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  BFH-Urteil vom 9.11.1994 (II R 37/91) BStBl. 1995 II S. 93

Wird der einem Wertfortschreibungsbescheid vorangegangene Einheitswertbescheid nachträglich geändert und werden hierdurch die für die Wertfortschreibung auf einen späteren Stichtag nach § 22 Abs. 1 BewG erforderlichen Wertgrenzen nicht mehr erreicht, ist der Wertfortschreibungsbescheid nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO 1977 aufzuheben.

AO 1977 § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2; BewG 1965 § 22 Abs. 1.

Vorinstanz: FG Baden-Württemberg

Sachverhalt

I.

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) ist Inhaber eines Schuhfachgeschäfts, für das der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) den Einheitswert des Betriebsvermögens auf den Hauptfeststellungszeitpunkt 1. Januar 1983 entsprechend der Erklärung des Klägers festgestellt hatte. In diesem Einheitswert ist das Betriebsgrundstück des Klägers erfaßt.

Anläßlich einer Betriebsprüfung im Jahre 1986, die sich u. a. auch auf die Einheitsbewertung des Betriebsvermögens zum 1. Januar der Jahre 1982 bis 1985 erstreckte, wies der Prüfer darauf hin, daß wegen Baumaßnahmen auf den 1. Januar 1984 noch ein besonderer Einheitswert für das Betriebsgrundstück im Zustand der Bebauung nach § 91 Abs. 2 des Bewertungsgesetzes (BewG) in der am Stichtag maßgebenden Fassung vom 26. September 1974 (BGBl I 1974, 862 - BewG a. F. -) festzustellen sei. Nach Abschluß der Baumaßnahmen hatte das FA im Jahre 1985 durch eine Art- und Wertfortschreibung auf den 1. Januar 1985 das Grundstück als Geschäftsgrundstück im Betriebsvermögen des Klägers bewertet und den Einheitswert entsprechend erhöht. Diesen Wert übernahm der Betriebsprüfer in seine Berechnung des Einheitswerts des Betriebsvermögens des Klägers auf den 1. Januar 1985. Das FA folgte den Feststellungen und Berechnungen des Prüfers und erließ dementsprechend unter dem 4. August 1986 auf den 1. Januar 1983 einen Einheitswertbescheid (Hauptfeststellung) in Höhe von 464.000 DM und auf den 1. Januar 1985 einen Einheitswertbescheid (Wertfortschreibung) in Höhe von 593.000 DM. Beide Bescheide wurden bestandskräftig.

Im Jahre 1987 stellte das FA - der Anregung des Betriebsprüfers folgend - auf den 1. Januar 1984 für das Grundstück des Klägers als Betriebsgrundstück im Zustande der Bebauung einen besonderen Einheitswert in Höhe von 224.800 DM fest. Anschließend stellte das FA durch Bescheid vom 8. März 1988 im Wege der Wertfortschreibung den Einheitswert des Betriebsvermögens des Klägers auf den 1. Januar 1984 in Höhe von 666.000 DM fest; dabei berücksichtigte es den besonderen Einheitswert für das Grundstück im Zustand der Bebauung. Dieser Bescheid vom 8. März 1988 wurde ebenfalls bestandskräftig.

Das FA hob mit Bescheid vom 24. Januar 1989 den Wertfortschreibungsbescheid vom 4. August 1986 über den Einheitswert des Betriebsvermögens auf den 1. Januar 1985 gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO 1977 ersatzlos auf; die Wertfortschreibungsgrenzen des § 22 Abs. 1 Nr. 2 BewG a. F. seien nicht erreicht, somit gelte weiterhin der im Einheitswertbescheid vom 8. März 1988 festgestellte Einheitswert des Betriebsvermögens auf den 1. Januar 1984 in Höhe von 666.000 DM.

Die nach erfolglosem Einspruch erhobene Klage hatte Erfolg.

Nach Auffassung des Finanzgerichts (FG) sind die Voraussetzungen des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO 1977 im Streitfall nicht erfüllt. Die nachträgliche Feststellung des Einheitswerts des Betriebsvermögens auf den 1. Januar 1984 reiche für sich allein nicht aus, um die Aufhebung des bestandskräftigen Wertfortschreibungsbescheids vom 4. August 1986 über den Einheitswert des Betriebsvermögens auf den 1. Januar 1985 zu begründen.

Mit der Revision rügt das FA die Verletzung des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO 1977 und beantragt, unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Klage als unbegründet abzuweisen.

Zur Begründung macht das FA geltend, daß sich die Rechtswirkung des Bescheids über die Feststellung des Einheitswerts des Betriebsvermögens auf den 1. Januar 1984 nicht nur in der Bestätigung eines Sachverhalts erschöpfe, der schon vor Ergehen des Bescheids vorhanden gewesen sei. Die Rechtswirkung dieser Feststellung i. S. des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO 1977 liege vielmehr darin, daß die Regelung des § 22 Abs. 1 Nr. 2 BewG an den zuletzt festgestellten Einheitswert, d. h. an den den Einheitswert des Betriebsvermögens feststellenden Verwaltungsakt anknüpfe.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist begründet. Sie führt unter Aufhebung der Vorentscheidung zur Abweisung der Klage.

Das FA hat zu Recht den Wertfortschreibungsbescheid vom 4. August 1986 über den Einheitswert des Betriebsvermögens des Klägers auf den 1. Januar 1985 ersatzlos aufgehoben.

Wird der einem Wertfortschreibungsbescheid vorangegangene Einheitswertbescheid nachträglich geändert und werden hierdurch die für die Wertfortschreibung auf einen späteren Stichtag nach § 22 Abs. 1 BewG erforderlichen Wertgrenzen nicht mehr erreicht, ist der Wertfortschreibungsbescheid nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO 1977 aufzuheben.

Entgegen der Auffassung des FG sind die Voraussetzungen dieser Vorschrift im Streitfall erfüllt.

Nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO 1977 ist ein Steuerbescheid zu erlassen, aufzuheben oder zu ändern, soweit ein Ereignis eintritt, das steuerliche Wirkung für die Vergangenheit hat (rückwirkendes Ereignis). Die durch Bescheid vom 8. März 1988 erfolgte Wertfortschreibung des Einheitswerts des Betriebsvermögens auf den 1. Januar 1984 stellt in bezug auf den durch den Wertfortschreibungsbescheid vom 4. August 1986 festgestellten Einheitswert des Betriebsvermögens auf den 1. Januar 1985 ein solches rückwirkendes Ereignis dar. Ausgangspunkt für die Wertfortschreibung vom 4. August 1986 war der auf den 1. Januar 1983 durch den Hauptfeststellungsbescheid vom 4. August 1986 festgestellte Einheitswert des Betriebsvermögens, dessen Geltung sich grundsätzlich - vorbehaltlich einer Änderung durch eine Wertfortschreibung nach § 22 Abs. 1 Nr. 2 BewG - auch auf die Folgejahre bis zum Wirksamwerden des bei der nächsten Hauptfeststellung ermittelten Einheitswerts des Betriebsvermögens erstreckte. Eine Fortschreibung des Einheitswerts des Betriebsvermögens auf den 1. Januar 1985 war folglich nur zulässig, wenn der auf diesen Zeitpunkt ermittelte Einheitswert gemäß § 22 Abs. 1 Nr. 2 BewG a. F. "entweder um mehr als ein Fünftel, mindestens aber um 5.000 Deutsche Mark, oder um mehr als 100.000 Deutsche Mark von dem Einheitswert des letzten Feststellungszeitpunkts abweicht." Damit knüpft das BewG zur Berechnung des maßgebenden Wertunterschieds an den zuletzt festgestellten Einheitswert an. Fehlt es an einer vorangegangenen Einheitswertfeststellung, kommt keine Wertfortschreibung, sondern eine Nachfeststellung (§ 23 BewG) in Betracht. Zwar handelt es sich bei der zuletzt getroffenen Einheitswertfeststellung - wie die Vorinstanz zutreffend ausgeführt hat - nicht um einen Grundlagenbescheid bezüglich eines zum nächsten Bewertungsstichtag zu erlassenden Wertfortschreibungsbescheids; denn der Einheitswertbescheid ist Grundlagenbescheid für die Folgesteuerbescheide, nicht jedoch für den Fortschreibungsbescheid, der die vorangegangene Einheitswertfeststellung mit Wirkung für die Zukunft fortschreibt, aber keine Feststellungen des ursprünglichen Bescheids übernimmt und hieraus weitere Feststellungen ableitet (vgl. Ritzer, Deutsches Steuerrecht - DStR - 1980, 12, 18). Doch handelt es sich bei dem zuletzt festgestellten Einheitswert um die für die Frage einer Wertfortschreibung maßgebende Bezugsgröße. Ändert sich diese, weil die einer Wertfortschreibung vorangegangene Einheitswertfeststellung nach den Vorschriften der AO 1977 und des BewG oder aufgrund eines Rechtsbehelfsverfahrens geändert und hierdurch der Einheitswert erhöht oder ermäßigt wird, so kann dies dazu führen, daß die Fortschreibungsgrenzen des § 22 Abs. 1 BewG, die bei der Wertfortschreibung zunächst eingehalten worden waren, nicht mehr erreicht werden. Ist dies der Fall, beseitigt die Änderung der vorangegangenen Einheitswertfeststellungen nachträglich die tatbestandsmäßigen Voraussetzungen für die bereits erfolgte Wertfortschreibung. Entgegen der Auffassung der Vorinstanz entfaltet daher im Streitfall die Wertfortschreibung des Einheitswerts des Betriebsvermögens auf den 1. Januar 1984 - durch die ab diesem Zeitpunkt die Wirkung des der Wertfortschreibung auf den 1. Januar 1985 zugrunde gelegten Hauptfeststellungsbescheids auf den 1. Januar 1983 entfällt - steuerliche Wirkungen für die Vergangenheit. Denn nach dem im Wertfortschreibungsbescheid auf den 1. Januar 1984 als neue maßgebende Bezugsgröße festgestellten Einheitswert des Betriebsvermögens erreicht der auf den 1. Januar 1985 ermittelte Einheitswert des Betriebsvermögens nicht (mehr) die Wertabweichungsgrenzen des § 22 Abs. 1 Nr. 2 BewG a. F. Der Wertfortschreibungsbescheid auf den 1. Januar 1985 ist daher gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO 1977 ersatzlos aufzuheben.

Damit folgt der Senat der im Schrifttum vertretenen Auffassung (vgl. Frotscher in Schwarz, Abgabenordnung, Kommentar, § 175 AO 1977 Anm. 27; Ritzer, DStR 1980, 12, 18; Gürsching/Stenger, Kommentar zum Bewertungsgesetz und Vermögensteuergesetz, 9. Aufl., § 22 BewG Anm. 55; Rössler/Troll, Bewertungsgesetz und Vermögensteuergesetz, 16. Aufl., § 22 BewG Anm. 30; Stöckel/Wadepuhl, Bewertungsgesetz/Vermögensteuer, § 22 BewG Anm. 11; Moench/Glier/Knobel/Viskorf, Bewertungs- und Vermögensteuergesetz, Kommentar, 2. Aufl., § 22 BewG Anm. 13) sowie der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) zur Zulässigkeit der Aufhebung eines - mit einer Wertfortschreibung insoweit vergleichbaren - Vermögensteuer-Neuveranlagungsbescheids, wenn nach einer Änderung des der Neuveranlagung vorangegangenen Vermögensteuerbescheids die Neuveranlagungsgrenzen des § 16 des Vermögensteuergesetzes (VStG) nachträglich nicht mehr überschritten sind (s. Urteil vom 22. November 1963 III 226, 227/60, Steuerrechtsprechung in Karteiform - StRK -, Reichsabgabenordnung, § 222, Rechtsspruch 170 zu § 4 Abs. 3 Nr. 2 des Steueranpassungsgesetzes - StAnpG -). Zwar ist dieses Urteil nicht zu § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO 1977, sondern zu § 4 Abs. 3 Nr. 2 des mit dem Inkrafttreten der AO 1977 außer Kraft getretenen StAnpG vom 16. Oktober 1934 ergangen; doch steht der unterschiedliche Wortlaut beider Bestimmungen einer Anwendung dieses Urteils im Streitfall nicht entgegen.

Die Änderung (Wertfortschreibung) des Einheitswertsbescheids auf den 1. Januar 1984 stellt ein Ereignis dar, das nachträglich, d. h. nach dem Erlaß des Wertfortschreibungsbescheids auf den 1. Januar 1985 eingetreten ist. Durch dieses Ereignis hat sich der für die Wertfortschreibung auf den 1. Januar 1985 vom FA als Besteuerungsmerkmal zugrunde gelegte Sachverhalt, nämlich die Höhe des bis dahin maßgebenden Einheitswerts des Betriebsvermögens mit Rückwirkung geändert. Entgegen der Auffassung der Vorinstanz ist es unerheblich, daß dem FA bei Erlaß des Wertfortschreibungsbescheids vom 4. August 1986 auf den 1. Januar 1985 bereits alle Umstände - d. h. der Umbau des Geschäftsgrundstücks sowie die Notwendigkeit der Feststellung eines besonderen Einheitswerts für das Grundstück im Zustand der Bebauung - bekannt waren, die zu einer Wertfortschreibung des Einheitswerts des Betriebsvermögens auf den 1. Januar 1984 führen konnten. Denn nicht das Eintreten der Voraussetzungen für eine Wertfortschreibung, sondern erst die daraus folgende Wertfortschreibung des Betriebsvermögens auf den 1. Januar 1984 ist im Streitfall das Ereignis, das steuerliche Wirkung für die Vergangenheit hat. Das FA konnte diesen Sachverhalt - anders als in dem der Senatsentscheidung vom 26. Oktober 1988 II R 55/86 (BFHE 154, 493, BStBl II 1989, 75) zugrundeliegenden Fall - auch noch nicht bei der Wertfortschreibung auf den 1. Januar 1985 berücksichtigen. Die Bestandskraft des Bescheids vom 4. August 1986 über die Wertfortschreibung auf den 1. Januar 1985 steht daher der Aufhebung nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO 1977 nicht entgegen.