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  BFH-Urteil vom 24.8.1994 (XI R 35/94) BStBl. 1995 II S. 64

1. Ist ein Prozeßbevollmächtigter vom FG nicht zur mündlichen Verhandlung geladen worden, so stellt dies einen wesentlichen Verfahrensmangel dar, der die zulassungsfreie Revision eröffnet.

2. Die Einschränkung des gesetzlichen Umfangs einer Prozeßvollmacht ist im Außenverhältnis gegenüber dem FG nur wirksam, wenn sie sich aus einer ausdrücklichen schriftlichen Erklärung des Vollmachtgebers ergibt.

FGO § 62, § 116 Abs. 1 Nr. 3, § 119 Nr. 4; ZPO § 81.

Vorinstanz: FG Köln

Sachverhalt

I.

Aufgrund mündlicher Verhandlung vom 12. Januar 1994 hat das Finanzgericht (FG) die Klage des Klägers und Revisionsklägers (Kläger) gegen die gegen ihn ergangenen Bescheide des Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt - FA -) über Einkommen- und Umsatzsteuer 1990 und 1991 durch Urteil als unzulässig abgewiesen. Zu der mündlichen Verhandlung war für den Kläger niemand erschienen. Er war hierzu aber am 16. Dezember 1993 geladen worden. Ausweislich der Postzustellungsurkunde ist die Ladung am 20. Dezember 1993 beim Postamt niedergelegt und die Benachrichtigung hierüber in der bei gewöhnlichen Briefen üblichen Weise in den Hausbriefkasten des Klägers eingelegt worden. Zuvor hatte das FG bereits Termin zur mündlichen Verhandlung am 8. Dezember 1993 anberaumt. Vor Eröffnung der mündlichen Verhandlung war für den Kläger - unter Vorlage einer Prozeßvollmacht - der Prozeßbevollmächtigte erschienen. Wegen des von diesem überreichten ärztlichen Attests über eine Erkrankung des Klägers war der Termin daraufhin vom Vorsitzenden des FG-Senats aufgehoben worden.

Mit seiner Revision rügt der Kläger unter Beifügung einer eidesstattlichen Versicherung das Vorliegen eines wesentlichen Verfahrensmangels gemäß § 116 der Finanzgerichtsordnung (FGO).

Ihm sei ebenso wie seinem Prozeßbevollmächtigten zu der mündlichen Verhandlung keine Ladung zugegangen; der Termin habe deshalb nicht wahrgenommen werden können.

Ein ausdrücklicher Antrag ist weder von ihm noch vom FA gestellt worden.

Das FA verweist mangels besseren Wissens auf den Akteninhalt des FG.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist nach § 116 Abs. 1 Nr. 3 FGO statthaft. Nach dieser Vorschrift bedurfte die Revision keiner Zulassung, weil als wesentlicher Mangel des Verfahrens gerügt wird, daß der Kläger im Verfahren nicht nach den Vorschriften des Gesetzes vertreten war. Die Rüge dieses Verfahrensfehlers ist ordnungsgemäß erhoben worden. Zwar hat der Kläger seine Revision nicht ausdrücklich auf den Verfahrensmangel der fehlenden ordnungsgemäßen Vertretung i. S. von § 116 Abs. 1 Nr. 3 FGO gestützt. Er hat jedoch innerhalb der Revisionsbegründungsfrist hinreichend substantiierte Umstände vorgetragen, die geeignet sind, einen Verfahrensfehler i. S. von § 116 Abs. 1 Nr. 3 FGO zu begründen. Denn aus dem Vorbringen des Klägers ist eindeutig zu erkennen, daß er eine Verletzung dieser Vorschrift rügen will (Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 25. August 1982 I R 120/82, BFHE 136, 518, BStBl II 1983, 46; vom 10. August 1988 III R 220/84, BFHE 154, 17, BStBl II 1988, 948). Eine ausdrückliche Rüge der fehlenden ordnungsgemäßen Vertretung war angesichts dessen nicht erforderlich.

Die Revision führt auch zum Erfolg.

Aus den Akten des FG ergibt sich, daß zu dem Termin zur mündlichen Verhandlung am 12. Januar 1994 nur der Kläger, nicht aber der Prozeßbevollmächtigte geladen worden ist. Aus den Akten ergibt sich ferner, daß der Kläger dem Prozeßbevollmächtigten eine Vollmacht erteilt hat. Das FG hat den Prozeßbevollmächtigten auch als solchen behandelt; der Vorsitzende hat den zunächst anberaumten Termin zur mündlichen Verhandlung am 8. Dezember 1993 aufgehoben. Allerdings ergibt sich aus einem Vermerk des Vorsitzenden, daß der Prozeßbevollmächtigte erklärt habe, lediglich mit der Übergabe des ärztlichen Attests beauftragt zu sein, nicht dagegen mit der seinerzeitigen Terminswahrnehmung und der weiteren Vertretung. Aus der in den Akten befindlichen Vollmacht ergibt sich eine derartige Einschränkung des gesetzlichen Inhalts der Prozeßvollmacht (vgl. § 81 der Zivilprozeßordnung - ZPO - i. V. m. § 155 FGO) jedoch nicht. Im Außenverhältnis gegenüber dem FG ist es erforderlich, daß sich die Einschränkung einer Vollmacht durch den Vollmachtgeber aus einer ausdrücklichen Erklärung ergibt; diese muß schriftlich erfolgen (vgl. Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 15. Aufl., § 62 FGO Tz. 15; Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, 3. Aufl., § 62 Rdnr. 43; s. auch BFH-Beschluß vom 27. Juli 1983 II B 68/82, BFHE 138, 529, BStBl II 1983, 644).

Obwohl diese Einschränkung fehlte, hat das FG den Prozeßbevollmächtigten nicht zum Termin zur mündlichen Verhandlung geladen. Dies wäre nach den gesetzlichen Vorschriften erforderlich gewesen (vgl. § 62 Abs. 3 Satz 5 FGO; BFH-Urteil vom 14. Dezember 1971 VIII R 13/67, BFHE 104, 491, BStBl II 1972, 424; Gräber/Koch, a. a. O., § 62 Rdnr. 69). Der Kläger war - selbst wenn er von dem Termin entgegen seiner Behauptung Kenntnis erlangt hätte - nicht verpflichtet, zu dem Termin zu erscheinen, weil er durch Bestellung eines Prozeßbevollmächtigten für seine ordnungsgemäße Vertretung gesorgt hatte (BFH-Urteil in BFHE 104, 491, BStBl II 1972, 424).

Ist ein Beteiligter im Verfahren nicht nach den Vorschriften des Gesetzes vertreten, so liegt hierin ein Verfahrensmangel i. S. von § 116 Abs. 1 Nr. 3 FGO. Das angefochtene Urteil muß wegen dieses Verfahrensmangels aufgehoben werden, ohne daß zu prüfen ist, ob es auf der Verletzung von Bundesrecht beruht (§ 119 Nr. 4 FGO). Die Sache geht deshalb zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das FG zurück (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO).