feststellungsfrist auch dann, wenn das FA den Bescheid bisher nur einem der anderen Feststellungsbeteiligten bekanntgegeben hat.

AO 1977 §§ 181 Abs. 1 Satz 1, 171 Abs. 3 Satz 2, 367 Abs. 2 Satz 3.

Vorinstanz: Schleswig-Holsteinisches FG

Sachverhalt

Die 1982 verstorbene Mutter der Klägerin und Revisionsbeklagten (Klägerin) war zusammen mit B - der zwischenzeitlich ebenfalls verstorben ist und durch die Beigeladenen zu 2 und 3 beerbt worden ist - sowie mit H (Beigeladene zu 1) an einer Grundstücksgemeinschaft beteiligt, die Eigentümerin eines vermieteten Grundstücks in K war. 1978 verkauften die Erblasserin und die Beigeladene zu 1 ihre Anteile an der Grundstücksgemeinschaft an B. Der Erwerber zahlte neben dem Barpreis für das Grundstück rückständige Miete.

Die Erklärung über die gesonderte und einheitliche Feststellung der Einkünfte für das Streitjahr 1978 ging im November 1980 beim Beklagten und Revisionskläger (Finanzamt - FA -) ein. Das FA stellte die Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung ohne die Mietnachzahlung im Feststellungsbescheid vom 2. Januar 1981 fest. Den Feststellungsbescheid gab es der Beigeladenen zu 1, außerdem der zu diesem Zeitpunkt noch lebenden Mutter der Klägerin unter einer unzutreffenden Anschrift sowie der Witwe des B als vermeintlicher Rechtsnachfolgerin bekannt. Nachdem das FA erfahren hatte, daß B bei dem Erwerb der Anteile neben dem Barpreis auch rückständige Miete bezahlt hatte, änderte das FA den Feststellungsbescheid am 20. April 1983 nach § 173 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) und stellte die Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung auf 235.680 DM fest, wobei es von einer nachgezahlten Miete von 156.377 DM ausging; die Einkünfte verteilte es auf die Mutter der Klägerin (Erblasserin) und die Beigeladene zu 1. Diesen (ersten) Änderungsbescheid richtete es wiederum an die Beigeladene zu 1, ferner an die zwischenzeitlich verstorbene Erblasserin sowie an die Witwe des B. Dagegen legten die Beigeladene zu 1 sowie die Klägerin als alleinige Rechtsnachfolgerin ihrer Mutter Einspruch ein. Das FA teilte der Klägerin daraufhin mit, der Änderungsbescheid sei unwirksam, weil er sich noch gegen die verstorbene Erblasserin gerichtet habe. Am 18. November 1985 gab das FA schließlich den angefochtenen (zweiten) Änderungsbescheid (Teilabhilfebescheid) bekannt, den es auf § 172 Abs. 1 Nr. 2 AO 1977 stützte; es setzte die Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung auf 152.212 DM herab.

Die Klage, mit der die Klägerin beantragte, den zweiten Änderungsbescheid vom 18. November 1985 aufzuheben, hatte Erfolg. Das Finanzgericht (FG) ging davon aus, die Feststellungsfrist sei Ende 1984 abgelaufen. Innerhalb der Feststellungsfrist sei gegenüber der Erblasserin bzw. gegenüber der Klägerin kein wirksamer Feststellungsbescheid ergangen. Der zweite Änderungsbescheid sei erst nach Ablauf der Feststellungsfrist ergangen. Der Ablauf der Feststellungsfrist sei nicht gemäß §§ 181 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. 171 Abs. 3 Satz 2 AO 1977 durch Anfechtung des ersten Änderungsbescheids vom April 1983 gehemmt. Zwar hätten sowohl die Beigeladene zu 1 als auch die Klägerin gegen diesen Änderungsbescheid Einspruch erhoben. Die verjährungshemmende Wirkung des Einspruchs der Beigeladenen zu 1 beschränke sich jedoch auf sie als Rechtsbehelfsführerin. Der Einspruch der Klägerin gegen den ersten Änderungsbescheid habe den Ablauf der Feststellungsfrist ebenfalls nicht gehemmt. Das FA habe der Klägerin mit Verfügung vom 6. Juni 1983 mitgeteilt, daß dieser Änderungsbescheid mangels Bekanntgabe unwirksam sei. Damit habe es dem Einspruch gemäß § 367 Abs. 2 Satz 3 AO 1977 abgeholfen. Diese Abhilfe stehe einer unanfechtbaren Entscheidung gemäß § 171 Abs. 3 Satz 1 AO 1977 gleich. Die Abhilfe sei bereits vor Ablauf der Feststellungsfrist Ende 1984 und noch vor Erlaß des zweiten Änderungsbescheids vom November 1985 erfolgt.

Dagegen richtet sich die vom FG zugelassene Revision des FA, mit der es Verletzung des § 171 Abs. 3 AO 1977 rügt. Das FG sei unzutreffend davon ausgegangen, daß die ablaufhemmende Wirkung des Einspruchs eines Feststellungsbeteiligten sich auf diesen Feststellungsbeteiligten beschränke. Da im Streitfall die Beigeladene zu 1 den ersten Änderungsbescheid angefochten habe, sei der Ablauf der Feststellungsfrist für alle Feststellungsbeteiligten gehemmt. Das FA sei deshalb berechtigt gewesen, 1985 den zweiten Änderungsbescheid zu erlassen.

Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Sache an das FG zurückzuverweisen.

Die Klägerin und die Beigeladene zu 1 beantragen, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Die Vorentscheidung verletzt § 171 Abs. 3 Satz 2 i. V. m. § 181 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 sowie § 367 Abs. 2 Satz 3 AO 1977. Das FG ist rechtsfehlerhaft davon ausgegangen, der Einspruch der Klägerin gegen den ersten Änderungsbescheid habe den Ablauf der Feststellungsfrist nicht gehemmt.

1. a) Nach § 181 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 171 Abs. 3 Satz 1 AO 1977 läuft die Feststellungsfrist erst ab, wenn über einen Rechtsbehelf gegen einen Feststellungsbescheid unanfechtbar entschieden worden ist. Die Ablaufhemmung durch Einlegung eines Rechtsbehelfs tritt nach der ständigen höchstrichterlichen Rechtsprechung nur ein, wenn der angefochtene Bescheid wirksam ergangen ist (zuletzt Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 16. Mai 1990 X R 147/87, BFHE 161, 398, BStBl II 1990, 942; vom 14. November 1990 II R 255/85, BFHE 162, 380, BStBl II 1991, 49, und vom 27. April 1993 VIII R 27/92, BFHE 171, 392, BStBl II 1994, 3).

Ein Feststellungsbescheid, der mehrere Feststellungsbeteiligte betrifft, ist auch dann im Sinne dieser Vorschriften wirksam, wenn das FA ihn bisher nur einem der Feststellungsbeteiligten bekanntgegeben hat. Nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung ist ein Feststellungsbescheid, der nur einem Teil der von ihm betroffenen Feststellungsbeteiligten bekanntgegeben wird, nicht unwirksam. Vielmehr wird er bereits mit der Bekanntgabe an nur einen der Feststellungsbeteiligten existent und ihm gegenüber wirksam. Die fehlende, aber notwendige Bekanntgabe an die übrigen Beteiligten führt dazu, daß der Feststellungsbescheid ihnen gegenüber noch keine materiell-rechtliche Bindungswirkung i. S. des § 182 Abs. 1 AO 1977 entfaltet, aber von ihnen grundsätzlich ohne zeitliche Begrenzung angefochten werden kann (vgl. BFH-Urteil vom 26. April 1988 VIII R 292/82, BFHE 153, 497, BStBl II 1988, 855, und zuletzt Urteil in BFHE 171, 392, BStBl II 1994, 3). Der Feststellungsbescheid wahrt, wie der BFH in seinem Urteil in BFHE 171, 392, BStBl II 1994, 3 entschieden hat, außerdem allen Feststellungsbeteiligten gegenüber die Feststellungsfrist, auch wenn das FA ihn nur einem von ihnen bekanntgegeben hat. Das gilt auch für Gesellschafter, die aus der Gesellschaft ausgeschieden sind, und nach Auflösung der Gesellschaft. Wegen dieser Rechtswirkungen des Feststellungsbescheides schon vor Bekanntgabe an alle Feststellungsbeteiligten hat der Rechtsbehelf eines Feststellungsbeteiligten, der den Bescheid bisher nicht erhalten hat - anders als bei Anfechtung eines unwirksamen Steuerbescheides - ablaufhemmende Wirkung. Das FA wäre sonst gehindert, dem Rechtsbehelf nach Ablauf der Feststellungsfrist zugunsten des Rechtsbehelfsführers abzuhelfen. Es müßte den - rechtzeitig ergangenen und angefochtenen - Feststellungsbescheid nach Ablauf der Feststellungsfrist dem rechtsbehelfsführenden Feststellungsbeteiligten unverändert bekanntgeben. Die Ausgangslage ist bei Feststellungsbescheiden anders als bei Steuerbescheiden. Würde man bei Anfechtung eines unwirksamen Steuerbescheides Ablaufhemmung annehmen, so hätte der Rechtsbehelf des Steuerpflichtigen die für ihn nachteilige Folge, daß das FA bis zur Erledigung des Rechtsbehelfsverfahrens einen (wirksamen) Bescheid erlassen könnte, auch wenn zwischenzeitlich die reguläre Feststellungsfrist abgelaufen ist. Diese nachteilige Folge tritt bei Anfechtung eines Feststellungsbescheides vor Bekanntgabe an den Rechtsbehelfsführer für diesen nicht ein, weil schon die Bekanntgabe an einen der anderen Feststellungsbeteiligten die Feststellungsfrist wahrt.

b) Sollten die - nicht entscheidungserheblichen - Ausführungen des VIII. Senats in seinem Urteil in BFHE 171, 392, BStBl II 1994, 3 (Abschn. II. c, bb, letzter Absatz) dahin zu verstehen sein, daß der Ablauf der Feststellungsfrist auch dann nicht gehemmt werde, wenn ein Feststellungsbeteiligter den Feststellungsbescheid vor Bekanntgabe an ihn, aber nach Bekanntgabe an einen anderen Feststellungsbeteiligten, anficht, könnte der Senat dem aus den genannten Gründen nicht folgen.

c) Im Streitfall hat das FA den ersten Änderungsbescheid innerhalb der Feststellungsfrist - die nach den zutreffenden Ausführungen des FG Ende 1984 ablief - jedenfalls der Beigeladenen zu 1 wirksam bekanntgegeben. Der Einspruch der Klägerin gegen den ersten Änderungsbescheid führte deshalb zur Ablaufhemmung. Es kann danach offenbleiben, ob auch der Einspruch der Beigeladenen zu 1 die Feststellungsfrist mit Wirkung für die Klägerin gehemmt hat.

2. Die Ablaufhemmung ist entgegen der Rechtsansicht des FG nicht dadurch beendet worden, daß das FA der Klägerin mitteilte, der gegen ihre verstorbene Mutter erlassene Feststellungsbescheid sei unwirksam. Diese Mitteilung enthält keinen Abhilfebescheid i. S. des § 367 Abs. 2 Satz 3 AO 1977. Zwar bedarf ein Abhilfebescheid keiner bestimmten Form. Jedoch muß die Auslegung des Verwaltungsakts aus der Sicht des Adressaten ergeben, daß das FA dem Einspruchsbegehren ganz oder teilweise abschließend stattgegeben hat. Bei verständiger Würdigung des Schreibens vom 6. Juni 1983 konnte die Klägerin indes nicht davon ausgehen, das FA habe damit ihrem Einspruch abhelfen wollen. Die Klägerin konnte den Feststellungsbescheid - wie dargelegt - anfechten, obwohl er ihr gegenüber noch nicht wirksam bekanntgegeben war. Außerdem hat das FA eine Abschrift eines Schreibens an ein anderes FA beigefügt, aus dem sich ergibt, daß es beabsichtige, einen neuen Feststellungsbescheid gegen die Erben zu erlassen. Das FA wies die Klägerin ferner darauf hin, daß auch die Beigeladene zu 1 Einspruch erhoben habe. Unter diesen Umständen mußte die Klägerin die Mitteilung des FA dahin verstehen, daß sie demnächst eine Ausfertigung des Feststellungsbescheids mit der zutreffenden Adressierung erhalten werde, der dann Gegenstand des Einspruchsverfahrens werden sollte. Offensichtlich hat der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin die Mitteilung des FA auch so verstanden. Er hat nämlich anschließend Aussetzung der Vollziehung des Feststellungsbescheids beantragt; das setzt die Fortdauer des Einspruchsverfahrens voraus.

3. Da der Einspruch der Klägerin gegen den ersten Änderungsbescheid den Ablauf der Feststellungsfrist gehemmt hatte, konnte das FA den umstrittenen (zweiten) Änderungsbescheid, der dem Einspruch der Klägerin teilweise abhalf, nach Ablauf der regulären Feststellungsfrist erlassen.

4. Die Vorentscheidung, die von anderen Rechtsgrundsätzen ausgegangen ist, ist danach aufzuheben und die Sache mangels Spruchreife an das FG zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO). Das FG erhält dadurch Gelegenheit, die erforderlichen Feststellungen zur Höhe der umstrittenen Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung nachzuholen.