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  BFH-Urteil vom 15.9.1994 (V R 12/93) BStBl. 1995 II S. 88

Leistungsbezüge, die - z. B. wegen Verlusts, Beschädigung oder Projektaufgabe - in keine Ausgangsumsätze gegenständlich eingehen (sog. Fehlmaßnahmen), müssen denjenigen Ausgangsumsätzen zugerechnet werden, zu denen sie nach Kostenzurechnungsgesichtspunkten gehören.

UStG 1980 § 15 Abs. 1 Nr. 1, § 15 Abs. 2; Richtlinie 67/227/EWG Art. 2 Abs. 2; Richtlinie 77/388/EWG Art. 17 Abs. 2, Art. 20 Abs. 1 Buchst. b.

Vorinstanz: FG Köln

Sachverhalt

I.

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) verpachtete seit 1976 umsatzsteuerfrei Parkhäuser und Parkplätze an ein Unternehmen, dessen Gegenstand der Betrieb von Autoparkeinrichtungen war. Im Jahre 1983 begann die Klägerin mit der Planung für den Bau einer Tiefgarage, die ebenfalls verpachtet werden sollte. Sie gab das Bauvorhaben im Jahre 1984 wegen rechtlicher Schwierigkeiten auf.

In der Umsatzsteuererklärung 1984 (Streitjahr) gab die Klägerin neben den steuerfreien Umsätzen aus der Verpachtung Vorsteuerbeträge in Höhe von ... DM aus ihr erteilten Rechnungen über Planungsleistungen für das Bauvorhaben an. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) verneinte die Abziehbarkeit der geltend gemachten Vorsteuerbeträge und setzte die Umsatzsteuer 1984 auf 0 DM fest.

Einspruch und Klage blieben erfolglos. Das Finanzgericht (FG) führte zur Begründung aus, der Vorsteuerabzug sei nach § 15 Abs. 2 Nr. 1 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) 1980 ausgeschlossen. Maßgebend für die endgültige Entscheidung über die Abziehbarkeit von Vorsteuerbeträgen sei nach § 15 Abs. 2 UStG 1980 die nachfolgende tatsächliche Verwendung der bezogenen Leistungen. An einer solchen tatsächlichen Verwendung fehle es im Streitfall. Die Klägerin habe die Planungsleistungen weder zur Ausführung vorsteuerabzugsschädlicher noch zur Ausführung vorsteuerabzugsunschädlicher Leistungen verwendet. Die Vorbezüge könnten - auch nach Kostenzurechnungsgesichtspunkten - keinem nachfolgenden tatsächlichen Umsatz der Klägerin zugeordnet werden. Deshalb sei der Vorsteuerabzug ausgeschlossen.

Selbst wenn man die Vorbezüge der von der Klägerin nach Fertigstellung des Bauvorhabens beabsichtigten Verpachtung (hypothetisch) zuordne, sei der Vorsteuerabzug gemäß § 15 Abs. 2 Nr. 1 UStG 1980 im Hinblick auf die Steuerfreiheit von Verpachtungsumsätzen (§ 4 Nr. 12 Buchst. a UStG 1980) ausgeschlossen. Hierbei sei unerheblich, ob die Klägerin entsprechend ihrem Vortrag im Falle der Verwirklichung des Bauvorhabens und anschließender Verpachtung gemäß § 9 UStG 1980 für die Steuerpflicht der Verpachtungsumsätze optiert hätte. Denn ein Unternehmer könne einen steuerfreien Umsatz nur dann nach § 9 UStG 1980 als steuerpflichtig behandeln, wenn der Umsatz - anders als im Streitfall - tatsächlich ausgeführt werde.

Mit der vom FG zugelassenen Revision rügt die Klägerin Verletzung materiellen Rechts und macht geltend: Sie habe die bezogenen Planungsleistungen nicht i. S. des § 15 Abs. 2 Nr. 1 UStG 1980 zur Ausführung steuerfreier Umsätze verwendet. Zwar habe sie mit diesen Vorleistungen auch keine steuerpflichtigen Umsätze erzielt. Dies könne jedoch nicht dazu führen, den Vorsteuerabzug zu verweigern. Sie habe nachgewiesen, daß sie die nach Beendigung der Baumaßnahme zu erzielenden Umsätze der Umsatzsteuer habe unterwerfen wollen. Eine Option zur Steuerpflicht nach § 9 UStG 1980 müsse bei Fehlmaßnahmen möglich sein. Die Nichtanerkennung der Vorsteuerbeträge laufe dem System der Umsatzsteuer zuwider, wonach der private Endverbraucher bzw. der umsatzsteuerbefreite Unternehmer mit Umsatzsteuer belastet bleiben solle, nicht hingegen der Unternehmer, der die Erzielung umsatzsteuerpflichtiger Umsätze beabsichtige.

Die Klägerin beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Umsatzsteuer 1984 auf ./... DM festzusetzen.

Das FA ist der Revision entgegengetreten.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist unbegründet. Das FG hat im Ergebnis zu Recht entschieden, daß die von der Klägerin geltend gemachten Vorsteuerbeträge nicht abziehbar sind.

1. Nach § 15 Abs. 1 Nr. 1 UStG 1980 kann der Unternehmer die ihm von anderen Unternehmern in Rechnung gestellte Steuer für Lieferungen und sonstige Leistungen, die für sein Unternehmen ausgeführt worden sind, als Vorsteuerbeträge abziehen. Vom Vorsteuerabzug ausgeschlossen ist nach § 15 Abs. 2 Nr. 1, § 15 Abs. 3 Nr. 1 UStG 1980 die Steuer für Lieferungen und sonstige Leistungen, die der Unternehmer zur Ausführung bestimmter steuerfreier Umsätze verwendet. Zu diesen steuerfreien Umsätzen gehört die Verpachtung von Grundstücken (§ 4 Nr. 12 Buchst. a UStG 1980).

2. Das FG ist zutreffend davon ausgegangen, daß die Voraussetzungen des § 15 Abs. 1 Nr. 1 UStG 1980 im Streitfall erfüllt sind. Insbesondere wurden die dem geltend gemachten Vorsteuerabzug zugrundeliegenden Planungsleistungen "für das Unternehmen" der Klägerin ausgeführt. Sie standen in einem objektiven und erkennbaren wirtschaftlichen Zusammenhang mit der gewerblichen oder beruflichen Tätigkeit und sollten diese fördern (ständige Rechtsprechung, vgl. z. B. Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 25. März 1988 V R 101/83, BFHE 153, 171, BStBl II 1988, 649; vom 11. November 1993 V R 52/91, BFHE 173, 239, BStBl II 1994, 335). Daß es später nicht zur Errichtung der Tiefgarage und zu den beabsichtigten Verpachtungsumsätzen der Klägerin kam, ändert an dieser Beurteilung nichts.

3. Ob und ggf. inwieweit für das Unternehmen bezogene Leistungen nach § 15 Abs. 2 UStG 1980 vorsteuerabzugsschädlich verwendet werden, beurteilt sich nach der Zurechnung der betreffenden Vorbezüge zu den Umsätzen des Unternehmers. Dabei ist nach der Rechtsprechung des Senats von einer Verwendung i. S. des § 15 Abs. 2 UStG 1980 auch dann auszugehen, wenn ein Vorbezug, der in keinen vom Unternehmer ausgeführten Umsatz Eingang findet und auch nicht sonstwie die Ausführung eines Umsatzes fördert (sog. Fehlmaßnahme), aufgrund von Kostenzurechnungsgesichtspunkten einem bestimmten Umsatz zugerechnet werden kann (vgl. Senatsurteile vom 21. Juli 1988 V R 87/83, BFHE 155, 177, BStBl II 1989, 60, unter II. A. 6. b) bis e); vom 30. November 1989 V R 85/84, BFHE 159, 272, BStBl II 1990, 345, unter II. 1. d).

a) Diese Auslegung des § 15 Abs. 2 UStG 1980 steht im Einklang mit dem Gemeinschaftsrecht. Nach Art. 20 Abs. 1 Buchst. b der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG - Richtlinie 77/388/EWG - (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften - ABlEG - 1977 Nr. L 145 S. 1) unterbleibt die Berichtigung des Vorsteuerabzugs u. a. bei einer Zerstörung oder bei einem ordnungsgemäß nachgewiesenen oder belegten Verlust oder Diebstahl. Diese Vorschrift setzt voraus, daß in derartigen Fällen der Vorsteuerabzug gegeben ist. Daraus folgt, daß ein Unternehmer ggf. auch dann Gegenstände und Dienstleistungen i. S. des Art. 17 Abs. 2 der Richtlinie 77/388/EWG "für Zwecke seiner besteuerten Umsätze verwendet", wenn diese Vorbezüge weder Eingang in einen Ausgangsumsatz finden noch dessen Ausführung fördern (Fehlmaßnahme).

Daß derartige Fehlmaßnahmen den Ausgangsumsätzen des Unternehmers nach Kostenzurechnungsgesichtspunkten zugerechnet werden dürfen, ergibt sich - wie der Senat bereits dargelegt hat (vgl. Urteil vom 16. September 1993 V R 82/91, BFHE 173, 236, BStBl II 1994, 271, unter II. 2. b) - insbesondere aus Art. 2 Abs. 2 der Ersten Richtlinie des Rates vom 11. April 1967 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuer 67/227/EWG (ABlEG 1967, Nr. L 71, 1301). Danach wird die auf die Ausgangsumsätze entfallende Mehrwertsteuer abzüglich des Mehrwertsteuerbetrags geschuldet, der die verschiedenen Kostenelemente unmittelbar belastet hat.

b) Eine Zurechnung nach Kostenzurechnungsgesichtspunkten kommt zum einen dann in Betracht, wenn an die Stelle des vorgesehenen Umsatzes (z. B. Grundstücksverpachtung) ein anderer Umsatz (z. B. Grundstückslieferung) getreten ist (vgl. BFH-Urteile in BFHE 155, 177, BStBl II 1989, 60, unter II. A. 6. d), cc); in BFHE 159, 272, BStBl II 1990, 345, unter II. 2.). Darüber hinaus können aber - was das FG verkannt hat - Vorbezüge unter Kostenzurechnungsgesichtspunkten auch solchen Umsätzen des Unternehmers wirtschaftlich zuzurechnen sein, die den beabsichtigten Umsatz nicht "ersetzen". Dieses Verständnis liegt dem Senatsurteil vom 16. Dezember 1993 V R 103/88 (BFHE 173, 262, BStBl II 1994, 278) zugrunde. In dieser Entscheidung hat es der Senat für möglich erachtet, eine auf die Errichtung eines Hallenbades bezogene Vorleistung (Fehlmaßnahme) unter Kostenzurechnungsgesichtspunkten den Umsätzen aus dem bereits bestehenden Bäderbetrieb zuzurechnen (vgl. unter II. 2. b).

c) Für den Streitfall folgt daraus, daß die umstrittenen Vorbezüge den übrigen von der Klägerin ausgeführten Umsätzen unter Kostenzurechnungsgesichtspunkten zuzurechnen sind. Denn allein diese Umsätze tragen wirtschaftlich die mit den Vorbezügen - die der Klägerin in Rechnung gestellten Planungsleistungen - verbundenen Kosten.

Da die Klägerin im Streitjahr ausschließlich steuerfreie Verpachtungsumsätze (§ 4 Nr. 12 Buchst. a UStG 1980) ausgeführt hat, rechtfertigt die mithin anzunehmende abzugsschädliche Verwendung (§ 15 Abs. 2 Nr. 1 UStG 1980) die vom FG ausgesprochene Klageabweisung.

4. Da es nach der Rechtsprechung des Senats (Urteile in BFHE 155, 177, BStBl II 1989, 60; BFHE 159, 272, BStBl II 1990, 345; BFHE 173, 262, BStBl II 1994, 278) für die Anwendung des § 15 Abs. 2 Nr. 1 UStG 1980 nicht auf die beabsichtigte Verwendung der bezogenen Leistungen, sondern auf deren tatsächliche erstmalige Verwendung ankommt, stellt sich die - vom FG erörterte und von der Klägerin bejahte - Frage nicht, ob der Unternehmer einen nicht tatsächlich ausgeführten, sondern lediglich geplanten (Verpachtungs-)Umsatz gemäß § 9 UStG 1980 als steuerpflichtig behandeln kann.